BSE & Co in den Medien – Teil 7 khd
Stand:  3.6.2003   (52. Ed.)  –  File: M/edien07.html




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (8. Teil).
  • 11.11.2000: Brüssel unterstützt Fischer: BSE-Schnelltests umgehend einführen.
  • 09.11.2000: Bundesregierung: Sofortige BSE-Schnelltests gefordert.
  • 08.11.2000: EU will Lebensmittelsicherheit vom Trog zum Teller garantieren.
  • 08.11.2000: Neue Erkenntnisse lassen zweifeln, ob Europas Rinderwahn gebannt ist.
  • 07.11.2000: Französische Züchter nehmen wegen BSE 1 Million Rinder vom Markt.
  • 06.11.2000: Streit über Rindfleisch-Verbot in Frankreich.
  • 06.11.2000: Seuchen: Ansteckung durch Spenderblut? (Zur BSE-Krise)
  • 04.11.2000: Wieder Dioxin im Tierfutter.
  • 03.11.2000: BSE-Skandal heizt Streit über Exportverbot an.   [Kommentar]
  • 02.11.2000: Maßnahmen gegen BSE ungenügend.
  • 02.11.2000: Rinderwahn – Wahnsinn mit Methode.
  • Ältere Presseberichte  (6. Teil).



    Rinderwahn — Wahnsinn mit Methode

    Der jetzt veröffentlichte britische BSE-Report ist ein Dokument der Irrwege

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 45, 2. November 2000, Seite ?? (Wissen) von JÜRGEN KRÖNIG. [Original]

    Eindringlicher konnte nicht vor Augen geführt werden, dass ein Ende der BSE-Krise noch lange nicht in Sicht ist: Die Bilder der 14-jährigen Zoe Jeffries aus England, die qualvoll der menschlichen Variante des Rinderwahns erlag, gingen in den vergangenen Tagen um die Welt. Ein noch größerer Schock für die Wissenschaftler war jedoch die Meldung, dass erstmals ein alter Mensch der neuen Variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK [= nvCJD]) zum Opfer fiel. Denn der Tod des 74-jährigen Rentners zwingt die Epidemiologen, ihre Prognosen über die Zahl der möglichen Todesopfer zu revidieren.

    Hatte bisher die Krankheit vor allem junge Menschen getroffen – kein Erkrankter war älter als 53 Jahre –, so scheint jetzt plötzlich niemand mehr vor ihr sicher zu sein. Roy Anderson, Epidemiologe an der Universität Oxford und einer der Berater der Regierung, erwartet nun "mindestens" ein paar hundert vCJK-Fälle; als "schlimmstmögliches Szenario" kann er sich sogar rund 150.000 Tote vorstellen. Statistische Berechnungen dieser Art besitzen allerdings nur begrenzte Aussagekraft. Sie beruhen im Wesentlichen auf der Extrapolation vorhandener Daten. Stiege allerdings die vCJK-Kurve im nächsten Jahr steil an oder erkrankten mehr Alte an der Krankheit, müssten die Zahlen erneut korrigiert werden. Sicherere Angaben traut sich derzeit niemand zu. Allzu viele Fragen sind noch offen: Wie infizieren sich die Menschen? Wie viele sind bereits infiziert? Wie lange dauert es bis zum Ausbruch der Krankheit? Derzeit fehlt noch jeder schlüssige Hinweis auf diese so genannte Inkubationszeit der stets tödlich verlaufenden Krankheit, gegen die noch kein Mittel gefunden wurde.

    Nach 14 Jahren der Forschung gibt es immer noch erschreckend viele weiße Flecken auf der Landkarte wissenschaftlicher Erkenntnis über BSE und ihr menschliches Pendant vCJK [nvCJD]. Der Tausende von Seiten umfassende Report der britischen BSE- Untersuchungskommission, der Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde, hat zu der Ungewissheit eher noch beigetragen. Nach beinahe drei Jahren Arbeit, der Befragung Hunderter Zeugen, dem Studium unzähliger Akten und Papiere hat der Report zum Thema BSE mehr offene Fragen als Antworten geliefert. Denn rundheraus erklärt die Kommission eine ganze Reihe von Annahmen zur Makulatur, die nicht nur in der ÷ffentlichkeit, sondern zum Teil sogar in der wissenschaftlichen Zunft als gesicherte Fakten galten.

    Klar ist zunächst nur eines: Zwischen dem Rinderwahn und den bislang über 80 vCJK-Toten besteht tatsächlich ein Zusammenhang. Die Regierung Blair trug dieser Erkenntnis Rechnung, indem sie die Familien der vCJK- Opfer entschädigte und ankündigte, dass sie auch in allen künftigen Fällen so verfahren wolle – selbst wenn dies den Staat Milliarden kosten sollte.

    Viele Angehörige der Opfer hätten sich allerdings eine härtere Verdammung all der Beamten, Wissenschaftler und Politiker gewünscht, die jahrelang wider besseres Wissen die ÷ffentlichkeit über mögliche Gefahren für den Menschen im Unklaren gelassen hatten. Der Report bedient sich einer behutsamen Sprache; peinlich genau wurde darauf geachtet, nicht aus der überlegenen Position derjenigen zu urteilen, die es im Nachhinein besser wissen. Dennoch spießt der Report eine Fülle von gravierenden Fehlern auf; zugleich wirft er ein grelles Schlaglicht auf eine bedenkliche Verflechtung von politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen, die letztlich zu der BSE-Krise erst geführt haben. Damit wird der Report nicht nur für die britische Regierung zum Lehrstück darüber, wie man solche heiklen Fragen zwischen Wissenschaft und Politik behandeln sollte – und wie besser nicht.

    Hat sich der Erreger schon längst in Deutschland ausgebreitet?

    Zwar ist BSE ein "eigentümlich britisches Phänomen", wie die Experten offen zugeben. 99 Prozent aller BSE- und 95 Prozent der vCJK-Fälle, die bis heute bekannt wurden, sind in Großbritannien aufgetaucht. Doch langsam beginnt der Rinderwahn auch anderswo um sich zu greifen – in Frankreich und Portugal nehmen die BSE-Fälle zu; Irland und die Schweiz, lange die einzigen Länder mit "originären", nichtimportierten BSE-Kühen, haben das Problem immer noch nicht zu beseitigen vermocht. Aus Frankreich sind bislang drei vCJK-Fälle bekannt, drei weitere Opfer dürften in Kürze offiziell bestätigt werden. Schon geht die Furcht bei den Nachbarn um: Der niedersächsische Landwirtschaftsminister Uwe Bartels forderte jüngst ein striktes Importverbot für Rindfleisch und Rindfleischprodukte aus Frankreich.

    Die Europäische Kommission in Brüssel allerdings hält dagegen: Sie sieht noch keinen Handlungsbedarf. Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss, das höchste Beratergremium der EU, spielt den Ball gar an die Deutschen zurück. In einer groß angelegten Untersuchung kam das Steering Committee kürzlich zu dem Schluss, dass sich der Erreger der BSE-Seuche "wahrscheinlich" auch in Deutschland ausgebreitet habe, allerdings bislang wegen mangelnder Untersuchungen noch nicht nachgewiesen wurde.

    Umso zwingender ist es also nicht allein für die Briten, die richtigen Lehren aus der bislang schlimmsten Katastrophe der intensiven Landwirtschaft in Europa zu ziehen. In Zukunft ist vor allem schonungslose Offenheit geboten, an der es in Großbritannien notorisch gemangelt hat. Über lange Jahre, von 1988 bis Anfang 1996, haben britische Wissenschaftler und Politiker potenzielle Gefahren des Rinderwahns für den Menschen verneint. "Irreführung" nennt das der Genetiker Malcolm Ferguson Smith von der Universität Cambridge, der die wissenschaftliche Seite der BSE-Untersuchung leitete. Wenn sich nicht einmal heute etwas über die Inkubationszeit von vCJK sagen lasse, argumentiert Smith, hätte man zu Beginn der Neunziger, wenige Jahre nach dem Ausbruch von BSE, ein Risiko für den Menschen auf keinen Fall bestreiten dürfen.

    Die Wissenschaft musste ihre Zurückhaltung mit einem dramatischen Vertrauensverlust bezahlen. Zwar sprach 1989 der so genannte Southwood-Report, die erste Bestandsaufnahme durch ein Expertenkomitee, von einem "verschwindend kleinen Risiko"; doch der dezente Hinweis mutierte in den offiziellen Stellungnahmen von Wissenschaftlern und Politikern der Regierungen Thatcher und Major alsbald zur absoluten Entwarnung – aus heutiger Sicht eine fatale Fehleinschätzung.

    Diese Sünden der frühen BSE-Jahre sollten alle Beteiligten davor bewahren, in der heikelsten Frage der BSE-Krise heute Gewissheit vorzutäuschen. Für die meisten Medien wie für ihr Publikum mag zwar feststehen, dass BSE-infiziertes Rindfleisch für den Tod der meist jungen Menschen verantwortlich ist. Doch die Forschung hat das bislang nicht sicher belegen können. Wie haben sich etwa die Vegetarier infiziert, die sich unter den britischen Opfern finden? Nach wie vor tappt man im Dunkeln. Noch ist nicht einmal der Mechanismus bekannt, wodurch körpereigene Eiweiße, die so genannten Prione, im Gehirn in eine krankhafte, infektiöse Form verwandelt werden.

    Der Verzehr von BSE-infiziertem Fleisch bleibt, wie 1996 erstmals von der Londoner Regierung eingeräumt wurde, eine wichtige Möglichkeit, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Identität des chemischen Fingerabdruckes von BSE und vCJK, in diversen Tests zuerst vom Londoner Biochemiker John Collinge nachgewiesen, ließ stets zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder wird die eine Krankheit beim Menschen direkt durch die Rinderkrankheit ausgelöst – oder BSE und vCJK lassen sich beide auf eine gemeinsame, noch unbekannte Ursache zurückführen. Möglicherweise, so spekuliert die BSE-Kommission, sind auch Umweltfaktoren wie Schwermetalle und Chemikalien im Spiel. Kurz gesagt: Nichts Genaues weiß man nicht.

    In dieser Situation erhalten auch Außenseiterhypothesen wieder Auftrieb. Werden etwa die Prionen nicht durch eine biologische Infektion, sondern durch eine chemische Reaktion verändert? Mark Purdey, Farmer und Forscher, entwickelte in diversen Veröffentlichungen die Theorie, ein Organophosphat-Pestizid, mit dem Rinder gegen die Dasselfliege geschützt werden sollen, löse zusammen mit Kupfermangel und erhöhter Manganzufuhr in den Gehirnzellen die Mutation des gesunden Prions in seine krankhafte Form aus.

    Nach Labortests zog der Neurologe Stephen Whatley vom Londoner Institut für Psychiatrie das Fazit, das Pestizid "könnte zumindest die Empfänglichkeit für BSE erhöhen", ein Urteil, dem sich die BSE-Kommission nun anschließt. Als Ursache der Rinderseuche schließen die Experten das Insektenbekämpfungsmittel jedoch nach wie vor entschieden aus. Ferguson Smith kündigt allerdings Tests an, bei denen BSE-infizierte Kühe mit Organophosphaten behandelt werden sollen – "um zu sehen, ob der Rinderwahn dann beschleunigt ausbricht".

    David Brown, Biochemiker der Cambridge University, wies inzwischen in Labortests nach, dass ein Übermaß an Mangan ein gesundes Prion dazu bringen kann, die krankhafte Form anzunehmen. Dazu passe, dass bis 1988 dem Fleisch- und Knochenmehl für Kühe große Mengen von stark manganbelastetem Hühnerkot beigemengt wurden. Auch die amerikanischen Forscher Joseph Beckman und Ashley Bush bringen neurologische Erkrankungen von Alzheimer bis zu CJD mit Störungen der Hirnfunktion durch toxische Metalle in Verbindung. [Weitere Hypothesen]

    Sollte sich bestätigen, dass eine solche Kombination von Umweltfaktoren bei der Entstehung von Prionenkrankheiten mitwirkt, würde die unübersichtliche Gesamtlage eher noch komplizierter. Denn damit könnte keinesfalls ausgeschlossen werden, dass kontaminiertes Fleisch immer noch eine wichtige Infektionsquelle darstellt. Mit großer Besorgnis diskutieren Experten weltweit auch die Rolle von Impfstoffen und Blutprodukten bei der Verbreitung von vCJK. In Deutschland, den USA und anderen Ländern werden Blutprodukte britischer Herkunft nicht mehr verwendet.

    Das neue Rätselraten macht eines deutlich: Ministerialbeamte, Veterinäre und wissenschaftliche Stäbe des britischen Agrarministeriums haben von Beginn an versäumt, verschiedene Pfade zugleich zu erkunden, Hypothesen zu prüfen oder auch nur unbequeme Fragen zuzulassen. Der Physiologe Colin Blakemore, Vorsitzender der britischen Association for the Advancement of Science, beklagt, dass alleine jene Forschung massiv gefördert worden sei, die wirtschaftlichen Interessen entsprach. Nur der Regierung genehme Experten erhielten Einladungen in die Beratergremien. Mit Außenseitern und Häretikern ging die "offizielle" Wissenschaft oft ziemlich ruppig um – frühe Warner wie der Mikrobiologe Richard Lacey (der ein Horrorszenario mit Millionen von Toten ausmalte) oder der Mediziner Stephen Dealler können ein Lied davon singen.

    Die Schafe sind unschuldig, verdächtig ist eine mutierte Kuh

    Daher lautet eine wichtige Lehre aus dem BSE-Skandal: Forschung muss offen bleiben für alternative Hypothesen, auch wenn sie zunächst abwegig klingen. Zu früh erlagen die britischen Experten der Versuchung (oder dem Druck), sich festzulegen. Ein Beispiel dafür ist die bislang immer noch unbeantwortete Frage nach dem Ursprung der Rinderseuche. Der seither diskutierte Einsatz von Fleisch- und Knochenmehl als Tierfutter, der die Kühe zum Kannibalismus zwang, ist allenfalls der Weg, auf dem BSE verbreitet wurde. Doch immer noch verkünden Wissenschaftler auf dem Kontinent, durch die Verfütterung von Schafkadavern sei die Schafkrankheit Scrapie aufs Rind übergesprungen.

    Dabei wussten die Veterinäre des britischen Agrarministeriums spätestens seit Mitte der neunziger Jahre, dass diese These obsolet war. Ihre eigenen Tests zeigten, dass zwischen mehr als 30 verschiedenen Scrapie-Stämmen und dem einzigen BSE-Stamm kaum Ÿhnlichkeit besteht. Doch schien es dem Agrarministerium ganz recht, dass quer durch Europa bis zuletzt eine Theorie verbreitet wurde, die der Genetiker Ferguson Smith heute mit der höflichen Bemerkung: "Leider völlig falsch" quittiert.

    Gerade die längst hinfällige Scrapie-These trug dazu bei, dass das Risiko für den Menschen nicht ernst genug genommen wurde. Schließlich, so dachten viele, war die Schafkrankheit in über 200 Jahren nicht zur Bedrohung für den Menschen geworden. Warum sollte Scrapie im Rind dann gefährlich sein und die Artengrenze überschreiten? Stattdessen entschied sich die Kommission für eine Version, die in Kreisen der Royal Society geboren wurde: Als Ursprung des Rinderwahns galt fortan die zufällige genetische Mutation in einer Kuh in Südwestengland in den siebziger Jahren, die dann an ihre Artgenossen verfüttert wurde; das habe zunächst zu einer Miniepidemie geführt, die sich immer weiter ausweitete.

    Doch diese These ist – wie der Report heute zugibt – weder zu beweisen noch zu widerlegen. Die meisten Veterinäre finden die Vermutung plausibler, dass BSE in sporadischer Form immer schon in den Herden schlummerte und sich durch veränderte Farmpraktiken und Kannibalisierung zur aggressiven Krankheit wandelte. Viele Bauern erzählen von einzelnen Rindern, so genannten downercows, die durch erratisches, "verrücktes" Verhalten auffielen, geschlachtet und dann als durchaus willkommene Proteinzufuhr für ihre Artgenossen genutzt wurden.

    Ein Fragezeichen steht selbst hinter der generell akzeptierten These vom Fleisch und Knochenmehl als Vehikel der Infektion. Ein schlagender Beweis wäre durch die Verfütterung dieses Materials aus den Säcken der Industrie an eine Versuchsherde zu gewinnen gewesen – nach vier bis fünf Jahren hätte das eine oder andere Tier BSE bekommen müssen. Doch ein solcher direkter Nachweis ist nie gelungen. Infektionen erzielte man nur dann, wenn homogenisiertes Gehirngewebe direkt gespritzt oder verfüttert wurde – und das ist "schon ein Unterschied zu der normalen Kost", wie Bruno Oesch vom Züricher Prionics-Institut trocken feststellt.

    Er plädiert für den Einsatz eines von ihm entwickelten Tests, der BSE bereits in einem frühen Stadium zu erkennen vermag, bevor die krankhaften Symptome sichtbar werden. Agrarverbände und die Fleischindustrie lehnen dies mit Verweis auf die hohen Kosten bislang ab. Doch solche Argumente lässt Oesch nicht gelten. 1996 habe allein die Schweiz den Fleischmarkt mit Stützkäufen im Umfang von 120 Millionen Franken stabilisieren wollen. "Damit könnten wir zehn Jahre lang alle Schweizer Rinder testen", spottet Oesch.

    Doch nicht nur die unheilige Allianz von Industrie und Politik steht am Pranger. Auch die Wissenschaftler selbst müssen sich Vorwürfe gefallen lassen. Weder begehrten kontinentaleuropäische Forscher auf, wenn die Kollegen von der Insel Auskünfte oder Gewebeproben verweigerten, noch protestierten sie, als nicht mehr zu übersehen war, dass sich britische Wissenschaftler von politischen und ökonomischen Interessen beeinflussen ließen. Die meisten gaben nur im privaten Gespräch kritische Worte von sich, nach außen standen die Forscher mit ihren britischen Kollegen zumeist in engem, wenn auch nicht immer behaglichem Schulterschluss.

    So wurden europaweit politische Entscheidungen getroffen und teure Forschungsprojekte aufgelegt, die auf der oft nicht ganz zuverlässigen Expertise der britischen Institutionen basierten. Der britische BSE-Report gelobt Besserung. Künftig soll vorbehaltlos geforscht werden. Der Vertrauensverlust, den die Wissenschaft mit der BSE-Krise erlitten hat, wäre jedoch nur dann wieder gutzumachen, wenn wissenschaftliche Experten sich in Zukunft radikal dagegen wehren würden, sich vor den Karren politischer und ökonomischer Interessen spannen zu lassen. Das wird sich spätestens bei der nächsten Verbraucherkrise zeigen. [Kommentar]

    Unter www/zeit.de/2000/45/rinderwahn/ finden Sie weitere Informationen über den BSE-Skandal und den Report der britischen BSE-Kommission.

    [Chronik des BSE-Skandals]
    [DIE ZEIT: Böse Überraschungen – Zur BSE-Politik]
    [Informationen der Weltgesundheitsorganisation über BSE und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit]
    [Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände forderte kurz nach der Veröffentlichung der britischen Studie ein Netzwerk für mehr Lebensmittelsicherheit]



    Maßnahmen gegen BSE ungenügend

    In der Schweiz sind zwei junge Kühe an der Rinderseuche erkrankt – trotz aller Versuche, Neuinfektionen mit dem Erreger zu verhindern

    Aus:
    Süddeutsche Zeitung, 2. November 2000, Seite ?? (Wissenschaft). [Original]

    BERN. Die Maßnahmen, mit denen die Schweiz eine Ausbreitung von BSE verhindert wollte, reichen nicht aus. Das zeigen die Fälle zweier Schweizer Kühe, die kürzlich am Rinderwahn erkrankten. Die Tiere waren Ende 1996 und Anfang 1997 geboren worden. Zu dieser Zeit war es schon seit etwa sechs Jahren verboten, Tiermehl an Rinder zu verfüttern. Dieses Futtermittel steht im Verdacht, mit den BSE-Erregern verseucht zu sein.

    Löcher im Maßnahmenpaket

    Seit Mai 1996 war es darüber hinaus untersagt, Risikoorgane der Rinder wie Gehirn, Rückenmark, Augen und Mandeln als Hühner- und Schweinefutter zu verwenden. Die Behörden hatten angenommen, dass damit auch die Gefahr einer Verseuchung des Rindviehfutters durch anderes Tierfutter ausgeschlossen sei.

    Wie die BSE-Expertin Dagmar Heim vom Schweizer Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) zugab, gibt es im Maßnahmenpaket gegen Neuinfektionen noch Löcher. "Wir wissen aber nicht wo", stellte sie fest.

    Infektionsweg unklar

    Bisher ist noch kein anderer Infektionsweg identifiziert worden als über das Tierfutter, von der Mutter auf das Kind und über das Blut. Heute vor zehn Jahren war in der Schweiz der erste BSE-Fall auf dem europäischen Kontinent entdeckt worden, bei dem es sich nicht um ein aus Großbritannien importiertes Tier handelte. Insgesamt ist die Zahl der erkrankten Tiere im Alpenland inzwischen auf 362 gestiegen.

    Mehr BSE-Schnelltests gefordert

    Angesichts der BSE-Probleme in Großbritannien und in Frankreich kündigte die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn an, dass in Deutschland ab 2001 alle verendeten Tiere auf die BSE- Erreger getestet werden sollen. Auch nicht auffällig gewordene Tiere würden dem BSE- Schnelltest stichprobenartig unterzogen. Die EU fordert von den Mitgliedsstaaten dagegen lediglich, ab dem nächsten Jahr jedes zehnte verendete Tier zu überprüfen.

    Grünenpolitikerin Höhn forderte erneut ein Exportverbot von Rindfleisch aus Großbritannien und auch aus Frankreich. Russland hat inzwischen die Einfuhr der Fleischprodukte aus Frankreich eingeschränkt.



    BSE-Skandal heizt Streit über Exportverbot an

    Expertenrunde soll über Maßnahmen beraten / Funke gegen Stopp für französisches Rindfleisch

    Aus:
    Yahoo-News, 3. November 2000, 13.52 Uhr (Politik). [Original]

    BERLIN. Der BSE-Skandal in Frankreich und zwei Tote in Großbritannien haben den Streit über ein Exportverbot für Rindfleisch aus diesen Ländern weiter angeheizt. Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke schloss ein Verbot heute jedoch aus. Sein Haus und das Gesundheitsministerium machen mögliche Maßnahmen vom Ergebnis einer neuen Expertenrunde abhängig.

    Zu dem Gespräch seien Sachverständige aus den Bundesländern und den Bundestagsfraktionen für den 22. November nach Bonn eingeladen, erklärte die Sprecherin des Gesundheitsministeriums, Sabine Lauxen, in Berlin. Dabei sollten alle Fragen angesprochen und analysiert werden. Auf der Grundlage dieses Gesprächs wollten die zuständigen Ministerien dann weitere Schritte überlegen [Ed: in der Schweiz reagiert man schneller].

    "Forderungen nach einem Exportverbot für französisches Rindfleisch schießen über das Ziel hinaus", sagte Funke der Berliner Tageszeitung BZ. Frankreich führe zusätzlich zu den EU-Schutzmaßnahmen etwa 45.000 Stichproben mit BSE-Schnelltests durch. "Man kann also nicht von einer Gefahr sprechen", sagte der SPD-Politiker. Dennoch habe man die EU aufgefordert, die Lage in Frankreich zu überprüfen. Dort war Ende Oktober bekannt geworden, dass Fleisch von Rindern aus der Herde eines BSE-kranken Tieres in den Handel gelangt war.

    Wegen der Bedenken mehrerer Bundesländer will Funke sich mit deren Vertretern und Wissenschaftlern über weitere Schritte verständigen. Dabei gehe es auch darum, ob die schon bestehende Pflicht zur klaren Herkunftsangabe von deutschem Rindfleisch überall erfüllt werde [Ed: und wie ist das mit der Wurst – da stehen keine Herkunftsangaben?].

    Die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm sprach sich in der Welt für ein sofortiges europäisches Exportverbot für britisches Rindfleisch aus. Der Gesundheitsschutz für Verbraucher müsse oberste Priorität haben und die Bundesregierung unverzüglich aktiv werden, verlangte die CSU-Politikerin. Bereits zuvor hatten auch die nordrhein- westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) und die hessische Sozialministerin Marlies Mosiek-Urbahn (CDU) einen Ausfuhrstopp für Rindfleisch aus Frankreich und Großbritannien gefordert. [mehr]

    Im Interesse der Verbraucher handeln

    4.11.2000 (khd). Also vergleicht man die Geschwindigkeit, mit der die Schweizer sich auf die neue Erkenntnissituation beim BSE einstellen, mit der Reaktion deutscher Politiker, dann kann man als langjähriger Beobachter der BSE-Krise – angesichts des offensichtlich fehlenden Politiker- Durchblicks – nur noch den Kopf schütteln. Es geht jetzt ganz klar um das Verhindern der weiteren Ausbreitung krankmachender Prionen – der BSE-Erreger, die sowieso an keinen Landes- oder Arten- Grenzen haltmachen. Ex- oder Importverbote von Rindfleisch helfen da nur noch wenig. Das BSE-Übel muß an der Wurzel gepackt werden.

    Es ist der (Haupt-) Pfad, auf dem sich BSE verbreitet, der beseitigt werden muß. Denn wir müssen nun davon ausgehen, daß sich Prionen wegen der Fütterungspraxis mit Tiermehlen (MBM) längst über viele andere Tiere – darunter Schweine, Geflügel und Zuchtfische – fast ungestört ausbreiten konnten („Mad meat“ in New Scientist vom 4.11.2000). Und deshalb muß jetzt zügig von der EU-Kommission ein Totalverbot von Tiermehlen sowie die Vernichtung aller Bestände angeordnet werden. Aber auch um das lückenlose BSE-Testen von Fleisch und Wurst wird man angesichts der jahrelangen Saumseligkeit kaum noch herumkommen. Mit der Lachnummer „Herkunftskennzeichnung“ jedenfalls ist es nun nicht mehr getan.

    In Deutschland gibt es angeblich „keine Probleme mit der Prionen- Übertragung durch Tiermehl“. Es soll mit Dampfhochdruck bei rund 135 Grad Celsius wirksam dekontaminiert werden. Wenn aber nach dem Einäschern von BSE-Rindern bei viel höheren Temperaturen in Großbritannien in der Asche noch immer Prionen vorhanden sind („Infected ash leaks from cattle carcass incinerators“ in The Observer vom 29.10.2000), dann sind Zweifel an der Sicherheit der deutschen Tiermehl- Produktion angebracht.

    In der deutschen und europäischen BSE-Politik müssen endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Und es darf keine Tabus mehr geben. Denn wir wissen auch nach 16 Jahren der BSE-Seuche noch immer viel zu wenig über das Wirken der zerstörerischen Prionen – der neben Bakterien, Viren, Pilzen und Protozoen völlig neuen Erregerart. So ist das Risiko viel zu hoch, um mit nur halben Maßnahmen (z. B. Fleischetikettierung) mit dem Leben von Menschen zu spielen. Deshalb darf angesichts der aktuellen BSE- Situation auf die Interessen der Agrar- Industrie keine Rücksicht mehr genommen werden, wenn es darum geht, die Gesundheit der Bevölkerung durch wirksameres Handeln dauerhaft zu schützen.

    [8.11.2000: Kommentar von Prof. A. S. Kekulé]



    Wieder Dioxin im Tierfutter

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 4. November 2000, 10.34 Uhr zum Artikel "Vitamine mit Dioxin" im SPIEGEL – 45/2000, 6. November 2000, Seite 18 (Panorama Deutschland).

    HAMBURG. Neue Dioxin-Fälle belasten die Futtermittelbranche. Deutsche Kontrolleure wiesen große Mengen der hochgiftigen Umweltchemikalie in Vitamin- Mischungen für Nutz- und Heimtiernahrung nach – schreibt das Nachrichten- Magazin DER SPIEGEL in der aktuellen Ausgabe. Der in Belgien hergestellte Grundstoff (Cholinchlorid) war in Spanien weiterverarbeitet und nach Deutschland exportiert worden. Das spanische Unternehmen setzte der Futtervormischung Sägemehl zu, das mit dem Holzschutzmittel Pentachlorphenol (PCP) verseucht war und deshalb auch Dioxin-Spuren enthielt, so die bisherige Erkenntnis des Ständigen Ausschusses für Tierernährung der EU.

    Dem Bundeslandwirtschaftsministerium zufolge sind inzwischen „die hochbelasteten Vormischungen aus dem Verkehr gezogen“ worden. Teilweise „sehr hohe Dioxin- Gehalte“ spürten die deutschen Kontrolleure auch in Kupfer- und Zinkverbindungen aus Korea und der Türkei auf. Solche Stoffe werden Futtermitteln zum Beispiel für Kälber, Schafe und Schweine als Spurenelemente beigemischt. Die US-Umweltbehörde Epa warnt unterdessen vor Zinkzusätzen aus China, die mit den giftigen Schwermetallen Cadmium und Blei verseucht sein können.



    Seuchen: Ansteckung durch Spenderblut?

    Der Rinderwahn fordert unter den Briten immer mehr Todesopfer. Experten sorgen sich, denn womöglich sind auch Schafe, Hühner und Schweine infektiös. Langsam und rätselhaft breitet sich BSE nun schon unter den Rindern Kontinentaleuropas aus – und jetzt sogar unter den Menschen.

    Aus:
    Der Spiegel – 45/2000, 6. November 2000, Seite 316–319 (Wissenschaft). [Original]

    Matthew Parker ist nur 19 Jahre alt geworden. Er starb nach monatelangem Verfall so elend wie die meisten der jetzt schon mindestens 85 BSE-Opfer in Großbritannien: taub, stumm, blind, orientierungslos, ohne Kontrolle über Gliedmaßen, Darm und Blase. Parker ist bereits drei Jahre tot. Für BSE-Forscher aber ist sein Schicksal hochaktuell, denn er wohnte in dem Ort Armthorpe in South Yorkshire. Genau hier ist im September wieder ein Mensch an der neuen Variante der Creutzfeldt- Jakob- Krankheit (vCJK [= nvCJD = vCJD]) gestorben. Sarah Roberts war 28 Jahre alt und hatte die gleiche Schule besucht wie Parker, sie hatte sogar in der gleichen Straße gewohnt. Ein Zufall?

    Schlimmer noch hat es das Dorf Queniborough erwischt, das 130 Kilometer von Armthorpe entfernt liegt. 2300 Menschen leben hier, 5 von ihnen sind an vCJK gestorben, der menschlichen Variante des Rinderwahns. Der vorerst Letzte starb erst im September: Christopher Reeve, 24.

    Wieso gibt es diese "Cluster", wie die Forscher solche Anhäufungen von Erkrankungen nennen? Was haben die BSE-Opfer gemein? Warum und wie haben sie sich infiziert? Stehen sie nur am Anfang eines verheerenden Seuchenzuges? Niemand weiß eine Antwort. 15 Jahre, nachdem BSE als Rinderkrankheit entdeckt wurde, breitet sich unter Experten, Behörden und Verbrauchern eine bisher nicht da gewesene Ratlosigkeit aus. Was bislang als halbwegs gesichertes Wissen galt, wird durch die jüngsten Ereignisse in Frage gestellt. Ungewiss ist nun wieder fast alles – der Ursprung der Seuche ebenso wie die Übertragungswege, vor allem die geeigneten Gegenmaßnahmen.

    Sicher scheint nur eines: Noch immer kann niemand für die Sicherheit von Fleisch garantieren, denn die Wissensbasis zu BSE ist nach wie vor schmal. Forscher schließen nicht mehr aus, dass der Erreger selbst in Körpern und Produkten lauert, die bislang als unverdächtig galten. BSE-Erreger, so das Resümee der jüngsten Erkenntnisse, könnten in Hühnern stecken, in Schafen, Lämmern, Schweinen, in Spenderblut – selbst in Gelatine.

    Jeder Brite, so hat der Forscher Stephen Dealler berechnet, hat seit Mitte der achtziger Jahre im Schnitt 50 BSE- verseuchte Portionen Rindfleisch verzehrt. Mindestens 750.000 infizierte, äußerlich meist gesunde Tiere sind in die Nahrungskette gelangt. Die Folgen dieses beispiellosen Massenexperiments: In diesem Jahr stiegen die vCJK-Fall-Zahlen plötzlich an. Sie sind, Tote und Todkranke zusammengenommen, auf 29 geklettert (siehe Grafik [Opfer-Zahlen]).

    Die mögliche Nummer 30 liegt todgeweiht im Krankenhaus von Aberdeen, mal zuckend, mal apathisch. Erst vor sieben Wochen wurde die Verdachtsdiagnose vCJK bei Donna McIntyre, 21, gestellt. "Donna hat immer gern Fleisch gegessen", sagt ihr Vater Billy, ein Elektriker. "Sie liebte Burger und Fleischpasteten."

    Vorletzte Woche zeigte das britische Fernsehen die qualvolle Agonie der 14-jährigen Zoe Jeffries. Sie ist das bisher jüngste BSE-Opfer. Ihre Mutter Helen erzählte, dass Zoe schon als Zweijährige am liebsten Burger aß – dreimal die Woche. Drei Tage nach der Ausstrahlung war das Mädchen tot.

    Most recent BSE news
    From:
    New Scientist (London).
  • Mad meat
    British beef may not be the sole culprit in this long, dark saga.
    [4 Nov 00]

  • The human tragedy may be just beginning
    Thousands could die in Britain from variant Creutzfeldt-Jakob disease, computer models predict.
    [4 Nov 00]

  • A killer is born
    The verdict on BSE's origins remains contentious.
    [4 Nov 00]

  • How it went so horribly wrong
    Britain's BSE agony holds a lesson for the world.
    [4 Nov 00]

  • End of an era
    The public should never again be shielded from uncertainty – however painful.
    [4 Nov 00]

  • La folie francaise
    France may be on the verge of its own BSE catastrophe.
    [28 Oct 00]

  • Knowledge gap
    The UK government misled the public over mad cow disease, but the epidemic could not have been avoided, says inquiry chairman.
    [25 Oct 00]

  • BSE scandal: the history
    From a single cow in 1984, the BSE and vCJD epidemic led to the slaughter of millions of cattle and the deaths, so far, of 73 people.
    [25 Oct 00]

  • Brain disease drives cows wild
    New Scientist magazine report on the first journal paper about BSE in 1987.
    [5 Nov 87]

  • Dann wurde bekannt, dass die neue Form von Creutzfeldt-Jakob auch bei einem 74-Jährigen diagnostiziert wurde. Alte Menschen galten bislang als gefeit gegen die Hirnkrankheit. Von nun an ist nicht mehr auszuschließen, dass vCJK tatsächlich schon viele Alte befallen hat, sie aber in den Kliniken mit Alzheimer- Dementen verwechselt werden. "Wir sehen jetzt den Beginn eines vCJK-Ausbruchs unter Menschen", urteilt das britische Wissenschaftsblatt New Scientist. Mittlerweile gehen Forscher in ihrem Best-Case-Szenario von einigen hundert Toten aus. Es könnten aber "viel, viel mehr sein", räumt Agrarminister Nick Brown ein. Er erwartet, schlimmstenfalls, 136.000 Opfer.

    Oder werden es noch mehr? Die menschliche Abart des Rinderwahns hat die britischen Inseln verlassen. Zwei vCJK-Tote gibt es bereits in Frankreich, für mindestens zwei weitere Todesfälle besteht vCJK-Verdacht. Schulen in Paris haben vergangene Woche Rindfleisch vom Kantinenplan gestrichen. Bei den Rindern erweist sich BSE als nach wie vor nicht kontrollierbar. 82 französische Kühe sind in diesem Jahr an BSE erkrankt. 1999 waren es nur 30. Die Maßnahmen der Behörden, BSE einzudämmen, greifen offensichtlich nicht. Und während Deutschland sich stur für BSE-frei deklariert, hegen Verbraucherschützer und Forscher daran wachsende Zweifel. Systematische Tests sollen ab nächstem Jahr erstmals Klarheit bringen.


    Schlimmstenfalls 136.000 Opfer?

    Britische Veterinäre haben in diesem Jahr 1032 BSE-Kühe gezählt. Fast alle wurden vor 1996 geboren und haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach über verseuchtes Futter angesteckt. Erst seit 1996 ist die Verwendung von Rinderprodukten im Futter verboten. In wenigen Jahren, so jubelten Forscher und Behörden, sei BSE im Rinderbestand ausgerottet. Das scheint nicht zu gelingen. Mindestens 8 Tiere haben BSE bekommen, obwohl sie nach 1996 auf die Welt gekommen sind. Ein gleiches Mysterium meldet die Schweiz. Dort sind zwei Kühe am Rinderwahn erkrankt, denen nie verseuchtes Futter vorgesetzt worden war. "Irgendwo in dem Maßnahmenpaket gibt es noch Löcher", sagt Dagmar Heim vom Bundesamt für Veterinärwesen in Bern. "Aber wir wissen nicht, wo." [Schweizer überlegen Maßnahmen]

    Die Briten haben schon mögliche Infektionsquellen ausgemacht: Blut, Talg und Gelatine. Diese Tierprodukte dürfen als Einzige noch seit 1996 an Wiederkäuer verfüttert werden. Damals galt als sicher, dass davon keinerlei Risiko ausgehe. Das würde jetzt kaum ein Forscher mehr behaupten. Kürzlich hat eine Studie bewiesen: Mit BSE-verseuchtem Schafsblut können zumindest andere Schafe infiziert werden. Bei Rindern steht der Beleg dafür noch aus. Im Verdacht steht auch wieder die Gelatine. Sie wird auch aus zerstoßenen Wirbelsäulen hergestellt. Das Rückenmark in den Wirbelsäulen gilt als Hochrisikomaterial. "Nach unseren Erfahrungen mit BSE sollten wir sehr viel vorsichtiger vorgehen", sagt der Prionenforscher John Collinge vom Londoner Imperial College.

    Vorsicht zeigten die Briten in der BSE-Krise häufig erst dann, wenn es zu spät war. Sieben der vCJK-Toten waren Blutspender. Ihr Blut, so gestand kürzlich die National Blood Authority, wurde, wie es üblich war, mit anderem Spenderblut verpanscht und in Umlauf gebracht. Über ein Dutzend Empfänger verseuchten Blutes konnten Mediziner namentlich ausfindig machen. Sie entschieden, ihnen zu verheimlichen, was geschehen ist. Wer vom Risiko nichts weiß, so die Devise, der lebt glücklicher; und wer sich angesteckt hat, dem ist ohnehin nicht zu helfen. In den USA gilt schon länger ein Blutspendeverbot für jeden, der sich länger als wenige Monate in Großbritannien aufgehalten hat. Hans Kretzschmar, CJK-Forscher der Universität München, hält eine solche Regelung auch in Deutschland für geboten.

    Doch was wäre, wenn sich auch andere Tiere als BSE-Überträger erwiesen? Hühner und Schweine haben wie die Rinder lange Zeit verseuchtes Futter bekommen. Sie werden davon nicht krank, aber neue britische Experimente an Mäusen deuten darauf hin, dass sie die Erreger gleichwohl übertragen könnten. Vor allem Schafe gelten als hochverdächtiges BSE- Reservoir. Die britische Lebensmittelbehörde hat letzte Woche verlangt, Schafe routinemäßig auf BSE zu untersuchen. "Es gibt die theoretische Möglichkeit", so ein Sprecher, "dass BSE in den britischen Schafherden präsent ist."

    Die Gefahr ist groß genug, manchem Experten den Appetit zu rauben. "Ich persönlich", sagt der Münchner Kretzschmar, "würde kein Schaf aus England essen." Erschrocken reagiert auch Albert Osterhaus von der Universität Rotterdam, Mitglied der EU-Expertenkommission zur Untersuchung BSE-ähnlicher Krankheiten. "In Schafen", sagt er, "könnte das gefährliche BSE aussehen wie die für Menschen harmlose Schafskrankheit Scrapie." Infizierte, aber noch nicht kranke Tiere könnten leicht bis ins Fleischregal gelangen und Menschen mit dem Rinderwahn anstecken.

    Ob es diesen Infektionsweg gibt, räumt Liam Donaldson ein, der Chef der britischen Gesundheitsbehörde, sei jetzt "wahrscheinlich die wichtigste unbeantwortete Frage". [Kommentar]



    Streit über Rindfleisch-Verbot in Frankreich

    Aus:
    Yahoo-News, 6. November 2000, 17.29 Uhr (Politik). [Original]

    PARIS/WARSCHAU. Nach den Importverboten mehrerer europäischer Staaten für französisches Rindfleisch ist in Frankreich Streit darüber ausgebrochen, ob und wie einer Ausbreitung der Rinderseuche BSE vorgebeugt werden müsse. Landwirtschaftsminister Jean Glavany schloss heute ein Verbot des im Land produzierten Rindfleisches aus. Finanzminister Laurent Fabius forderte dagegen ein schnelles Verbot von Rindfleisch- und Knochenmehl in der Fütterung. Am Montag schloss sich Polen dem Importverbot für französisches Rindfleisch an, das in der vergangenen Woche bereits von Russland und Ungarn verhängt worden war.

    Das Importverbot gelte von Mittwoch [8.11.2000] an, teilte der leitende Tierarzt Polens, Andrzej Komorowski, heute mit. Er begründete die Maßnahme mit der gegenüber dem Vorjahr fast verdreifachten Zahl von BSE-Fällen in Frankreich. Auch Bulgarien denke über ein Importverbot nach, hieß es beim dortigen tierärztlichen Dienst. Die Maßnahmen orientieren sich an dem russischen Verbot, das für Rindfleisch aus französischen Regionen gilt, in denen BSE-Fälle bekannt wurden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass BSE beim Menschen die tödliche Creutzfeldt-Jakob- Krankheit auslösen kann. An der Krankheit sind bisher in Großbritannien mindestens 85 Menschen gestorben und in Frankreich zwei.

    Restauraunts und mehrere Schulmensen nahmen in Frankreich Rindfleisch von ihrer Speisekarte, seit vor einigen Tagen Einzelhandelsketten den Verkauf von möglicherweise BSE-verseuchtem Rindfleisch eingeräumt hatten. Galvany verurteilte diese Maßnahmen am Montag im französischen Rundfunksender Europe 1 als Panikmache. Ein Verbot von Rindfleisch stehe nicht zur Diskussion.

    Die französische Lebensmittelaufsicht AFSSA prüfe derzeit jedoch, ob wegen der BSE-Gefahr die Verarbeitung von Rinder-Wirbelsäulen zu Tierfutter verboten werden soll, sagte Glavany. Diese Maßnahme hätte jedoch auch Folgen für den Verkauf von Rindfleisch von der Rippe. Rippchen müssten dann in Zukunft anders von der Wirbelsäule getrennt werden als bisher, sagte er.

    Fabius forderte dagegen als Vorsichtsmaßnahme ein schnelles Verbot von Rindfleisch-Resten und Rinderknochen in Tierfutter. Es dürfe keine Zeit mehr verloren werden, es gebe genug Gefahrensignale, sagte er im französischen Fernsehen France 2. Ein solches Verbot hatte der Koalitionspartner der Sozialisten in der Regierung, die Grünen, bereits letzte Woche bis zum Ergebnis der AFSSA- Untersuchung gefordert. Nach Angaben des französischen Landwirtschaftsministeriums sind in diesem Jahr bereits 86 Fälle von Rinderwahnsinn gemeldet worden. Seit Juni lässt Frankreich 48.000 Rinder auf BSE untersuchen, um festzustellen wie viele der 21 Millionen Rinder des Landes erkrankt sind. Nach Angaben des Außenhandelszentrumss hat Frankreich im vergangenen Jahr mehr als 48.000 Tonnen Rindfleisch exportiert.

    7.11.2000 (khd/yahoo). Die Nachrichtenagentur Reuters meldet heute dazu um 17.22 Uhr, daß der französische Präsident Jacques Chirac zum Schutz der Bevölkerung vor BSE die Regierung aufgefordert hat, ab sofort die Verwendung von Knochen- und Fleischmehl im Tierfutter auszusetzen. Es dürften nicht erst die Ergebnisse einer behördlichen Untersuchung in drei oder vier Monaten abgewartet werden, sagte Chirac heute in Paris. Im Auftrag der Regierung soll die Behörde für Lebensmittelsicherheit (AFSSA) untersuchen, ob das Verbot der Tiermehl- Verfütterung an Rinder auch auf alle anderen Tierarten ausgedehnt werden muß, um die Gefahr einer Ausbreitung der Rinderseuche BSE zu verringern.

    8.11.2000 (khd/yahoo). Die Nachrichtenagentur AP meldet heute aus Paris, daß angesichts der Zunahme von BSE-Fällen sich die Furcht vor dem Rinderwahnsinn in Frankreich zu einer Massenpanik auszuweiten droht. Der französische Premierminister Lionel Jospin rief Verbraucher und Verantwortliche heute zur Vernunft auf, nachdem Präsident Jacques Chirac gestern im Fernsehen das Verbot von Tiermehl in Futtermittel gefordert hatte. Jospin warf vor allem französischen Bauern vor, eine Massenpanik zu schüren, nachdem diese gestern beschlossen hatten, kein Fleisch von Rindern mehr zu verkaufen, die vor 1996 geboren wurden. Der französische Agrarminister Jean Glavany bezifferte die Unkosten, die aus dem Verkaufsverbot für Fleisch älterer Rinder entstehen, auf mindestens zwölf Milliarden Francs.



    Französische Züchter nehmen wegen BSE 1 Million Rinder vom Markt

    Aus:
    Freie Presse, Chemnitz, 7. November 2000, 20.29 Uhr (Newsticker). [Original]

    PARIS. Wegen der zunehmenden Angst vor Rinderwahnsinn (BSE) und dessen Folgen nehmen französische Züchter mindestens eine Million Rinder vom Markt. Alle vor dem 15. Juli 1996 geborenen Rinder würden nicht mehr in die Nahrungskette gelangen, sagte eine Sprecherin des Landwirtschaftsverbandes FNSEA am Dienstagabend [7.11.2000] in Paris. Die Entscheidung solle die Verbraucher beruhigen. Betroffen sind demnach 1 bis 1,3 Millionen Rinder [Ed-10.11.2000: nach neueren Infos sollen es fast 5 Millionen Rinder sein]; dies entspreche 5 bis 7 Prozent des Viehbestandes in Frankreich. Am 15. Juli 1996 waren in Frankreich strenge Auflagen im Kampf gegen BSE in Kraft getreten. [mehr]



    Zurück auf Los

    Neue Erkenntnisse lassen zweifeln, ob Europas Rinderwahn gebannt ist

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 8. November 2000, Seite 10 (Meinung) von ALEXANDER S. KEKULÉ, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle. [Original]

    Naturwissenschaften haben in ihrer über tausendjährigen Geschichte eine einzige absolut sichere Erkenntnis hervorgebracht: Dass keine naturwissenschaftliche Erkenntnis ganz sicher ist. Kluge Wissenschaftler üben sich deshalb in Bescheidenheit und meiden die Begriffe „sicher“ und „hundertprozentig“ wie der Teufel das Weihwasser.

    Also hätte es bereits vor 10 Jahren Misstrauen erwecken müssen, als die britische Regierung, unter Berufung auf ihre wissenschaftlichen Berater, selbstsicher verkündete: „Rindfleisch ist absolut sicher.“ Wie es zu der folgenschweren Unbescheidenheit kommen konnte, hat vorletzte Woche der Abschlussbericht der BSE-Untersuchungskommission [Links zum BSE Inquiry-Report] ans Tageslicht gebracht: Um „British beef“ nicht zu gefährden, hat die damalige Regierung Forschungsergebnisse britischer Wissenschaftler in nie geahntem Ausmaß unterdrückt, manipuliert und verfälscht. Deutliche Hinweise, dass die BSE verursachenden „Prionen“ von Rindern auf zahlreiche andere Tierarten übertragbar sind und deshalb auch die Creutzfeldt-Jakob- Erkrankung beim Menschen auslösen könnten, gab es bereits 1990. Doch die öffentlichen Bedenken hochkarätiger, unabhängiger Wissenschaftler wurden von der britischen Propagandamaschine hinweggefegt.

    Seit vergangenem August soll „British beef“ wieder einmal absolut sicher sein: Die EU hat das Exportverbot aufgehoben, weil seit Ende 1996 das aus Tierkadavern hergestellte Futternehl verboten ist, das als Überträger der tödlichen Nervenkrankheit gilt. Deutschland ist nach Meinung der Landwirtschaftsminister sogar „BSE-frei“, weil bisher nur aus dem Königreich importierte Rinder erkrankt sind.

    Zum Leidwesen der Politiker haben die BSE- Forscher jetzt jedoch eine ihrer wichtigsten Theorien umgestoßen, die eben noch als nützliche Argumentationshilfe gedient hatte: Es muss nämlich bezweifelt werden, dass der BSE- Erreger dadurch entsteht, dass mit der harmlosen „Scrapie“- Krankheit infizierte Schafsfleisch bei zu geringer Temperatur zu Futtermehl verarbeitet wird. Das war jahrelang Dreh- und Angelpunkt der BSE- Prävention. Da die billigeren Niedrig- Temperatur-Verfahren auch außerhalb Englands eingesetzt wurden, hätten dort BSE- Erreger entstehen müssen. Die Seuche brach aber nur auf der Insel aus, und die Prionen aller untersuchten BSE- Fälle sind absolut identisch [Ed: ähneln aber nicht Scrapie- Prionen].

    Deshalb geht die [britische] BSE-Kommission davon aus, dass der Erreger des Rinderwahns bereits in den 70er Jahren durch eine genetische Veränderung (Mutation) von Prionen in einem bisher unbekannten Wirtstier [Ed: das zu Tierfutter verarbeitet wurde] irgendwo in England entstanden ist und durch das Futtermehl lediglich verbreitet wurde. Damit kämen aber auch andere mit dem Kadavermehl gefütterte Nutztiere als Überträger der Creutzfeldt-Jakob- Erkrankung in Frage – die Liste reicht von Schweinen, Hühnern und Fischen bis zu Schafen. Die im Laborversuch bereits gezeigte Infektion von Schafen mit dem BSE- Erreger wäre besonders tückisch, weil die Hirnerweichung vermutlich mit dem häufigen, für Menschen ungefährlichen Scrapie verwechselt werden würde.

    Zudem können Prionen je nach Tierart unterschiedliche Übertragungswege haben – damit wäre zu erwarten, dass sich der BSE- Erreger auch seit dem Verbot des Kadavermehls – in begrenztem Umfang – weiter verbreitet. Genau dafür mehren sich derzeit die Hinweise: In der Schweiz sind gerade 2 Rinder an BSE erkrankt, die erst Jahre nach dem Kadavermehl- Verbot geboren wurden. In Portugal steigt die Zahl der neu entdeckten Erkrankungen aus unerklärlichen Gründen an. Auch in Frankreich wurden 9 neue BSE-Fälle in unverdächtigen [Rinder-] Herden gefunden.

    Einige der unerwarteten Diagnosen sind einem BSE-Schnelltest zu verdanken, mit dem scheinbar gesunde Rinder nach dem Zufallsprinzip untersucht werden können. In Deutschland wird der Test leider erst ab 2001 eingesetzt, wenn er EU-weit zwingend vorgeschrieben ist. Dass Deutschland sich dann noch lange „BSE-frei“ nennen darf, wird von den EU-Experten bezweifelt. Es ist also Zeit zu handeln und alle nur denkbaren Infektionswege zu unterbinden, statt sich wieder auf vermeintlich sichere Forschungsergebnisse zu verlassen.



    EU will Lebensmittelsicherheit vom Trog zum Teller garantieren

    EU-Kommission präsentiert Konzept einer unabhängigen Behörde / Neue Verbraucherängste vor BSE

    Aus:
    Yahoo-News, 8. November 2000, 12.40 Uhr (Politik). [Original]

    BRÜSSEL. Inmitten neu aufkeimender Verbraucherängste vor der Rinderseuche BSE hat die EU-Kommission in Brüssel ihr Konzept zur Schaffung einer unabhängigen EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit vorgelegt. Die Behörde, die in den nächsten drei Jahren mit zunächst 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro ausgestattet werden soll, funktioniert als Frühwarnsystem vor Gesundheitsgefahren, die von Lebens- oder Futtermitteln ausgehen. Sie sammelt Daten, liefert wissenschaftliche Analysen und informiert die Öffentlichkeit. Wo die Behörde ihren Sitz haben soll, steht noch nicht fest. Dem Vorschlag müssen auch noch die EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament zustimmen.

    EU-Gesundheitskommissar David Byrne sagte mit Verweis auf Rinderwahnsinn und Dioxinverseuchung: «Wir müssen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeiten der Lebensmittelindustrie und der Behörden zurückgewinnen, dass sie die Sicherheit von Nahrungsmitteln garantieren können.» Die Vorschläge zur Schaffung einer Lebensmittelbehörde sowie eines harmonisierten EU-Lebensmittelrechts sollen dem Verbraucher lückenlose Sicherheit vom Trog bis zum Teller garantieren.

    In jüngster Zeit waren in Frankreich mehrere BSE-Fälle registriert worden. Das Fleisch verseuchter Tiere gelangte in Supermärkte. In Großbritannien starben zwei Menschen an den Folgen der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit, die wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge auf den Verzehr von BSE-verseuchtem Rindfleisch zurückzuführen ist. Als Konsequenz daraus forderten einige Bundesländer, das Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch wieder in Kraft zu setzen.

    Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer mahnte gestern die EU-Mitgliedstaaten, ihrer Verpflichtung zur Kennzeichnung von Rindfleisch nachzukommen, die seit Anfang Oktober besteht. Byrne, der Fischer morgen treffen wird, sagte am Dienstagabend [7.11.2000]: «Sie hat absolut Recht. Alle Mitgliedstaaten müssen dem nachkommen.» Wegen technischer Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Richtlinie besteht eine Frist bis 1. Januar, die Kennzeichnung einzuführen. Byrne warnte zugleich davor, die Kennzeichnung dazu zu nutzen, den Kauf von Fleisch aus anderen EU-Staaten zu boykottieren. Das verstoße gegen den EU-Binnenmarkt. In Bezug auf die jüngst registrierten BSE-Fälle in Frankreich sagte der Kommissar, Frankreich habe früher als andere Mitgliedstaaten angefangen, Tiere auf Rinderwahnsinn hin zu testen. Eine Konsequenz daraus sei, dass mehr Fälle diagnostiziert würden. Den Anstieg nannte er trotzdem Besorgnis erregend.

    EU-Amt weniger mächtig als amerikanische FDA

    Bei der Präsentation des Vorschlags zur Schaffung einer Lebensmittelbehörde betonte EU-Industriekommissar Erkki Liikanen heute die Notwendigkeit, dass die höchsten Sicherheitsstandards in der Lebensmittelindustrie angewandt würden. Nur dann könne die Industrie, in der europaweit 2,6 Millionen Menschen beschäftigt seien, wettbewerbsfähig bleiben.

    Um den Standort des Amtes bewerben sich unter anderen Helsinki, Barcelona und Parma. Byrne sagte, er bevorzuge einen zentralen, leicht zugänglichen Ort. Der Personalstab soll langfristig auf 330 Mitarbeiter angehoben werden. Von der amerikanischen Food and Drug Agency (FDA) unterscheidet sich die europäische Behörde darin, dass sie keine rechtlichen Kompetenzen haben wird. Diese sollen weiterhin bei der EU-Kommission liegen.

    VITTEL – 10.11.2000 (yahoo). Als Reaktion auf neue Fälle der Rinderseuche BSE wollen Deutschland und Frankreich auf dem EU-Reform-Gipfel in Nizza in vier Wochen die Gründung eines europäischen Amtes für Lebensmittelsicherheit vorantreiben. Darauf hätten sich Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sowie Ministerpräsident Lionel Jospin auf ihrem Gipfeltreffen im französischen Vogesen- Kurort Vittel geeinigt, hieß es heute in deutschen und französischen Delegationskreisen. In einem ersten Gespräch seien die drei Politiker zudem übereingekommen, dass in Nizza die stockende EU-Reform abgeschlossen werden müsse. (...)



    Bundesregierung: Sofortige BSE-Schnelltests gefordert

    Aus:
    Yahoo-News, 9. November 2000, 16.28 Uhr (Politik). [Original]

    BONN/BERLIN/PARIS. Die Bundesregierung hat die Länder zu sofortigen BSE-Schnelltests in Deutschland aufgefordert. Die Länder sollten damit nicht – wie ursprünglich geplant – bis zum nächsten Jahr warten, erklärte der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Martin Wille, in einem Schreiben an die Länder- Regierungen, das heute in Bonn vorlag. Ein rasches Vorgehen sei erforderlich, um angesichts der neuen Fälle von Rinderwahnsinn in Frankreich und der Entwicklung in Großbritannien auch in Deutschland dem vorbeugenden Verbraucherschutz Rechnung zu tragen.

    Für die Umsetzung der Tests sind die Länder zuständig. Beschlossen wurde von Bund und Ländern bereits Mitte Oktober, die in der EU vereinbarten Tests in Deutschland auch auf sämtliche verendeten, über 24 Monate alten Rinder auszudehnen. Wille verwies in seinem Schreiben darauf, dass die Schnelltests zur Zeit zwar noch im Zulassungsverfahren seien, nach dem Tierseuchengesetz eine Ausnahmegenehmigung aber erteilt werden könne.

    Einfuhrverbote gefordert

    Von Seiten der Länder verstärkte sich andererseits auch der Druck auf die Bundesregierung. Vor der Abstimmung im Bundesrat an diesem Freitag [10.11.2000] forderte die Unionsfraktion des Bundestags die Regierung auf, im nationalen Alleingang einen Importstopp für britisches und französisches Rindfleisch zu verhängen und dafür auch eine Klage der EU oder Geldbußen zu riskieren. Die Bundesländer stimmen über einen Antrag ab, in dem die Neuauflage des Importverbots gefordert wird.

    Einfuhrverbote müssten auch für jene EU-Länder gelten, die britisches Rindfleisch nicht pflichtgemäß kennzeichnen und möglicherweise unmarkiert nach Deutschland einführen, sagte die Unionsexpertin Annette Widmann-Mauz. «Wir wollen keinen Handelskrieg.» Angesichts der BSE- Gefahr müsse die Bundesregierung jedoch endlich Stärke zeigen und auch den Konflikt mit der EU in Kauf nehmen. Widmann-Mauz warf SPD und Grünen vor, sich vom vorsorgenden Verbraucherschutz verabschiedet zu haben.

    Wegen mangelhafter Kennzeichnung von britischem Rindfleisch hatte Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) mehreren EU-Ländern bereits mit Einfuhrverboten gedroht. Sie schloss nicht aus, dass «British beef» über diesen Umweg ungekennzeichnet in deutsche Supermärkte gelangt. So kennzeichnen nur Großbritannien, Irland, Belgien und Luxemburg pflichtgemäß. Fischer hat den anderen EU- Staaten eine Frist bis Anfang 2001 gesetzt, die verabredete Kennzeichnungspflicht umzusetzen.

    Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland fordern in einem Antrag die Regierung auf, das Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch wieder einzuführen. In weiteren Anträgen wird auch ein Importstopp für französisches Fleisch gefordert. Die Abstimmung gilt als offen. Allerdings hat sich bereits eine Reihe von Bundesländern für einen nationalen Alleingang stark gemacht. Ein Appell für einen Importstopp hätte allerdings nach Angaben eines Sprechers des Bundesrats keinen bindenden Charakter für die Bundesregierung.

    Auf Druck der EU-Kommission hatte Deutschland im März dieses Jahres sein nationales Importverbot für britisches Rindfleisch nach mehreren Jahren aufgehoben. Seitdem darf «British beef» wieder in deutschen Supermärkten verkauft und in Restaurants serviert werden. Voraussetzung ist aber, dass es gekennzeichnet ist und der Verbraucher erkennen kann, dass es sich um Fleisch aus Großbritannien handelt.

    Weitere BSE-Fälle in Frankreich

    In Frankreich stieg die Zahl der BSE- Fälle weiter. Die landwirtschaftliche Kammer des südfranzösischen Departements Tarn gab einen neuen Fall bekannt. Die nahe der Stadt Albi entdeckte Milchkuh war nach Angaben des Züchters 1994 geboren und [das ist eine wichtige Information] nur mit natürlichen Produkten gefüttert worden. Am Vortag waren 3 neue BSE- Fälle bekannt geworden. Damit sind seit Jahresbeginn in Frankreich 93 Fälle entdeckt worden – 173 seit dem Auftreten von BSE in Frankreich im Jahr 1991. [mehr]



    Brüssel unterstützt Fischer: BSE-Schnelltests umgehend einführen

    Druck auf Bundesländer / Bundesrat vertagt Abstimmung über Importverbot für Rindfleisch / Verbraucherverbände fordern Untersuchung bei jeder Schlachtung

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 11. November 2000, Seite 4 (Politik). [Original]

    BRÜSSEL/BERLIN. Der Vorstoß von Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) für frühere BSE-Schnelltests in den Bundesländern ist bei der EU-Kommission auf ein positives Echo gestoßen. "Wir würden frühere Tests sehr begrüßen", sagte eine Sprecherin von Verbraucherschutzkommissar David Byrne gestern in Brüssel. Fischer hatte die Bundesländer aufgefordert, mit den Tests zu beginnen, bevor diese zum Jahreswechsel obligatorisch werden.

    Kommissionskreise schließen nicht aus, dass die Zahl der BSE-Fälle bei entsprechenden Testreihen auch in Deutschland deutlich ansteigen wird. Bisher wurde die Rinderseuche in Deutschland nur bei importierten Tieren festgestellt. Fachleute in Brüssel bezweifeln jedoch, ob in Deutschland in der Vergangenheit immer die richtigen Zielgruppen getestet worden sind. Vor allem junge Tiere seien in der Bundesrepublik auf die Rinderseuche BSE untersucht worden. Bei diesen seien die BSE-Erreger aber in der Regel noch gar nicht feststellbar.

    Anfang 2001 sollen die EU-Mitgliedsstaaten mit gezielten Tests bei Rindern beginnen, die in Betrieben verendeten, notgeschlachtet wurden oder vor ihrem Tod ein auffälliges Verhalten zeigten. In Deutschland sollen dem EU-Beschluss vom Mai zufolge jährlich etwa 10.000 Rinder den so genannten Post-mortem-Test durchlaufen, in der EU insgesamt rund 65.000 Tiere. In Frankreich ist die Zahl der BSE-Fälle seit dem Beginn gezielter Tests deutlich angestiegen.

    Schnelltest bei jeder Schlachtung gefordert

    Die deutschen Verbraucherverbände forderten unterdessen BSE-Schnelltests bei jeder Schlachtung. "Wir können nicht hundertprozentig davon ausgehen, dass Deutschland BSE-frei ist, weil hier bislang keine regelmäßigen Schnelltests durchgeführt werden", sagte die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV), Helga Kuhn, gestern im Saarländischen Rundfunk. Die Tests müssten so schnell wie möglich flächendeckend eingeführt werden. Dies werde zwar die Preise für Rindfleisch um "einige Pfennige pro Kilo" erhöhen. Aber bei einem so schweren Risiko wie BSE müsse man das in Kauf nehmen. "Wir denken, es ist ein Preis, der finanzierbar ist." Nötig seien zudem europaweite Maßnahmen, um die Sicherheit bei Rindfleisch zu verbessern.

    Bundesrat vertagt Entscheidung

    Der Bundesrat vertagte gestern nach kontroverser Debatte seine Abstimmung über mögliche Schutzmaßnahmen gegen BSE-verseuchtes Rindfleisch. Der Länderkammer lagen in Berlin mehrere Anträge vor, in denen ein neues Exportverbot für Großbritannien oder notfalls ein nationaler Alleingang Deutschlands gefordert wird. Die Anträge wurden nun zunächst an die Fachausschüsse überwiesen. Zuvor hatten Redner von Ländern und Bundesregierung betont, dass der Schutz der Verbraucher vor BSE oberste Priorität habe und dafür notfalls auch ein offener Konflikt mit der EU riskiert werden müsse. Umstritten ist allerdings, wie die Verbraucher am besten geschützt werden können [Ed: wie wäre es mit einem Verbot aller Tiermehle (MBM)].

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      Zum Teil 8

    © 2000-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.29 Uhr