BSE & Co in den Medien – Teil 15 khd
Stand:  5.6.2003   (44. Ed.)  –  File: M/edien15.html *




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (16. Teil).
  • 31.12.2000: EU wirft Minister Funke Versagen in BSE-Krise vor.
  • 31.12.2000: Funke will härtere Strafen für Lebensmittel-Verstöße.
  • 30.12.2000: Deutschland über BSE-Risiken im Frühjahr informiert.
  • 30.12.2000: „Wir konnten im Frühjahr nicht mit BSE rechnen“. (Interview mit LaMi Funke)
  • 30.12.2000: BSE-Krise rüttelt die Politiker auf.
  • 29.12.2000: Funke schiebt Ländern schwarzen Peter zu.
  • 28.12.2000: Grüne wollen Bundesamt für Verbraucherschutz.
  • 28.12.2000: Und wer schützt den Verbraucher?
  • 28.12.2000: Das ungewisse Etwas: Millionen in die BSE-Forschung.
  • 27.12.2000: Wurst falsch als rindfleischfrei etikettiert.
  • 27.12.2000: Klärschlamm – Verbreitungspfad für BSE?
  • Ältere Presseberichte  (14. Teil).



    Klärschlamm – Verbreitungspfad für BSE?

    Neue Nahrung für alte Diskussion um Schlammnutzung / Phosphatrecycling in Hessen

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 27. Dezember 2000, Seite 34 (Forschen) von GIDEON HEIMANN. [Original]

    BERLIN. Zurzeit wird sehr genau untersucht, welche Verbreitungspfade für BSE-Erreger auch nur denkbar wären. Und damit rückt wieder ein ziemlich unappetitliches, aber ebenso unvermeidliches Thema in den Vordergrund, um das eigentlich seit mehr als 20 Jahren diskutiert wird – je nachdem, welche Schadstoffe gerade aktuell sind. Es geht um die Beseitigung von Klärschlamm und darum, welche Möglichkeiten es gibt, das Material auf sinnvolle und gleichzeitig ungefährliche Weise zu verwerten. Mit dem Schlamm-Dünger auf Wiesen verteilt, könnten die langlebigen Prionen jedenfalls für weidendes Vieh eine große Gefahr darstellen.


    Klärschlamm könnte womöglich BSE-Erreger enthalten.

    Doch fangen wir beim "Erzeuger des Produkts" an: Zu Klärschlamm wird alles, was der Mensch mit Erleichterung hinter sich lässt oder als Abfall durchs Klo spült. Das können – wenn nicht aufgepasst wird – Schadstoffe sein, die im Sondermüll besser aufgehoben wären. Ins Klärwerk kommt – meist nach Vorreinigung – aber auch das Abwasser von Schlachtbetrieben. Damit ist nicht völlig auszuschließen, dass BSE-Erreger dort angeschwemmt werden. Die Reinigung freilich dürfte für die widerstandsfähigen Prionen wohl kein Problem bedeuten.

    Nun gibt die Klärschlammverordnung seit gut 20 Jahren Grenzwerte für organische und anorganische Schadstoffe vor. Erst wenn diese Grenzen überschritten sind, darf das Material nicht mehr in der Landwirtschaft angewandt werden. BSE-Prionen gehören natürlich noch nicht zu den Prüfkriterien, schließlich wird an wirklich aussagefähigen Testverfahren jetzt erst gearbeitet.

    Die Unsicherheit, die sich an der Diskussion entzündet, nämlich was alles drin sein mag, das man noch nicht entdeckt hat, führt viele Fachleute zur konsequentesten Behandlung des Schlamms, zur Verbrennung. Noch in den 70er Jahren baute West-Berlin Verbrennungsanlagen in den Klärwerken Ruhleben und Marienfelde, weil der getrocknete Schlamm, das "Berohum", wegen der unerwünschten Inhaltsstoffe nicht mehr abzusetzen war. Heute wird der Berliner Klärschlamm sogar noch heißer behandelt, in den Vergasungsreaktoren des Sekundärrohstoffzentrums in der Stadt Schwarze Pumpe. Organische Substanzen werden dabei komplett zerlegt, Schwermetalle abgeschieden, Energie als Strom und Methan gewonnen.

    Wer dagegen die engere Kreislaufwirtschaft im Auge hat, sieht das Material lieber als Dünger auf dem Feld. Dann aber nimmt man (womöglich noch unbekannte) Nebenfrachten in Kauf. Was aber ist an Klärschlamm so wertvoll? Für das Wachstum von Pflanzen vor allem die Phosphate und die Stickstoffverbindungen. Während sich Düngemittel aus Stickstoff seit 1908 (Haber-Bosch-Verfahren) großtechnisch herstellen lassen, müssen Phosphate nach Deutschland importiert werden. In den USA, in Russland, China, in Südamerika sowie in Jordanien, Tunesien, Marokko und Finnland gibt es Lagerstätten, die freilich auch nicht ewig reichen. Ein Phosphat-Recycling wäre also gar nicht verkehrt.

    In herkömmlichen Kläranlagen wird das im Wasser gelöste Phosphat je nach Anlage von Chemikalien oder Bakterien in eine feste Gestalt umgewandelt ("gefällt"), es bleibt aber im Klärschlamm und gelangt – bestenfalls – mit ihm in die Verbrennung. So endet Phosphat im Asche-Topf mit anderen Rückständen, aus denen es nur aufwändig zu trennen wäre.

    Besser wär's, man holte es gleich aus dem Wasser heraus und übergäbe dann erst den – möglicherweise eben gefährlichen – Restschlamm der großen Hitze. Ein solches Phosphatrecycling wurde in Darmstadt, bei der Südhessischen Gas und Wasser AG, in einem auch vom Bund geförderten Forschungsvorhaben zur Praxisreife gebracht.

    Bakterien übernehmen dabei – seit einigen Jahren zuverlässig – die Hauptarbeit, berichtet der Biologe und Chemiker Joachim Bartl, in den dortigen Klärwerken mit der Aufgabe befasst, die Kleinstlebewesen zur Phosphatgewinnung einzuspannen. Das hält auch die Mehrkosten niedrig.

    Das Verfahren funktioniert vereinfacht dargestellt so: Der Klärschlamm wird in einem Belebungsbecken den Bakterien zum Fraß vorgeschwemmt. Dabei nehmen sie auch die im Wasser gelösten Phosphate in ihren Stoffwechsel auf; Kohlenstoff-haltige Polyphosphatketten dienen ihnen als Speicher für schlechte Zeiten. Dann werden die satten Kleinstlebewesen in ein Nebenbecken gebeten, wo sie, von Nahrung und Luft getrennt, zu hungern beginnen. Den Sauerstoff holen sie sich aus den Nitrat-Stickstoff-Verbindungen des Wassers, die dabei gleich umweltfreundlich zerlegt werden.

    Wenn's keine Nahrung gibt, specken sie ab, zehren vom eingelagerten Kohlenstoff und "schwitzen" die nun überflüssigen Phosphatmengen durch die Zellwand aus. Erst wenn sie, von Schwächeanfällen gezeichnet, auf den Beckenboden sinken, dürfen sie wieder in den benachbarten Futtertrog, aus dem sie anfangs gekommen waren.

    Jetzt ist aber das Wasser im Nebenbecken reich an gelösten Phosphaten, und zwar nun ganz ohne störende Begleitstoffe – gerade das war ja der Sinn des bakteriellen Transportunternehmens. Fügt man diesem Wasser etwas Kalkmilch zu, entsteht Kalziumphosphat. Das wird bei hohen Temperaturen und in saurer Umgebung weiter verarbeitet, Eiweißverbindungen (Bakterien und eben auch Prionen) überleben das nicht.

