BSE & Co in den Medien – Teil 14 khd
Stand:  18.8.2005   (42. Ed.)  –  File: M/edien14.html




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (15. Teil).
  • 27.12.2000: Wissenschaftler fordern BSE-Tests für Schafe.
  • 25.12.2000: „Viren sind Wiederholungstäter“. (Interview mit dem RKI-Chef)
  • 23.12.2000: Dem Ausland vergeht der Appetit.
  • 23.12.2000: Von verrückten Kühen und schwarzen Schafen.
  • 23.12.2000: Erst Rückrufe, dann Rücktritte. (Leitartikel)
  • 22.12.2000: EU-Kommission fordert Exportstopp.
  • 22.12.2000: WHO befürchtet weltweite Ausbreitung von BSE.
  • 22.12.2000: Fischer räumt Panne in BSE-Krise ein.
  • 21.12.2000: Mehrere Tausend BSE-Fälle in Frankreich?
  • Ältere Presseberichte  (13. Teil).



    R I N D E R W A H N S I N N

    Mehrere Tausend BSE-Fälle in Frankreich?

    Forscherin stellt Vergleich mit Großbritannien an / Bis zu 100 verseuchte Tiere im Handel

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 21. Dezember 2000, Seite 5 (Politik). [Original]

    BERLIN (Tsp). Nach Schätzungen einer britischen Wissenschaftlerin sind seit 1987 zwischen 4700 und 9800 Rinder in Frankreich mit BSE infiziert worden. Anders sei der Anstieg der Erkrankungen kaum zu erklären, schreibt Christl A. Donnelly von der Imperial College School of Medicine in London im Fachblatt Nature. In den offiziellen französischen Statistiken würden dagegen nur 143 BSE-Fälle von Rindern aufgeführt.

    Mit ihren Berechnungen versuchte die Wissenschaftlerin erstmals zu klären, wie viele Tiere von den offiziellen Kontrollen nicht erfasst werden. Dabei berücksichtigte sie unter anderem Erfahrungen aus Großbritannien, wo die Zahl der registrierten BSE-Fälle in den ersten Jahren nach Auftreten der Seuche weit hinter der Zahl der tatsächlichen Erkrankungen zurückgeblieben war. Ein ähnliches Bild habe sich für Portugal und die Schweiz ergeben.

    Das Infektionsrisiko ist in Frankreich demnach zwischen 1988 und 1991 zunächst stark zurückgegangen, in den Folgejahren jedoch stetig gestiegen – möglicherweise, weil infizierte Tiere zu Futtermitteln weiterverarbeitet wurden. In Großbritannien dürfen seit einer Verschärfung der Gesetzgebung keine Tiere mehr für den menschlichen Verzehr geschlachtet werden, die älter sind als 30 Monate. Letztere haben ein deutlich höheres Infektionsrisiko. In Frankreich gibt es eine solche Altersgrenze bislang nicht. Erst ab 2001 sind dort BSE-Tests für ältere Rinder vorgesehen.

    Der Studie zufolge sind in Frankreich bereits zahlreiche verseuchte Tiere geschlachtet worden und in den Handel gelangt. Allein für dieses Jahr schätzt Christl A. Donnelly diese Zahl auf 100 Tiere. Selbst bei günstigen Schätzungen müsse von 49 geschlachteten BSE-Rindern ausgegangen werden.

    Die Zahl der bislang seit Ausbruch der Seuche registrierten BSE-Fälle ist in Großbritannien mit insgesamt knapp 178.000 infizierten Tieren am höchsten. BSE-Fälle wurden aber in den vergangenen Jahren auch aus anderen Ländern bekannt: aus Irland (rund 520 registrierte Fälle), Portugal (450), Schweiz (350) und Frankreich (143). In Belgien, Dänemark, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, der Niederlande und Spanien sind bislang jeweils weniger als 20 BSE-Fälle registriert worden.



    B S E - K R I S E

    Fischer räumt Panne in BSE-Krise ein

    Ministerin wusste schon seit einer Woche von verdächtigem Wurstfleisch / Zahl infizierter Tiere steigt auf fünf

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 22. Dezember 2000, Seite 1 (Titel). [Original]

    BERLIN (Tsp). Das Gesundheitsministerium war früher als bisher bekannt über die Verwendung von möglicherweise BSE-verseuchtem Fleisch in älteren Wurstwaren informiert. Eine Warnung der Bundesanstalt für Fleischforschung vor maschinell vom Knochen getrenntem Fleisch habe bereits vor rund einer Woche vorgelegen, räumte Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) gestern in Berlin ein. Die FDP forderte den Rücktritt Fischers. In Bayern bestätigte das Landratsamt Weilheim-Schongau den Fall eines an der Seuche erkrankten Tieres. Insgesamt erhöhte sich damit die Zahl der nachgewiesenen BSE- Fälle in Deutschland auf fünf.

    Gesundheitsministerin Fischer kann dennoch keine Eilverordnung erlassen, laut der Brühwürste vom Markt genommen werden müssten. Für eine derartige Verordnung gebe es "keine rechtliche Grundlage", sagte Staatssekretär Erwin Jordan nach der ersten Sitzung des BSE- Arbeitskreises in Bonn. "Wir müssen aber die Frage, was in die Wurst kommt und wie es gekennzeichnet wird, in Ruhe und wohlsortiert diskutieren", sagte Fischer dem Tagesspiegel. Sie hatte am Mittwochabend [20.12.2000] angekündigt, ein Verbot von sogenanntem Separatorenfleisch, das vor dem 1. Oktober 2000 produziert worden war, zu prüfen. Dieses Fleisch wird maschinell von den Knochen geraspelt. Die Fachleute des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin sind zu dem Schluss gekommen, dass dieses Fleisch mit Knochenmark oder Teilen vom Knochen verunreinigt sein könnte. Nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen übertragen nur Hirn, Mark und Nervenstränge die Rinderseuche BSE, die beim Menschen zu einer neuen Variante des tödlichen Creutzfeldt- Jakob- Syndrom führen kann. Seit dem 1. Oktober ist es in Deutschland verboten, Separatorenfleisch von Rindern zu gewinnen. Vorher jedoch hat die Fleischindustrie ausschließlich von den Wirbelsäulen der Rinder das Fleisch abgekratzt – von dem Knochen also, der als besonders risikoreich gilt.

    Klaus Tröger, Leiter der Bundesanstalt für Fleischforschung, hatte diesen Sachverhalt in einem Brief am 5. Dezember an Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke geschrieben. Die Beamten im Haus schickten nach Prüfung das Schreiben am 13. Dezemebver an die Kollegen im Hause von Andrea Fischer weiter. Die brauchten bis zum 20. Dezember, bis sie ihre Dienstherrin unterrichteten. Fischer kündigte an zu prüfen, ob Mitarbeiter zur Rechenschaft für diese Verzögerung gezogen werden könnten. Sie wies Vorwürfe der Untätigkeit zurück. "Erst seit vier Wochen lässt sich dieser Konflikt ganz anders diskutieren", sagte Fischer.

    Unterdessen wurde klar, dass Bayern das Bundesland ist, in dem der erste BSE- Fall in Deutschland auftrat. Bereits am 2. November musste in Rottenbuch im Kreis Weinheim- Schongau eine offen wahnsinnige Kuh notgeschlachtet werden. Die bayerische Landesregierung hielt aber sowohl den Fall als auch die Testergebnisse bis gestern unter Verschluß.

    [Im Zweifel gegen den Angeklagten]
    [Risiko-Wurst bleibt im Supermarkt]
    ["Separatorenfleisch" bleibt im Supermarkt]
    [Absicherung von Kosten durch Rinderwahn möglich]
    [Ärzte warnen Bodybuilder]



    WHO befürchtet weltweite Ausbreitung von BSE

    Aus:
    Yahoo-News, 22. Dezember 2000, 16.24 Uhr (Vermischtes). [Original]

    GENF. Die Rinderseuche BSE wird sich nach Befürchtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit ausdehnen. Wie eine WHO-Expertin, Maura Ricketts, heute in Genf mitteilte, ist es unmöglich nachzuvollziehen, wohin verdächtiges Fleisch und Tiermehl seit dem ersten Auftreten des Rinderwahns in Großbritannien vor 14 Jahren überall hingegangen ist. "Wie Lebensmittel über die Grenzen gehen, ist nicht sehr transparent oder leicht zu verstehen", sagte sie. "Ebenso unklar ist, wie Viehfutter um die Welt geht."

    Die Wissenschaft sei von der Krankheit überrascht worden, von der man zunächst angenommen habe, dass sie nicht auf den Menschen übertragbar sei. Inzwischen gilt es als wahrscheinlich, dass eine neue Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit von BSE ausgelöst wird. Großbritannien habe zwar Export-Nachweise für Rindfleisch angefertigt. Fleisch könne aber dennoch in ein anderes Land ausgeführt, dort verarbeitet, neu ausgezeichnet und weiter exportiert worden sein. "Wir müssen die Länder darauf hinweisen, dass sie gefährdet sind", sagte Ricketts.



    B S E - K O N T R O L L E N

    EU-Kommission fordert Exportstopp / Schwere Vorwürfe gegen Bayern

    Der EU-Kommissar für Verbraucherschutz und Gesundheit, David Byrne, hat Deutschland heute zu einem Exportstopp für Fleischprodukte aufgefordert, die mit BSE verseucht sein könnten.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 22. Dezember 2000, 18.26 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    BRÜSSEL. Für die Ausfuhren müssten dieselben Kontrollen gelten wie fürs Inland, sagte Byrne in Brüssel und verwies auf die Forderung von Bundesgesundheits- ministerin Andrea Fischer, Wurstwaren vom deutschen Markt zu nehmen, die Fleischreste vom Rückgrat enthalten. Den Verbrauchern aus den anderen Mitgliedsländern der EU stehe derselbe Schutz zu wie den deutschen Konsumenten, sagte Byrne.

    Schlamperei und Vertuschung in Bayern

    Zuvor hatte bereits eine Expertenkommission der EU den Behörden in Bayern schwere Versäumnisse bei der Bekämpfung der Rinderseuche BSE vorgeworfen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Franz Maget, legte heute einen bisher nur im Entwurf herausgegebenen Bericht der EU-Kommission vor und beschuldigte die Staatsregierung der "Schlamperei und Vertuschung".

    Nach dem Bericht über eine Inspektionsreise von EU-Experten im September 2000 sind in Bayern etwa 75 Prozent der Proben von Futter für Wiederkäuer mit bis zu einem Prozent Tiermehl verunreinigt. Die Verfütterung von Tiermehl, das im Verdacht steht, BSE auszulösen, ist seit 1994 verboten. In Bayern sei es zu der Vermischung gekommen, weil die meisten Futtermittelmühlen keine getrennten Produktionsanlagen für verschiedene Futterarten hätten.

    Die Kontrolleure der EU kommen in ihrem bislang nur in englischer Sprache ausgefertigten Bericht zu dem Schluss, dass die Futtermittelverunreinigungen wahrscheinlich zu einer gewissen Zahl von BSE-Infektionen in Bayern geführt haben. Bei Überprüfungen in Nordrhein-Westfalen machten die EU-Prüfer nach eigenen Angaben keine derartigen Feststellungen. Dort gebe es im Gegensatz zum Freistaat klare Anweisungen zum Umgang mit solchen Futtermitteln.

    Ein weiterer Vorwurf betrifft die personelle Ausstattung der Bayerischen Landesanstalt für Ernährung, die für die Untersuchungen der Futterfabriken zuständig ist. Mit nur 1,5 Personalstellen müssten 65 Unternehmen überwacht werden. Außerdem seien verantwortliche Stellen nicht über die Vorschriften informiert gewesen. Zu schwerwiegenden Versäumnissen sei es auch bei der Untersuchung von auffälligen Rindern gekommen. Gehirne von Rindern mit BSE-verdächtigen Symptomen, die getötet wurden, seien nicht in angemessener Weise untersucht, sondern zum Teil vernichtet worden.

    Vor diesem Hintergrund erneuerte SPD-Fraktionschef Maget seine Rücktrittsforderung an Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU). "Ich fordere den Ministerpräsidenten auf, sie zu entlassen." Auch Landwirtschaftsminister Josef Miller (CSU) sei tief in die Vorgänge verwickelt. Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) dürfe nicht länger auf Tauchstation gehen. "Die gesamte Regierung steht am Pranger." Maget verwies auf die von Landwirten angekündigten Anzeigen gegen die Verantwortlichen der bayerischen Ministerien für Gesundheit und Landwirtschaft. Es sei richtig, dass sich die Staatsanwaltschaft mit dem Fall befassen werde. "Es geht um die Frage der Verantwortung."

    Von den bisher in Deutschland zweifelsfrei festgestellten 5 BSE- Fällen sind 4 in Bayern aufgetreten. Die Staatsregierung muss nach Magets Auffassung jetzt nicht nur erklären, warum der Freistaat im Zentrum des deutschen BSE-Skandals steht. "Jetzt muss sie erklären, warum es in Bayern noch nicht einmal ein Labor für die Untersuchung der Futtermittelproben gibt."

    Auch Funke unter Beschuss

    Schon 1994 hat es nach Angaben des Kieler Zoologie- Professors Sievert Lorenzen konkrete Hinweise darauf gegeben, dass fünf an BSE erkrankte Importrinder auf einem Hof bei Hannover sich erst in Deutschland infiziert hatten. Der jetzige Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) sei als damaliger niedersächsischer Minister diesen Hinweisen nicht ernsthaft nachgegangen. [siehe auch: Fall Bad Bramstedt 1993]

    Vor diesem Hintergrund und auf Grund des Vorwurfs, Funke habe auch Forderungen der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere nach flächendeckenden BSE-Tests im Frühsommer ignoriert, forderte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Hans-Peter Repnik, den Rücktritt des Landwirtschaftsministers. Der Berliner Morgenpost sagte der CDU-Politiker: "Wenn das stimmt, ist es egal, ob er das Gutachten verschlampt oder bewusst ignoriert hat. Das Maß ist ohnehin längst voll: Karl-Heinz Funke hat seinen Sessel schleunigst zu räumen." [Kommentar]



    D A S   B S E - D E S A S T E R

    Erst Rückrufe, dann Rücktritte

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 23. Dezember 2000, Seite 1 (Leitartikel) von BERND ULRICH. [Original]

    Der Tag vor Heiligabend ist kein Tag für Rücktritte. Aber ein guter Zeitpunkt, über Verantwortung zu reden. Immerhin steht die deutsche Politik vor einem doppelten BSE-Desaster: Die Bürger sind tief verunsichert, und die EU fordert, weltweit alle deutschen Würste zurückzurufen.

    Zunächst zur Verantwortung von Gesundheitsministerin Andrea Fischer. Sie hat in dieser Woche einen großen Fehler gemacht und einen zweiten zu verantworten. Erst die deutsche Wurst für unbedenklich zu erklären, um sie kurz danach am liebsten per Eilverordnung aus den Kühlregalen holen zu wollen, das wirkt nicht nur unsouverän, das ist auch fahrlässig.

    Was Fischer sich dabei gedacht hat? Nur nicht als grüne Alarmistin erscheinen, sondern Transparenz herstellen; auch eigenes Halbwissen sofort veröffentlichen, anstatt Sicherheit zu simulieren; auf die Souveränität der Verbraucher setzen. Der Risiko-Soziologe Ulrich Beck hätte seine Freude daran gehabt. Denn das war Politik wie aus seinem Lehrbuch. Das war zu klug, also: falsch. Die Verbraucher sind von diesem Hin und Her überfordert. Sie kaufen ein für die Weihnachtstage und stehen ratlos vor den Regalen. Im Nachhinein ist leicht zu sagen, was die Ministerin hätte sagen sollen: "Solange wir die Fakten prüfen, sollten Sie keine Wurst essen."

    Und dann war da noch das Separatoren-Wurst-Gutachten, das eine Woche im Gesundheitsministerium lag, ohne dass es die Ministerin zu Gesicht bekam. Diese Schlamperei hat sie nicht begangen, aber politisch zu verantworten.

    Muss Andrea Fischer deshalb nach Weihnachten zurücktreten? Sage keiner, ein Rücktritt brächte an der BSE-Front im Moment nichts. Das kann nicht das Kriterium sein. Rücktritte sind keine Frage der unmittelbaren Nützlichkeit, sondern der politischen Kultur, die langfristig wirkt. Was sind dann die Kriterien? Die Folgen, die Motive und die Schwere ihrer Fehler. Durch Fischers Fehler hat der Bürger eine Woche verloren. Sieben Tage früher hätte er wissen können, was er nun weiß. Und die Motive der Ministerin? Sie wollte ihre Glaubwürdigkeit als BSE-Polizistin bewahren, wollte Transparenz herstellen. Die Schwere ihrer Fehler kann man nur im Vergleich ermessen.

    Durch die Politik der Landwirtschaftsminister [Ed: Ignatz Kiechle (CSU), Jochen Borchert ( CDU), Karl-Heinz Funke (SPD)] haben wir nicht 7 Tage verloren, sondern 10 Jahre. So lange hat der Verbraucher Tausende von gefährlichen Würsten oder T-Bone-Steaks in sich hineingestopft. Zwei Jahre hatte Bundesminister Karl-Heinz Funke Zeit, die pervertierte Landwirtschaft in eine andere Richtung zu drängen, die Verbraucher zu warnen, die BSE-Krise in den Griff zu nehmen. Er hat es nicht einmal versucht, ja, er wollte es verhindern: Das Verbot von Tierfutter hat Andrea Fischer durchgesetzt, gegen seinen Widerstand. Funke war gegen das Verbot von Separatorenfleisch, Fischer war dafür. Übrigens hatte er das Wurst-Gutachten früher als sie.

    Und seine Motive? Funke war und ist Lobbyist der konventionellen Landwirtschaft. Sie setzt auf billige Ware und achtet nicht so auf die Umstände, auf das Futter etwa. Er hat versucht, "seine" Bauern zu schützen, mehr als die Verbraucher. Aber er hat im Effekt auch den Bauern nicht geholfen, denn die sind jetzt diskreditiert, teilweise ruiniert, vor allem: demoralisiert. Dieser Minister hat uns Jahre gekostet, seine Motive sind eng und die Folgen seiner Politik nur deshalb nicht gravierend, weil er sich nicht gegen Fischer durchsetzen konnte. Wo ist Funke jetzt, da die BSE-Krise immer höher kocht? Er hat sich krank gemeldet. Neben dem Heiligen Abend ist das ein zweiter Grund, jetzt nicht seinen Rücktritt zu fordern. Aber sein Verhalten war unverantwortlich.

    Ist Funkes Versagen noch steigerbar? Wenn die Informationen der EU-Kommmission zutreffen, dann wurde in Bayern trotz Verbots in großem Umfang Tiermehl gefüttert. Dann sind für die Kontrolle aller Tiermehl- Fabriken in Bayern 1,5 Beamte zuständig. Das wäre mehr als unverantwortlich: Es wäre kriminell. Und ist Bayern überall?

    Man kann der Politik nicht vorwerfen, dass sie der Zivilisationsseuche BSE nicht im Handumdrehen Herr wird. Aber nicht alle haben alles versucht. Nach Weihnachten dürften wir einige Rückrufaktionen erleben. Nicht nur von Würsten.

    [Futter für Misstrauen]
    [Verwirrung um Wurst-Etiketten]
    [Erzeuger rufen Risiko-Wurst zurück]
    [Von verrückten Kühen und schwarzen Schafen]



    Von verrückten Kühen und schwarzen Schafen

    Die EU wirft Bayern mangelnde Kontrolle und Schlamperei vor

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 23. Dezember 2000, Seite 2 (Thema des Tages). [Original]

    MÜNCHEN/BRÜSSEL (Tsp). So einfach lässt man sich in Bayern den Schwarzen Peter nicht zuschieben. Von wegen fahrlässig gehandelt, von wegen Rücktritt. Nach den schweren Vorwürfen aus Brüssel, dass Bayern nicht streng genug kontrolliert habe, stellten sich am späten Freitagmittag [22.12.2000] Bayerns Gesundheitsministerin Barbara Stamm und Landwirtschaftsminister Josef Miller (beide CSU) vor die Presse und verkündeten: "Der Bericht der EU bringt keine neuen Erkenntnisse. Die angeblichen Mängel sind schlicht nur die halbe Wahrheit." Und Stamm fügten selbstbewusst hinzu: "Ich akzeptiere Rücktrittsforderungen nicht, und ich werde ihnen auch nicht nachkommen." Stattdessen spielten die Bayern den Ball einfach zurück nach Brüssel und warfen der EU vor, "halbherzig" schärfere Verbote bei der Fütterung von Tiermehl zu verhindern.

    Dass ausgerechnet die CSU-Minister darauf hinwiesen, dass diese EU-Erkenntnisse nicht neu seien, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Vor allem Bayerns SPD wird es mit Erstaunen vernommen haben. Denn die Sozialdemokraten waren es, die in den letzten Jahren stets auf das Problem aufmerksam gemacht hatten. Damals hatte es die CSU allerdings nicht besonders interessiert.

    Was nämlich nicht neu ist, ist die Tatsache, dass die Hälfte des Tierfutters in Deutschland von privaten Unternehmern gemischt wird, die mit ihren Anlagen durch die Republik touren und keine amtliche Genehmigung brauchen. Oder die Tatsache, dass für gewöhnlich Tiermehl-Rückstände in den Maschinen hängen bleiben, durch deren Röhren danach andere, "saubere" Rezepturen laufen.

    Schnelltests lehnte die CSU ab

    Die SPD hat im Landtag seit 1994 auf die Gefahren durch BSE hingewiesen und in mehreren Dringlichkeitsanträgen versucht, die Verfütterung von Tiermehl in Bayern zu stoppen. Der letzte Antrag von Oktober 1999 orientierte sich an der Schweiz, die nach den ersten Fällen im Lande sofort BSE-Schnelltests eingeführt hatte. Er wurde mit der Mehrheit der CSU abgelehnt. Nun sucht der SPD-Agrarexperte Gustav Starzmann die Schuld für die verrückten Kühe allein bei den schwarzen Schafen. Es könne doch nicht sein, "dass man in einer BSE-Situation sieben lange Wochen braucht, bis man die Bevölkerung informiert", wie im Falle des ersten offen ausgebrochenen Rinderwahns in Rottenbuch bei Weilheim geschehen.

    Liest man den Bericht der Beamten des EU-Veterinäramts (FVO), die in Bayern die Umsetzung der EU-Vorsichtmaßnahmen kontrolliert haben, wird klarer, warum der Freistaat besonders von der BSE-Krise betroffen ist.

    Kleinlautes Eingeständnis

    Auf 35 Seiten haben die EU-Beamten zusammengetragen, was ihnen bei der Kontrolle der Kontrolleure aufgefallen ist. Schon 1994 hatte die EU die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer verboten. Später kamen weitere Vorsichtmaßnahmen im Kampf gegen BSE dazu: Von der Pflicht zum lückenlosen Nachweis der Herkunft der Rinder bis zur Vernichtung des so genannten Risikomateirals. Die Umsetzung der EU-Richtlinien ist jedoch Ländersache.

    In ihrem internen Bericht, der den EU-Mitgliedsländern zugestellt wurde, ist vor allem von der Pflicht zur Identifikation der Schlachtrinder und der Überwachung des Verfütterungsverbots von Tiermehl in Bayern und Nordrhein-Westfalen die Rede. Während die Behörden der Düsseldorfer Landesregierung auf festgestellte Mängel relativ zügig reagierten und zumindest versuchten, die Missstände zu beheben, deckten die EU-Kontrolleure in Bayern nicht nur skandalöse Schlampereien in den Tiermittelfabriken und Schlachthöfen auf, sondern auch in den bayrischen Behörden.

    So mussten die bayrischen Beamten ihren Brüsseler Kollegen kleinlaut eingestehen, dass sie erst im Juli 1999 begonnen hatten, die Vorschriften zur Identifikation der Rinder auch zu kontrollieren. Eigentlich hätten jedes Jahr rund zehn Prozent der Bestände, 8.900 Tiere, kontrolliert werden sollen. Tatsächlich jedoch prüften die bayrischen Beamten, oder der damit beauftragte "Milchprüfring", lediglich 1.541 Tiere, gerade 1,73 Prozent des Rinderbestandes. Bei mehr als der Hälfte der Kontrollen, in 851 Fällen, stellten sich mehr oder weniger schwere Regelverletzungen heraus. Doch Strafen verhängten die Bayern nur gegen 20 Höfe.



    D E U T S C H E S   R I N D F L E I S C H

    Dem Ausland vergeht der Appetit

    In der EU werden deutsche Fleisch- und Wurstprodukte immer skeptischer beurteilt. In niederländischen Supermärkten wurden Waren bereits aus den Regalen entfernt, und auch Belgien will diesen Schritt offenbar anordnen.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 23. Dezember 2000, 16.13 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    HAMBURG. Die niederländischen Supermärkte folgten einer Warnung des Gesundheitsministeriums von gestern Abend an die Verbraucher, bestimmte deutsche Fleisch- und Wurstprodukte nicht mehr zu essen und bereits gekaufte Waren in die Geschäfte zurück zu bringen. Wie hoch der Schaden für die Supermärkte ist, ist noch nicht bekannt.

    Das Gesundheitsministerium hatte eine Liste mit einigen Dutzend Wurstprodukten veröffentlicht, die möglicherweise mit dem BSE-Erreger verseucht sind. Die Haager Regierung folgt damit einer Empfehlung des Berliner Gesundheitsministeriums. Außer Hart- und Streichwürsten, Aufschnitt sowie Bock- und Bratwurst gelten auch Hühnerleber und Perlhuhnsalami als Risikoprodukte.

    Auch Belgiens Gesundheits- und Umweltministerin Magda Aelvoet habe ihre Landsleute vor deutschen Rindfleischprodukten gewarnt, hieß es in einem Rundfunkbericht. Eine offizielle Stellungnahme der belgischen Regierung lag zunächst nicht vor. Nach dem Bekanntwerden mehrerer BSE-Fälle in Deutschland war in Österreich bereits gestern eine Importsperre für Rinder und Rindfleisch aus Deutschland in Kraft getreten.

    EU-Agrarkommissar Franz Fischler kritisierte eine fehlende Koordination im Kampf gegen die Rinderseuche. Er sagte der Welt, die Verteilung der Zuständigkeit bei Bund und Ländern "und die üblichen Schuldzuweisungen machen die Sache nicht leichter". "Da gibt es manche Konfusion." Hintergrund der Kritik ist unter anderem ein vertraulicher Bericht der EU-Kommission an die Bundesregierung, aus dem nach Medienberichten hervorgeht, dass die zuständigen Behörden schon seit fast drei Monaten über erhebliche Mängel bei der Verarbeitung von Tiermehl und sonstigen Futtermitteln informiert waren. Die EU-Kommission hatte bestätigt, bereits am 29. September erste Erkenntnisse von Inspektionen von Rinderfütterungen mitgeteilt zu haben.

    Landwirtschaftsministerium weist Vorwürfe zurück

    Das Bundeslandwirtschaftsministerium wehrte sich. Die EU-Kommission habe trotz mehrfacher Nachfragen die Vorlage ihres Berichts über die Futtermittelkontrollen in Deutschland "wochenlang hinausgezögert" und die Behörden im Ungewissen gelassen, behauptete Staatssekretär Martin Wille. Das Ministerium wies insbesondere Berichte zurück, wonach seine Veterinäre am 29. September gründlich über Missstände in der Futtermittelüberwachung informiert gewesen seien. Damals habe es im Anschluss an die Inspektion der Experten in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen nur ein abschließendes Gespräch gegeben, aber die Hinweise seien noch nicht richtig konkretisiert gewesen, sagte Ministeriumssprecherin Sigrun Neuwerth.

    Druck auf Fischer wächst

    Grünen-Chef Fritz Kuhn stellte sich unterdessen hinter die unter Druck geratene Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer. Er wolle nicht "verhehlen, dass es Pannen gegeben hat", sagte Kuhn dem Tagesspiegel. `Aber Andrea Fischer hat viel eher vor BSE und Tiermehl gewarnt als andere, und "sie hat nichts vertuscht wie die bayerische Landesregierung". Fischer war in die Kritik geraten, nachdem ein Brief der Bundesanstalt für Fleischforschung, in dem auf eine mögliche Gefahr durch BSE-verseuchtes Fleisch in Wurstwaren hingewiesen wurde, im Landwirtschafts- und Gesundheitsministerium nicht zügig bearbeitet worden war. Staatssekretär Erwin Jordan betonte in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, der Brief sei im Ministerium ordnungsgemäß behandelt worden, die Fachbeamten hätten nur "die politische Brisanz nicht gleich an die Ministerien weitergeleitet".

    Im Gegensatz zu Kuhn warf der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands, Christian Bär, der Grünen-Politikerin "etwas peinlich wirkenden Aktionismus" vor. Dieser führe zusammen mit der Unsicherheit über die Ursachen der Seuche "nicht zu einer sachlichen Information, sondern zu einer hohen Verunsicherung auch in den Bereichen der Landwirtschaft", sagte Bär im InfoRadio Berlin-Brandenburg. Zugleich wies er Vorwürfe gegen den Bauernverband zurück, die Seuche verharmlost zu haben: "Dass wir Bauern ebenso wie die Verbraucher offensichtlich die Betrogenen sind, wird jetzt augenscheinlich." (...)



    S E U C H E N

    „Viren sind Wiederholungstäter“

    Der Virologe Reinhard Kurth über BSE-infizierte Schafe, Katastrophenpläne für die nächste Grippe-Pandemie und die Gefahr einer Wiederkehr der Pocken.

    Aus:
    Der Spiegel – 52/2000, 25. Dezember 2000, Seite 184–188 (Wissenschaft). Das Gespräch führten HANS HALTER und JOHANN GROLLE in Kurths Büro im Robert-Koch-Institut in Berlin. [Original]

    Kurth, 58, ist Leiter des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI), der für Infektionskrankheiten zuständigen Bundesbehörde. Der international renommierte Virenexperte warnt seit vielen Jahren davor, dass die sich rasant ändernden Lebensgewohnheiten des Menschen neuen Viren und Bakterien den Weg bahnen könnten. Mit Beginn des nächsten Jahres wird seiner Behörde beim Kampf gegen diese Gefahren eine noch größere Bedeutung zukommen: Dann tritt das neue Infektionsschutzgesetz in Kraft, das dem Robert-Koch-Institut die Rolle der zentralen Seuchenmeldestelle zuweist.

    SPIEGEL: Professor Kurth, bisher sind knapp 90 menschliche BSE-Tote zu beklagen. Bei jedem Jumbo-Absturz ist die Zahl der Opfer vier- bis fünfmal so hoch – und trotzdem gibt es keine Massenstorni bei TUI oder Neckermann. Erleben wir in Sachen BSE eine Hysteriewelle?

    Kurth: Es gibt einen entscheidenden Unterschied: Bei BSE wissen wir nicht, wohin die Reise noch geht. Kein seriöser Wissenschaftler wagt im Moment eine konkrete Prognose über die zukünftige Zahl der vCJK-Opfer, wie die menschliche Variante des Rinderwahns ja genannt wird.

    SPIEGEL: Ist es denn seriös, eine Spannweite von Maximal- und Minimalzahl der Opfer anzugeben?

    Kurth: Im Prinzip ja, ich weiß allerdings nicht, wie hilfreich das ist. Gegenwärtig gehen die Biostatistiker in England von einer Zahl zwischen mehreren hundert und 136.000 aus.

    SPIEGEL: Und in Deutschland?

    Kurth: In Deutschland haben wir ja nicht mal einen einzigen Patienten. Allerdings erwarte ich persönlich, dass irgendwann auch hier das erste vCJK-Opfer auftaucht...

    SPIEGEL: ...weil es sich mit deutschem Rindfleisch infiziert hat?

    Kurth: Vergessen Sie nicht: Wir haben zu Beginn der neunziger Jahre über 10.000 Tiere aus England importiert und auch mehrere tausend Tonnen Tiermehl sind ins Land gelangt. Wenn das spurlos an uns vorbeiginge, wäre es ein großes Wunder.

    SPIEGEL: Ist denn jetzt durch Tiermehlverbot und BSE-Tests die Infektionsgefahr gebannt?

    Kurth: Es wurde fast alles getan, was man tun kann – was nicht unbedingt heißt, dass es genug ist. Was wir dringend brauchen, ist ein frühdiagnostischer Bluttest; wir brauchen auch – ein heikles Thema – einen Test für Menschen, weil wir nicht völlig ausschließen können, dass die Infektion doch ins Blutspendewesen eindringt.

    SPIEGEL: Glauben Sie, dass dieser [BSE-] Erreger noch neue, bisher unbekannte Gefahren birgt?

    Kurth: Meine Hauptsorge gilt im Moment den Schafen: Rund 600 Fälle der Schafskrankheit Scrapie werden in Großbritannien pro Jahr gemeldet, aber in einer Hochrechnung geht das Landwirtschaftsministerium davon aus, dass in Wirklichkeit etwa 10.000 Tiere erkranken. Da fragt man sich dann: Haben all diese Schafe wirklich Scrapie, eine Krankheit, die seit 250 Jahren bekannt ist und die nicht auf den Menschen übergeht – oder haben viele von ihnen in Wirklichkeit BSE?

    SPIEGEL: Wie leicht lässt sich denn der Unterschied erkennen?

    Kurth: Zumindest die Symptome sind gleich. Entscheidend ist: Schafe lassen sich oral leicht mit BSE infizieren, und vom Schaf könnte der Erreger dann auch auf den Menschen wechseln. Deshalb müssen wir auch hier dringend einen Test entwickeln. Immerhin importieren wir sowohl Fleisch als auch Lebendschafe aus England. Und wir haben eine große türkische Bevölkerung, die dieses Fleisch bevorzugt isst.

    SPIEGEL: Also sind auch hier dringend Maßnahmen nötig?

    Kurth: In der Tat. Ich denke, wir brauchen auch hier einen Schnelltest; außerdem sollte jeder wissen, wo das Schaf herkommt, dessen Fleisch er isst. Ich persönlich würde nicht gern ein Schaf aus England auf der Speisekarte haben. Das englische Landwirtschaftsministerium – und das habe ich schriftlich – sagt sogar: Wenn wir wirklich BSE in den Schafen finden, dann müssen wir möglicherweise den gesamten Schafbestand vernichten.

    SPIEGEL: Das sind 40 Millionen Schafe...

    Kurth: ... 42 Millionen. Das wäre eine sehr unschöne Angelegenheit.

    SPIEGEL: War BSE ein besonders unglücklicher Sonderfall? Oder könnte demnächst der nächste, womöglich noch bösartigere Erreger der modernen Landwirtschaft entspringen?

    Kurth: Ich finde, der BSE-Erreger ist bösartig genug. Wir müssen ja leider davon ausgehen, dass jeder, der infiziert ist, daran stirbt. Außerdem ist der Erreger sehr infektiös: Ein Gramm eines erkrankten BSE-Rindes hat 108 infektiöse Dosen, wenn man es Mäusen ins Hirn injiziert ...

    SPIEGEL: ... das heißt, man könnte damit 100 Millionen Mäuse krank machen?

    Kurth: Genau gesagt heißt das: Wenn Sie ein Gramm gleichmäßig auf 100 Millionen Mäuse verteilen, dann wird die Hälfte von ihnen krank. Die EU-Kommission hat schon vor Jahren gesagt: Beim britischen Verfahren der Tiermehl- Herstellung muss man davon ausgehen, dass ein hochkrankes Rind, das zu Tiermehl verarbeitet wird, mehrere tausend Rinder anstecken könnte.

    SPIEGEL: Auch eine eindrucksvolle Zahl. Aber zurück zu der Frage: Wann steht uns die nächste Seuche aus den Tierfabriken der modernen Landwirtschaft bevor?

    Kurth: Zunächst einmal: Die Massentierhaltung, so wie wir sie jetzt kennen, war ja erst möglich, nachdem man die großen Tierseuchen – Tuberkulose oder Brucellose – ausgemerzt hatte. Andererseits können durchaus Epidemien durch die Massentierhaltung entstehen: Wenn zum Beispiel wie in Asien Hühner und Schweine auf sehr engem Raum zusammen gehalten werden, dann befördert das die Entstehung neuer Grippe-Viren, die dann weltweite Influenza- Epidemien auslösen können.

    SPIEGEL: So schrecklich wie 1918/19? Damals gab es 20 Millionen Grippe-Tote.

    Kurth: Eine neue Grippe-Pandemie ist jederzeit möglich, hoffentlich verläuft sie dann weniger verheerend als damals. Schließlich haben wir ja heute eine bessere Intensivmedizin – 1918 gab es noch nicht einmal Antibiotika. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass bei einer richtigen Pandemie selbst unser hoch entwickeltes Gesundheitssystem überfordert wäre.

    SPIEGEL: Wie werden dann die Behörden reagieren? Haben Sie überhaupt Katastrophenszenarios für den Fall einer Jahrhundertgrippe?

    Kurth: Wir haben ein umfangreiches Konzept. Wir haben uns hingesetzt und mit den Seuchenreferenten aller Bundesländer diskutiert: Was machen wir bei der nächsten Pandemie? Jetzt liegt ein Entwurf für einen Katastrophenplan vor, der auch schon brauchbar wäre, falls in diesem Winter was passiert – wonach es im Moment allerdings nicht aussieht.

    SPIEGEL: Und was sieht so ein Plan vor? Kann da zum Beispiel jeder nachgucken, ob er zu denen gehört, die einen Impfstoff bekommen?

    Kurth: Erst müssen die Überlegungen noch mit den 16 Bundesländern endgültig abgestimmt werden. Aber im Prinzip muss man natürlich fragen: Wie viel Impfstoff ist da? Wie schnell kann er hergestellt werden? Und wer wird geimpft?

    SPIEGEL: Wer sind denn nun diese Glücklichen?

    Kurth: Wir schlagen vor: Als Erstes wird das medizinische Personal geimpft, Ärzte und Schwestern also, weil die besonders stark exponiert sind und weil sie gesund bleiben sollten, um die Kranken versorgen zu können. Dann kommen die Berufsgruppen, die für die öffentliche Sicherheit verantwortlich sind: Feuerwehr, Polizei, auch einige Amtsstuben. Die Bundeswehr haben wir außen vor gelassen, denn das sind junge Leute, die hoffentlich allein mit dem Virus fertig werden können. Interessanterweise haben die Schweizer in ihre Pläne reingeschrieben, die höchste Priorität hätten die politisch Verantwortlichen im Lande.

    SPIEGEL: Angenommen eine Grippe-Epidemie bricht überraschend aus; wie viel Impfstoff könnte man denn in welcher Zeit produzieren?

    Kurth: Das hängt sehr vom Virus ab. Nehmen Sie mal die Situation im Jahr 1997. Damals tauchte in Hongkong ein Hühner-Virus auf, wie wir es noch nie im Menschen gesehen hatten. 25 Menschen wurden infiziert, 6 starben – eine erschreckend hohe Mortalität. Dieses Virus hatte eine völlig neuen Hülle, deshalb wären alle vorhandenen Impfstoffe unwirksam gewesen – also eine äußerst gefährliche Situation...

    SPIEGEL: ... in der die Hongkonger Behörden sich entschieden haben, alle 1,3 Millionen Hühner in der Stadt zu schlachten und zu verbrennen.

    Kurth: Genau. Und das war auch das einzig Sinnvolle. In dieser Situation also musste man einen völlig neuen Impfstoff machen. Normalerweise geht das, grob gesagt, so: Sie beimpfen ein Hühnerei mit den Viren. Nach wenigen Tagen bildet sich oben im Dottersack eine Flüssigkeit, die große Mengen des Virus enthält. Die Viren tötet man ab, reinigt das Ganze, und der Impfstoff ist fertig. Dieses spezielle Virus aber war so pathogen, dass es alle Hühnereier abgetötet hat. Die Impfstoffhersteller konnten also nicht damit arbeiten. Es hat sechs Monate gedauert, um im Labor das Virus so abzuschwächen, dass es im Hühnerei gezüchtet werden konnte. Wenn wir in eine solche Situation gerieten, hätten wir sehr schlechte Karten.

    SPIEGEL: Wobei es ja noch länger dauert, bis die nötigen Mengen hergestellt sind.

    Kurth: Wir haben einmal durchgerechnet: Angenommen wir haben ein Influenza-Virus, das nicht tödlich ist für die Hühnereier, und wir fangen sofort an zu produzieren; dann sagen uns die Impfstoffhersteller trotzdem: "Wir brauchen Zeit." Ein Problem ist, dass nicht schnell genug bebrütete Hühnereier in großer Menge geliefert werden können. Im günstigsten Fall dauert es erst etwa drei Monate, ab dann können etwa drei Millionen Dosen pro Woche geliefert werden.

    SPIEGEL: Und das reicht nicht aus?

    Kurth: Es kommt noch etwas hinzu: Wenn es sich um eine Pandemie handelt, ist das Influenza-Virus ja nicht nur in Deutschland, sondern es geht in ganz Westeuropa um. In einem solchen Fall gibt es also plötzlich einen Wettlauf um den Impfstoff – und die beiden deutschen Hersteller, zwei Firmen in Dresden und Marburg, gehören nicht deutschen, sondern ausländischen Konzernen. Traditionell liefern sie nur 25 Prozent ihrer Impfstoffproduktion nach Deutschland, der Rest wird exportiert. Und diese Exportquote würden sie mit absoluter Sicherheit aufrecht erhalten. Wir bekämen demnach von den 3 Millionen nur rund 750.000 Dosen für unser Land.

    SPIEGEL: Und wie viele wären nötig?

    Kurth: Wenn wir alle chronisch Kranken und alle über 60 Jahre alten Menschen impfen wollen, kämen wir auf bis zu 25 Millionen Dosen. Bei 750.000 Dosen pro Woche können Sie selbst ausrechnen, wie lange das dauert.

    SPIEGEL: Am ersten Januar tritt das neue Infektionsschutzgesetz in Kraft. Dann werden Sie als Chef des Robert-Koch-Instituts höchster deutscher Seuchenwart sein. Gehört das Schmieden von Katastrophenplänen schon zu Ihren neuen Aufgaben?

    Kurth: Ja, das RKI hat hier zentrale Koordinationsaufgaben bekommen. Ein wesentlicher Punkt ist aber auch das Meldewesen. Das ist in Deutschland sehr schlecht entwickelt gewesen. Wir kriegen zukünftig – und das ist das wirklich Neue – die anonymisierten Einzelfallmeldungen. Das heißt, wir wissen in Zukunft genau: Hier gibt es eine Häufung von Tuberkulose oder Hepatitis C oder Meningitis. Bald wird ein Knopfdruck reichen, um zu sehen, welche Erreger sich in welchem Umfang wo in unserem Land bewegen.

    SPIEGEL: Wie viele im Sinne dieses Gesetzes meldepflichtige Erkrankungen gibt es denn in Deutschland?

    Kurth: Wir rechnen mit etwa 500.000 Meldungen der insgesamt über 50 meldepflichtigen Krankheiten im Jahr – wobei wir unterscheiden müssen: Zum einen haben wir die altbekannten Krankheiten – Masern, Mumps, Diphtherie und so weiter. Die wollen wir zurückdrängen oder ihre Rückkehr verhindern. Denken Sie zum Beispiel an die Diphtherie-Epidemie in Russland vor ein paar Jahren. Zu einer zweiten Kategorie gehören die seltenen importierten Krankheiten, die Reizwörter Ebola-, Marburg-, Lassa- oder Gelbfieber-Virus also. Wegen der erhöhten Reisetätigkeit kommen solche Fälle im Vergleich zu früher zwar eher häufiger vor. Seuchenhygienisch mache ich mir aber nicht so viel Sorgen. Die letzten Fälle haben uns gezeigt, dass wir die Kranken isolieren konnten.

    SPIEGEL: Und wie steht es mit neuen Krankheiten, die man noch gar nicht kennt?

    Kurth: Das ist die dritte Art von Krankheiten; Aids und BSE sind sozusagen die Prototypen dafür. Da gilt leider, dass wir uns auf die Veränderungsfähigkeit der Erreger verlassen können. Das ist nun mal so in der Evolution. Als ich Medizin studierte, da hieß es ja: Wir haben Impfungen, Antibiotika und gute Hygiene; Infektionskrankheiten müsst ihr zwar noch lernen, aber eigentlich könnt ihr alles gleich wieder vergessen. Ja denkste! Wir werden wahrscheinlich noch unschöne Überraschungen erleben.

    SPIEGEL: Zum Beispiel?

    Kurth: Mir bereiten zum Beispiel die so genannten Affenpocken Sorgen. Diese Viren leben, anders als der Name glauben macht, in Nagetieren. Wir haben immer gedacht, dass Affen und genauso auch Menschen Sekundärwirte sind, die für den Erreger Sackgassen sind. Das heißt: Ab und zu infizieren sich ein paar einzelne Bauern, aber die Pocken- Viren springen nicht von Mensch zu Mensch. Beim letzten Ausbruch im Kongo aber waren es plötzlich 400 Kranke, und vor allem: Der Erreger hatte irgendwie Mensch-zu-Mensch-Übertragungen geschafft.

    SPIEGEL: Heißt das, die Pocken kehren womöglich in neuem Gewande zurück?

    Kurth: Ich möchte mir so ein Szenario gar nicht vorstellen. Wir Älteren, die wir noch geimpft sind, sind wahrscheinlich zumindest partiell immun. Aber alle jungen Menschen unter 30 Jahren sind nicht mehr geimpft. Das bedeutet, dass ein Teil der Weltbevölkerung absolut empfänglich ist.

    SPIEGEL: Können auch bei Aids neue Virenstämme zu einem neuen Seuchenzug führen?

    Kurth: HIV hat mindestens 50, 60 Jahre gebraucht, bevor es sich an den Menschen gewöhnt hatte. Die Erreger haben es ja nicht leicht. Das Geflügel-Virus aus Hongkong, von dem wir vorhin geredet haben, war gerade erst dabei, sich in der menschlichen Population festzusetzen. Dasselbe gilt für das Affenpocken- Virus: Bei seinem letzten Ausbruch war es schon ziemlich erfolgreich im Menschen – und es wird es immer wieder versuchen. Denn diese Viren sind ja Wiederholungstäter. Auch bei HIV gab es sicherlich zig Übertragungen vom Affen auf den Menschen, denn die Affenjagd ist ein sehr blutiges Geschäft.

    SPIEGEL: Sie glauben also, dass es in Afrika sozusagen regelmäßig zu neuen Erstinfektionen mit HI-Viren kommt?

    Kurth: Wir müssen davon ausgehen. Immerhin kennen wir heute 18 Affenarten, die mit SIV – also dem Affen-Pendant von HIV – natürlich infiziert sind, ohne dass sie daran sterben. Zweimal ist SIV bisher auf den Menschen übergegangen: Einmal sprang es vom Schimpansen über und einmal vom Halsbandmangaben. Dabei entstanden HIV-1 und HIV-2. Aber was würde nun passieren, wenn von den anderen 16 SIV-Stämmen einer den Weg in den Menschen findet? Einige Fachleute – darunter auch ich – gehen sogar fest davon aus, dass das längst geschehen ist. Dass also bereits andere SIV-Stämme im Menschen sind, aber noch ums Überleben kämpfen.

    SPIEGEL: Was würde das denn bedeuten?

    Kurth: Nicht auszuschließen wäre ein Virustyp, der ansteckender ist als HIV-1 und HIV-2. Wir wissen inzwischen, dass es im Durchschnitt ungefähr 500 ungeschützte Geschlechtsverkehre braucht, um den Partner mit HIV-1 oder -2 anzustecken. Nun stellen Sie sich mal vor, es gäbe plötzlich ein Virus, das nur 50 oder sogar nur 10 solcher Kontakte braucht, um übertragen zu werden. Dann haben wir ein Problem mehr!

    SPIEGEL: Affenpocken, Ebola, neue HI-Viren: All diese Gruselerreger scheinen aus Afrika zu kommen. Warum eigentlich?

    Kurth: Infektionskrankheiten sind häufig Armutserkrankungen. Ganz generell sind die Megastädte der Dritten Welt Brutplätze für neue Infektionskrankheiten, mit ihren schlechten Trinkwasser- und Abwassersystemen, mit ihren offenen Wassern. Warum haben denn das Dengue- und das Gelbfieber-Virus so einen Siegeszug um die Welt angetreten? Weil die Slums so ausgezeichnete Brutplätze für Larven bieten – diese Krankheiten werden bekanntlich durch Moskitos übertragen.

    SPIEGEL: Einige Epidemiologen sagen besonders der Tuberkulose eine Renaissance voraus. Teilen Sie diese Befürchtung?

    Kurth: Wir sehen gegenwärtig ein massives Aufflammen der Tuberkulose, insbesondere in Russland, aber auch in den baltischen Staaten. 30 Prozent dieser Tuberkulosestämme sind multiresistent, das heißt, sie sind nicht mal mit einer Vierfach-Kombination zurückzudrängen.

    SPIEGEL: Auf gut Deutsch: Man kann sie eigentlich überhaupt nicht mehr erfolgreich behandeln?

    Kurth: Leider nein. Wir haben jetzt gemerkt, dass die russischen Gefängnisse die großen Drehscheiben sind, um die Tuberkulose zu verbreiten. In einigen sind fast 100 Prozent der Insassen Tuberkulose-positiv. Jetzt stellen Sie sich vor: Russland hatte etwa eine Million Gefangene, pro Kopf der Bevölkerung war das die höchste Rate der Welt – noch vor den USA.

    SPIEGEL: Gerade hat die russische Regierung eine große Amnestie durchgeführt.

    Kurth: Das ist dann schön für die entlassenen Gefangenen – aber die Tuberkulose wird in der Bevölkerung noch mehr zunehmen.

    SPIEGEL: Gelangen die Tuberkeln auch weiter bis hierher nach Deutschland?

    Kurth: Natürlich. Pro Jahr werden in Deutschland etwa 10.000 Tuberkulosefälle neu diagnostiziert. Unter diesen Erkrankten hat der Anteil der Aussiedler, insbesondere aus Russland, zugenommen: von 4,6 Prozent im Jahr 1996 auf 6,3 Prozent im Jahr 1998.

    SPIEGEL: Das heißt, uns steht eine gewaltige neue Tbc-Welle ins Haus?

    Kurth: Ganz so pessimistisch bin ich nicht. Dazu sind wir zu gut ernährt. Denn ein guter Ernährungszustand hilft gegen Tuberkulose mittelfristig genauso viel wie alle Antibiotika. Auch im Nachkriegs-Deutschland haben letztlich nicht nur die Medikamente, sondern auch das bessere Essen die Tuberkulose besiegt.

    SPIEGEL: Es scheint, als seien von allen Lebewesen auf Erden die Menschen und die Mikroben diejenigen, die sich am besten an neue Bedingungen anzupassen vermögen. Wird irgendwann einer von beiden als Sieger aus dem Daseinskampf hervorgehen?

    Kurth: Nein. Es wird eine dauerhafte Auseinandersetzung geben. Die Stärke der Viren ist ihre enorm hohe Mutationsfähigkeit. Das ist ihr Trick: 99,9 Prozent ihrer Nachkommen sind zwar defekt und sterben rasch. Aber irgendwann ist unweigerlich ein sehr fitter Nachkomme dabei, und der setzt sich dann durch – eine sehr erfolgreiche Strategie.

    SPIEGEL: Professor Kurth, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.



    Wissenschaftler fordern BSE-Tests für Schafe

    Risiko durch falsche Scrapie-Diagnose / EU-Kommission wirft Bundesregierung Konfusion vor

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 27. Dezember 2000, Seite 4 (Innenpolitik). [Original]

    BERLIN/HANNOVER/TOKIO. Das Robert-Koch-Institut in Berlin hat die Ausweitung der BSE-Tests auf alle geschlachteten Schafe gefordert. "Es besteht überhaupt kein Grund anzunehmen, dass Schafe gegen diese Erkrankung gefeit sein können", sagte der Direktor des Berliner Instituts, Reinhard Kurth. An Schafe sei im Wesentlichen das gleiche Tiermehl wie an Kühe verfüttert worden. Diese Aussage wies der Schafzüchter-Verband unverzüglich zurück. "Unser Schafsfleisch ist in Ordnung", hieß es.

    Es gebe durch die Erkrankung von Schafen Hinweise, dass Weiden verseucht sein könnten, betonte Kurth in der Welt am Sonntag. Deshalb müssten tote Schafe auf BSE getestet werden. Das werde zwar Lamm- und Hammelfleisch verteuern. Dies müsse jedoch in Kauf genommen werden. Dem Institutsdirektor zufolge ist in der Bundesrepublik seit 1963 nur bei 9 Schafen die meldepflichtige BSE-ähnliche Erkrankung Scrapie dokumentiert worden. Doch die Dunkelziffer sei "mit Sicherheit sehr, sehr hoch". Kurth rief die Landesbehörden auf, die Überwachung dringend zu intensivieren.

    Neuer BSE-Fall in Niedersachsen

    Nach den 5 bestätigten BSE-Fällen in Schleswig-Holstein und Bayern hat nun auch Niedersachsen einen "konkreten Verdachtsfall" auf Rinderwahnsinn. Die Ermittlungen in dem betroffenen Betrieb gingen weiter, teilte das Landwirtschaftsministerium am Dienstag [26.12.2000] in Hannover mit. Das Veterinäruntersuchungsamt Oldenburg habe am Vormittag eine Untersuchung der BSE-Verdachtsprobe "ohne auswertbares Ergebnis" abgeschlossen. Damit sei der BSE-Verdacht weiter offen.

    Der Verdacht hatte sich bei einer notgeschlachteten Kuh aus dem Landkreis Osnabrück ergeben. Die zusätzlich notwendigen Untersuchungen durch das nationale Referenzlabor in der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere in Tübingen würden voraussichtlich am kommenden Wochenende abgeschlossen sein, erklärte das Landwirtschaftsministerium. Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Uwe Bartels berief (SPD) für Mittwoch [27.12.2000] den interministeriellen Krisenstab ein. Dagegen konnte der BSE-Verdacht bei 3 Rindern aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ausgeräumt werden.

    Kompetenz-Anarchie

    Der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Christian Bär, sagte im InfoRadio, die Unsicherheit in der Forschung über die Ursachen der Rinderseuche und der "etwas peinlich wirkende Aktionismus" von Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) führten "nicht zu einer sachlichen Information, sondern zu einer hohen Verunsicherung". Auch die EU-Kommission bemängelte ein Durcheinander in Deutschland beim Kampf gegen BSE. Sie warf der Bundesregierung "Konfusion" und Kompetenzwirrwarr vor. Die Verteilung der Zuständigkeiten bei Bund und Ländern "und die üblichen Schuldzuweisungen machen die Sache nicht leichter", sagte EU-Agrarkommissar Franz Fischler.

    Fischler sagte der Tageszeitung Die Welt, das Landwirtschaftsministerium sei seit fast 3 Monaten über erhebliche Mängel bei der Verarbeitung von Tiermehl und sonstigen Futtermitteln informiert. Dies gehe aus einem vertraulichen Bericht der EU-Kommission an die Bundesregierung hervor. Schon am 29. September habe die Kommission bei Gesprächen in Bonn Veterinäre aus dem Ministerium mündlich auf die Missstände hingewiesen.

    Agrar-Staatssekretär Martin Wille wies diese Vorwürfe zurück. Der Kommissionsbericht sei seinem Haus trotz Nachfragen erst am 20. Dezember übermittelt worden. Die Bundesregierung werde den Sachverhalt in der Sondersitzung der Bundestagsausschüsse Ernährung und Gesundheit am 5. Januar umfassend aufklären.

    Ausland verbannt deutsches Rindfleisch

    Nach dem österreichischen Importverbot für deutsches Rindfleisch wurden am Weihnachtswochenende auch in Belgien und den Niederländen deutsche Rindfleischprodukte aus den Regalen der Supermärkte geräumt. Die japanische Regierung hat angesichts der BSE-Krise jetzt ein Einfuhrverbot für sämtliche Rindfleischprodukte aus der EU verhängt. Wie das Landwirtschaftsministerium am Montag [25.12.2000] in Tokio mitteilte, gilt der Importstopp ab dem 1. Januar für Rindfleisch und Rindfleischprodukte sowie Bullensperma. Von dem Verbot betroffen sind neben den EU-Mitgliedsstaaten auch die Schweiz und Liechtenstein.

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      Zum Teil 15

    © 2000-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr