B S ETierärztin warnte vor BSE und wurde entlassen
Vor zehn Jahren bereits entdeckte die Veterinärin Margrit Herbst auf dem Schlachthof in Bad Bramstedt 21 Rinder mit BSE-Symptomen. Sie bestand auf Untersuchungen. Stattdessen verlor sie ihren Job.
Aus: Die Welt am Sonntag, 31. Dezember 2000, Seite ?? (Berlin) von BO ADAM (Redakteur der Berliner Zeitung). [Original]Dies ist die Geschichte einer mutigen Frau. Und es ist eine Geschichte, die erzählt, was einer mutigen Frau zugemutet wurde, weil sie hartnäckig Fragen stellte, die damals noch keiner hören wollte. Es ist die Geschichte der Tierärztin Margrit Herbst aus Schleswig-Holstein. Wenn die sechzig Jahre alte Frau in diesen Tagen die Schlagzeilen in den Zeitungen liest, dann schüttelt sie den Kopf: "Erster BSE-Test in Deutschland positiv" war da Ende November zu lesen. Im Dorf Hörsten stand die kranke Kuh. Hörsten liegt knapp dreißig Kilometer von Brokstedt entfernt, dem Ort, in dem Margrit Herbst heute wohnt. Im Dezember las Frau Herbst schließlich: "Rinderwahn zum ersten Mal bei einer deutschen Kuh offen ausgebrochen." Das war in Bayern. "Von wegen: zum ersten Mal", sagt die Tierärztin.
Inzwischen ist Rinderwahn zum Schreckenswort des Jahres geworden. Sieben Fälle von BSE sind bis jetzt bestätigt. Tag für Tag zittern die Verantwortlichen in Bund und Ländern vor der nächsten Hiobsbotschaft aus irgendeinem Dorf, von irgendeinem Bauernhof. Kein Wissenschaftler wagt mehr vorauszusagen, wie sich die Seuche in Deutschland entwickeln wird. Weder bei den Rindern, noch, später, bei den Menschen. Kein Forscher wagt zu schätzen, wie viel Fleisch von BSE-Rindern schon über die Theken der Supermärkte gereicht wurde oder in Konserven landete. "Wo kommen die kranken Tiere wohl plötzlich alle her?", fragt Margrit Herbst, "sie sind doch nicht vom Himmel gefallen. Ebenso wenig wie die Krankheit selbst."
Die Suche nach der Antwort auf diese alles entscheidende Frage hatte Margrit Herbst eigentlich bereits aufgegeben. Nach Jahren erzwungener Arbeitslosigkeit wurde sie in diesem Sommer Rentnerin. Die allein stehende Frau zog von Bad Bramstedt, wo sie einst gearbeitet hatte, ins nahe Dorf Brokstedt. Dort fand sie eine kleine billige Dachwohnung, für deren Miete sie allerdings immer noch fast die Hälfte ihrer Rente aufbringen muss. Künftig wollte sich Margrit Herbst nur noch an ihren Enkeln erfreuen. Und am Reiten, ihrer Leidenschaft seit Jahrzehnten. Doch dann kehrte die Vergangenheit plötzlich wieder zurück in ihr Leben. Gut zehn Jahre nachdem alles begann.
Im Sommer des Jahres 1990 arbeitet die Tierärztin auf dem Schlachthof der Norddeutschen Fleischzentrale in Bad Bramstedt. Es ist nicht unbedingt ein Traumjob, den sie da hat. Margrit Herbst prüft den Gesundheitszustand der angelieferten Rinder, bevor sie zur Schlachtbank getrieben werden. Sie hat als amtlich bestallte Verbraucherschützerin kränkelnde Tiere auszusondern und ihren Vorgesetzten darüber Meldung zu machen. Fünfzig bis sechzig Tiere passieren manchmal pro Stunde ihr wachsames Auge. "Das war aber kein Problem", sagt sie heute, "mit den Jahren hatte ich den notwendigen Blick entwickelt." Seit etwa 1978 macht sie diese Arbeit. An die zweihunderttausend Rinder hat sie begutachtet, vielleicht auch mehr. Sie kennt alle gängigen Symptome.
Dann passiert es: An einem dieser Sommertage vor zehn Jahren benimmt sich eine Kuh anders als alle anderen. Vielleicht liegt es an Margrit Herbsts privater Pferdeleidenschaft, dass ihr sofort etwas Besonderes auffällt: "Mein Gott, die Kuh trabt ja", sagt sie sich. Zu Hause schlägt sie sicherheitshalber nach: die Traberkrankheit! So wird bei Schafen die Seuche genannt, die nach Auffassung der Forscher als BSE auf die Rinder übersprang, als diese mit zermahlenen Schafskadavern gefüttert wurden. Die Tierärztin ist alarmiert. Denn 1990 gilt BSE als "englische Krankheit".
Deutschland sei und bleibe völlig frei von Rinderwahn, erklären Politiker und Bauernvertreter in jedes zur Verfügung stehende Mikrofon. Es darf einfach nicht anders sein. Die Interessen der deutschen Futtermittelindustrie, der deutschen Bauern, der deutschen Schlachthöfe stehen auf dem Spiel. Margrit Herbst alarmiert ihre Vorgesetzten. Sie beginnt, sich Aufzeichnungen zu machen. Immer wieder mal notiert sie die inzwischen anerkannten klassischen BSE-Symptome. Es entspinnt sich ein Kampf um jedes auffällige Rind, das sie aussortiert. Oft werden die Tiere wieder zur Schlachtung freigegeben. Einige Male werden die zerschmetterten Schädel von getöteten Rindern zur Untersuchung an die Tierärztliche Hochschule Hannover geschickt.
Frau Herbst bettelt vergebens, dass Tiere lebendig den Forschern übergeben werden, damit die Hirne nicht durch den Bolzenschuss zermatscht werden. Sie bittet erfolglos darum, dass weiter gehende Tests mit Mäusen durchgeführt werden. Den Mäusen soll Hirnsubstanz der möglicherweise erkrankten Rinder eingespritzt und ihre Reaktion beobachtet werden damals der einzig sichere BSE-Nachweis. Doch diese Vorschläge Herbsts werden abgeblockt. Bis 1994 zählt sie 21 verdächtige Tiere. An der Hochschule in Hannover urteilt Professor Pohlenz vorsichtig über drei der fünf Fälle, die ihm vorgelegt werden. "Keine sicheren Anhaltspunkte für BSE" oder "kein eindeutiger Hinweis auf Veränderungen wie bei BSE" notiert er. Unklare Befunde also. Jetzt, im Jahre 2000, da die Katastrophe ihren Lauf nimmt, lösen solche Sätze sofort weitere hektische Untersuchungen aus. Anfang der neunziger Jahre lösen sie nur Zufriedenheit bei den Verantwortlichen aus.
In einem Bericht erklärt der damalige Kieler Landwirtschaftsminister Hans Wiesen 1994: Der Vorwurf, BSE-verdächtige Rinder seien in Bad Bramstedt geschlachtet worden, treffe "eindeutig nicht zu". Aus einem wissenschaftlichen "Nicht eindeutig" wird ein politisches "Eindeutig nicht". Denn Deutschland muss BSE-frei bleiben, und sei es auf dem Papier. Zu jener Zeit ist Margrit Herbst in ihrer Verzweiflung bereits an die ÷ffentlichkeit gegangen und hat über ihre Befürchtungen berichtet. "Damals hätte man vielleicht die jetzige Katastrophe verhindern können", sagt sie heute.
Mit ihren Medienauftritten ist die Veterinärmedizinerin aber eindeutig zu weit gegangen, befinden ihre Vorgesetzten in der Kreisverwaltung im Jahr 1994. Da sind sie sich offenkundig mit den Chefs der Norddeutschen Fleischzentrale vollkommen einig. Während der Kreis Segeberg Frau Herbst fristlos kündigt, geht die Privatfirma vor Gericht. Falls die Tierärztin ihre Befürchtungen je öffentlich wiederholt, soll ihr ein halbes Jahr Gefängnis oder eine halbe Million Mark Schadensersatz drohen, beantragt das Fleischunternehmen.
Vor Gericht steht die Tierärztin allein gegen Lebensmittelkonzern und Behörde. Niemand springt ihr als Zeuge bei. Kein Mitarbeiter des Fleischhofes traut sich, die Beobachtungen von Margrit Herbst öffentlich zu bestätigen. Auch noch zehn Jahre später geht die Angst um. Jeder ahnt: Man lehnt sich nicht straflos gegen den Fleischkonzern auf. "Ich habe Familie", winkt ein Mitarbeiter ab, obwohl er angeblich genau Bescheid weiß. Das Beispiel der fristlosen Kündigung von Margrit Herbst hemmt auch den Redefluss der anderen Veterinärmediziner.
"Das ist wirklich kein Wunder", sagt ein Kollege aus dem nahen Itzehoe: "Die amtlichen Tierärzte, die eigentlich die Verbraucher mit ihren Kontrollen schützen sollen, sind in Deutschland Angestellte der Kommunen. Ihr unmittelbarer Dienstherr ist der Landrat. Selbst wenn dieser nicht persönlich mit der Agrarlobby verbandelt sein sollte, hat er Angst vor jedem Lebensmittelskandal. Denn das kostet Arbeitsplätze und ruiniert den Ruf des Kreises. Deshalb sind die Tierärzte nicht wirklich unabhängig." Und er fügt hinzu: "Auch ich wurde damals bedroht und gefragt, ob ich denn mit Frau Herbst gemeinsame Sache mache. "Falls", erinnert er sich, "wurde mir erklärt, dass ich gleich einpacken könne." Vielleicht sind es diese Mechanismen, die verhinderten, dass die BSE-Seuche in Deutschland gestoppt wurde, noch bevor sie begann. "Dass Bad Bramstedt der einzige Ort in der Bundesrepublik gewesen sein sollte, wo auffällige Rinder in den 90er-Jahren herumstaksten, ist kaum zu vermuten", sagt Margrit Herbst.
Vor Gericht hat sie Glück und Pech. Das Landesarbeitsgericht im nahen Neumünster bereitet ihr in zwei Instanzen Niederlagen. Die Medizinerin sei "zur Verschwiegenheit über die Vorgänge an ihrem Arbeitsplatz verpflichtet" gewesen, erklären die Richter. Diese Pflicht habe sie "ohne zwingenden Grund" verletzt und die Bevölkerung verunsichert. Die Juristen machen sich Sorgen um "mögliche Auswirkungen auf den Umsatz des Schlachthofes". Über den vorbeugenden Gesundheitsschutz der Bevölkerung verlieren sie kaum ein Wort.
Die Tierärztin bleibt fristlos gekündigt und findet keine Möglichkeit, im Bereich von Nordfleisch je wieder als die promovierte Fachfrau, die sie ist, beschäftigt zu werden. Immerhin, im Landgericht und Oberlandesgericht von Kiel findet sie Zivilrichter, die sich mit dem "bisher nicht widerlegten BSE-Verdacht" auseinander setzen und Margrit Herbst bescheinigen, dass sie "in Wahrnehmung berechtigter Interessen und deshalb rechtmäßig gehandelt" hat. Die Klage des Fleischkonzerns gegen die Veterinärmedizinerin wird abgewiesen.
Gegensätzlicher können Urteile nicht ausfallen. Doch nach sieben Jahren Streit hat Margrit Herbst einfach keine Kraft mehr. Sie will nur noch ihre Ruhe. "Die haben sie fertig gemacht", sagt ein Nachbar in Brokstedt, "richtig fertig gemacht." Da schwingt Anerkennung und Bedauern mit. In den Regalen ihrer kleinen Zimmer unter dem Dach lagern die Dokumente des Streits oder vielmehr die Kopien davon, Ordner für Ordner. Dort sollten sie eigentlich auch liegen bleiben. Doch seit ein paar Wochen hat Margrit Herbst wieder begonnen, die Papiere zu durchstöbern und zu sortieren. Vielleicht kommt ja jetzt die Zeit der Rehabilitation.
Verlorenes Vertrauen
Jahrelang haben Politiker Warnungen vor dem Rinderwahn ignoriert. Jetzt verunsichern immer mehr neue Meldungen die Verbraucher. Selbst Bodybuilder-Nahrung könnte gefährlich sein.
Aus: Der Spiegel 1/2001, 1. Januar 2001, Seite 3235 (Deutschland). [Original]Das Kanzlerwort klang wie ein reumütiges Bekenntnis. "Ich gebe doch zu", sagte Gerhard Schröder über die Ausbreitung der Rinderseuche BSE, "wir haben alle nicht aufgepasst."
Schön wäre das, für seine Bundesregierung und für die davor. Denn wo alle nicht aufgepasst haben, wäre so recht keiner schuld. Nur: Was der Kanzler sagt, stimmt in diesem Fall nicht. Fachleute haben sehr wohl aufgepasst und deutlich gewarnt schon vor Jahren. Immer klarer wird jetzt, wie leichtfertig die Politiker zweier Bundesregierungen die Hinweise beiseite gewischt und sich dem Druck der Agrarindustrie gebeugt haben.
Nun verunsichert eine Horrornachricht nach der anderen die Verbraucher: Nicht nur im Rindfleisch können die Erreger stecken, auch in der Wurst, im Lammbraten, ja selbst im Kraftfutter der Bodybuilder. Doch die Rinderseuche hat sich keineswegs unvermittelt in Deutschland eingeschlichen, wie es jetzt scheint, sondern sie kam mit unerbittlicher Logik, weil alle sparen wollten: die Bauern an kostenintensiver artgerechter Tierhaltung und am Futter, die Schlachter am Entsorgen des von BSE-Erregern besonders befallenen Gehirn- und Nervengewebes, die Verbraucher bei der Schnäppchenjagd an der Fleischtheke.
Nun kommt die Rechnung, und die Deutschen werden noch jahrelang zahlen müssen. Den Anfang machten sechs Bauern, in deren Ställen infizierte Rinder gefunden wurden; ein siebter in Nortrup im Landkreis Osnabrück muss damit rechnen, dass der definitive Befund der Tübinger Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere ebenfalls positiv ausfällt. [BSE-Fälle in Deutschland]
Dann stünde der niedersächsische Landwirt ebenso vor den Trümmern seiner beruflichen Existenz wie sein Allgäuer Kollege Josef Feneberg am Tag vor Weihnachten, als seine 84 Rinder notgeschlachtet wurden. In dem Sulzberger Familienbetrieb hatte sich vorvergangene Woche, drei Wochen nach dem bundesweit ersten BSE-Fall in Schleswig-Holstein, ein Verdacht bestätigt, gleich darauf folgten positiv getestete Schlachtrinder in den Kreisen Cham und Neumarkt in der Oberpfalz. Zudem wurde bekannt, dass schon Anfang November eine Kuh aus dem oberbayerischen Landkreis Weilheim-Schongau getötet worden war, bei der BSE bereits ausgebrochen war erstmals in Deutschland, falls den amtlichen Angaben noch zu trauen ist. Vorigen Mittwoch schließlich wurde der fünfte BSE-Fall in Bayern gemeldet, eine in Kempten geschlachtete Kuh.
Damit ist für Experten klar: Längst dürfte das Fleisch infizierter Tiere in deutschen Wursttheken gelandet sein. Während in England schon 85 und in Frankreich 3 Menschen an der durch BSE verursachten Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit gestorben sind, stümpern die zuständigen deutschen Politiker immer noch herum oder gehen auf Tauchstation.
Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) war vor Weihnachten, als die BSE-Krise in Bayern ihrem Höhepunkt zustrebte, tagelang aus Berlin verschwunden beim Kabinett hatte er sich mit Grippe abgemeldet. Zuvor hatte er Zeit, in seiner friesischen Heimat an einer Kreistagssitzung mit anschließendem Grünkohlessen teilzunehmen, rauchte wohlgemut seine Zigarre und stänkerte gegen Schröders Forderung nach "Abkehr von den Agrarfabriken": Die Idee eines Ausstiegs aus der hoch technisierten Landwirtschaft sei "weit von der Realität entfernt", sagte Funke in seinem Heimatort Varel.
Die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer schlingert, je nach eigenem Wissensstand, zwischen voreiligen Entwarnungen und Alarmrufen hin und her. Am Dienstag vor Weihnachten verkündete sie, deutsche Wurst sei sicher dem EU-Verbraucherkommissar David Byrne unterstellte sie fehlenden Sachverstand, weil der eine dringende Rückholaktion aus den Regalen verlangt hatte.
Am Tag darauf hatte sich Fischer über so genanntes Separatorenfleisch informiert es besteht aus Fleischresten, die maschinell vom Knochen geschabt und mitsamt Knochensplittern etwa in Billigwurst verarbeitet werden. Flugs korrigierte sie ihren Rat vom Vortag.
Schuld an dem Chaos war die Odyssee eines Briefs, in dem die Bundesanstalt für Fleischforschung (BAFF) in Kulmbach vor der Verwendung von Separatorenfleisch warnte. Der Hinweis wurde am 5. Dezember zur Post gegeben und traf tags darauf im Bundeslandwirtschaftsministerium ein, wo er wiederum einen Tag später vom zuständigen Unterabteilungsleiter abgezeichnet wurde, ehe er im Bermudadreieck der Bürokratie vorübergehend unterging. Das Schreiben, das zum Zeichen reger Lektüre zahlreiche Beamtenparaphen trägt, kam schließlich am 20. Dezember bei Ministerin Fischer an. Der Brief, kommentierte Funkes Sprecherin Sigrun Neuwerth, sei "wohl nicht mit der gebotenen Eile auf den Weg gebracht worden".
Nicht nur verbummelt, sondern einfach ignoriert hat Fischers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) vor vier Jahren einen ähnlichen Brandbrief derselben Bundesanstalt, in dem vor möglicherweise verseuchter Wurst gewarnt wurde. Schon damals, beklagt jetzt der Leiter des BAFF-Instituts für Mikrobiologie und Toxikologie, Manfred Gareis, hätte die christlich-liberale Regierung Kohl Maßnahmen zur BSE-Abwehr ergreifen können und müssen.
Doch Kohls Kabinett dachte gar nicht daran, sich zum Schutz des Verbrauchers mit mächtigen Interessenverbänden anzulegen. Die Bundesregierung hätte spätestens im Herbst 1993 also zur Zeit des CSU-Ministers Seehofer auf die BSE-Krise in Großbritannien reagieren müssen, kritisiert nicht etwa ein politischer Gegner des Bayern, sondern ein Parteifreund, der CSU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitsexperte Gerhard Scheu. Der Grünen-Politiker Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments, klagt, dass von der EU vorgeschlagene Schutzmaßnahmen von der damaligen Koalition regelrecht "torpediert" worden seien.
Der neuen rot-grünen Regierung, die freilich in der BSE-Politik "auch keine Kehrtwende vollzogen" habe, wie Baringdorf moniert, "fallen die alten Fehler jetzt auf die Füße". So widersetzte sich vor vier Jahren der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) erfolgreich dem Vorschlag der EU-Kommission, BSE-Risikomaterial wie Rinderhirn für die Herstellung von Lebensmitteln und Tierfutter zu verbieten.
Denselben groben Fehler beging die bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU) noch im August 2000: Schriftlich forderte sie den Berliner Landwirtschaftsminister Funke auf, "Klage zu erheben" gegen die Verordnung der Brüsseler EU-Kommission, Risikomaterial zu vernichten und so aus der Nahrungskette zu verbannen. Diese seit Oktober gültige Vorschrift, schrieb Stamm vor einem halben Jahr, sei eine "unzumutbare Beeinträchtigung" für Bauern und Metzger.
Selbst unter Parteifreunden gibt es jetzt freilich nur noch wenige, die Stamm und ihren Kollegen aus dem Landwirtschaftsressort, Josef Miller, verteidigen wollen. Unter beider Regie wurde in Bayern, wo jedes vierte deutsche Rind gemästet wird, geschlampt, vertuscht und gelogen. So war im Münchner Landwirtschaftsministerium seit mindestens fünf Jahren bekannt, dass die Hälfte aller Rinderfutter- Stichproben Tiermehlrückstände aus der Produktion enthält. Miller, seit 1998 im Amt, hielt es nicht für nötig, die Züchter zu warnen.
Zwar fand sich in den Proben nur 0,5 % des möglicherweise infektiösen Tiermehls aber immerhin frisst eine Hochleistungsmilchkuh eine Tonne Kraftfutter im Jahr, möglicherweise also bis zu fünf Kilogramm Kadavermehl. Und 0,1 Gramm infektiösen Materials können schon reichen, um ein Rind anzustecken. Der Bericht einer EU-Expertenkommission listet allerhand weitere Versäumnisse der verantwortlichen bayerischen Minister auf. Die EU-Fachleute werfen den Bayern vor, jahrelang seien im Freistaat selbst auffällige Tiere nicht immer auf BSE getestet worden.
Wurden Gehirne kranker Tiere eingefroren und in die Labors geschickt, waren sie dort oft nicht mehr verwendbar: 1998 wurden 214 Laborproben eingeschickt, 158 stammten von offensichtlich kranken Kühen. Doch nur 24 Proben konnten untersucht werden, der Rest war verfault oder durch das Einfrieren unbrauchbar geworden. Auf parlamentarische Anfragen von SPD und Grünen musste der zuständige Referent im Münchner Landwirtschaftsministerium schon 1997 eine weitere Panne einräumen: Ein Drittel des Tiermehls in Bayern wurde bis dahin nicht ausreichend erhitzt, um alle Erreger abzutöten.
Noch im Oktober vergangenen Jahres lehnten die CSU-Mitglieder im Agrarausschuss des bayerischen Landtags konsequenterweise zum wiederholten Mal BSE-Schnelltests bei allen Schlachtrindern ab. Das sei nicht nötig, weil es in Deutschland kein BSE-krankes Rind gebe, argumentierten die Christsozialen. Wenige Tage später wurde die Kuh "Heidi" in Weilheim-Schongau vom Tierarzt getötet. Sie hatte monatelang mit deutlichen BSE-Symptomen im Stall gestanden, trotzdem sah sich nach der Schlachtung niemand zu einem Schnelltest veranlasst.
Drei Wochen lang wurde das Gehirn des Tieres für eine histologische Untersuchung in Formalin eingelegt. Erst der zweite Test ergab einen Verdacht auf die Seuche, der sich am 19. Dezember bestätigte. Claus Dölling, Mitinhaber der Dölling-Hareico-Fleischwerke im schleswig-holsteinischen Elmshorn, kann angesichts eines 20-prozentigen Umsatzeinbruchs in Rage geraten: "Was Politiker zum Teil äußern", erregt sich der Würstchenhersteller, sei "ein Verbrechen an der ganzen Branche". Dass einige Firmen noch immer Risikomaterial in ihre Würste stopften, sei schließlich von der Politik lange genug erlaubt worden. "Man hätte viel früher mehr Geld in die BSE-Forschung stecken müssen", klagt Dölling. "Stattdessen wurde uns vorgegaukelt, wir lebten auf einer Insel der Glückseligen."
Doch je mehr die Wissenschaftler in Erfahrung bringen, desto schlimmer kann es die Tierproduzenten treffen. Das Berliner Robert-Koch-Institut beispielsweise forderte an Weihnachten, auch alle geschlachteten Schafe einem BSE-Test zu unterziehen. Es bestehe "überhaupt kein Grund anzunehmen, dass Schafe gegen diese Erkrankung gefeit" seien, so Institutsdirektor Reinhard Kurth. Sie hätten schließlich das gleiche Tiermehl im Futter wie Kühe. Das Institut betreibe "Verunsicherung der Verbraucher durch unkorrekte Behauptungen", konterte umgehend der Vorsitzende der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände, Adolf Mannheims. Mehr als 70 % der Schafe würden in Deutschland auf Grünland weiden, eine Beifütterung mit Tiermehl sei schon aus Kostengründen nicht sinnvoll.
Dass Schafe über das Futter mit BSE infiziert werden könnten, versichert auch der Münchner Neuropathologe Hans Kretzschmar. Ob es "in der Landwirtschaft wirklich passiert ist", weiß er zwar nicht, glaubt aber, dies sei "sehr, sehr wahrscheinlich". Zumindest in Großbritannien hätten Schafe sehr wohl BSE-verseuchtes Futter bekommen, schrieb das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist im November. Bei den so infizierten Tieren entstehe eine BSE-Version, die der altbekannten Schafkrankheit Scrapie ähnele. Die Infektion beschränke sich indes nicht wie Scrapie auf Nerven, sondern verteile sich im ganzen Fleisch, so das Magazin.
Auch bei Rindern erscheint es zunehmend fraglich, ob die von Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner ausgegebene Parole, reines Muskelfleisch sei BSE-frei, noch zu halten ist. Wissenschaftler schließen eine Übertragung auf diese Weise nicht mehr vollkommen aus. Immerhin lassen sich offenbar im Blut erkrankter Tiere Indikatoren nachweisen, die auf den Erreger hindeuten. Das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim hat einen neuen BSE-Test zum Patent angemeldet, der die Seuche an lebenden Rindern schon im Blut nachweisen kann viel schneller also, als es bisher anhand von Hirn- und Nervengewebe toter Tiere möglich ist.
In Verdacht geraten jetzt auch Spezialmittel für Bodybuilder. Manche Eiweißpräparate zum Aufbau der Muskeln, das ahnen viele der Sportler nicht einmal, bestehen hauptsächlich aus Schlachtabfällen. "Da kommt etwas vom Kopf hinein und die Knochen, die Sehnen, das Blut und was weiß ich noch alles", räumt der Wiener Kraftpulverhersteller Wolfgang Peer ("Peeroton") ein. Dass die Bodybuilderpräparate gefährlich seien, will er nicht glauben: "Das wird hochgespielt." Der Arzt Hans Holdhaus, Leiter eines Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung in Niederösterreich, meint hingegen, bei derartigen Präparaten "kann man nur zur Vorsicht raten, BSE-Gefahr ist keineswegs auszuschließen". Der Begriff "Eiweiß" auf einem Beipackzettel klinge für die Konsumenten harmlos. Die Kennzeichnungsvorschriften müssten dringend verbessert werden, mahnt der Mediziner.
Klare Inhaltsangaben beim Tierfutter fordern inzwischen auch viele Bauern. "Auf jedem Joghurtbecher steht milligrammgenau drauf, was drin ist", klagt ein Landwirt aus Schleswig-Holstein. Bei den Futtermitteln genügt seit Jahren die nichts sagende Angabe "Eiweiß" oder "Stärke", ohne dass die Herkunft dieser Bestandteile näher definiert wird. Die "Bestimmungen zur Kennzeichnung von Futtermitteln" waren 1978 auf Drängen des Europäischen Verbands der Mischfutterindustrie "harmonisiert" und damit aufgeweicht worden. Viele Bauern wünschen sich jedoch, dass der damals abgeschaffte klare Herkunftsnachweis wieder eingeführt wird.
Wie Atomgegner bis zur folgenschweren Havarie von Tschernobyl wenig Gehör fanden, wurden auch Warnungen vor einer Ausweitung der Rinderseuche BSE jahrelang in den Wind geschlagen. Kritiker, die oft mundtot gemacht worden waren, melden sich jetzt wieder zu Wort. So sagt der Kieler Zoologie-Professor Sievert Lorenzen, schon 1994 sei der damalige niedersächsische Landwirtschaftsminister Funke informiert worden, dass an BSE erkrankte Import-Rinder auf einem Hof bei Hannover die Seuche vielleicht nicht eingeschleppt, sondern sich womöglich erst in Deutschland infiziert hätten. Funke sei dem Hinweis aber nicht ernsthaft nachgegangen.
L E B E N S M I T T E L K O N T R O L L EFrankreich startet wöchentliche BSE-Tests an 20.000 Rindern
Aus: Yahoo-News, 2. Januar 2001, 18.39 Uhr (Vermischtes). [Original]PARIS. Frankreich hat heute ein Massentest-Programm gegen BSE gestartet, mit dem ab sofort wöchentlich 20.000 geschlachtete Rinder auf die Seuche hin untersucht werden sollen. Die Tests sind EU-weit ab Juli 2001 vorgeschrieben, die Regierung in Paris ordnete sie jedoch bereits ein halbes Jahr früher an. In Frankreich werden wöchentlich zwischen 20.000 und 25.000 Rinder geschlachtet, die älter als 30 Monate sind. Bereits im vergangenen Sommer liefen Massentests an 48.000 verendeten Tieren an. Unterdessen wurde im südlichen Departement Tarn ein weiterer BSE-Fall bekannt, wie die Veterinärbehörden heute mitteilten.
B S E - S K A N D A L U N D D I E F O L G E NAmerika das Land der Regulierer
FDA: Von der Gesundheitsbehörde zur einflussreichen Konsumentenorganisation
Aus: Süddeutsche Zeitung, München, 5. Januar 2001, Seite ?? (Wirtschaft). [Original]WASHINGTON. Amerika ist das Land der Regulierer. Kaum ein anderes Land wird durch ein solch dichtes und komplexes Netz von Bürokratien überzogen, das funktionierende Märkte sicherstellen soll. Die Behörden formulieren Regeln, setzen sie in Kraft, kontrollieren und erzwingen gegebenenfalls ihre Einhaltung ihr Einfluss auf viele Bereiche der Wirtschaft und Gesellschaft ist deshalb nicht zu unterschätzen und manchmal größer als der von Ministern. Die Börsenaufsichtsbehörde Securities Exchange Commission (SEC) revolutionierte den Kleinanlegerschutz; die Telekommunikationsbehörde Federal Communications Commission (FCC) gestaltet den IT-Markt neu; und die Mammutbehörde Food and Drug Administration (FDA) reguliert nicht nur den Lebensmittel- und Arzneimittelmarkt, sie mischt mit Werbeverboten auch kräftig bei der großen Anti-Tabakkampagne mit.
Um die FDA wird Amerika inzwischen überall beneidet, vor allem in Europa, wo die Rinderseuche BSE den Ruf nach schärferen Regulierungen hat lauter werden lassen. Die FDA beschäftigt heute etwa 9000 Angestellte, davon sind 1100 Kontrolleure und Inspekteure, die auf 157 Städte im ganzen Land verteilt sind. Die Kontrolleure und Inspekteure überprüfen jedes Jahr 15.000 Fabriken danach, ob sie ihre Waren regelgerecht herstellen und korrekt auszeichnen. Bei den Untersuchungen werden auch jährlich bis zu 80.000 inländische und importierte Produktstichproben gesammelt und in die zentralen FDA-Labors zur Untersuchung durch Wissenschaftler gebracht. Für die FDA arbeiten mehr als 2000 Wissenschaftler, darunter vor allem Chemiker und Mikrobiologen. In Jefferson, Arkansas, unterhält sie das National Center for Toxicological Research, das biotechnische Wirkungen von weit verbreiteten Chemikalien testet, und in Winchester, Massachussetts, das Engeneering and Analytical Center, das Produkte auf ihre Radioaktivität testet. Entsprechend teuer ist die FDA inzwischen geworden. Der durchschnittliche Steuerzahler muss pro Jahr drei Dollar allein für die FDA abgeben.
Die Macht der FDA ist groß. 1927 entstand die Behörde als Food, Drug and Insectide Administration mit damals noch beschränkten Kompetenzen zur Regulierung der Gesundheits- und Lebensmittelmärkte. 1930 wurde ihr Name auf Food and Drug Administration (FDA) verkürzt; mit dem Federal Food, Drug and Cosmetic Act von 1938 bekam sie viele neue Kompetenzen hinzu, unter anderem die Zuständigkeit für Kosmetikprodukte. Sie bekam das Recht, Industriestandards für die Ernährungsindustrie zu setzen, und die Möglichkeit, Fabrikinspektionen anzuordnen.
Später wurden ihr auch die Rechte auf aktive Information und Erziehung des Volkes zugesprochen, was die FDA unter anderem beim Streit um Zigarettenkonsum wahrgenommen hat. Aus der einstigen Gesundheitsbehörde ist so eine einflussreiche Konsumentenorganisation geworden, die Produkte im Verkaufswert von einer Billion Dollar jährlich reguliert. Damit kontrolliert und beeinflusst die FDA heute nach eigenen Angaben ein Viertel des amerikanischen Konsummarktes.
Die FDA ist heute in sechs Abteilungen eingeteilt, die sehr unterschiedlichen Aufgaben nachgehen. Zum einen gibt es die eher wissenschaftlichen Abteilungen wie die der National Toxical Research, das Office für Biologic Evaluation und das Center of Radiological Health. Daneben gibt es noch das kleinere Center for Veterinary Medicine, das sich um Tierarzneien kümmert, und die beiden großen, politisch bedeutenden Abteilungen, die für Medikamente und die für den Ernährungsmarkt. Beide haben weit reichende Kompetenzen. Das Center for Drug Evaluation etwa, die Medikamentenabteilung, überwacht nicht nur den Arzneimittelmarkt, sie ist auch für Zulassungen zuständig und damit einer der wichtigsten Ansprechpartner der Pharmaindustrie.
Die FDA, auch wenn sie mächtig ist, regiert die Märkte nicht allein. Die Ernährungsabteilung der FDA etwa, das Center for Food Safety and Applied Nutrition (CFSAN), kümmert sich nach eigenen Angaben um inländische Nahrungsmittel im Wert von 240 Milliarden Dollar im Jahr, hinzu kommen importierte Lebensmittel im Wert von 15 Milliarden Dollar und Kosmetika (ebenfalls 15 Milliarden Dollar).
Der Präsident redet mit
Aber mehr als ein halbes Dutzend anderer Staatsorganisationen ist an dem System beteiligt, etwa das Gesundheitsministerium, dem die Behörde seit 1988 unterstellt ist. Die Behörde arbeitet zudem eng mit dem Landwirtschaftsministerium zusammen, mit dem Food Safety and Inspection Service (FSIS), der für die korrekte Auszeichnung speziell von Fleisch- und Eierwaren zuständig ist, daneben der Umweltbehörde Environment Protection Agency (EPA), der Zollabteilung des Finanzministeriums und weiteren Behörden. Außerdem hat bei allem immer noch der Präsident der Vereinigten Staaten mitzureden. Er bestimmt schließlich den Chef der Behörde, den FDA-Commissioner.5.1.2001 (bse-p). Während hierzulande das totale Kontroll-Chaos beim Tierfutter und Menschenfutter sprich Wurst herrscht, ist es der FDA immerhin mit sehr strengen Kontrollen gelungen, die USA bislang BSE-frei zu halten.
B S E - K R I S EEin Kraftfutterwerk ist keine Apotheke
Die Futtermittelindustrie rückt ins Zentrum der Kritik / Fahrlässigkeit an der Tagesordnung / Eingesparte Kontrollen
Aus: Süddeutsche Zeitung, München, 5. Januar 2001, Seite ?? (Wirtschaft). [Original]MÜNCHEN. Der Mann war schon vor Jahren in Rente gegangen. Jetzt muss der alte Herr wieder an seinen früheren Arbeitsplatz in der Bayerischen Landesanstalt für Ernährung zurückkehren, die für die Kontrolle von Viehfutter zuständig ist. Er hatte eine Fähigkeit mit in den Ruhestand genommen, die plötzlich wieder gefragt ist. Er konnte nämlich im Mikroskop erkennen, ob im Viehfutter unerlaubte Substanzen wie etwa Tiermehl untergemischt sind. Zu teuer, sagten sich in den neunziger Jahren die Bayern. Diese Arbeitsplätze, so beschloss das Münchener Landwirtschaftsministerium, könne man einsparen. Bayerische Futterproben wurden nach Niedersachsen und Rheinland-Pfalz geschickt.
Doch unter dem Eindruck der BSE-Krise muss Bayerns Landwirtschaftsminister Joseph Miller (CSU) erkennen, dass das ein Fehler war. Man kann sich auf die Proben in anderen Ländern nicht verlassen, sagt sein Sprecher. Wir bauen die Mikroskopierung wieder auf. Denn nur mit diesem altertümlich anmutenden Verfahren kann man das verbotene Tiermehl im Tierfutter entdecken. Der reaktivierte Rentner soll neue Mitarbeiter in seine Kunst einführen.
Auch in anderen Bundesländern sollen die Kontrollen des Kraftfutters für Nutztiere schnell verschärft werden. Denn das brachte das BSE-Desaster zum Vorschein: In der Vergangenheit konnten sich die etwa 500 deutschen Anbieter von Tierfutter offenbar allerhand Freiheiten leisten. Selbst wer die Grenzen der Legalität überschritt, lief nur ein geringes Risiko erwischt zu werden.
Gerd Sonnleitner, der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, von Haus aus ein Freund der Futterhersteller, geht aber inzwischen soweit, die ganze Futterbranche aufs Korn zu nehmen: In dieser Industrie werde offenbar gepanscht. Staatsanwälte sollten sich um die Praktiken der Futterhersteller kümmern. Kaum hatte der Bauernpräsident seine vagen Anschuldigungen losgelassen, heulte die Branche auch schon auf. Was Sonnleitner sagt, ist ganz schlimm, sagt ein Sprecher der DEUKA, des größten deutschen Tierfutterherstellers in Düsseldorf. Der ist zu weit gegangen. Hubert Grote, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Verbandes Tiernahrung, nennt die Verdächtigungen von Sonnleitner schlicht absurd.
Ein lukratives Geschäft
Doch die Agrarbranche hat sich selbst an den Pranger gebracht: Sie hat einst dafür gesorgt, dass auch noch tote Tiere vom kranken Hund über den alten Gaul bis zum Schlachtabfall in kleingeriebener Form wieder zu Tierfutter wurden. Sie machte aus Pflanzenfressern Kannibalen, bis die Natur in Form der BSE-Krankheit zurückschlug. Doch so entstand ein lukratives Geschäft für alle: Die Futtermittelhersteller, die in Deutschland rund 8 Milliarden DM Umsatz pro Jahr machen, konnten ihre Tiernahrung um billiges Eiweiß anreichern. Die Bauern freuten sich über günstiges Futter für Hühner und Schweine. Und die Tierkörper-Beseitiger konnten bis zum endgültigen Verbot von Tiermehl als Tierfutter vor gut einem Monat auch noch Geld für ihre Abfälle nehmen, die zum Teil sogar Sägespäne, Federn, Leder oder Borsten enthielten.Bauernlobby und Futterindustrie sorgten bei den Regierungen zudem dafür, dass die dem Futter mitgelieferten Informationen heute weit weniger über dessen Inhalt aussagen als 1985. Es gibt keine vernünftige Deklarationspflicht für Futtermittel, beklagt Peter Knitsch, Abteilungsleiter Verbraucherschutz im Düsseldorfer Landesministerium für Umwelt- und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Kein Tiermehlhersteller musste jemals mitteilen, aus welchen Substanzen sein Granulat erzeugt worden war [Ed: zwar legten bereits am 28.2.1984 (!) die Grünen einen Gesetzentwurf zur Offenlegung der Inhalte von Tierfutter vor, aber dieser wurde im Bundestag von SPD + CDU gemeinsam niedergestimmt].
Doch jetzt gerät die Tiernahrungsbranche verstärkt in den Verdacht, ihre Kunden hereingelegt zu haben. So soll sie den ahnungslosen Bauern sogar Kraftfutter für Rinder verkauft zu haben, das Tiermehl enthielt, obwohl diese Ingredienz für Wiederkäuer in Deutschland seit 1994 verboten ist. Bei einer Inspektion in Bayern fanden EU-Experten noch vor vier Monaten Tiermehl in drei Vierteln aller Futterproben für Rinder.
Es wird immer wieder Verschleppungen geben, sagt Futter-Verbandsmann Grote. So bezeichnen die Branchenvertreter elegant die Unsauberkeiten, die in dieser Industrie offenbar üblich sind. Da Hühner- oder Schweinefutter (die bis Anfang Dezember noch Tiermehl enthalten durften) in vielen Betrieben in der gleichen Maschine gemischt werden wie Rindernahrung, wurden immer wieder Anteile des verbotenen Kadavermehls im Trog der Wiederkäuer gefunden. Das sei normal, sagt Grote, und nicht zu vermeiden. Doch die unerlaubte Vermischung rührt auch daher, dass die Futterindustrie zum großen Teil aus Kleinbetrieben besteht, die sich getrennte Produktionslinien nicht leisten wollen. Warum aber funktioniert die Trennung in den Niederlanden? Aus dem Grote bricht es heraus: Ein Kraftfutterwerk ist nun mal keine Apotheke. Die Verbraucher fragen sich daher, ob es nicht doch sauberer geht. Vor allem wollen sie wissen, ob die Futterhersteller den Bauern mit Absicht oder aus Versehen verbotene Substanzen untermischen. Die Kontrollen sind perfekt, hält der Futter- Verbandsmann solchen Verdächtigungen entgegen.
Doch Branchenkenner wissen, dass die Kontrollen in dieser Branche erstaunlich lasch sind. Ein Futtermittelhersteller muss nicht mit dem Risiko leben, dass er erwischt wird,, weiß Professor Eberhard Graßmann von der Bayerischen Hauptversuchsanstalt für Landwirtschaft. Die Gefahr, beim Panschen von Viehfutter aufzufliegen, so sagen Insider, sei nicht größer als die Wahrscheinlichkeit, einen Strafzettel verpasst zu bekommen. Und offenbar gelten Verstöße gegen das Beimischungsverbot als Kavaliersdelikt. Fahrlässigkeit ist in dieser Industrie stark verbreitet: Es hat nach meinem Eindruck Betriebe gegeben, die die Gefahr nicht ausreichend Ernst genommen haben, sagt Peter Knitsch aus dem Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in Nordrhein- Westfalen.
Die Kontrollbehörden haben gar nicht die Mittel, alles zu finden, was clevere Futtermischer den Kühen in die Tröge werfen. Graßmann glaubt, dass manche Futterhersteller ihre Proben nur deshalb an die staatlichen Kontrolleure geben, um herauszufinden, was diese feststellen können. Wir haben manchmal das Gefühl, dass die wissen wollen, ob wir überhaupt etwas nachweisen können. Die deutschen Politiker können sich aber nicht damit herausreden, von den Problemen der Kontrolleure nichts zu wissen. Zum Beispiel bei den Mikroskopierern. Schon im September 1997 veröffentlichte der Verband Deutscher Landwirtschaftlicher Untersuchungs- und Forschungsanstalten einen Standpunkt: Die Einsparungen beim Staat hätten dazu geführt, dass die Mikroskopie den Anforderungen der täglichen Untersuchungspraxis nicht gerecht werden könnten. Dieses Verfahren sei aber das einzige, um Tiermehl im Viehfutter erkennen zu können. Im Hinblick auf eine BSE-Gefahr sei die Lage inzwischen besorgniserregend. Doch der Abbau der Mikroskopie-Planstellen ging weiter.
In großem Stil
Fragwürdig ist auch, wie die Regierungen in Bund und Ländern mit der Tiermehlerzeugung umgingen. Tatsächlich rührten die deutschen Futtererzeuger in großem Stil so genanntes Fleisch-Knochenmehl in ihre Tiernahrung. Das ist noch billiger als Tiermehl, das aus toten Tieren erzeugt, aber unter so hohem Druck und bei einer Temperatur von 133 Grad hergestellt wird, sodass die BSE-Erreger zerstört werden. Das Fleisch-Knochenmehl stammt aus Fleisch und Knochen kranker Tiere. Selbst Rinderköpfe und -gehirne, die als BSE-Herd gelten, wurden in dieses Granulat gemahlen. Das wurde aber bei Temperaturen erzeugt, die weit unter den BSE-Grenzwerten von 133 Grad lagen. In Frankreich gilt diese Mehlart daher seit Jahren als Risikomaterial. Diesen Unfug schafften im Juli 2000 aber nicht die deutschen Gesundheits- und Landwirtschaftspolitiker ab, sondern die EU-Kommission.
B S E - K R I S EFunke wann tritt er zurück?
Weil Landwirtschaftsminister Funke sich trotz der BSE-Krise gegen eine ökologische Agrar-Reform stemmt, gerät er innerhalb der Regierung unter Druck. Kanzler Schröder signalisiert Unterstützung für die Reformer, Funkes Staatssekretär Wille wird bereits als Nachfolger gehandelt. Jetzt "müssen Entscheidungen fallen", sagt ein Regierungsmitglied.
Aus: Spiegel-Online, Hamburg, 6. Januar 2001, 00.08 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]BERLIN. Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke hatte gestern das Reformkonzept aus seinem sowie dem Umweltministerium zu einer Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik als "nicht mit mir abgestimmt" bezeichnet. Dagegen sprach eine Regierungssprecherin von "einem guten Denkanstoß." Dies sei der richtige Ansatz, um die Vorgabe des Kanzlers "Weg von den Agrarfabriken" umzusetzen, hieß es aus Kreisen des Kanzleramtes.
In dem am Donnerstag [4.1.2001] veröffentlichten Reformkonzept hatten Funkes Staatsekretär Martin Wille und dessen Kollege Rainer Baake aus dem Umwelt-Ressort einen Sieben-Punkte-Plan zur Neuausrichtung der Agarpolitik vorgelegt. Darin fordern die Staatssekretäre die "Abkehr von der Massentierhaltung". Für die Förderung des Ökolandbaus schlagen sie vor, in den kommenden drei Jahren 500 Millionen Mark bereitzustellen. "Die bisherige Landwirtschaftspolitik muss grundlegend überprüft und angepasst werden", lautet das Fazit der beiden Staatssekretäre.
Funke selbst hatte dagegen bei einer gemeinsamen Sondersitzung des Agrar- und Gesundheitsausschusses des Bundestags ein eher bürokratisches Programm zu weiteren Schutzmaßnahmen gegen BSE vorgestellt. Danach sollen die Kontrollen von Futtermitteln, Tieren und Lebensmitteln verstärkt und Verstöße gegen bestehende Regelungen härter bestraft werden. Während die Staatssekretäre im ökologischen Landbau die zukünftige Form der Landwirtschaft sehen, schlägt Funke lediglich ein neues "Ökolandbaugesetz" vor, ohne konkrete Fördersummen zu nennen.
Und selbst darin kommt die Förderung ökologischer Produkte zu kurz. An erster Stelle stehen bei Funke die "einheitliche Überwachung der Ökobetriebe" und "scharfe Sanktionsregelungen bei Verstößen". Seit der BSE-Krise ist jedoch klar, dass vielmehr die Kontrollen der gewöhnlichen Mastviehhaltung zu wünschen übrig lassen. In dem Papier der Staatssekretäre war zudem gefordert worden, die milliardenschweren Agrarsubventionen der EU generell auch an Umweltanforderungen zu koppeln eine weitere Forderung, die sich Funke nicht zu eigen machen will.
Funke gerät in eine unhaltbare Situation
Der Agrarminister behauptete nach der Sondersitzung der Ausschüsse, dass er von dem Papier seines Staatssekretärs nichts gewusst habe. "Das Wille-Papier war nicht mit der Spitze des Hauses abgestimmt", sagte er und gab sich gelassen: "Wie in jedem Papier finden sich darin Dinge, mit denen man übereinstimmt, und andere, die man korrigieren muss."Damit gerät Minister Funke nach Einschätzung aus Regierungskreisen in eine unhaltbare Situation. Es sei nur schwer vorstellbar, wie der Konflikt ohne eine personelle oder institutionelle Erneuerung gelöst werden könne, sagte ein Regierungsmitglied. Staatsekretär Wille, der mit seinem Befreiungsschlag in Sachen ökologische Agrarreform eigentlich seinen Minister retten wollte, werde bereits als dessen möglicher Nachfolger erwogen. In jedem Falle müssten nun in der kommenden Woche "Entscheidungen fallen".
Ohne Ergebnis verlief gestern auch ein Treffen der Agrar- und Umweltstaatssekretäre von Bund und Ländern zu dem Sieben-Punkte- Programm. Es habe ein "Hauen und Stechen" gegeben, berichtete ein Teilnehmer der Sitzung. Beinahe alle Agrar- Ministerien mit Ausnahme der Vertreter aus Nordrhein- Westfalen und Schleswig-Holstein hätten vor allem die Interessen der etablierten Agrarindustrie vertreten und sich gegen eine weitreichende Ökologisierung der Nahrungsmittelproduktion ausgesprochen. Die Gruppe werde sich daher diesen Monat erneut treffen müssen, um einen Kompromiss zu erarbeiten. [mehr]
Die CDU bezeichnete eine verstärkte Förderung der ökologischen Landwirtschaft als ungeeignet zur BSE-Bekämpfung. Es habe sich gezeigt, dass die Rinderseuche BSE in Deutschland gerade bei Familienbetrieben und Vorzeigehöfen aufgetreten sei, sagte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Statt die "industrielle Landwirtschaft" zu verteufeln, solle die Bundesregierung den Bauern mehr Solidarität entgegenbringen, forderte Meyer bei der Vorstellung eines Zehn-Punkte- Programms zu BSE-Bekämpfung. Darin fordert die CDU unter anderem einen Solidaritätsfonds für Bauern.
[NABU: Kotau vor der Agrarlobby]
Bald Gen-Datenbank für Rinder?
Beschlussvorlage für Ministerrunde Mitte Januar / Joschka Fischer schließt Rücktritt der Gesundheitsheitsministerin aus
Aus: Der Tagesspiegel, Berlin, 7. Januar 2001, Seite 1 (Titel). Dokumentiert ist die Printfassung. [Original]BERLIN. Zwölf Bundesländer wollen den Landwirtschafts- und Umweltministern aus Bund und Ländern vorschlagen, sich für eine europaweite Gen-Datenbank für alle Rinder stark zu machen. Die Länder fordern mehr Transparenz für Verbraucher, die "gesundheitliche Unbedenklichkeit aller Nahrungsmittel", eine schärfere Überwachung von BSE, der Schafsseuche Scrapie und der Risikomaterialentfernung sowie dessen Vernichtung. Während die CDU den Rücktritt von Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) forderte, schloss Außenminister Joschka Fischer einen Rücktritt der grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer aus.
Die europaweite Gen-Datenbank für Rinder soll es Verbrauchern, Behörden, Landwirten, Händlern, Schlachthöfen und der Lebensmittelindustrie erleichtern, die Herkunft von Tier und Fleisch zweifelsfrei nachzuvollziehen. Dies, so die Länder, ist zweifelsfrei nur über eine Genom-Analyse möglich, für die eigens ein neues Ohrmarkensystem eingeführt werden soll. Diese Ohrmarke entnimmt beim Durchstechen der Ohren automatisch Gewebeproben aller neugeborenen Kälber. Für eine Neugestaltung der Agrarpolitik sprechen sich die Länder nicht aus und bleiben so vage wie Funke.
Der Vorschlag der Bundesländer, aus dem der Tagesspiegel zitiert, soll am 18. Januar zur Grundlage der Sitzung von Landwirtschafts- und Umweltministern aus Bund und Ländern werden. BSE habe zu einer "tiefgreifenden Verbraucherverunsicherung" geführt, weshalb die Politik reagieren müsse. "Ökonomische, ökologische und soziale Aspekte genauso wie die Belange des Verbraucherschutzes" sollen "in Einklang" stehen.
Die BSE-Beauftragte der Bundesregierung, Rechnungshofpräsidentin Hedda von Wedel, hat den zuständigen Ministerien in der BSE-Krise mangelhafte Zusammenarbeit vorgeworfen. Wedel zufolge sind die Kommunikationswege sowohl zwischen als auch innerhalb der Ministerien "zu kompliziert und zu lang". Es gebe "eine sehr zersplitterte Zuständigkeit", sagte sie der Welt am Sonntag. Sie werde bei ihren Untersuchungen auch der Frage eines neuen Zuschnitts der beiden Ministerien nachgehen. Nach Ansicht der Bundestierärztekammer sollte der Verbraucherschutz komplett im Gesundheitsministerium angesiedelt werden "frei von Einflüssen aus der Landwirtschaft".
Das Bundesgesundheitsministerium wies gestern Berichte zurück, es habe Landwirtschaftsminister Funke über alarmierende EU-Berichte zu BSE-Risiken in Deutschland erst mit sechswöchiger Verspätung informiert. Ein Ministeriumssprecher sagte, es seien dem Kabinettskollegen "zu keinem Zeitpunkt Informationen vorenthalten" worden. In dem umstrittenen Bericht von EU-Verbraucherkommissar David Byrne geht es um alarmierende Mängel bei der Erkennung von BSE-Risiken in Deutschland. Unter anderem sei vor der Verseuchung von Tierfutter gewarnt worden, berichtet der Spiegel.
Joschka Fischer nahm Andrea Fischer in Schutz: Wenn sich die Gesundheitsministerin auch einmal öffentlich falsch festgelegt habe, sei dies zwar "zu bedauern, daraus kann man aber keinen Rücktrittsgrund schnitzen nach der Art, Andrea Fischer habe absichtlich etwas verharmlost", sagte Fischer dem Tagesspiegel. Er fügte hinzu: "Ich denke, sie weiß nur zu gut, dass sie Konsequenzen im Sinne eines nachhaltigen Verbraucherschutzes zu ziehen hat."
Das Internationale Tierseuchenamt in Paris übte laut Focus deutliche Kritik an Funke. Der hatte in den vergangenen Wochen mehrfach erklärt, er habe sich stets auf das Pariser Amt verlassen, das Deutschland als "BSE-freie" Nation deklariert habe. Das Amt erklärte dagegen, seine Informationen "bezüglich BSE" stammten aus "deutschen Quellen". Es müsse sich "darauf verlassen, dass die Mitgliedsländer die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen machen".
[Agrarreform-Konzept der Staatssekretäre vom 4.1.2001]
Neue Vorwürfe gegen Funke in BSE-Krise
Aus: Yahoo-News, 7. Januar 2001, 15.54 Uhr (Politik). [Original]BERLIN. In der BSE-Krise sind neue Vorwürfe gegen Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) erhoben worden. Die "Welt am Sonntag" unter Berufung auf einen Brief mehrerer Kieler Wissenschaftler, Funke sei im Januar 1999 darüber informiert worden, dass BSE-Fälle in Deutschland im Inland und nicht durch Import von Rindern ausgelöst worden sein könnten. Ein Sprecher Funkes sagte heute, die Vorwürfe würden geprüft. Ähnliche Kritik der selben Wissenschaftler habe man vor Kurzem entkräften können. Das Gesundheitsministerium dementierte einen Bericht, es habe Informationen über Verseuchung von Tierfutter zurück gehalten. In Bayern wurden erneut Tierspuren in Futtermittel gefunden.
In dem Brief des Interdisziplinären Arbeitskreises für Forschung und Lehre der Kieler Christian-Albrechts- Universität vom 14. Januar 1999, den die Welt am Sonntag (WamS) in Ausrissen abdruckte, heißt es: "...entgegen amtlichen Verlautbarungen sind die deutschen BSE-Fälle sehr wahrscheinlich in Deutschland verursacht worden (...) und nicht im Herkunftsland". Mindestens die drei ersten deutschen BSE-Fälle seien zwischen 1989 und 1991 auf einem Hof bei Hannover verursacht worden. Nach offiziellen Angaben ist der erste BSE-Fall bei einem deutschen Rind [erst am] 26. November 2000 nachgewiesen worden.
Die Zeitung zitiert aus dem Brief der Kieler Wissenschaftler weiter, es sei "wissenschaftlich haltbar", dass BSE durch Tiermehl übertragen werden könne. Tiermehl darf seit 1994 in Deutschland nicht mehr an Rinder verfüttert werden, seit Dezember 2000 ist die Verfütterung generell verboten. In Bayern wurden jedoch am Wochenende in 7 von 38 Futterproben tierische Bestandteile gefunden. BSE steht im Verdacht, beim Menschen die tödliche Creutzfeld-Jakob- Krankheit auszulösen.
Einer der Autoren des Briefes, der Zoologie-Professor Sievert Lorenzen, sagte der WamS: "Die ersten BSE-Fälle wurden unter den Teppich gekehrt." Man habe bei Funke "wie gegen eine Betonmauer geredet". Funkes Antwortbrief auf das Schreiben der Wissenschaftler sei "nichts sagend" gewesen. Ein Sprecher des Agrarministeriums sagte, die Vorwürfe würden geprüft. Im Dezember habe jedoch schon einmal Kritik der selben Wissenschaftler entkräftet werden können. Damals hätten sie dem Ministerium vorgeworfen, bei einem BSE-Fall von 1994 Verdachtsmomente vertuscht zu haben.
Das Gesundheitsministerium wies einen Spiegel-Bericht zurück, es habe Informationen über BSE nicht an das Agrarministerium weiter gegeben. Man habe am 9. November vertrauliche Informationen von der EU erhalten und diese sofort Agrar-Staatssekretär Martin Wille übermittelt. Im Dezember war bekannt geworden, dass in beiden Ministerien Informationen nur zögerlich weiter geleitet worden waren.
Erneut forderten CDU und FDP den Rücktritt von Funke und Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne). Fischer sei "vollkommen überfordert" mit der Bewältigung der BSE- Krise, sagte der FDP- Generalsekretär und designierte FDP- Chef Guido Westerwelle im ZDF. Das Kürzel BSE stehe bei Fischer für "Bitte sofort entlassen". CDU- Generalsekretär Laurenz Meyer sagte, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), "der so viele schwache Minister um sich hat", müsse handeln.
SPD-Generalsekretär Franz Müntefering wies die Forderungen zurück. "Die beiden Minister beziehungsweise Ministerin werden in ihren Funktionen bleiben", sagte er im Deutschlandfunk. Er räumte aber auch Fehler der Regierung im Kampf gegen BSE ein. Auch Grünen-Chefin Renate Künast sagte, sie sei "absolut nicht glücklich" damit, wie mit der Krise umgegangen worden sei.
Weitere Services zu den Themen BSE sowie Gift im Essen von khd | |||
|
|
|
|
Hier gibt es keine gekauften Links! |
|