    So entsteht wieder ein hygienisch aufbereiteter Einsatzstoff etwa für die Zahnpasta oder für die Konservierung von Fleisch und Wurst. Ein Wertstoffkreislauf schließt sich, ob man an dem Gedanken nun Geschmack findet, oder nicht. Ein Trost: die Natur macht's allenthalben ähnlich, nur in etwas größerem Bogen vielleicht.



    Wurst falsch als rindfleischfrei etikettiert

    Aus:
    Yahoo-News, 27. Dezember 2000, 18.19 Uhr (Politik). [Original]

    BERLIN. In Bayern und Sachsen-Anhalt sind nach Behördenangaben Wurstwaren aus Rindfleisch mit falschen Etiketten aufgetaucht. Die Gesundheitsministerien in München und Magdeburg teilten heute mit, in den Waren sei Rindfleisch gefunden worden, obwohl dies auf der Beschriftung ausgeschlossen worden war. BSE- verseuchtes Rindfleisch gilt als Ursache für die neue Form der für den Menschen tödlichen Creutzfeldt-Jakob- Krankheit. Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) forderte BSE-Tests auch für Schafe. Die niedersächsischen Behörden vermuten nach dem ersten BSE- Verdachtsfall in dem Land, dass Milchaustauschfutter wahrscheinlichste Ursache der Rinderseuche ist.

    In 4 von 5 Würsten hätten die Kontrolleure Rindfleisch gefunden, obwohl dies auf der Beschriftung nachträglich ausgeschlossen worden war, teilte das bayerische Gesundheitsministerium mit. Die Wurst-Proben stammten aus Supermärkten in Augsburg sowie den Landkreisen Starnberg und Fürstenfeldbruck. Auf den Etiketten der Waren sei das Wort Rindfleisch nachträglich durchgestrichen worden. In Augsburg gingen die Behörden nach Angaben eines Sprechers des Marktamtes bereits in der vergangenen Woche Hinweisen von Verbrauchern auf Würste nach, die umetikettiert und damit als angeblich rindfleischfrei gekennzeichnet worden waren.

    Das Gesundheitsministerium in Magdeburg berichtete, in etwa 20 Prozent von 65 geprüften Partien sei Rindfleisch gefunden worden, obwohl ein entsprechender Hinweis fehle. Dabei habe es sich um konservierte und um an der Wursttheke verkaufte Ware gehandelt, die aus dem gesamten Bundesgebiet stamme. Agrarminister Johann Konrad Keller (SPD) erklärte, es handelte sich um einen "unerträglich hohen" Prozentsatz von falsch oder unzureichend beschriebenen Wurstwaren. Nun seien weitere strenge Kontrollen notwendig. Auch müsse man überlegen, ob die falsche Etikettierung nicht härter geahndet werden müsse.

    Bayerns Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU) ordnete verstärkte Kontrollen an. Ihr Ministerium erklärte weiter, einzelne Ergebnisse der Proben müssten noch überprüft werden, da bei dem angewandten Schnelltest auch andere Bestandteile wie zum Beispiel Käse positive Ergebnisse liefern könnten. Eine Sprecherin des Magdeburger Gesundheitsministeriums sagte, die unvollständige Ausweisung der Wurstwaren erfülle keinen Straftatbestand. Es handele sich lediglich um Irreführung und Täuschung des Verbrauchers, was mit einer Geldbuße belegt werde.

    Rindfleischhaltige Wurstwaren sind im Zuge der BSE-Krise in Verruf geraten. Das Bundesgesundheitsministerium hatte in der vergangenen Woche eine Rückrufaktion für Wurst gestartet, in der so genanntes Risikomaterial wie Wirbelsäulenfleisch von Rindern, Schafen oder Ziegen verarbeitet wurde. Bislang gibt es 5 bestätigte Fälle der Rinderseuche BSE in Deutschland.

    Auch Funke will BSE-Tests bei Schafen

    Bundeslandwirtschaftsminister Funke (SPD) sagte, die BSE-Kontrolle bei Schafen müsse vorangebracht werden. Da Wissenschaftler die Tests empfohlen hätten, halte auch er sie für richtig: "Wir haben das Thema schon auf europäischer Ebene diskutiert, denn da gehört es im Kern auch hin." Bisher habe EU- Verbraucherkommissar David Byrne jedoch den Standpunkt vertreten, dass bei Schafen aus wissenschaftlicher Sicht keine Gefahr im Verzug sei. Die BSE-ähnliche Schafs-Krankheit Scrapie ist bereits seit langem bekannt und gilt im Gegensatz zur Rinderseuche als nicht auf den Menschen übertragbar [Ed: wenn es aber nun Schafs-BSE ist...?].

    Funke sprach sich für eine "europäische Lösung" aus, weil nur so ein wirksamer Verbraucherschutz zu gewährleisten sei. Ein Sprecher der Vereinigung der Landesschafzuchtverbände, stimmte den Tests grundsätzlich zu. Sie sollten dann aber auch auf europäischer Ebene und für importiertes Schaffleisch verbindlich sein, weil für die rund 60.000 deutschen Schafhalter einseitige Belastungen entstünden. Nach seinen Angaben essen die Deutschen jährlich rund 80.000 Tonnen Schaffleisch. Nur etwa 42 Prozent davon stammten aus einheimischer Produktion.

    1. BSE-Fall in Niedersachsen

    Nach dem ersten BSE-Verdachtsfall bei einer Kuh in Niedersachsen halten die Behörden so genanntes Milchaustauschfutter für neugeborene Kälber für die wahrscheinlichste Ursache der Rinderseuche. Wie schon bei den von BSE betroffenen Tieren in Schleswig-Holstein und Bayern müsse auch die niedersächsische Kuh auf Grund der langen Inkubationszeit kurz nach ihrer Geburt 1996 infiziert worden sein, sagte Landwirtschaftsminister Uwe Bartels (SPD) nach einer Sitzung des eigens gebildeten Krisenstabes in Hannover. Der betroffene Hof im Landkreis Osnabrück habe seit langem Milchaustauschfutter für junge Kälber von einem Lieferanten aus den Niederlanden [Firma Sprayfo lt. ZDF] bezogen [Ed: hm, warum erhalten denn Kälber nicht ganz natürlich Kuhmilch, von der es doch reichlich gibt?].

    Nach den bisher drei positiven Schnelltests halte er eine Bestätigung des BSE-Verdachtes für wahrscheinlich, sagte Bartels. Bis Samstag werde ein Ergebnis der Bundesanstalt für Viruserkrankungen aus Tübingen vorliegen. Bei einer Bestätigung würden die gesamten 273 Tiere des Hofes getötet und verbrannt. Zugleich beschloss Niedersachsen, künftig den Schnelltest auch auf Schafe auszudehnen und alle auffälligen Tiere auf die BSE-ähnliche Krankheit Scrapie zu untersuchen.



    B S E - K R I S E

    Das ungewisse Etwas

    Bundesregierung und Länder wollen Millionen in die BSE-Forschung stecken. In die richtige?

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 01/2001, 28. Dezember 2000, Seite ?? (Wissen). [Original]

    BSE-Rinder in Bayern, Risikowurst in den Regalen – das "Wurst Case Scenario" (New Scientist) ist jetzt komplett. Mit Posteingangsverzögerung löst nun auch Gesundheitsministerin Andrea Fischer Wurstalarm aus und will im Schulterschluss mit Edelgard Bulmahn, ihrer Kollegin aus dem Wissenschaftsressort, mit millionenschweren Forschungskampagnen gegen den Keim vorrücken. Der evangelische Landesbischof in Bayern ruft zur Überprüfung des "eigenen Ernährungsverhaltens" auf, denn schließlich gebiete der "biblische Auftrag, für die ganze Schöpfung Verantwortung zu tragen und Ehrfurcht vor dem Leben zu üben".

    Das möchten Landwirte und Konsumenten wohl tun, nur senden Politik und Wissenschaft höchst widersprüchliche Botschaften aus. Mal ist das Tiermehl schuld, dann heißt es, mit Tiermehl konnte im Experiment noch kein Rind mit BSE angesteckt werden. Mal ist die Wurst sicher, dann ist die Wurst gefährlich – zumindest die billige (aber was ist billig?).

    Gesichert scheint, dass das Verbot des Tiermehls in Großbritannien nach einem Gipfel von 45.000 BSE-erkrankten Rindern im Jahr 1992 bis heute zu einem Rückgang der Rinderseuche auf 2000 Fälle jährlich geführt hat. Gleich, was die Forschung in Zukunft noch über den Erreger, seine Ausbreitung und sein zerstörerisches Potenzial lernt, das Verbot des Tiermehls bleibt auch in Deutschland gerechtfertigt. Und vom Separatoren-Fleisch aus Rinderwirbelsäulen im Würstchen haben die Briten aus gutem Grund schon seit 1995 die Finger gelassen, schließlich reicht die Verfütterung von einem Gramm infektiösem Nervengewebe, um beim Kalb BSE auszulösen. Deutsche Politiker sind auf diesem Ohr allerdings schwerhörig. Bereits Ende 1999 hatte das Leipziger Institut für Lebensmittelhygiene deutsche Wurstwaren geprüft und Hirngewebe in Produkten gefunden, in die es bereits nach damaligen Qualitätsnormen nicht hineingehört hätte.

    Der Bürger möchte endlich wieder vertrauensvoll ins Fleisch beißen dürfen, und dafür sollen, von wem auch immer, glasklare Aussagen her. Wie kam die Seuche über Deutschland? Wer ist schuld? Und vor allem: Wie wird man sie wieder los? "Am Geld für Forschung soll es nicht scheitern", lässt die Gesundheitsministerin großzügig wissen. Daran nicht, aber vielleicht am geheimnisvollen Erreger.

    Vorerst ist im Oktober mit dem britischen Phillips-Report das Opus magnum der wissenschaftlichen Ratlosigkeit erschienen. Wenig ist gewiss: BSE entstand in den siebziger Jahren vermutlich durch eine spontane Genmutation bei einem Rind. Es existiert eine Verbindung zwischen BSE und der menschlichen neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (vCJK). Die Erreger gelangte hingegen nicht vom Schaf zum Rind, er enstand nicht durch unzureichende Erhitzung von Tiermehl und auch nicht durch den Einsatz von Pestiziden – obgleich diese die Entstehung begünstigt haben könnten. So weit die Expertise. Und was, fragt sich der Laie, ist mit dem Erreger? Ohne genauen Steckbrief des Auslösers blieben doch alle Bemühungen lediglich Entscheidungen nach größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit? So ist es.

    Im Fazit des Phillips-Reports heißt es wolkig: "Alle Hinweise deuten auf eine spezifische Assoziation einer abnormalen Form des Prion-Proteins mit BSE." Im Klartext: Ein infektiöses Eiweiß, das sogenannte Prion (PrPsc), ist zumindest für die Verbreitung der Epidemie verantwortlich. Zwar wurde es bisher nicht im Tiermehl nachgewiesen, aber das ist auch nicht verwunderlich, weil gesunde und kranke Rinder zusammen zu Tiermehl geschreddert wurden und der Erreger damit bis unter die Nachweisgrenze verdünnt wurde. Nicht umsonst testet man am Rind die am meisten befallenen Regionen.

    PrPsc findet seinen Weg vom Verdauungstrakt ins Gehirn und verbiegt dort gesunde Eiweiße ähnlicher Bauart zu einem unverdaulichen Klumpen. Die Hirnzellen sterben ab und hinterlassen ein typisches Lochmuster, genannt spongiforme Enzephalopathie (SE). Einst war diese neuartige Infektionsidee eines infektiösen Eiweißes verfemt, der Entdecker Stanley Prusiner wurde als Spinner verlacht. 1997 erhielt Prusiner den Nobelpreis, und in BSE- Kreisen gibt es so gut wie niemanden mehr, der etwas anderes als Prion beforscht.

    Die Prioniker bilden heute den Mainstream. "Sie sitzen in allen Gremien, in allen Labors und bestimmen die Richtung", klagt Heino Diringer, bis vor zwei Jahren BSE-Experte beim Robert Koch-Institut. Inzwischen ist der Virologe pensioniert, das Prionen-Dogma aber ärgert ihn noch immer. Bis heute verteidigt er die These, dass ein Virus, eingekapselt in einen Prionen-Mantel, der Auslöser von BSE sei. Er nennt das Virino.

    Die Prion-Theorie hält Diringer für unzureichend belegt. Ihr fehlt nach wie vor ein experimenteller Beweis. Bisher sind zum Beispiel alle Versuche gescheitert, spongiforme Enzephalopathien bei Versuchstieren mit einer künstlich hergestellten veränderten Form des Prions auszulösen. Auch ist bei Viren eine Vielzahl unterschiedlicher Varianten normal, bei Eiweißen aber ist dies völlig unüblich. Gleichwohl finden sich in den Hirnen von befallenen Tieren eine große Anzahl verschiedener "Stämme" krankhaft gefalteter Eiweiße. Aufgrund dieser Ungereimtheiten postuliert selbst Prion-Papst Prusiner inzwischen einen unbekannten Faktor X, der bisher nicht identifiziert werden konnte, aber für die Übertragung von Bedeutung sein soll. Und auch Mike Scott, Mitarbeiter von Stanley Prusiner, bleibt skeptisch. Für ihn ist noch offen, ob BSE nicht doch von Schafen mit Scrapie übertragen wurde. Möglicherweise, so Scott, existieren in Schafen zwei Erreger, und der zweite, nämlich das BSE-Prion, wurde erst durch die unvollständige Hitzebehandlung bei der Tiermehlproduktion scharfgemacht.

    Heino Diringer hält zum Virino. Wie jeder bekannte Keim soll auch dieser ein ganz ordinäres Stück Erbgut, eine Nukleinsäure, in sich tragen. Diese wurde aber trotz intensiver Suche nie gefunden. Eine Schlappe? Die Neuropathologin Laura Manuelidis von der amerikanischen Yale University fand in jeder untersuchten Probe haufenweise Nukleinsäuren: "Das Problem ist nur, die richtigen herauszufinden." Der Fitzel im Gewebehaufen ist ein winziger Erbgutstrang. Für die Fahndung nach dem gemeinen und geheimen Virus sei einfach nicht genug Geld bereitgestellt worden, klagt Manuelidis – erst recht nicht nach dem Nobelpreis von Stanley Prusiner.

    Gerade erst rechnet Manuelidis im Fachblatt Science in einem offenen Brief mit der Ignoranz der Forscher in den großen Instituten ab. Sie habe auf einem Treffen schon 1989 dringend vor der Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen gewarnt und auf die Tötung aller Tiere auf betroffenen Farmen gepocht. Damit stieß sie bei den renommierten Wissenschaftlern auf Granit. Die wissenschaftlichen Annahmen, so ihr Resümee, seien diktiert worden von wirtschaftlichen Interessen.

    Die Yale-Professorin ist überzeugt, dass ein Virus hinter dem BSE steckt. Sie glaubt, dass die Prione eher das Ergebnis als der Grund einer Infektion sind. "Man kann", sagt sie, "von der Verbreitung bis zum Verlauf der Krankheit das ganze Phänomen mühelos mit einer Virus-Infektion erklären." Man könne sogar eine Hirnprobe entnehmen, die absolut normal aussehe und die dennoch außerordentlich infektiös sei.

    Die Neuropathologin ist nicht mehr daran interessiert, die immerselben Experimente bis zum Ende ihres Lebens zu wiederholen: "Ich habe sie durchgeführt, wir haben sie veröffentlicht und mehrmals reproduziert." Nein, Viren könne man nicht als BSE-Erreger ausschließen, wohl aber, dass Prione ein infektiöses Agens sind. "Die Prionen-Forscher", stellt die Neuropathologin resigniert fest, "haben große Erfurcht vor ihren Stars – und leider dominieren sie. Sie ignorieren Gegenbeweise und zitieren nur ihre eigenen Ergebnisse und niemals die von anderen."

    Eine unabhängige Expertenrunde zusammenzubekommen wäre zurzeit schwierig. Die Ketzer sind in Deutschland ausgestorben. In den Forschungsgremien sitzen Prionen-Experten und entscheiden. Auch über das Geld, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMB) mit seinem Gesundheitsforschungsprogramm aufgelegt hat. 1,6 Milliarden Mark sollen in den nächsten vier Jahren fließen, ein ordentlicher Batzen davon geht in die BSE-Forschung. Schwerpunkte sind die Diagnostik, die Therapie der vCJK, die Vernetzung der bestehenden Forschungsgruppen und die Untersuchung der Krankheitsentstehung. Von einer intensivierten Erregersuche ist nicht explizit die Rede. Zusätzlich fließen in den nächsten drei Jahren mehr als 350 Millionen Mark aus den Erlösen der UMTS-Lizenz- Versteigerung als Direktförderung in die Genomforschung. Mit dem Geld werden Forscher auch ermuntert, in Richtung genetischer Ursachen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu forschen – mitmachen dürfen aber nur etablierte Institute.

    Zu diesen gehört sicher Detlev Riesner vom Institut für physikalische Biologie an der Düsseldorfer Universität. Für ihn ist zumindest die Fahndung nach einem obskuren Virus oder Virino gelaufen. "Wir haben nicht nur keine Nukleinsäuren gefunden", sagt Riesner, "wir haben bewiesen, dass keine da sind." Selbst nach intensiver quantitativer und physikalischer Suche habe man kein Viruserbgut in den BSE- Hirnen aufspüren können. Riesners letztes Wort klingt wie das Credo der Virus- Expertin Manuelidis: "Wir haben unsere Ergebnisse publiziert, keiner hat uns widersprochen, der Fall ist für uns erledigt." Und Ideologen, sagt er, könne man eben leider nicht überzeugen.

    Die wissenschaftliche Basis reagiert auf die unscharfe Wissenschaft auf ihre Weise. Solange nichts gewiss sei, grantelt ein bayerischer Tierarzt, solle man doch "alle Tierkadaver und Schlachtabfälle einfach hinter die 12-Meilen-Zone schippern und dort verklappen".



    B S E - K R I S E

    Und wer schützt den Verbraucher?

    BSE-Affäre: Der Konsument braucht einen Anwalt

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 01/2001, 28. Dezember 2000, Seite ?? (Wissen). [Original]

    Krisen bergen Chancen. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat nicht nur den weltweiten Siegeszug der Nuklearindustrie gebremst. Sie veranlasste den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl auch, in Deutschland ein Umweltministerium zu schaffen. Nicht, dass es seitdem um den Umweltschutz zum Besten bestellt wäre; aber immerhin hat die stumme Natur seitdem eine Stimme am Kabinettstisch.

    Der BSE-Skandal ist das Tschernobyl der Landwirtschaft. Die Bruderschaft von Agrarfunktionären, Agrarbürokraten und Agrarindustriellen hat das Vorsorgeprinzip sträflich missachtet. Ignoranz und Sorglosigkeit machten aus Lebensmitteln am Ende Mittel zum Sterben. Letztlich zum eigenen Schaden der Agrarier, vor allem aber zum Schaden der grenzenlos verachteten Verbraucher.

    Das Unerhörte schreit nach personellen Konsequenzen. Wichtiger jedoch als der Austausch von Ministern ist es, die politische Verantwortlichkeit neu zu ordnen: Nachdem sogar im viel gescholtenen Brüssel ein EU-Verbraucherkommissar wacht, muss endlich auch in Berlin der Verbraucherschutz gestärkt werden.

    Verbraucherinteressen gehören zu den allgemeinsten in der Gesellschaft. Dennoch werden sie von der Politik oft genug ignoriert. Ob es um Zölle oder Quoten, Bananen oder Rindfleisch geht: Meist siegen die Interessen der Produzenten – von wegen Gemeinwohl – über die der Konsumenten. Dafür gibt es Gründe. Erstens verlassen sich die Verbraucher gern auf die vielen anderen; die Masse schweigt. Zweitens wäre jeder überfordert, wollte er sich zum Fachmann für die vielen tausend Produkte fortbilden, mit denen er sich umgibt. Und drittens fehlt den Verbrauchern das erforderliche Drohpotenzial, um ihre Anliegen durchsetzen zu können. Boykottversuche enden in der Regel kläglich.

    Die systematische Verachtung des Verbraucherschutzes weckt nicht nur Zweifel an der Gemeinwohlorientierung der Demokratie. Sie kann sogar, wie der Rinderwahn zeigt, lebensbedrohend werden. Deshalb muss die Konsequenz aus dem BSE-Skandal heiþen, den Verbraucherschutz endlich institutionell zu stärken. Kanzler Schröder hätte dazu jetzt die Chance. Er könnte zumindest, nach dem Vorbild der amerikanischen Food and Drug Administration [FDA], eine unabhängige Aufsichtsbehörde schaffen, die ähnlich wie bei der Zulassung von Medikamenten auch Lebensmittel strengsten Gesundheitskontrollen unterwirft. Besser noch wäre ein Ombudsmann oder ein Amt, das sämtliche Anliegen der Verbraucher bündelt und wirksam vertritt. Es muss ja nicht gleich ein eigenes Ministerium sein. Hauptsache, die Interessen der Verbraucher finden bei der Regierung endlich Gehör.



    Grüne wollen Bundesamt für Verbraucherschutz

    Aus:
    Yahoo-News, 28. Dezember 2000, 20.51 Uhr (Politik). [Original]

    BERLIN. Als Konsequenz aus den bisher sieben deutschen BSE-Fällen und falsch etikettierten Würsten sind Forderungen nach einer Zentralisierung des Verbraucherschutzes laut geworden. Die Grünen- Politikerin Ulrike Höfken regte dazu im Handelsblatt [29.12.2000] die Bildung eines entsprechenden Bundesamtes an, dem auch Kompetenzen der Länder übertragen werden sollten. Agrarminister Karl-Heinz Funke (SPD) setzt mit einer Eilverordnung das von der Europäischen Union (EU) Anfang Dezember beschlossene Verfütterungsverbot von Tiermehl in Kraft. Mit verschärften Kontrollen reagierten die Länder auf das Auftauchen von Wurst, die entgegen der Etikettierung Rindfleisch enthielt. BSE-Tests für Schafe sind nach EU-Angaben derzeit nicht in Sicht.

    Höfken sagte nach einer Vorabmeldung des Handelsblatt, das Bundesgesundheitsministerium beziehungsweise das zu bildende Bundesamt sollten festlegen können, wie oft Lebensmittel kontrolliert werden. Bisher seien Fragen des Verbraucherschutzes auf die Ministerien für Landwirtschaft, Gesundheit, Forschung und Wirtschaft aufgeteilt, kritisierte die agrar- und verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion.

    Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Heino Wiese sprach sich im Handelsblatt dafür aus, die Zuständigkeiten für den Verbraucherschutz in einem Ministerium zu bündeln. Es könne nicht sein, dass die Verantwortlichkeit von einem Beamten in einem Ministerium zu einem Kollegen in einem Ressort geschoben werde, sagte Wiese mit Blick auf Streitigkeiten zwischen dem Agrar- und dem Gesundheitsministerium. Auch die geplante europäische Lebensmittelagentur müsse weit reichende Kompetenzen erhalten. Dagegen lehnte Bayerns Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU) eine Zentralsierung in der Lebensmittelüberwachung ab.

    Eilverordnung für verschärftes Tiermehl-Verbot

    Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilte am gestern Abend in Berlin mit, das EU-weite Verbot zur Verfütterung von Tiermehl werde bei Eilverordnung in Kraft gesetzt. Dies sei notwendig, damit das auf zunächst sechs Monate begrenzte Verbot, auf das sich die EU-Agrarminister Anfang Dezember geeinigt hatten, wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten könne. Die Länder seien aufgefordert, sicher zu stellen, dass entsprechendes Material aus dem Handel und den Lagern der Agrarbetriebe verschwänden. Tiermehl, das seit 1994 nicht mehr an Wiederkäuer wie Kühe und Schafe verfüttert werden darf, steht im Verdacht, BSE auszulösen. Die Rinderseuche verursacht beim Menschen möglicherweise eine neue tödliche Variante der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit.

    Verschärfte Kontrollen gegen Etiketten-Schwindel

    Mit verschärften Kontrollen reagierten bundesweit die Behörden auf das Auftauchen von Wurst, die entgegen der Etikettierung Rindfleisch enthielt. In zahlreichen Bundesländern wurden nach Angaben der zuständigen Ministerien von heute die ohnehin routinemäßigen Tests des Inhalts von Wurstwaren ausgeweitet. In 6 von 106 seit Anfang Dezember eingesammelten Wurstprodukten seien Rindfleischbestandteile gefunden worden, obwohl diese Waren als als nicht rindfleischhaltig gekennzeichnet waren, teilte das nordrhein- westfälische Umwelt- und Agrarministerium in Düsseldorf mit. Die Proben stammten aus Supermärkten und Metzgereien in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf und enthielten Rindfleischeiweiße. In den vergangenen Tagen waren in Bayern, Berlin und Sachsen- Anhalt Wurstwaren entdeckt worden, die entgegen den Angaben Rindfleisch enthielten.

    Ähnliche Prüfwellen gingen durch viele andere Bundesländer, wobei die Sprecher mehrerer Gesundheitsministerien aber darauf hinwiesen, dass lückenlose Sicherheit nicht möglich sei. Es könnten auch bei Ausweitung der Tests immer nur Stichproben entnommen werden. "Die einzige Möglichkeit, Etikettenschwindel zu vermeiden, ist, zum örtlichen Fleischer zu gehen und ihn zu fragen, was in seiner Wurst drin ist", empfahl ein Sprecher des thüringischen Gesundheitsministeriums.

    1. BSE-Fall Niedersachsens bestätigt

    In Niedersachsen bestätigte sich nach Angaben des Agrarministeriums der BSE-Verdacht bei einem Rind auf einem Bauernhof im Landkreis Osnabrück. Damit gibt es in Deutschland 7 Rinder, bei denen eine BSE- Infizierung festgestellt wurde. Die insgesamt 273 Tiere auf dem betroffenen Bauernhof sollen in der kommenden Woche getötet und entsorgt werden.

    Funke für „gläserne Produktion“

    Funke sprach sich im Deutschlandfunk für eine "gläserne Produktion" von Fleisch in Deutschland aus. "Die Produktionsprozesse müssen offen sein für die Landwirte und Verbraucher vom Acker bis zum Stall", forderte er. Die EU sieht derzeit keine Möglichkeit, der Forderung Funkes nach einer Ausdehnung der bei Rindern obligatorischen BSE-Tests auf Schafe nachzukommen. Es fehle ein Testverfahren, sagte ein EU-Sprecher in Brüssel. Sollte ein Test, an dem gearbeitet werde, vorliegen, würde die EU dessen Einführung erwägen. Die bei Schafen auftretende Hirnkrankheit Scrapie weist gewisse Ähnlichkeiten mit BSE auf.



    B S E - K R I S E

    Funke schiebt Ländern schwarzen Peter zu

    Karl-Heinz Funke weist Vorwürfe scharf zurück, er habe vor einem halben Jahr BSE-Warnungen ignoriert. Stattdessen hält der Bundeslandwirtschaftsminister den Ländern Versäumnisse vor.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 29. Dezember 2000, 19.28 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    BERLIN. "Da ist weder etwas ignoriert noch unterlassen worden", sagte Funke heute in Berlin. Der SPD-Minister reagierte auf einen Bericht des Nachrichtenmagazins Focus, wonach er bereits seit April mit BSE-Fällen in Deutschland gerechnet habe. Funke hatte noch bis November Deutschland als BSE-frei und deutsches Rindfleisch als sicher bezeichnet.

    "Wir waren natürlich im Rahmen unserer Seuchenbekämpfung auf einen deutschen BSE-Fall vorbereitet", erläuterte der Minister. Ohne diese Vorbereitung hätte es auch keine so schnelle und gezielte Reaktion gleich nach dem ersten Verdachtsfall in Deutschland geben können. Zugleich hob Funke aber hervor: "Rechnen konnte man damit nicht, weil die Untersuchungsergebnisse an auffälligen Tieren bis dahin negativ waren."

    In einer Pressemitteilung wies Funke jedoch darauf hin, schon am 28. Juni 1999 die Länder aufgefordert zu haben, Schnelltests zur Verbesserung der BSE-Überwachung zu eröffnen. Wenige Wochen später sei den Ländern ein Stichprobenkalkulation für die Untersuchung von verendeten Rindern geschickt worden. Danach hätten anstelle der von der EU vorgegebenen Zahl von 400 Proben künftig 6.000 Proben untersucht werden sollen. Die Länder hätten den Vorschlag jedoch wegen der Kosten abgelehnt. Außerdem hätten sie argumentiert, Deutschland sei ja ohnehin BSE-frei.

    Focus hatte geschrieben, Experten hätten am 13. April bei einem Gespräch im Landwirtschaftsministerium eine andere Bewertung des BSE- Risikos in Deutschland abgegeben. Aus dem Sitzungsprotokoll vom 26. April, das auch das Ministerium heute verbreitete, zitiert der Bericht: "Es bestand einhellig die Meinung, dass von politischer Seite Vorbereitungen für den ersten Fall von einheimischer BSE in Deutschland getroffen werden sollten."

    Müntefering und Bauernpräsident geben Versäumnisse zu

    SPD-Generalsekretär Franz Müntefering räumte heute in einem NDR-Interview Fehler der Vergangenheit ein. "Wir hätten in den letzten zwei Jahren auch mehr tun können", sagte Müntefering. Jetzt komme es darauf an, die Ursache für die Erkrankungen zu finden und das Fleisch für die Verbraucher sicher zu machen. "Und das wird mit aller Rigorosität auch durchgeführt." Müntefering wies darauf hin, dass es ja eben nicht die großen landwirtschaftlichen Betriebe seien, wo die BSE-Fälle in Deutschland aufgetaucht seien.

    Auch Bauernpräsident Gerd Sonnleitner gab Versäumnisse zu. Er sagte, er habe sich zu stark auf die Politik verlassen. Die Bauern hätten darauf vertraut, dass der Staat die von ihm erlassenen Gesetze auch überprüft. Beim Tier- und Kälberfuttermittel sei aber "gepanscht und geschwindelt" worden. Über die BSE-Fälle in Deutschland zeigte sich Sonnleitner erschüttert. "Ich leide mit den Bauern, aber wir stehen mit dem Rücken zur Wand."

    Nach Angaben des Deutschen Verbandes Tiernahrung (DVT) wurde beim Mischfutter für Rinder nicht gepanscht. DVT-Hauptgeschäftsführer Hubert Rote wies diesen Vorwurf entschieden zurück. Er forderte den Bauernverband auf, Betriebe zu benennen, in denen es zu strafbaren Vermischungen gekommen sein soll. [mehr]

    [BSE: Immer mehr Horrormeldungen]
    [Bayern: Wieder Wurst mit falschem Etikett]
    [Niedersachsen: "Gläserne Qualitätskontrolle" für Futtermittel]
    [Behörden: Trockenmilch für Kälber könnte BSE ausgelöst haben]
    [Frankreich: Acht neue Fälle]



    BSE-Krise rüttelt die Politiker auf

    Schröder: Wir alle waren zu gutgläubig / Kanzler beauftragt Rechnungshof-Chefin Wedel mit Suche nach Schwachstellen / Bayern intensiviert Kontrollen

    Aus:
    Süddeutsche Zeitung, München, 30. Dezember 2000, Seite ?? (Politik). [Original]

    BERLIN/MÜNCHEN. Die Bundesregierung und die bayerische Landesregierung wollen den Kampf gegen die Rinderseuche BSE verstärken. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) teilt in seiner Neujahrsansprache mit, er habe die Präsidentin des Bundesrechnungshofes Hella von Wedel beauftragt [Ed: die er als Expertin in Sachen Ernährung und Landwirtschaft lobte (die CDU-Politikerin von Wedel war in den 80er Jahren u. a. Staatssekretärin im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium)], nach Schwachstellen „auf allen politischen Ebenen“ zu suchen. Bayerns Kabinett will die Futter- und Lebensmittelkontrollen intensivieren, die BSE-Forschung erweitern und die Landwirtschaft mit zwölf Millionen Mark unterstützen. Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) erhob zudem Vorwürfe gegen die EU-Kommission.

    Deutschland über BSE-Risiken im Frühjahr informiert
    Aus:
    Yahoo-News, 30.12.2000, 15.18 Uhr.
    HAMBURG. Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke gerät wegen der BSE- Krise immer mehr in Bedrängnis. Bereits im März sei Funke von der EU eine wissenschaftliche Studie zugeleitet worden, wonach in Deutschland mit BSE- Fällen zu rechnen sei. Das sagte der EU- Kommissar für Verbraucherschutz, David Byrne, der Welt am Sonntag. Funke hatte gestern noch behauptet, es hätte "hellseherischer Fähigkeiten" bedurft, um im April mit ersten BSE- Fällen in Deutschland zu rechnen. [mehr]
    „Wir alle, ob als Politiker oder als Verbraucher, waren vielleicht zu gutgläubig“, heißt es in Schröders Neujahrsansprache, deren Text gestern verbreitet wurde. Dies gelte auch „für viele rechtschaffene Bauern“. Es sei zu lange darauf vertraut worden, dass Deutschland BSE-frei sei. Jetzt müssten die Sicherheit der Nahrungsmittel, die Gesundheit und der Verbraucherschutz Priorität haben. Doch sollte „niemand übersehen: Wir haben es hier mit einer Krankheit zu tun, über deren Ursachen und Verbreitungswege die Wissenschaftler noch rätseln“. Der Kanzler sprach sich gegen „einen Wettbewerb in Schuldzuweisungen und Rücktrittsforderungen“ aus. In der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern seien zum Beispiel bei der Überwachung der Tiermehlverfütterung Defizite deutlich geworden, heißt es in Schröders Ansprache. Rechnungshof-Chefin Wedel solle nun „unverzüglich eine konsequente Schwachstellenanalyse“ betreiben. Danach werde die Bundesregierung mit den Ländern organisatorische Konsequenzen ziehen.

    Magdeburg führt Datenbank ein

    Stoiber stellte das Maßnahmenpaket der bayerischen Regierung nach der Sitzung eines Kabinetts-Sonderausschusses vor. Er kündigte die Einrichtung eines Landesamtes für Lebensmittelsicherheit an. Für den 8. Januar wurde eine Konferenz mit Vertretern betroffener Verbände und Institutionen einberufen. Stoiber warf der EU-Kommission vor, mit ihrer Richtlinie über ein Verbot der Tiermehlverfütterung Mitte der neunziger Jahre die Krise mit verursacht zu haben. Die bis dahin bestehende nationale Regelung sei klarer gewesen. Erst durch die Richtlinie aus Brüssel habe man Verunreinigungen im Tiermehl tolerieren müssen, die jetzt beklagt würden.

    Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) wies Vorwürfe zurück, er habe bereits seit April mit dem ersten Fall von Rinderwahnsinn gerechnet. „Dieser Vorwurf geht ins Leere“, sagte Martin Wille, Staatssekretär in Funkes Ministerium, der Süddeutschen Zeitung. Er reagierte damit auf einen Beitrag im Focus. Das Magazin berichtet, eine Expertenrunde unter Beteiligung des Landwirtschafts- und des Gesundheitsministeriums habe bereits am 13. April politische Vorbereitungen für den ersten BSE-Fall empfohlen. Funke ließ am Freitag mitteilen, es sei „weder etwas ignoriert noch unterlassen worden“. Die Ergebnisse der Experten seien in die Arbeit des Ministeriums eingeflossen. Bereits seit 1994 existiere ein Krisenstab von Bund und Ländern zur BSE-Bekämpfung. Schon im Juli 1999 habe das Landwirtschaftsministerium die Bundesländer aufgefordert, die BSE-Schnelltests auszuweiten. Dies hätten die Länder „unter Hinweis auf die Kostenbelastung und den Status "BSE-frei" abgelehnt“, heißt es in einem Ministeriumsvermerk.

    Nach SZ-Informationen stößt Funkes Verhalten dennoch auf Kritik in der Regierung. Angesichts der Mahnungen der Experten über die BSE-Gefahren hätte Funke öffentlich zurückhaltender sein müssen und nicht bis zum Bekanntwerden des ersten BSE-Falles Ende November Deutschland als BSE-frei bezeichnen dürfen, hieß es in Regierungskreisen.

    Als Konsequenz aus der BSE-Krise führt Sachsen-Anhalt als erstes Bundesland eine Gen-Datenbank für Rinder ein. Damit soll laut Agrarminister Konrad Keller die Herkunft eines Tieres jederzeit verlässlich festgestellt werden können. Geplant ist ein neues Ohrmarken-System. Beim Anbringen der Marke wird das Ohr eines Rindes durchstochen und dabei eine Gewebeprobe entnommen.

    In Bayern sind elf weitere Wurstwaren aufgetaucht, die fälschlich als rindfleischfrei ausgezeichnet waren. In Schleswig-Holstein, Hamburg und Hessen wurden insgesamt fünf Wurstartikel gefunden, die auf den Verpackungen solche falschen Angaben aufwiesen.

    30.12.2000 (yahoo). Die neue BSE-Beauftragte der Bundesregierung, Hedda von Wedel, will umgehend Schwachstellen beim Verbraucherschutz aufdecken und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Dies betrachte sie als ihre dringlichste Aufgabe, sagte die Präsidentin des Bundesrechnungshofs heute im ZDF. Dabei gehe es vorrangig um die Frage: "Was ist falsch gelaufen, und was kann man besser machen?" Dies betreffe auch die Organisation des Verbraucherschutzes in Bund und Ländern.

    Wedel kündigte an, sie wolle in einer Kommission alle einschlägigen Experten an einen Tisch bringen. Sie benötige "den gesamten Sachverstand von Wissenschaft, Landwirtschaft, Handel und Verbraucherschutz", um "ein Optimum an Vorsorge" zu erreichen. Dabei dürfe man sich nicht nur auf die bestehende Rechtslage im nationalen Bereich verlassen, fügte Wedel hinzu.



    F U N K E   I M   I N T E R V I E W

    „Wir konnten im Frühjahr nicht mit BSE rechnen“

    Noch im April vertrat das Landwirtschaftsministerium die Ansicht, dass Deutschland BSE-frei sei. Im Interview mit SPIEGEL Online wälzt Minister Karl-Heinz Funke die Verantwortung jedoch ab: Die Länder hätten weitere Tests abgelehnt.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 30. Dezember 2000, 10.48 Uhr (nur elektronisch publiziert). Das Interview führte RÜDIGER SCHEIDGES. [Original]

    SPIEGEL Online: Herr Minister Funke, haben Sie bereits im Frühjahr mit dem Ausbruch von BSE in Deutschland gerechnet?


    „Ich habe immer wieder betont, dass Deutschland BSE-frei ist“ – nach den Regeln des Pariser Tierseuchenamtes.

    Doch Landwirtschafts- minister Karl- Heinz Funke irrte.


    Funke: Wir konnten im Frühjahr 2000 nicht mit BSE-Fällen in Deutschland rechnen. Von 1991 bis 1999 wurden in Deutschland insgesamt 18.994 Gehirne von Rindern mit zentralnervösen Symptomen untersucht. Dabei wurde kein originärer BSE-Fall festgestellt. Ferner wurden in Nordrhein-Westfalen in einem Modellvorhaben in der Zeit vom März bis Juni 1999 Schnelltests an mehr als 5.000 Rindern ohne positiven Befund durchgeführt.

    SPIEGEL Online: In einem Experten- Treffen im April des Jahres in Ihrem Ministerium kamen die Experten zur einhelligen Auffassung, dass von politischer Seite Vorbereitungen für den ersten einheimischen BSE-Fall in Deutschland getroffen werden sollten. Wann haben Sie solche Vorbereitungen getroffen?

    Funke: Es gibt seit 1994 einen Krisenplan für Tierseuchenfälle, der auch für den BSE-Krisenfall gilt. Darin ist auch festgelegt, wie ein entsprechender Krisenstab auszusehen hat. Wir haben diesen Krisenstab bereits einen Tag nach Bekanntwerden des ersten BSE-Verdachts in Schleswig-Holstein einberufen, und die notwendigen Maßnahmen in die Wege geleitet. So hat sich die Wirtschaft umgehend bereiterklärt, tiermehlhaltiges Futter nicht mehr auszuliefern. Und so ist es uns auch gelungen, das Tiermehl- Verbotsgesetz in der absoluten Rekordzeit von nur einer Woche zu verabschieden.

    SPIEGEL Online: War es damals ratsam, nach allen Warnungen und angesichts der Vorbereitungen für den Ernstfall, noch immer die felsenfeste Überzeugung auszudrücken, Deutschland sei BSE-frei?

    Funke: Ich habe immer wieder betont, dass Deutschland nach den Regeln des Internationalen Tierseuchenamts in Paris BSE-frei war [Ed: hm, und wer liefert wohl dem Tierseuchenamt die Daten? Voilà!].

    SPIEGEL Online: Musste man damals nicht mit dem Ausbruch von BSE rechnen?

    Funke: Der Wissenschaftliche Leitungsausschuss, der die Europäische Kommission berät, hat Deutschland in der BSE-Risikoeinstufung mit Frankreich auf eine Stufe gestellt. Das haben wir nach den uns vorliegenden Informationen für nicht gerechtfertigt gehalten. Auch die Experten haben in Ihrem Gespräch am 13. April über diese Risikoeinstufung kritisch gefragt, "inwieweit die angenommenen Risiken wirklich aufgrund der jeweils vorliegenden Daten quantifizierbar sind". Der wissenschaftliche Lenkungsausschuss habe "auf Grund des Fehlens genauer Kenntnisse eine relativ hohe Eintrittswahrscheinlichkeit von BSE zugrundegelegt", so die Wissenschaftler nach ihrem Treffen im April. Daher sei es dringend erforderlich gewesen, dass die Schätzungen mit soliden Daten unterlegt werden. Deshalb hatte das Bundesernährungsministerium schon 1999 die Bundesländer zu einer gegenüber der EU-Vorgabe erhöhten Stichprobenzahl aufgefordert.

    SPIEGEL Online: Welche Konsequenzen haben Sie denn aus den Ergebnissen der Wissenschaftler und den Hinweisen aus den Bundesinstituten für die Arbeit des Ernährungsministeriums gezogen?

    Funke: Nach Auffassung der Wissenschaftler sollten von politischer Seite Vorbereitungen für den ersten Fall von einheimischer BSE in Deutschland getroffen werden. Diese Vorbereitungen wurden in den beteiligten Ressorts getroffen. Unter anderem hat Deutschland die Entscheidung der EU-Kommission zum Verbot von Risikomaterialien in der Nahrungs- und Futtermittelkette mit Wirkung vom 1. Oktober in Deutschland in Kraft gesetzt.

    SPIEGEL Online: Wann haben Sie denn die Länder zum ersten mal gedrängt, Schnelltests anzuwenden?

    Funke: Bereits am 28. Juni 1999 hat das Bundesernährungsministerium die Länder aufgefordert, Schnelltests zur Verbesserung der Überwachung auf BSE durchzuführen. Am 19.7.1999 haben wir den Ländern konkrete Vorschläge für die Zahl der Stichproben gemacht. Der Stichprobenschlüssel sah vor, dass anstelle der durch die Kommissionsentscheidung 98/272/EG vorgegebenen Untersuchungen von etwa 400 Proben zukünftig etwa 6.000 Proben pro Jahr untersucht werden sollten.

    SPIEGEL Online: Trifft es zu, dass sich die Länder mit Hinweis auf die Kosten und auf den vermeintlichen Status "Deutschland ist BSE-frei" Ihrer Empfehlung nicht angeschlossen haben, Schnelltests im Umfang von rund 6.000 Proben pro Jahr in Deutschland durchzuführen?


    Wurde die „hohe Eintritts- wahrscheinlichkeit von BSE“ nicht ernst genommen?

    Funke: Die Bundesländer lehnten diesen Ansatz in Hinblick auf die mit der Probenuntersuchung verbundenen erhebliche Kostenbelastung ab und wiesen auf den Status Deutschlands als BSE-frei hin. In der Sitzung der Tierseuchenreferenten von Bund und Ländern vom 3./4. November 1999 haben meine Fachleute erneut an die Länder appelliert, den vorgeschlagenen Stichprobenschlüssel anzuwenden. Dies haben die Länder erneut abgelehnt.

    SPIEGEL Online: Der ständige Veterinärausschuss der EU hat bereits am 4. April 2000 beschlossen, gezielte BSE-Untersuchungen bei verendeten oder aus besonderem Anlass geschlachteten Rindern durchzuführen. Wann wurden in Deutschland entsprechend zum ersten Mal. Stichproben bei sämtlichen dieser Rinder untersucht?

    Funke will härtere Strafen für Lebensmittel-Verstöße
    Aus:
    Yahoo-News, 31.12.2000, 13.26 Uhr.
    OLDENBURG. Angesichts der BSE- Krise in Deutschland hat Landwirtschafts- minister Karl-Heinz Funke härtere Strafen gefordert. Verstöße bei der Herstellung von Lebensmitteln müssten zum Schutz der Verbraucher und der ordentlichen Bauern konsequent verfolgt werden, sagte Funke. Strafen müssten so bemessen sein, dass sie auch abschreckten [Ed: Höchstbuße ist bislang offensichtlich nur 50.000 DM, was viele "Profiteure" aus der Porto- Kasse bezahlen – aber BSE- Frühwarnerin Dr. Margit Herbst sollte für ihre "Unbotmäßigkeit" 500.000 DM zahlen].
    Funke: Diese Entscheidung des Ständigen Veterinärausschusses, die mit ausdrücklicher Zustimmung Deutschlands gefällt wurde, sieht vor, dass ab 1.1.2001 über eine Stichprobe gezielte Untersuchungen bei über 24 Monate alten Rindern, die verendet sind oder aus besonderem Anlass geschlachtet wurden, BSE-Schnelltests durchzuführen. Dies wären für Deutschland etwa 8.000 Tests gewesen. Am 9. Oktober hat das Bundesernährungsministerium die Länder aufgefordert, statt dieser Stichprobe alle verendeten Tiere (ca. 66.000) zu untersuchen. Außerdem haben wir die Länder aufgefordert, mit den Tests nicht bis zum 1.1.2001 zu warten. Inzwischen haben die Länder damit begonnen, diese Tests durchzuführen.

    SPIEGEL Online: Auch im April teilten Experten Ihnen mit, dass BSE-Untersuchungen bei Schafen "als besonders vordringlich angesehen" werden, da sich Schafe mit dem BSE-Erreger infizieren können. Warum werden die Schnelltests für Schafe erst jetzt erwogen?

    Funke: Ein BSE-Schnelltest ist seit wenigen Wochen für Rinder und Schafe zugelassen. Er kann allerdings im positiven Fall nicht zwischen BSE und Scrapie differenzieren. Damit ist seine Aussagekraft begrenzt. Außerdem sind im Moment sämtliche Testkapazitäten mit der Untersuchung von Rindern mehr als ausgelastet. Deshalb muss jetzt mit Hochdruck sowohl an der Verfeinerung der Tests als auch am Ausbau der Testkapazitäten gearbeitet werden.

    SPIEGEL Online: Wie oft wurde Scrapie festgestellt?

    Funke: Seit 1991 werden an Schafen Untersuchungen auf die mit BSE verwandte Krankheit Scrapie vorgenommen. Danach wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 621 Untersuchungen durchgeführt. Dabei wurden in zwei Fällen Scrapie festgestellt. Die betroffenen Bestände wurden umgehend getötet. Im übrigen hat der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss der EU, den Gesundheitsministerin Fischer vor geraumer Zeit um eine Risikoeinschätzung der Situation bei Schafen gebeten hat, einen solchen Bericht bisher nicht vorgelegt. Deshalb haben wir die Wissenschaftler unserer Forschungsinstitutionen gebeten, uns bis Mitte Januar eine solche Risikoeinschätzung zu geben.



    EU wirft Minister Funke Versagen in BSE-Krise vor

    Brüssel warnte schon im März vor Rinderseuche in Deutschland / Verbraucher getäuscht?

    Aus:
    Die Welt, Berlin, 31. Dezember 2000, Seite ?? (Politik). [Original]

    HAMBURG (mar). Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) gerät wegen der BSE-Krise immer stärker in Bedrängnis. Nach Angaben des EU-Kommissars für Verbraucherschutz, David Byrne, war Funke das Risiko von BSE-Verseuchungen in Deutschland noch früher bekannt, als dieser bislang eingeräumt hat.

    Bereits im März dieses Jahres habe die EU-Kommission dem Bundesminister eine wissenschaftliche Studie zugeleitet, derzufolge auch in Deutschland mit BSE-Fällen zu rechnen sei, sagte Byrne gegenüber WELT am SONNTAG. Funke selbst hatte am Freitag [29.12.2000] noch behauptet, es hätte "hellseherischer Fähigkeiten" bedurft, um im April mit ersten BSE-Fällen in Deutschland zu rechnen.

    Byrne sagte, es sei ihm ein Rätsel, warum der deutsche Minister trotz der EU-Studie weiterhin behauptet habe, es gebe in Deutschland kein BSE-Risiko: "Eine solche Behauptung könnte ich mir jedenfalls nicht erklären", so der EU-Kommissar. Scharfe Kritik übte Byrne auch an der deutschen Informationspolitik zu BSE. Die Verbraucher seien nicht ausreichend über die Rinderseuche informiert worden. Auf die Frage, ob die mangelnde Information durch die Politiker auch aus Angst vor sinkendem Fleischverbrauch erfolgte, sagte Byrne: "Es gibt vermutlich viele Motive, über die ich lieber nicht spekulieren möchte."

    Funkes jüngsten Vorschlag, eine Positiv-Liste für Tierfutter mit allen zulässigen Inhaltsstoffen einzuführen, unterstützt Byrne. Allerdings habe er – Byrne – schon vor knapp einem Jahr für die Einführung einer solchen Liste plädiert. Der Kommissar rief die Mitgliedsländer dazu auf, die BSE-Problematik auf europäischer Ebene zu lösen und die von der EU erlassenen Sicherheitsstandards bei der Fleischproduktion strikt zu befolgen. Wenn dies geschehe, "würde es mich sehr überraschen, wenn es in der EU in zehn Jahren immer noch BSE gäbe", so Byrne.

    Unterdessen hat Funke erstmals persönliche Versäumnisse bei der BSE-Bekämpfung eingeräumt. Im Norddeutschen Rundfunk sagte der Minister gestern, er hätte ein europaweites Verbot der Tiermehlverfütterung schon früher vorantreiben sollen. Zudem habe die Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen "nicht so funktioniert, wie sie hätte funktionieren müssen", sagte Funke.

    Allerdings habe sein Ministerium die Bundesländer schon im Sommer 1999 aufgefordert, statt der 400 etwa 6.000 BSE-Schnelltests im Jahr vorzunehmen. Dies sei mit Blick auf die Kosten jedoch abgelehnt worden, so Funke in Spiegel Online. Zugleich begrüßte er die Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, die Bundesrechnungshof- Präsidentin Edda von Wedel (CDU) mit einer Analyse der Schwachstellen in der BSE-Krise zu beauftragen. Frau von Wedel, die zwischen 1983 und 1990 Staatssekretärin im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium war, will nach eigenen Angaben unmittelbar nach dem Jahreswechsel ihre Tätigkeit aufnehmen. Sie wolle dabei eng mit Verbraucherorganisationen zusammenarbeiten.

    CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer forderte den Bundeskanzler auf, bei der Bewältigung der BSE-Krise endlich die Zügel in die Hand zu nehmen. Funke und Bundesgesundheitsministerin Fischer (Die Grünen) seien "total überfordert".

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      Zum Teil 16

    © 2000-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr