Chronik der BSE-Krise – Teil 1 khd
Stand:  10.9.2006   (133. Ed.)  –  File: BSE/BSE_Chronik1.html




Auf dieser Seite wird die wütendmachende Geschichte der Entstehung und Verbreitung des Rinderwahnsinns – der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) – und deren Übertragung vom Rind auf den Menschen zusammengestellt. Eine Erfahrung, die der Menschheit besser erspart geblieben wäre.

Noch enthält diese Chronik manche Lücken, die aber nach und nach geschlossen werden sollen.

Links mit dem Symbol * zeigen auf weiterführende Informationen im Internet, die die Aussage belegen. (xxx = Text folgt demnächst)

I n d e x :
| 1920–1970 | 1971–1984 |              [ Translation-Service ]
| 1985 | 1986 | 1987 | 1988 | 1989 | 1990 | 1991 | 1992 | 1993 | 1994 |
| 1995 | 1996 | 1997 | 1998 | 1999 | 2000 | 2001 | 2002 | 2003 | 2004 |
| 2005 | 2006 | 2007 | 2008 | 2009 | 2010 |
BSE-Page


Chronik der BSE-Krise
Wie uns Politiker, Wissenschaftler und Ärzte durch ihr jahrelanges Schweigen den Rinderwahnsinn (BSE)
und damit eine neue Form der tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) bescherten.

Recherchiert im Internet und zusammengestellt
von
Karl-Heinz Dittberner – Berlin

1920–1970


1920 Der Kieler Neurologe Hans-Georg Creutzfeldt (1885–1964) und der Hamburger Neurologe Alfons Jakob (1884–1931) beschreiben erstmals die später nach ihnen benannte absolut tödliche Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (CJK oder englisch CJD) des menschlichen Gehirns, die eigentlich Jakob-Creutzfeldt- Krankheit heißen müßte. *
ab 1950 Der amerikanische Kinderarzt und Virologe Carleton Gajdusek erforscht eine rätselhafte Todesserie von Einwohnern auf Papua-Neuguinea. Dort sterben jährlich Hunderte Menschen an CJD (von den Eingeborenen „Kuru“ genannt). Als Auslöser erkennt er rituelle Handlungen bei Beerdigungen, bei denen das Gehirn der Verstorbenen verspeist und zum Einreiben der Körper verwendet wird. Er vermutet als Erreger einen „slow virus“. Für seine epochale Entdeckung, daß es infektiöse Kuru-Erreger im Hirngewebe geben muß, erhielt Gajdusek 1976 den Nobelpreis für Medizin. Wir wissen heute, daß Kuru – wie BSE und CJD – eine Prion- Krankheit ist. Langsame Viren wurden bislang nicht gefunden, dafür die Prionen – infektiöse Proteine, eine völlig neue Erregerklasse.
1961 Die Schafskrankeit Scrapie – von der wir heute wissen, daß es auch eine Prion- Krankheit ist – läßt sich durch Futter auf Schafe und Ziegen übertragen. Die ansteckende tödliche Hirnerkrankung Scrapie soll erstmals bereits 1732 beschrieben worden sein. Aber Menschen wurden davon offenbar nie befallen. Vielleicht deshalb nicht: Eine sehr alte Bauernweisheit besagt, daß an Scrapie erkrankte Tiere nicht verzehrt werden sollen.

1971–1984


um 1974 In Großbritannien sind rund 100.000 Schafe an der Traberkrankheit (Scrapie) – einer Prionenkrankheit – erkrankt. Premierminister Harold Wilson entscheidet, sie zu töten und zu Tiermehl zu verarbeiten. Das Tiermehl enthielt aber die krankmachenden Scrapie-Prionen. Es wurde als Kraftfutter an Rinder verfüttert. Pflanzenfresser mußten also widernatürlich Fleisch fressen, weil das mehr Profit für die Rinderzüchter brachte. Der BSE- Erreger entsteht, was aber seit Mitte der neunziger Jahre bezweifelt wird. Eine genaue Untersuchung von Scrapie- und BSE- Prionen zeigte, daß kaum Ähnlichkeit besteht. [mehr] [Hypothesen der BSE-Entstehung]
1978 Auf Drängen des Europäischen Verbands der Mischfutterindustrie werden die Bestimmungen zur Kennzeichnung von Futtermitteln aufgeweicht *. Es gibt keine klare Kennzeichnung bei Tierfutter mehr. Nur noch allgemeine Kategorien klären den Tierzüchtern über die Inhaltsstoffe auf. So muß beispielsweise der Gehalt an Tiermehlen nicht mehr angegeben werden.
22. Dezember 1984 Der Tierarzt David Bee untersucht die torkelnde „Kuh 133“ auf der Stent Farm in Sussex (England), die nach 6 Wochen sterben wird. 7 Monate später wird die Diagnose „Spongiforme Enzephalopathie“ (schwammartige Gehirnveränderung) gestellt werden.

1985


11. Februar 1985 Die „Kuh 133“ stirbt in Sussex (Südengland). Inzwischen zeigen auch andere Kühe die gleichen seltsamen Symptome. Die BSE- Epidemie hatte begonnen.
April 1985 Auch in der Grafschaft Kent in England treten die ersten BSE-Fälle bei Rindern auf. Es passiert daraufhin nichts. Der britische Landwirtschaftsminister Michael Jopling (Amtszeit 1983–1987) läßt 20 Monate verstreichen, bis er Notschlachtungen anordnet.
19. September 1985 Staatliche Pathologen stellen fest, daß die „Kuh 133“ aus Sussex an Spongiformer Enzephalopathie (SE) gestorben ist.
1985 Identifizierung des Gens, das den Bauplan des Prion-Proteins beschreibt, durch den Molekularbiologen Charles Weissmann und den Neurologen Stanley Prusiner in den USA. Es wird von einem Gen codiert (Codon 129), das bei allen Menschen und wohl auch bei allen Säugetieren vorhanden ist. Das Protein wird in großen Mengen in den Membranen von Nervenzellen (Neuronen) gebildet. Die Funktion ist nicht bekannt, obwohl an Neuronen- Membranen reichlich geforscht worden ist (Stichworte: Hodgkin-Huxley, Permeabilität, Ionen-Kanäle, Aktionspotentiale).

1986


November 1986 In Großbritannien tritt offiziell der erste Fall einer an BSE-erkrankten Kuh auf. Erst 10 Jahre später – im März 1996 – wird die britische Regierung öffentlich eingestehen, daß vom Rinderwahnsinn Gesundheitsgefahren für den Menschen ausgehen.
Dezember 1986 Britischen Forschern wird klar, daß die torkelnden Rinder von einer völlig neuen Krankheit befallen sind. Sie nennen diese Rinder- Krankheit „Bovine Spongiforme Enzephalopathie“ (BSE). Diese Information wird aber unter Verschluß gehalten.
1986 Professor Richard Lacey, Mikrobiologe an der Universität Leeds, setzt sich für eine öffentliche Aufklärung über die enorme BSE-Gefahr ein. Der Illustrierten Bunte sagt er 1996: „Das Parlament erklärte mich für verrückt. Premierministerin Margaret Thatcher wußte alles, setzte aber auf Verzögerung. Sie hat getäuscht und gelogen.“

1987


1. Januar 1987 In Deutschland tritt das novellierte Tierschutzgesetz vom 18. August 1986 in Kraft. Mit ihm wird durch die unionsgeführte Bundesregierung die Massentierhaltung legalisiert. Denn im alten Tierschutzgesetz von 1972 war es eindeutig untersagt, das natürliche Bewegungsbedürfnis von Tieren dauernd zu verhindern. Das wurde im neuen Gesetz gestrichen und der Landwirtschaftsminister ermächtigt, die Art der Haltung der Tiere durch Verordnung zu bestimmen. Bundeslandwirtschaftsminister Ignatz Kiechle (CSU, Amtszeit April 1983 – Januar 1993) erteilte einen Freibrief für die Massentierhaltung auf engstem Raum: „Eine Beschränkung der Ausübung seines Verhaltens auf die Möglichkeit der Bedarfsdeckung und der Schadensvermeidung kann dem Tier, insbesondere dem Nutztier, zugemutet werden.“
Februar 1987 Hirnproben von BSE-kranken britischen Rindern zeigen Ähnlichkeiten zu Scrapie.
5. Juni 1987 4 Rinderherden sind jetzt in Großbritannien von BSE befallen. Das Central Veterinary Office alarmiert das britische Ministerium für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung (MAFF) und teilt mit, daß BSE eine völlig neue Rinderkrankheit ist.
1987 Der britische Mikrobiologe Stephen Dealler veröffentlichte einen Artikel über die großen Gefahren von BSE- belastetem Rindfleisch (beef). Daraufhin werden ihm sämtliche staatlichen Forschungsgelder gestrichen – ohne jegliche Begründung.
5. November 1987 Das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist berichtet erstmals über BSE: „Brain disease drives cows wild“. Im Oktober 1987 hatte ein Forscherteam um Gerald Wells in The Veterinary Record (Band 121, Seite 419) die BSE-Symptome und -Pathologie beschrieben.
November 1987 Im Tierexperiment gelingt die Übertragung von BSE auf Mäuse. Ein Überspringen der Artenschranke kann nicht mehr ausgeschlossen werden.
Dezember 1987 Wissenschaftliche Untersuchungen deuten auf das in Großbritannien in großen Mengen verfütterte Tiermehl (Kadavermehl) als BSE-Infektionsquelle hin.
1987 Schweden verbietet – auch aus ethischen Gründen – die Verfütterung von Tiermehlen (MBM) an die von Natur aus nur pflanzenfressenden Rinder.

1988


Mai 1988 Die britische Regierung setzt eine Expertengruppe unter der Leitung des Zoologie- Professors Richard Southwood ein. Diese soll die Folgen von BSE für die menschliche Gesundheit beurteilen. Im Februar 1989 legen diese Experten den „Southwood-Report“ vor.
21. Juni 1988 BSE wird in Großbritannien eine meldepflichtige Tierkrankheit.
18. Juli 1988 Eine staatliche MAFF-Studie kommt zum Ergebnis, daß die Praxis des Verfütterns von eiweißreichen Tiermehlen (von Rinder- und Schafs-Kadavern) die einzig mögliche Ursache von BSE sei. Dieser Kannibalismus wird verboten. Die britische Regierung untersagt zudem die Verfütterung von Schafsinnereien an Rinder sowie den Verkauf von Innereien und Milch BSE-infizierter Rinder. Man wußte bereits seit 1987, daß BSE eine Prionenkrankheit ist.
August 1988 Der britische Landwirtschaftsminister John MacGregor (Amtszeit 1987–1989) ordnet an, daß nur Rinder mit akuten BSE- Symptomen (Gleichgewichtsstörungen, Krämpfe) getötet werden. Das Rindfleisch aller anderen BSE- infizierten Tiere kommt weiterhin in den Handel. Einen BSE-Test gab es noch nicht.
Oktober 1988 Die Übertragung der Rinderseuche BSE auf Mäuse wird wissenschaftlich bewiesen. Das bedeutet, daß BSE die Artenschranke überspringen kann. Dennoch klammert sich die Southwood- Kommission an Erfahrungen mit Scrapie (für Menschen harmlos) und entschied sich nicht für die sichere Seite, sondern zu der Annahme, daß eine Übertragung von BSE auf den Menschen „unwahrscheinlich“ sei. Allerdings schreiben sie dann in ihren Report vom Februar 1989: „If our assessments of the likelihood are incorrect, the implications would be extremely serious.“ Sie waren „incorrect“, was allein bis Ende 1999 dann 55 völlig unnötig Menschen-Opfer „produzierte“.
1988 Die USA erlassen ein Importverbot für britisches Rindfleisch.
1988 In Großbritannien sind bereits 2.100 Rinder an der BSE-Seuche verendet.

1989


25. Januar 1989 Aus Irland wird der 1. BSE-Fall gemeldet.
9. Februar 1989 Im britischen Southwood-Report wird das BSE- Risiko für den Menschen als „verschwindend klein“ angegeben. Es wird empfohlen, in Baby-Nahrung künftig keine Rinder- Innereien mehr zu verwenden. In offiziellen Statements von Politikern der Regierungen Thatcher und Major wurde daraus alsbald die absolute Entwarnung – eine fatale Fehleinschätzung.
13. Juni 1989 Die britische Regierung kündigt an, bestimmte Rinder- Innereien für den menschlichen Verzehr zu verbieten.
Juni 1989 Frankreich und Deutschland erlassen ein totales Importverbot für britisches Rindfleisch. Nach Protesten der EU-Kommission wird die Regelung aber im Juli wieder aufgehoben. Danach betrifft das Verbot nur noch Kälber und Rinderinnereien.
16. Juni 1989 Britische Hersteller von Haustier- Futter verzichten freiwillig auf die Verwertung von Rinder- Hirnen und -Wirbelsäulen sowie anderen verdächtigen Kadaver- Teilen.
Mai 1989 Deutschland stoppt den Import von Tiermehlen aus Großbritannien.
28. Juli 1989 Die EU verhängt ein Exportverbot für britische Rinder, die vor dem 18. Juli 1988 geboren wurden, sowie für Kälber von BSE- verdächtigen Kühen.
September 1989 Das Umweltmagazin Natur berichtet im Heft 9/1989 im Report „Der Staat steht Schmiere“ über eklatante Mißstände bei der staatlichen Lebensmittel- Kontrolle in Deutschland. Aufgestellt werden 12 essentielle Forderungen an eine verbraucherorientierte Lebensmittelüberwachung. *
1989 Die britische Regierung verfügt ein Massenschlachtungs- Programm für alle suspekten Rinder. Den Bauern wurde für jedes bestätigte BSE-Rind lediglich eine Ausgleichszahlung von 50 % des Wertes gewährt. Eine fatale Fehlentscheidung. Denn so landete das Rindfleisch vieler infizierter Tiere auf den Eßtellern. Erst ab 1990 zahlte die Regierung dann 100 %.
13. November 1989 In Großbritannien sollen BSE- Risikomaterialien von Rindern nicht mehr in Nahrungsmittel gelangen.
November 1989 Der britische Neuropathologe Dr. Robert Perry entdeckt, daß BSE auch auf den Menschen übertragbar ist. Erst auf Druck des Auslands verbietet der britische Landwirtschaftsminister John Selwyn Gummer den Export von Rinderinnereien. Vor laufenden TV-Kameras läßt er seine 4-jährige Tochter demonstrativ (hirnhaltige) Hamburger widerwillig verzehren – so als wenn nichts gewesen ist. Er versichert, daß „British beef“ absolut sicher sei.

1990


1990 Bis 1990 erkranken 10.000 britische Rinder an BSE. Die EU-Kommission unter dem Vorsitz von Jaques Delors verbietet die Ausfuhr von britischen Kälbern in andere Länder, was später aber wieder gelockert wird.
1990 In den USA versuchen Labors, Scrapie durch Injektion auf Rinder zu übertragen. Damit soll getestet werden, ob eine Ansteckung über die Artengrenze möglich ist.
3. Februar 1990 Wissenschaftler zeigen im Experiment, daß BSE oral auf Mäuse übertragen werden kann. Damit wird es immer wahrscheinlicher, daß auch Menschen durch den Genuß von infizierten Rindfleischprodukten an einer Art BSE erkranken können.
Februar 1990 Wissenschaftler zeigen, daß BSE von Rind zu Rind durch Injektion von infektiösem Rinderhirn übertragbar ist.
1990 In Großbritannien erkranken jetzt bis zu 300 Rinder jede Woche an der BSE-Seuche.
6. März 1990 Nach einer EU-Vorschrift müssen alle BSE-Fälle gemeldet werden. Außerdem verfügt die EU ein Exportverbot für britische Rinder, die älter als 6 Monate sind oder von Kühen abstammen, die BSE haben oder unter BSE- Verdacht stehen.
1990 Die Briten richten in Edinburgh eine nationale CJD-Überwachungsstelle (UK Creutzfeldt-Jakob Disease Surveillance Unit) ein.
10. Mai 1990 Es gibt einen ersten Hinweis darauf, daß auch Menschen von BSE betroffen sein könnten. Die Siam-Katze „Max“ erkrankt an BSE (feline version of BSE). Nachdem in Großbritannien weitere BSE-Fälle bei Hauskatzen auftauchten, verzichteten alle Hersteller von Katzenfutter sehr schnell freiwillig auf die Verwendung von Risikomaterialien aus Schlachtabfällen – noch bevor die britische Regierung über Maßnahmen bei der Menschennahrung entschieden hatte.
15. Mai 1990 Mehrere britische Schulbehörden verbannen Rindfleisch von den Speisezetteln der Schulkantinen. Daraufhin erklärt der britische Landwirtschaftsminister John Gummer, daß britisches Rindfleisch „vollkommen sicher“ sei.
16. Mai 1990 Der oberste Gesundheitsbeamte des Vereinigten Königreiches, Sir Donald Acheson, verkündet, daß dank der sorgfältigen Kontrollen „britisches Rindfleisch das sicherste der Welt“ sei.
1. Juni 1990 Deutschland verhängt ein totales Importverbot für lebende Rinder aus Großbritannien. Die Einfuhr von Rindfleisch bleibt eingeschränkt erlaubt.
7. Juni 1990 Die EU beschließt, daß Rindfleisch aus erkrankten britischen Beständen exportiert werden darf, wenn vorher risikoreiche Teile entfernt werden. Auch britische Kälber dürfen exportiert werden. Daraufhin will Bundeslandwirtschaftsminister Ignatz Kiechle (CSU, Amtszeit April 1983 – Januar 1993) die strengeren deutsche Vorschriften wieder aufheben.
Oktober 1990 Der Staatssekretär Georg Gallus im Bundeslandwirtschaftsministerium (Bonn) hält ein Tiermehl- Verbot für „entbehrlich“.
2. November 1990 In der Schweiz wird der 1. BSE-Fall entdeckt. Es handelt sich dabei auch um den 1. nicht importierten Fall auf dem Kontinent. Bei dem Rind wird eine Ansteckung durch prionenhaltiges Tiermehl angenommen.
Dezember 1990 Die EU-Kommission verhängt für Rinder, Schafe und Ziegen ein Verfütterungsverbot von Tiermehlen, da diese den BSE-Erreger enthalten können, d. h. mit Prionen belastet sein können (The Ban).

1991


Februar 1991 Aus Frankreich wird der 1. BSE-Fall gemeldet. Später werden auch in Irland, Portugal, Belgien, Dänemark und im Jahr 1992 auch in Deutschland BSE-Fälle entdeckt werden. Die offizielle BSE-Statistik wird beim Internationalen Tierseuchenamt OIE (Office International des Epizooties) in Paris geführt.
März 1991 Erstmals erkrankt ein Rind an BSE, das nach dem Verbot der Tiermehlfütterung von 1990 geboren ist. Das ist ein sogenannter BAB-Fall, von dem es noch viele geben wird.
1991 Nach Medienberichten soll die Verkäuferin Hildegard Onnen aus Edelsheim das 1. deutsche BSE-Opfer sein. Die Untersuchung ihres Gehirns soll den CJD-Verdacht bestätigt haben. Ob es tatsächlich nvCJD war, haben die Medien nicht berichtet.
1991 Der US-Prionenforscher Stanley Prusiner (1997 Nobelpreis- Träger der Medizin) warnt in London vor 300 Wissenschaftlern, die Öffentlichkeit nicht in falscher Sicherheit zu wiegen: „Wenn wir Wissenschaftler gefragt werden, ob BSE auf den Menschen übertragbar ist, müssen wir ehrlicherweise sagen: Wir wissen es nicht.“ *
1991 Nur Keith Meldrum, Chefveterinär des britischen Landwirtschaftsministeriums MAFF (Amtszeit 1986–1996), wußte es bereits ganz genau: „Die Ungefährlichkeit für den Menschen“ sei „vollkommen klar“ *. Auch sonst: Wann immer die BSE- Alarmglocken schrillten, Obervertuscher Meldrum gab Entwarnung. Bis Ende 2003 stieg in Großbritannien die Zahl der BSE-Opfer auf 139.

1992


Februar 1992 In Deutschland tritt der 1. BSE-Fall auf. In Schleswig-Holstein stirbt ein angeblich aus England importiertes Rind an BSE, was aber von den Behörden zunächst vertuscht wird. Erst 2 Jahre später – Anfang 1994 – berichtet das Bundeslandwirtschaftsministerium unter dem Agrarminister Ignatz Kiechle (CSU, Amtszeit April 1983 – Januar 1993) von diesem BSE-Fall. Unabhängige Experten vermuten aber, daß sich bereits dieses Rind hierzulande mit BSE infizierte. Eine sorgfältige Untersuchung unterblieb. Und so wird der 1. hausgemachte BSE-Fall in Deutschland erst im November 2000 offiziell entdeckt.
4. März 1992 Das britische BSE-Beratergremium SEAC (Spongiform Encephalopathy Advisory Committee) sagt, daß alle bislang in Großbritannien getroffenen BSE- Schutzmaßnahmen ausreichen, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.
1992 Die Bundesregierung richtet in der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) in Tübingen das nationale Referenz- Zentrum (Labor) für BSE und Scrapie ein. Es ist für die amtliche Bestätigung von in Deutschland auftretenden BSE- Fällen zuständig.
1992 Der britische Mikrobiologe Harash Narang aus Newcastle entwickelt einen ersten BSE-Test, der bei Rindern auch ohne bestehende Symptome, eine BSE-Erkrankung erkennt. Seine Forschungsgelder wurden gestrichen. 1994 verliert er sogar seine Stelle.
Ende 1992 In Großbritannien erreicht die BSE-Seuche den Höhepunkt. Jeden Monat sterben mehr als 2.500 Rinder an BSE, im ganzen Jahr 1992 sind es 37.280.

1993


1993 Experimentell steht jetzt fest, daß BSE auf 19 Tierarten – darunter Schweine, Ziegen, Katzen, Hamster, Waschbären, Schafe, Panther, Affen, Meerschweinchen – übertragen werden kann. Und da sollte ausgerechnet eine Übertragung auf den Menschen unmöglich sein? Jeder Politiker hätte die richtige Antwort erraten können, wenn er nachgedacht hätte.
1993 Das Bundesgesundheitsamt (BGA) richtet an der Neurologischen Klinik der Universität Göttingen eine Forschergruppe zur deutschlandweiten Überwachung der tödlichen Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (CJK bzw. CJD) ein. Die Gruppe beurteilt Verdachtsfälle daraufhin, ob ein Patient an CJD oder der neuen Variante (nvCJD) erkrankt ist oder nicht.
11. März 1993 Die Zahl der BSE-Fälle in Großbritannien beginnt zurückzugehen. Die britische Regierung beteuert erneut, daß „British beef“ absolut sicher sei. Die menschliche Tragödie (nvCJD) wird erst 1995 beginnen.
13. März 1993 Der Springer Auslands-Dienst (SAD) berichtet aus London über den Tod des englischen Bauern Peter Warhurst, dessen Kühe am Rinderwahn (BSE) litten. Der 61jährige Bauer starb an der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit, wobei ein Zusammenhang mit der BSE-Erkrankung bei den Rindern vermutet wird. *
29. März 1993 Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet im Heft 13/1993 (Seite 260–264) unter dem Titel „Seuchenpfad aus der Tierwelt“ über den Erregermechanismus durch Prionen (infektiöse Proteine) bei BSE.
1993 Die nordfriesische Tierärztin Dr. Kari Köster- Lösche (Autorin des Buches „Rinderwahn – Die neue Gefahr aus dem Kochtopf“, Ehrenwirth-Verlag, 1995) schlägt Alarm, weil in allen EU-Ländern mit Ausnahme Großbritanniens Rindertalg, unter niedrigen Temparaturen gewonnen, zu Baby-Nahrung verarbeitet wird. *
1993 Die deutsche Tierärztin Dr. Margrit Herbst entdeckt bei Inspektionen des Schlachthofs von Bad Bramstedt in Schleswig- Holstein seit Anfang der 90er-Jahre 21 BSE- verdächtige Rinder. Als Dr. Herbst 1993 öffentlich eine gründliche Untersuchung fordert, wird sie strafversetzt und 1994 entlassen. Danach bekam sie keine Anstellung mehr in ihrem Beruf.
  Von diesem Fall war später nie wieder etwas zu hören. Warum? Kein Journalist bemühte sich um eine Antwort. Erst die Fernsehsendung „Das BSE-Chaos“ von N3 aktuell bringt am 30. November 2000 (um 21 Uhr) etwas Licht ins Dunkel: Die beiden Tierärztinnen sprechen jetzt sogar von einer regelrechten „BSE-Connection“. Die Landwirtschaftsministerin von Schleswig- Holstein, Ingrid Franzen (SPD), sagt in der Sendung, da war „kein BSE“ in Bad Bramstedt. Nur noch eine penible Untersuchung werde klären, ob damals der Landrat des Kreises Segeberg BSE-Fälle vertuschen wollte, hieß es.
[Die Welt: Tierärztin warnte vor BSE und wurde entlassen]
1993 Dem EU-Agrarkommissar René Steichen ist das Leben von Menschen gleichgültig. Er schreibt an das deutsche Gesundheitsministerium, daß „eine neue öffentliche Debatte über die BSE- Problematik gefährlich“ wäre. „Jede neue Diskussion hat dramatische Auswirkungen auf den Rindfleischverbrauch der gesamten Gemeinschaft.“

1994


? 1994 Der britische Mikrobiologe Dr. Stephen Dealler (Burnley, UK) startet im World Wide Web des Internets ein kritisches Informationsangebot zu BSE und CJD unter dem Pfad http://www.airtime.co.uk/bse/welcome.htm.
1994 Der britische Biobauer Mark Purdey vermutet Anfang der 90er-Jahre Pestizide als BSE- Ursache. Zur Bekämpfung der Dasselfliege (warble fly) bei Rindern wurde in Großbritannien seit 1982 die Verwendung des Organo-Phosphat- Präparats Phosmet staatlich vorgeschrieben. Phosmet enthält auch Thallium- Verbindungen. Phosmet ist ein sehr starkes Nervengift, das offensichtlich in der Lage ist, Prionen in Nervenzell- Membranen toxisch werden zu lassen. *
1994 Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU, Amtszeit 1992–1998) fordert ein Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch, um „das nicht zu verantwortende Experiment am Menschen“ zu beenden. Aber die EU-Minister sind dagegen.
1994 Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) löst nach dem AIDS- Skandal das Bundesgesundheitsamt (BGA) auf. Teile des BGA bestehen als eigenständige Bundesinstitute nebeneinander weiter, darunter: Robert-Koch-Institut (RKI, Berlin), Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM, Berlin), Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV, Berlin). Mit der Auflösung des BGA erfolgte zugleich die „Zerstörung von Organisationen, die gerade für einen modernen Verbraucherschutz alle Voraussetzungen geschaffen hatten“ *, was sich im Jahr 2000 – in Zeiten von BSE – rächte.
1994 Der Kieler Zoologie-Professor Sievert Lorenzen informiert den niedersächsischen Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD), daß an BSE erkrankte Import-Rinder auf einem Hof bei Hannover die Seuche vielleicht doch nicht eingeschleppt, sondern sich womöglich erst in Deutschland infizierten. Funke ist dem Hinweis nicht ernsthaft nachgegangen. *
Juni 1994 Die Forschung beweist, daß BSE bei Rindern auch oral, d. h. durch die Nahrungsaufnahme übertragen werden kann. Ein Rind ist todgeweiht, wenn es nur 0,1 Gramm infektiöses Rinderhirn (etwa 100 Mio. PrPsc- Prionen) gefressen hat.
Juni 1994 Die britische Regierung räumt ein, daß Schafsinnereien auch nach dem Verbot von 1988 an Rinder verfüttert worden sind.
Juni 1994 Die Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) aus Rheinland-Pfalz fordert einen sofortigen Importstop von britischem Rindfleisch. Einige Bundesländer erlassen ein Schlachtverbot für importierte britische Rinder, die älter als 6 Monate sind.
27. Juni 1994 Die EU verbietet das Verfüttern von „aus Säugetiergewebe gewonnenen Futtermitteln“ (Tiermehl) an Wiederkäuer (The Real Ban). Das Verfüttern von Tiermehlen an andere Tiere wie Schweine, Hühner oder Fische bleibt erlaubt.
1. Juli 1994 Die Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (CJK bzw. CJD) wird in Deutschland nach dem Bundesseuchengesetz eine meldepflichtige Krankheit.
Juli 1994 Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU, Amtszeit 1992–1998) kann sich bei der EU nicht mit einem Importverbot durchsetzen. Dennoch zeigt er sich „zutiefst zufrieden“. Und er hebt das Schlachtverbot für über 6 Monate alte britische Rinder wieder weitgehend auf.

1995


März 1995 Im Magazin Spektrum der Wissenschaft wird die Arbeit „Prion-Erkrankungen“ des amerikanischen Neurologen Stanley B. Prusiner in Deutsch publiziert (Heft 3/1995, Seite 44–52). Im Vorspann heißt es: „Der Verdacht wurde zunächst als schier unsinnig verworfen. Inzwischen mehren sich aber die Hinweise, daß Partikel nur aus Protein bei Tieren und auch beim Menschen infektiöse, erblich bedingte und spontan entstehende Leiden verursachen. Der Rinderwahn ist eines davon.“ Prusiner arbeitete seit 1972 an der Prionen- Theorie. Er wird dafür 1997 mit dem Medizin- Nobelpreis geehrt werden.
Mai 1995 Stephen Churchill, 19 Jahre, stirbt an einer neuen Variante der tödlichen Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (nvCJD). Er ist das 1. BSE-Opfer in Großbritannien. Seine Mutter Dorothy Churchill beginnt den Kampf gegen das Schweigen und das Vertuschen. Die nur sporadisch auftretende klassische Form der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit tritt gewöhnlich erst nach dem 55. Lebensjahr auf.
1995 1995 gab es in Großbritannien noch 2 weitere BSE-Opfer zu beklagen. James Ironside, Pathologe an der CJD- Überwachungsstelle in Edinburgh, entdeckt, daß das Gehirn der Verstorbenen einen sehr ungewöhnlichen schwammartigen Zerfall aufweist, der sich deutlich von der klassischen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit unterscheidet. Er nennt deshalb diese neue tödliche Hirnkrankheit, die alle Neuronen zerstört, „new variant CJD“ (nvCJD oder kürzer vCJD).
1995 Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) will alle 5.000 aus Großbritannien importierten Rinder, die auf deutschen Weiden stehen, töten lassen. Die Bundesländer weigern sich: Dafür fehle die Rechtsgrundlage, heißt es.
1995 Trotz Warnung aller Experten verzögerte Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU, Amtszeit Januar 1993 – Oktober 1998) die Einfuhrbeschränkungen für britische Rinder: „Kein Alleingang.“
1995 Der britische Gesundheitsminister Stephen Dorell startet die landesweite Werbekampagne „Beef is safe.“ Er verzögert absichtlich die Veröffentlichung eines kritischen Expertenberichts um 7 Monate.
November 1995 Kontrolleure des britischen Landwirtschaftsministeriums (MAFF) informieren das im Mai 1990 eingesetzte Spongiform Encephalopathy Advisory Commitee (SEAC), daß in britischen Schlachthöfen der Bann von 1988 von BSE-Risikomaterial wie Nervengewebe und Rinderinnereien nicht strikt beachtet wird. So enthielten Rinderhälften noch immer Nervenstränge. Womöglich hochinfektiöses BSE-Material konnte also 6 Jahre lang weiter in die menschliche Nahrungskette gelangen. Der SEAC- Vorsitzende Robert Will zeigte sich „entsetzt“.
Dezember 1995 Der Bundesrat beschließt ein totales Importverbot für britische Rinder. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU): Das verstoße gegen EU-Recht.

1996


März 1996 In Großbritannien sind bereits 8 jüngere Menschen an nvCJD (BSE beim Menschen) erkrankt. Die SEAC vermutet als wahrscheinlichste Ursache der tödlichen Krankheit den Genuß prionenverseuchter Rindfleischprodukte und warnt die britische Regierung. Gesundheitsminister Stephen Dorrell informiert noch am gleichen Tag das britische Parlament.
15. März 1996 Der britische Premierminister John Major gibt erstmals öffentlich den Zusammenhang zwischen BSE und den an nvCJD erkrankten Menschen zu: Von BSE können auch Gesundheitsgefahren für den Menschen ausgehen. Jahrelang hat er gelogen. Und er hat dann noch die Chuzpe, von der EU die Bezahlung (80 % der Ausfälle bei der Rindfleischproduktion) für das totale Versagen der konservativen Regierungen zu verlangen. Kein Politiker verlangte seinen Rücktritt. Die Zwischenbilanz: Mindestens 10 nvCJD-Tote in Großbritannien.
16. März 1996 Frankreich und Belgien verhängen ein sofortiges Importverbot fürs Briten- Beef. Erst nach Zögern verfügt auch die Bundesregierung ein vorläufiges Total-Importverbot für britische Rinder und Rindfleisch.
25. März 1996 Zum Schutz der Verbraucher verhängt die Europäische Kommission ein weltweites Exportverbot für britische Rinder, Rinderprodukte und britisches Tiermehl.
3. April 1996 Großbritannien wird von der EU verpflichtet, alle Rinder, die älter als 30 Monate sind, zu töten und zu vernichten. Das sind schätzungsweise 4 Millionen Tiere.
1996 Die Tierärztin Dr. Kari Köster-Lösche weist den österreichischen EU-Agrarkommissar Franz Fischler schriftlich auf die Gefahr hin, daß sich Kälber durch Milchaustauscher (Trockenmilch) mit dem BSE- Erreger infizieren könnten. Denn in dem Pulver für die Kälbermast sind auch ungenügend erhitzte Kadaverfette aus der Tierkörperbeseitigung enthalten. Fischler reagiert auf diese Warnung nicht *. Im Jahr 2001 werden in Deutschland in Milchaustauschern Prionen entdeckt *.
April 1996 Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU, Amtszeit Januar 1993 – Oktober 1998) sagt, er könne nun für die deutschen Verbraucher „BSE-Entwarnung“ geben: „Deutsches Rindfleisch ist sicher.“ Im Jahr 2000 wird sich diese Aussage des CDU- Ministers als absolut falsch erweisen. Gerade um 1996 war zudem die Zeit der höchsten Infektionsgefahr für Menschen in Deutschland *. Deutschland war entgegen aller Beteuerungen nicht BSE-frei.
5. Juni 1996 Die EU-Kommission lockert das Exportverbot für Großbritannien für Rindersamen, Talg und Gelatine unter Auflagen.
21. Juni 1996 Beim EU-Gipfel von Florenz verabschieden die Staats- und Regierungschefs einen Plan für eine schrittweise Aufhebung des Exportverbots.
17. Juli 1996 Das Europaparlament setzt einen Untersuchungsausschuß ein, um Versäumnisse der EU-Kommission beim Kampf gegen BSE herauszufinden.
18. Juli 1996 Die EU schreibt vor, daß alle Tierabfälle für die Verarbeitung beispielsweise zu Tiermehl 20 Minuten lang unter einem Druck von 3 Bar und einer Temperatur von 133 Grad Celsius ausgesetzt werden müssen, um die Prionen (BSE- Erreger) zu zerstören. *
19. Juli 1996 Bei einem SEAC-Treffen wird klar, daß es in Großbritannien auch zu einer vertikalen BSE- Übertragung von Muttertieren auf deren Kälber gekommen ist.
1. August 1996 Das britische Landwirtschaftsministerium MAFF stellt fest, daß BSE auch von Kühen auf deren Kälber übertragen werden könnte.
Dezember 1996 Die EU-Kommission schlägt aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse vor, daß EU-weit BSE-Risikomaterialien von Rindern, Schafen und Ziegen, die älter als 1 Jahr sind, nicht mehr zu Lebensmitteln und Tierfutter verarbeitet werden sollen. Damit kann sich aber die Kommission jahrelang nicht gegen die Agrar- Lobby durchsetzen. Erst zum 1. Oktober 2000 werden diese sinnvollen BSE- Vorsorgemaßnahmen eingeführt. Deutschland gehörte mit seiner einflußreichen Agrar- Lobby zu den Hauptbremsern. *
Dezember 1996 Der Deutsche Bauernverband und Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU, Amtszeit Januar 1993 – Oktober 1998) begrüßen den EU-Beschluß, wonach die Verarbeitung von Riskomaterialien vom Rind wie Hirn, Rückenmark und Milz nicht verboten wird. Sie kommen weiterhin in die Wurst.
1996 Bis zum Jahr 2010 rechnet der Mikrobiologe Professor Richard Lacey mit weltweit 500.000 CJD-Opfern als Folge des BSE-Skandals.

1997


Januar 1997 Britische Forscher erwarten eine CJD-Epidemie (Nature, Band 385, Seite 197). Dabei kann es in England zwischen 10.000 und 80.000 BSE-Opfer geben. Zwischenbilanz in Großbritannien: Mindestens 14 nvCJD-Tote.
18. Februar 1997 Im Abschlußbericht eines BSE-Untersuchungs- Ausschusses werden der EU-Kommission, dem EU-Ministerrat und Großbritannien schwere Versäumnisse beim Umgang mit der Rinderseuche vorgeworfen. Das Europaparlament droht der EU-Kommission mit einem Mißtrauensvotum. Nach Verbesserungen beim Verbraucherschutz wird die Drohung im November 1997 aufgehoben.
1997 „Deutsches Rindfleisch ist sicher“, sagt Peter Hamel, Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Deutsches Fleisch. Das stimmte nicht, wie sich im Jahr 2000 zeigen wird.
Februar 1997 Der Chemiker Klaus Hofmann von der Bundesanstalt für Fleischforschung (BAFF) in Kulmbach stellt im Fernsehen fest, daß von 19 untersuchten deutschen Tiermehl- Sorten fast ein Drittel nicht BSE- sicher sind. Sein (vorgesetzter) Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Franz-Josef Feiter, verlangt von ihm – wider besseres Wissen – umgehende, öffentliche „Korrektur“ der Aussage. *
25. Februar 1997 Großbritannien beantragt die Aufhebung des Exportverbots für Rinder aus BSE- freien Herden in Schottland und Nordirland.
Frühjahr 1997 Der EU-Kommisssarin für Verbraucherschutz, Emma Bonino, werden von der EU-Kommission angesichts der Versäumnisse beim BSE-Skandal nun auch Kontrollaufgaben im Agrarbereich übertragen. Bislang hatten sich die EU-Agrarier selbst kontrolliert, wobei der Schutz der Konsumenten auf der Strecke geblieben war. *
März 1997 Die Bundesregierung erläßt die 2. BSE-Schutzverordnung, nach der alle aus Großbritannien und der Schweiz nach Deutschland importierten Rinder getötet werden müssen. Vor Gericht wird diese Verordnung nicht Bestand haben. Das Bundesverwaltungsgericht wird 2001 die Tötungsverordnung nachträglich für null und nichtig erklären. *
März 1997 Die Bundesländer stimmen der Tötung aller 5.200 aus Großbritannien und der Schweiz importierten Rinder, die auf deutschen Weiden stehen, zu.
Mai 1997 Tony Blair (Labour) gewinnt die Unterhauswahlen und verspricht eine schonungslose Untersuchung des britischen BSE-Skandals.
3. Juli 1997 Die EU-Kommission deckt den illegalen Export von 1.600 Tonnen Rindfleisch aus Großbritannien auf.
Juli 1997 Wissenschaftler des Instituts für Tiermedizin in Newbury legen in Nature erste Beweise für die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen vor. *
August 1997 Ein Hamburger Kaufmann importiert illegal Tonnen von britischem Rindfleisch. Als Fahnder ihm auf die Schliche kommen, ist das meiste Fleisch bereits zu Wurst verarbeitet und bundesweit verkauft. *
25. September 1997 In Nature (Volume 389, No. 6649, Seite 498–501) publiziert das britische Forscherteam um Dr. Moira Bruce vom Institute for Animal Health in Edinburgh in der Arbeit „Transmissions to mice indicate that 'new variant' CJD is caused by the BSE agent den ersten Indizien-Beweis dafür, daß die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankeit (nvCJD) beim Menschen durch infektiöse BSE-Prionen verursacht wird.
26. September 1997 Britische Forscher der CJD-Überwachungsstelle in Edinburgh haben das Auftreten der neuen Form der tödlichen Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (nvCJD) bestätigt. nvCJD ist „Human BSE“! nvCJD (heute kurz vCJD oder vCJK genannt) unterscheide sich deutlich von den älteren, bereits länger bekannten CJD- Formen, schreiben die Wissenschaftler in The Lancet vom 26.9.1997. *
September 1997 Mindestens 1679 Tonnen aus Großbritannien illegal importiertes Rindfleisch wurde in Deutschland entdeckt. Ob das Fleisch BSE-infiziert war, wurde nicht bekannt. *
27. Oktober 1997 Die EU-Kommissarin für Verbraucherschutz Emma Bonino sagt dem Spiegel (Heft 44/1997, Seite 69): „Die Agrarier stehen zudem sehr stark unter dem Druck der Produzenten, und sie sind sehr marktorientiert. EU- Agrarkommissar Franz Fischler war diesem Druck nicht gewachsen. So blieben die Interessen der Konsumenten in der EU bislang auf der Strecke.“ *
November 1997 In einer Kampagne der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) wirbt nun sogar der Alt- Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Anzeigen: „Für mich ist Rindfleisch eine Bereicherung unserer Küche.“ Wozu die CMA anmerkt: „Keine Sorge, Herr von Weizsäcker, Rindfleisch ist nach wie vor gesund und lecker.“ Jedenfalls, wenn es das CMA- Prüfsiegel trage, heißt es.
19. November 1997 Die Europa-Abgeordnete und Verbraucherschutz- Expertin Dagmar Roth-Behrendt (SPD) sagt im Berliner Tagesspiegel angesichts der BSE-Krise: „Die Kommission hat inzwischen einiges begriffen. Ich habe aber nicht das Gefühl, daß die 15 Landwirtschaftsminister der Mitgliedstaaten irgendetwas begriffen haben.“ *
Dezember 1997 Der Nobelpreis für Medizin 1997 geht an den Neurologen Stanley B. Prusiner. Der US- Wissenschaftler erhält die Auszeichnung für seine bahnbrechende Entdeckung der Prionen, einer bislang unbekannten Art von Krankheitserregern. Prionen sind komplex strukturierte Eiweißverbindungen, aber keine Viren, Bakterien oder Pilze. Prionen werden u. a. für die Rinderseuche BSE und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) verantwortlich gemacht. Kritiker bezeichnen die Prionen- Theorie als den „größten Wissenschaftsbluff des Jahrhunderts“. [Hintergrund] [3D-Bilder von Prionen]
22. Dezember 1997 Die britische Regierung setzt eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der BSE- Krise ein. Diese wird am 26. Oktober 2000 ihren Abschlußbericht vorlegen.
1997 Aus einem CJD-Forschungsprogramm der Uni Zürich wird von 3 Forschern per Spin-off die Prionics AG gegründet. Diese vermarktet den BSE- Schnelltest, mit dem zuverlässig BSE- Fälle aufgespürt werden können, noch bevor sich bei den Tieren Krankheits- Symptome zeigen. Der Prionics- Test liefert schon nach 10–12 Stunden ein Ergebnis. [Schweizer Test erobert Europa]

1998


1998 Der ehemalige Vorsitzende einer britischen BSE-Expertenkommission und Mediziner David Tyrrell antwortet auf die Frage, ob er seine Eßgewohnheiten seit dem Ausbruch der BSE-Seuche geändert habe: „Ich esse eher mehr Rindfleisch als vorher. Weil die guten Stücke jetzt billiger sind.“
1998 Anläßlich der „Tiermehl-Konferenz“ in Brüssel stellt die EU- Kommission in ihrem Bericht fest, daß bislang keines der Mitgliedsländer – bis auf eins (Deutschland) – die EU- Verordnung zur Tiermehl- Herstellung (mindestens 133 Grad Celsius, 20 Minuten und 3 Bar) umgesetzt hat. Sanktionen erfolgen aber nicht. Und in Deutschland unterbleiben konsequente Kontrollen der Sterilität des produzierten Tier- und Knochenmehle, obwohl dafür der preiswerte ELISA-Test zur Verfügung stand.
März 1998 In Großbritannien beginnt unter dem Lordrichter Sir Nicholas Phillips die unabhängige Kommission zur Aufklärung der BSE-Krise mit der Untersuchung, die über 2 Jahre dauern wird. *
31. März 1998 Erneut kippt der EU-Agrarministerrat unter Beteiligung von Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU, Amtszeit Januar 1993 – Oktober 1998) die Einführung sinnvoller BSE- Vorsorgemaßnahmen (Vernichten aller Risikomaterialien). Vor allem Deutschland sprach sich gegen diese Vorsorge aus. *
19. April 1998 Der bayerische Ministerpräsident, Edmund Stoiber (CSU), brüstet sich in seiner Rede zum „Tag der Landwirtschaft“ damit, das von der EU-Kommission seit 1996 empfohlene Verbot von BSE- Risikomaterial verhindert zu haben. Dennoch will er 2002 Bundeskanzler werden.
23. April 1998 Einführung von BSE-Schnelltests durch die EU.
1. Juni 1998 Rindfleisch-Exporte aus bestimmten, garantiert BSE- freien Herden in Nordirland sind wieder erlaubt.
Juni 1998 Die EU erlaubt den Rinder-Export aus BSE- freien Herden in Schottland und Nordirland.
Juni 1998 Die EU-Kommission rügt schlampige Fleischkontrollen in Deutschland. *
Juni 1998 Das Verwaltungsgericht Osnabrück hebt die Tötungsverordnung (2. BSE- SchutzVO) für Rinder aus Großbritannien und der Schweiz auf. BSE sei keine Seuche im Sinne des Tierseuchengesetzes, heißt es in der Begründung. BSE sei zudem nur eine „Sackgassenkrankheit“, die beim durch Fütterung erkrankten Tier ende. In Großbritannien waren bis Ende 1997 bereits 23 Menschen an den BSE- Folgen gestorben.
November 1998 Die EU erläßt ein Exportverbot für portugiesisches Rindfleisch. Von 1990 bis Ende 1998 wurden in Portugal 197 BSE-Fälle entdeckt.
25. November 1998 Die EU-Kommission hebt das Exportverbot im Grundsatz auf. Für die Wiederaufnahme der Exporte ist noch das Urteil von Experten erforderlich, ob die Voraussetzungen erfüllt sind.

1999


Februar 1999 In der Schweiz werden die BSE-Tests zur Früherkennung des Rinderwahnsinns ausgedehnt. [mehr]
2. März 1999 Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) startet einen BSE-Massentest in Schlachthöfen an Rhein und Ruhr. Bis Juni 2000 werden 5.000 Schlachtrinder mit dem Prionics- Schnelltest untersucht *. Der Massentest ergibt keinen Hinweis auf BSE in Deutschland. Vermutlich war die Zahl untersuchter Tiere zu gering.
4. März 1999 Die bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU) kritisiert scharf das BSE-Vorsorgeprogramm in Nordrhein- Westfalen als „ungeeignet und überflüssig“. Mit der willkürlichen Untersuchung gesunder Tiere werde das Vertrauen der Verbraucher in Rindfleisch eher gemindert als gestärkt. „Wenn in Deutschland – das ja bekanntlich BSE-frei ist, gesunde Schlachtrinder auf BSE untersucht werden, ist der Ausgang der Untersuchung schon vor deren Beginn klar“, sagte Stamm. Bereits nach dem 1. originären BSE-Fall Bayerns im Dezember 2000 war sie dann eher sprachlos – aber es kam noch schlimmer.
Juni 1999 Nach den „verrückten Kühen“ gibt es nun „Dioxin-Hühner“ aus Belgien. Hühner und Schweine wurden mit Schmier(alt)ölen gefüttert. Der Mensch wird zum Endlager.
9. Juni 1999 Frankreich fordert ein europaweites, totales Verbot von Tiermehlen als Viehfutter. *
14. Juli 1999 Die EU-Kommission beschließt zum 1. August 1999 die Aufhebung des weltweiten Exportverbots von 1996 für britisches Rindfleisch. Vermutlich zu früh, wie sich noch zeigen wird. [mehr]
1. August 1999 Die Aufhebung des totalen Exportverbots für britisches Rindfleisch tritt in Kraft.
? August 1999 Die britische Wissenschaftlerin Dr. Anne Maddocks vermutet, daß die BSE-Epidemie eine Folge geheimer Versuche sein könnte, in Großbritannien Super- Kühe zu züchten. Danach sollen Kühen in den 80er Jahren aus der Hirnanhangsdrüse von Kadavern gewonnenes Wachstumshormon (Rinder- Somatotropin) injiziert worden sein *. Somatotropin fördert die Proteinsynthese und wurde von Sportlern auch als Dopingmittel (Anabolika) mißbraucht. *
August 1999 In den USA werden wegen der BSE-Gefahr keine Blutspenden mehr von Personen angenommen, die sich von 1980–1997 sechs Monate in Großbritannien aufgehalten haben. *
September 1999 Deutschland richtet auf Geheiß der EU-Kommission in München die zentrale Rinder- Datenbank HIT ein. Zur Vorbeugung gegen BSE müssen die Daten (inkl. Ohrmarken- Nummern) aller Rinder in Deutschland an die HIT gemeldet werden, um den Lebensweg eines jeden Tieres von der Geburt bis zur Schlachtung verfolgen zu können.
29. Oktober 1999 Eine Expertenkommission der EU erklärt deutsche und französische Bedenken gegen britisches Rindfleisch für haltlos. Großbritannien erwartet die endgültige Aufhebung der Einfuhrverbote.
1999 „Deutsches Rindfleisch ist sicher“, sagt der Berlin- Brandenburger Fleischerinnungsmeister Uwe Bünger. Es war aber schlicht die Unwahrheit, wie sich im November 2000 herausstellte. Deutschland war nicht BSE-frei.

[ Ergänzungen oder Fehler mitteilen ]   —   [ Zum 2. Teil der Chronik ]


Anmerkungen und wichtige Quellen:   (19. Ed. — 25.11.2005)


Weitere Services zu den Themen „BSE“ sowie „Gift im Essen“ von khd
Hier gibt es keine gekauften Links!


© 1995-2011  – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 29.05.2011 21.36 Uhr