Französische Grüne fordern wegen BSE-Gefahr Tiermehl-Verbot
79 % der Franzosen für sofortiges Moratorium
Aus: Yahoo-News, 12. November 2000, 14.37 Uhr (Politik). [Original]TOULOUSE. In Frankreich rückt die Verbannung von Tiermehl aus der gesamten Nahrungskette offenbar näher. Nach Staatspräsident Jacques Chirac verlangte am Wochenende auch Umweltministerin Dominique Voynet von den Grünen, die Verfütterung von Tiermehl wegen der BSE- Gefahr generell auszusetzen. Sie habe diese Forderung Premierminister Lionel Jospin vorgetragen, sagte Voynet auf dem Parteitag der Grünen in Toulouse.
Voynet warnte davor, mit einem Verbot von Tiermehl bei der Aufzucht zu warten, bis die Lebensmittelbehörde Afssa in mehreren Monaten ihr Gutachten vorlege. Sie verlangte aus Gründen der Gesundheitsvorsorge ein sofortiges Moratorium. In einer Ifop- Umfrage für die Zeitung Journal du Dimanche sprachen sich 79 Prozent der befragten Franzosen ebenfalls dafür aus, mit einem Verbot nicht bis zu einer entsprechenden Empfehlung der Afssa zu warten.
Die Präsidentin des Europaparlaments, Nicole Fontaine, bedauerte im Radio Europe 1, dass eine entsprechende Empfehlung der Europa-Abgeordneten aus dem Jahr 1996 von den EU-Staaten nicht befolgt worden sei. Die Verfütterung von Tiermehl, das für die Übertragung von BSE verantwortlich gemacht wird, ist in Frankreich seit 1996 lediglich bei der Rinderaufzucht verboten.
79 % der Franzosen zeigten sich laut der Ifop-Umfrage beunruhigt über die Rinderseuche, von der allein in diesem Jahr bereits rund 90 Fälle in Frankreich bekannt geworden ist. Zahlreiche Kommunen haben Rindfleisch von der Speisekarte der Kantinen gestrichen, der Verkauf ist drastisch zurückgegangen.
Frankreich setzt wegen BSE Import von Tiermehl aus
Aus: Yahoo-News, 14. November 2000, 16.38 Uhr (Politik). [Original]PARIS. Im Kampf gegen die Rinderseuche BSE hat Frankreich den Import von Tier- und Knochenmehl ausgesetzt. Bis auf weiteres dürfe in Frankreich Tierfutter keinen dieser beiden Bestandteile mehr enthalten, teilte Ministerpräsident Lionel Jospin heute in Paris mit. Zudem werde Vieh in Schlachthöfen in Zufallstests auf BSE untersucht, sagte Jospin. Als Vorsichtsmaßnahme werde der Verkauf von T-Bone-Steaks untersagt. Die Rinderseuche BSE wird mit einer Variante der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit in Verbindung gebracht, die für den Menschen tödlich verlaufen kann [Ed: sie verläuft immer tödlich]. In Deutschland sind nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums keine Schritte gegen Frankreich geplant.
Jospin begründete das Verkaufsverbot für T-Bone-Steaks damit, dass über den Fleischknochen die BSE-Erreger verbreitet werden könnten. Nach seinen Worten gibt es jedoch keinen wissenschaftlichen Beweis, dass mit dem Verzehr von Rindfleisch oder Kuhmilch ein Gesundheitsrisiko verbunden ist.
In Frankreich wurden bislang mehr als 90 BSE-Fälle gemeldet. Im Oktober hatten drei französische Supermärkte bekannt gegeben, sie hätten möglicherweise BSE-infiziertes Rindfleisch verkauft. Daraufhin fühlten sich viele Verbraucher verunsichert und verzichteten auf den Kauf von Rindfleisch, was zu erheblichen Absatzeinbußen auf dem französischen Markt führte. Bislang waren die mit Knochen verkauften T-Bone-Steaks in Frankreich sehr beliebt.
Als Ersatz für das eiweißreiche Viehfutter aus Tier- und Knochenmehl will Frankreich bei der EU- Kommission eine Erhöhung der heimischen Ölsaat-Produktion beantragen. Sollte dem Antrag entsprochen werden und die Ölsaatproduktion innerhalb der EU gesteigert werden, könnte es zu Schwierigkeiten in den Handelsbeziehungen mit den USA kommen. Die Vereinigten Staaten hatten 1992 im so genannten Blair- House-Abkommen mit der EU eine Obergrenze für den Anbau von Ölsaaten vereinbart.
Tierreste und Knochenmehl stehen im Verdacht, zur Verbreitung von BSE beizutragen. Diese Tierfutterbestandteile durften bereits seit 1990 nicht mehr an Rinder verfüttert werden, wohl aber an Schweine und Hühner. Die jüngsten BSE- Fälle werden damit in Verbindung gebracht, dass Rinder dennoch dieses eiweißreiche Futter erhielten. Mehrere Staaten haben mittlerweile den Import von französischem Fleisch eingeschränkt.
Deutschland plant nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums keine Maßnahmen gegen Frankreich. Ein Sprecher des Ministeriums sagte in Berlin, Deutschland gehe davon aus, dass Frankreich die Situation in den Griff bekommen werde. In Deutschland sei das Verfüttern von Tiermehl an Wiederkäuer ohnehin seit Jahren nicht erlaubt. Das Nachbarland habe angesichts der 90 dort gemeldeten BSE-Fällen als Vorreiter gehandelt.
Bislang sind in Großbritannien 80 und in Frankreich 2 Menschen an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben. Zur Bekämpfung der Rinderseuche hatte der französische Bauernverband FNSEA die Notschlachtung von Millionen Rindern gefordert [Ed: angeboten]. Landwirtschaftsminister Jean Galvany hat die Notschlachtung jedoch als unsinnig und zu teuer abgelehnt.
[Paris verbietet T-Bone-Steaks] ["Kein Handlungsbedarf in Deutschland"]
BSE: Kein Handlungsbedarf in Deutschland
Ministerium: Weiterhin Tiermehl für Geflügel, Schweine und Fische
Aus: Der Tagesspiegel, Berlin, 15. November 2000, Seite 9 (Politik) im Kasten. [Original]BERLIN (Tsp). In Deutschland ist seit 1994 die Verwendung von Tiermehl als Futtermittel für Rinder und andere Wiederkäuer verboten. An Geflügel, Schweine und Fische darf Tiermehl weiterhin verfüttert werden. Das deutsche Landwirtschaftsministerium sieht keinen Bedarf, an dieser Regelung etwas zu verändern. Frankreich stehe wegen der vielen BSE-Fälle unter einem anderen Handlungsdruck als Deutschland, hieß es im Landwirtschaftsministerium.
Außerdem sei das hier für Nicht-Wiederkäuer verwendete Tiermehl "in mikrobiologischer und hygienischer Hinsicht unbedenklich". Die Kontrollen durch die Futtermittelüberwachungsbehörde würden in ausreichendem Maße dafür sorgen, dass die Vorgaben für die Reinigung der tierischen Stoffe eingehalten werden. Nach wie vor darf in Deutschland Tiermehl auch importiert werden, wenn eine amtsärztliche Bescheinigung bestätigt, dass das importierte Mehl den Kriterien der deutschen Futtermittelüberprüfung entspricht. [Aber: Deutschland ist nicht BSE-frei]
BSE: England-Urlauber dürfen kein Blut spenden
Gefahr der Übertragung durch infiziertes Rindfleisch
Aus: Der Tagesspiegel, Berlin, 15. November 2000, Seite 36 (Aus aller Welt). [Original]BERLIN (Tsp). Wer sich zwischen 1980 und 1996 insgesamt länger als sechs Monate im Vereinigten Königreich (Großbritannien und Nordirland) aufgehalten hat, sollte aus Gründen der Risikovorsorge bis auf Weiteres auch in Deutschland von Blut- und Plasmaspende ausgeschlossen werden. Eine entsprechende Stellungnahme hat der Arbeitskreis Blut auf seiner Sitzung gestern beschlossen. Dem Arbeitskreis Blut gehören wichtige Gesundheitsbehörden des Bundes an, unter anderen das für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten verantwortliche Robert-Koch-Institut in Berlin.
"Bei dieser Empfehlung handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme, da sich das Risiko der Übertragung der neuen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit (vCJK) durch Blut nicht völlig ausschließen lässt", erklärte der Vorsitzende des Gremiums und stellvertretende Direktor des Robert Koch-Instituts, Professor Reinhard Burger. Bislang wurde allerdings beim Menschen kein Fall beobachtet, in dem die krankheitsauslösenden Prionen durch Blut übertragen worden wäre.
Der Arbeitskreis Blut appelliert außerdem an die Blutspendedienste, in denen die spätestens zum 1.10.2001 vorgeschriebene Leukozyten- Depletion bislang noch nicht durchgeführt wird, diese so früh wie möglich vorzunehmen und nicht wegen der höheren Kosten zu verschieben. Durch die Leukozyten- Depletion werden die weißen Blutkörperchen aus dem Spenderblut entfernt; das ursprünglich im Zusammenhang mit Leukozyten- assoziierten Nebenwirkungen diskutierte Verfahren soll auch das Risiko einer Prionenübertragung verringern. Grundlage der Empfehlungen sind neue wenn auch eher vorläufige wissenschaftliche Ergebnisse zu möglichen Übertragungswegen des BSE-Erregers und die signifikant steigende Anzahl an Fällen der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) im Vereinigten Königreich; vCJK wurde wahrscheinlich durch den Verzehr von Nahrungsmitteln ausgelöst, die Material von BSE-infizierten Rindern enthielten, vor allem zwischen 1980 und 1996. Frühere Untersuchungen in verschiedenen Tiermodellen wiesen bereits darauf hin, dass geringe Mengen des Erregers im Blut vorkommen können. Wie die jüngst in Lancet publizierten vorläufigen Ergebnisse zu zeigen scheinen, kann diese Menge zur Infektion des Empfängers durch eine Bluttransfusion ausreichen.
Der Arbeitskreis Blut hat die vorläufigen Daten aus England angesichts der potentiellen Bedeutung ernst genommen, da erstmals die Übertragung des BSE-Erregers während der symptomlosen Inkubationszeit ohne Artenbarriere (zwischen Schafen, durch Bluttransfusion) und durch natürlich vorkommenden Übertragungsweg (Verfütterung von Hirn) möglich zu sein scheint. Bei der klassischen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gibt es dagegen keinerlei Hinweise für eine Übertragbarkeit durch Blut oder Blutprodukte [Ed: es gibt aber auch nur 1 Fall auf 1 Million Menschen].
EU droht nach neuen BSE-Fällen Streit um Tiermehlverbot
Aus: Yahoo-News, 16. November 2000, 16.28 Uhr (Politik). [Original]BRÜSSEL. In der Europäischen Union (EU) zeichnet sich ein Streit um die französische Forderung ab, im Kampf gegen die Rinderseuche BSE die Verfütterung von Tier- und Knochenmehl zu verbieten. In diplomatischen Kreisen hieß es heute in Brüssel, Deutschland hege "wenig Sympathie" für den Vorstoß des französischen Agrarministers Jean Glavany. Glavany werde aber von Großbritannien, Portugal und Italien unterstützt, sagten Diplomaten. Auch Spanien, Italien und Belgien könnten mit einem solchen Verbot leben, wenn es auf EU-Ebene erlassen werde. Tierreste und Knochenmehl stehen im Verdacht, der Verbreitung von BSE Vorschub zu leisten. Mit dem BSE-Erreger verseuchtes Fleisch kann nach Expertenmeinung beim Menschen zur meist [Ed: immer] tödlichen Creutzfeldt- Jakob-Krankheit führen.
Vor einem Treffen der EU-Agrarminister am kommenden Montag [20.11.2000], bei dem auch über die Viehseuche BSE beraten werden soll, wurden in Diplomatenkreisen Vorwürfe gegen Frankreich laut, das Land bekomme "das Problem offensichtlich nicht in den Griff". Es sei bekannt, dass in Frankreich und anderen EU-Ländern trotz anders lautender Vorschriften Tiermehl an Rinder und andere Wiederkäuer verfüttert werde. Vor diesem Hintergrund habe Glavany in Frankreich ein generelles Verbot der Verfütterung von Tiermehl erlassen. Für ein EU-weites Verbot gebe es aber "keine wissenschaftliche Grundlage". In Deutschland werde Tiermehl unter hohen Standards produziert, hieß es weiter. Diese garantierten eine Abtötung von Keimen [Ed: wirklich?]. Zudem werde in Deutschland kein Tiermehl an Rinder verfüttert.
In Frankreich wurden bisher mehr als 90 BSE-Fälle gemeldet. Neben dem Tiermehl-Verbot sollen dort getötete Rinder in Schlachthöfen durch Zufallstests auf BSE untersucht werden. Für eine sofortige und umfassende Aufnahme von BSE-Tests bei Rindfleisch hatte sich heute auch Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) ausgesprochen. Deutschland sei gut beraten, so viele Tiere wie möglich zu testen, sagte Fischer im ZDF. Die Tests sollten deutlich ausgeweitet und nicht erst wie offiziell vorgesehen am 1. Januar aufgenommen werden. In Diplomatenkreisen hieß es, Deutschland, wo bislang insgesamt sechs Fälle von BSE bei importierten Kühen festgestellt worden seien, wolle bis Ende des kommenden Jahres 66.000 BSE-Tests an Rindern vornehmen, die nach dem Erreichen einer Altersgrenze von 24 Monaten sterben. Auch mit den Tests werde es "keine 100prozentige Sicherheit geben, dass man BSE-frei ist". Doch sei eine "70prozentige Sicherheit durch die Tests besser als Null Prozent Sicherheit". Beim Treffen der Agrarminister am Montag werde es eine Debatte, aber keine Entschlüsse zu BSE geben.
Funke will Einfuhr von französischem Tiermehl verhindern
Aus: Yahoo-News, 16. November 2000, 18.46 Uhr (Politik). [Original]BERLIN. Angesichts der zunehmend auftretenden Fälle von Rinderseuche BSE in Frankreich will Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) den Import von französischem Tiermehl in die Bundesrepublik verbieten. In einem Schreiben an seinen französischen Amtskollegen Jean Glavany und an EU- Verbraucherkommissar David Byrne habe er gefordert, die Ausfuhr von Futtermitteln zu stoppen, die in Frankreich mit einem Verbot belegt seien, teilte der Minister heute in Berlin mit. "Wir werden dafür sorgen, dass französische Futtermittel, die im eigenen Land nicht als sicher gelten, nicht bei uns angeboten werden können."
Nach Informationen der Lebensmittelzeitung plant der deutsche Handel, in Kürze mit BSE-Tests zu beginnen. Konkrete Angebote seien bereits von den EDEKA- Fleischwerken Nord eingeholt worden. Nach den Plänen solle jedes der jährlich 60.000 dort geschlachteten Rinder und Kälber getestet werden. Ein Prüfverfahren koste 100 Mark. Entsprechende Überlegungen gebe es auch bei der EDEKA Minden-Hannover. Dort befinde man sich aber noch im Diskussionsprozess.
In Frankreich waren mit der Aufnahme von Tests rund 100 Fälle BSE- verseuchten Fleisches entdeckt worden. Die französische Regierung hatte daraufhin gestern die Verfütterung von Tier- und Knochenmehl verboten. Die Mehle stehen im Verdacht, zur Verbreitung der Rinderseuche beizutragen. Sie dürfen bereits seit 1990 nicht mehr an Wiederkäuer verfüttert werden, wohl aber an Hühner und Schweine. Die jüngsten BSE- Fälle werden damit in Verbindung gebracht, dass Rinder dieses eiweißreiche Futter dennoch erhielten. Fleisch, das mit dem BSE- Erreger verseucht ist, kann nach Expertenmeinung beim Menschen zu einer meist [Ed: immer] tödlichen Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit führen.
Französische BSE-Opfer kündigen Klage gegen EU an
Aus: Yahoo-News, 16. November 2000, 19.27 Uhr (Politik). [Original]PARIS/BRÜSSEL. Der Europäischen Union (EU), Frankreich und Großbritannien droht offenbar eine Klage im Zusammenhang mit der Rinderseuche BSE. Der Anwalt zweier französischer Opfer der tödlichen Krankheit Creutzfeldt-Jakob, die durch den Verzehr von BSE-verseuchtem Rindfleisch ausgelöst werden soll, kündigte heute an, französische, britische und EU-Behörden wegen Lebensmittelvergiftung zu verklagen. In der EU zeichnete sich ein Streit um die französische Forderung ab, die Verfütterung von Tier- und Knochenmehl zu verbieten. Beides steht im Verdacht, die Verbreitung von BSE zu begünstigen. Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke sprach sich für ein Einfuhrverbot französischen Tiermehls aus.
Der französische Anwalt Francois Honnorat vertritt einen an der neuen Variante von Creutzfeldt-Jakob erkrankten 19-Jährigen und die Familie einer bereits gestorbenen 36-jährigen Frau. In der mehr als 100 Seiten umfassenden Anklageschrift wirft der Anwalt den Behörden vor, in den zehn Jahre nach der Entdeckung der Rinderseuche BSE untätig gewesen zu sein. Honnorat bezieht sich auf die Jahre 1986 bis 1996. 1996 stellten Wissenschaftler erstmals einen Zusammenhang zwischen BSE und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit fest. Er werde die Klage morgen einreichen, sagte Honnorat.
Nach Angaben von Rechtsexperten dürfte es sehr schwer sein, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Fleischkonsum der beiden Opfer und ihrer Erkrankung herzustellen. In Frankreich sind bislang zwei Menschen an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben, in Großbritannien mindestens 80.
In diplomatischen Kreisen hieß es in Brüssel, Deutschland hege "wenig Sympathie" für den Vorstoß des französischen Agrarministers Jean Glavany. Glavany werde aber von Großbritannien, Portugal und Italien unterstützt, sagten Diplomaten. Auch Spanien, Italien und Belgien könnten mit einem solchen Verbot leben, wenn es auf EU- Ebene erlassen werde. (...)
In Frankreich wurden bisher mehr als 90 BSE-Fälle gemeldet. Neben dem Tiermehl-Verbot sollen dort getötete Rinder in Schlachthöfen durch Zufallstests auf BSE untersucht werden. Für eine sofortige und umfassende Aufnahme von BSE-Tests bei Rindfleisch sprach sich am Donnerstag auch Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) aus. Deutschland sei gut beraten, so viele Tiere wie möglich zu testen, sagte Fischer im ZDF. Die Tests sollten deutlich ausgeweitet und nicht erst wie offiziell vorgesehen am 1. Januar 2001 aufgenommen werden. Byrne sagte der Süddeutschen Zeitung [17.11.2000] vorab, eine Ausweitung der Tests könne zur Beruhigung der Verbraucher beitragen. (...)
DBV: Deutsche Rinderherden werden auf BSE untersucht
BSE-Schnelltests sind von der öffentlichen Hand zu finanzieren
Aus: Yahoo-News, 17. November 2000, 14.17 Uhr (Wirtschaft). [Original]BERLIN (ots). Was hindert Bund und Länder eigentlich daran, sofort BSE-Schnelltests einzuführen, wenn dadurch mehr Verbrauchervertrauen erreicht wird? Diese Frage stellt sich der Deutsche Bauernverband (DBV) angesichts der Forderung von Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer, BSE-Tests an allen Schlachttieren einzuführen. Mit den zurzeit auf dem Markt vorhandenen Schnelltests kann BSE bei Rindern, die älter als drei Jahre sind, und höchstens ein halbes Jahr vor Ausbruch der Symptome festgestellt werden. Von der Bundesregierung wurde bereits beschlossen, dass im kommenden Jahr alle verendeten Rinder auf BSE untersucht werden, was nach Schätzungen ein Untersuchungsprogramm von 66.000 Tieren bedeutet.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) fordert Bund und Länder auf, die Kosten für diese Untersuchungen zu übernehmen. Denn Zweifel sind angebracht, ob die von der Bundesgesundheitsministerin vorgeschlagene Umlegung der Kosten für die BSE-Schnelltests auf das Produkt tatsächlich vom Verbraucher gezahlt wird. Bei dem vorhandenen Preiskampf im Lebensmittelhandel würde letztendlich der Landwirt die Kosten allein tragen. Dadurch würden die deutschen Rinderhalter bestraft, obwohl sie alles getan haben, damit Deutschland BSE-frei ist.
Die deutsche Landwirtschaft hat mit ihren vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbranchen erhebliche finanzielle Anstrengungen zum Beispiel mit Kennzeichnung aller 15 Millionen Rinder, Aufbau eines Zentralcomputers, Investitionen in Hochdrucksterilisations- Anlagen für Tiermehl vorgenommen. Der Einsatz Deutschlands auf EU-Ebene, überall gleiche Maßnahmen zur Vorbeugung wie zur Ausmerzung des im Ausland aufgetretenen Erregers konsequent durchzusetzen, ist jedoch nicht gelungen. Deshalb sind die Verbraucher in Deutschland in höchstem Maße irritiert und alarmiert, dass nach wie vor in großer Anzahl BSE- Fälle in Großbritannien, Frankreich oder Portugal auftreten.
Jetzt ist es die originäre Aufgabe des Staates, die Verbraucher und die heimische Landwirtschaft durch Grenzkontrollen, eventuell auch Importverbote, vor einer Gefährdung durch Produkte aus diesen Ländern zu schützen. Gleichzeitig sind vertrauensbildende Maßnahmen wie Öffentlichkeitsarbeit sowie Gesundheitstests durch die öffentliche Hand zu finanzieren.
DBV-Pressedienst: Deutscher Bauernverband (DBV), Geschäftsstelle Bonn, Telefon: (0228) 8198 - 239, Telefax: (0228) 8198 - 231, Geschäftsstelle Berlin, Telefon: (030) 319 04 - 239, Telefax: (030) 319 04 - 431.
Italien verbietet Einfuhr französischen Rindfleischs
Aus: Yahoo-News, 17. November 2000, 16.46 Uhr (Politik). [Original]ROM. Im Kampf gegen die Ausbreitung der Rinderseuche BSE hat Italien ein Einfuhrverbot für französisches Rindfleisch erlassen. Betroffen sei der Import ausgewachsener Rinder von über 18 Monaten sowie von Rindfleisch am Knochen, teilte Landwirtschaftsminister Alfonso Pecoraro Scanio am Freitag mit. Zudem sei verboten worden, Tierfutter mit tierischen Produkten wie Fleisch und Knochen zu vermengen ausgenommen sei nur Fischfutter. Verbraucher und Landwirte in Italien hatten die Regierung aufgefordert, dem Beispiel anderer europäischer Länder zu folgen und den Import von französischem Rindfleisch zu stoppen. Französische Supermärkte hatten eingeräumt, Rindfleisch verkauft zu haben, das womöglich mit BSE verseucht gewesen sei.
Mehrere Staaten hatten den Import von französischem Fleisch nach dem Auftreten von BSE-Fällen eingeschränkt. Der BSE-Erreger steht im Verdacht, beim Menschen die tödliche Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (CJD) auszulösen. In letzter Zeit waren in Großbritannien Fälle einer Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit bekannt geworden, die die Ärzte als vCJD bezeichnen.
Minister Scanio sagte, Italien werde ab 2001 alle Rinder, die über 24 Monate alt sind, auf BSE untersuchen. Das Verbot, tierische Produkte dem Futter von Pflanzenfressern beizumischen, sei eine Vorsichtsmaßnahme. Mediziner vermuten, dass BSE über diese Nahrungskette verbreitet wird.
Unterdessen berichtete ein Pariser Krankenhaus, bei einer Frau bestehe der Verdacht auf die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Es wäre der vierte CJD-Fall in Frankreich, zwei der Patienten sind bereits gestorben. Anwälte einer an vCJD gestorbenen Frau in Paris hatten gestern erklärt, sie würden wegen des verkauften BSE-Fleisches nicht nur die Verantwortlichen in Frankreich und Großbritannien, sondern auch in der Europäischen Union (EU) verklagen. Großbritannien hatte nach dem Auftreten von BSE im Jahr 1986 Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit ergriffen. Das erste Opfer der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit wurde zehn Jahre später registriert. Inzwischen werden in Großbritannien etwa 80 Todesfälle auf diese Krankheit und neue Varianten zurückgeführt.
In den Niederlanden wurde ein neuer BSE-Fall bekannt. Auf einem Bauernhof unweit von Utrecht sei eine Kuh entdeckt worden, die an der Rinderseuche erkrankt sei, teilte das niederländische Landwirtschaftsministerium mit. Die Kuh gehöre zu einer Herde von 61 Rindern, die nun alle geschlachtet würden. Es handelte sich um den siebten bekannten BSE-Fall in den Niederlanden.
BSE-Tests: Experten raten zu Vorsicht
Aus: Stern Online, 18. November 2000, 12.30 Uhr (Thema des Tages). [Original]BERLIN (stern). BSE-Tests können den Verbrauchern nach Expertenansicht keine Sicherheit geben, dass Rindfleisch nicht mit Erregern der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) infiziert ist. "Erst wenn ein Tier Krankheitssymptome aufweist, ist ein Test sicher", sagte Irene Lukassowitz, Sprecherin des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in Berlin. Die Tests können BSE-Erreger nicht im Fleisch, sondern lediglich im Gehirn infizierter Rinder nachweisen. Unklar ist bislang, ob und wie stark Fleisch überhaupt betroffen ist. "Eine breiter Einsatz in Schlachthöfen bringt nur bedingt etwas", sagte Lukassowitz.
"Die Tests sind nur ein ganz indirektes Instrument zum Verbraucherschutz", sagte die Sprecherin. Die Ansteckung müsse einige Jahre zurückliegen, um nachgewiesen werden zu können. Die meisten in Schlachthöfen getöteten Mastbullen seien jedoch jünger als zwei Jahre, sagte Lukassowitz.
Derzeit stehen nach BgVV-Angaben zwei Testverfahren aus der Schweiz beziehungsweise aus Frankreich bei der Tübinger Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen der Tiere [zur Überprüfung] an. Vorgesehen seien die Tests bislang zur Überprüfung der jährlich rund 66.000 älteren Rinder, die in Tierkörperbeseitigungsanlagen entsorgt würden. Sind hier nur wenige Infektionen zu finden, sei eine größere BSE- Ausbreitung in Deutschland unwahrscheinlich.
Bei den Tests werden Gewebeproben auf krankhaft veränderte Eiweiße (Prionen) untersucht, die BSE auslösen und auch bei der menschlichen Variante vCJD eine zentrale Rolle spielen sollen. Er kann auch noch Tage nach der Schlachtung von Rindern durchgeführt werden.
]Wie sicher ist das deutsche Fleisch?
Der Rinderwahnsinn auf dem Vormarsch / Mit Massentests für Rinder und Tiermehlverboten wollen die Franzosen das BSE-Problem bekämpfen. Experten stufen das BSE-Risiko in Deutschland ähnlich hoch ein wie in Frankreich.
Hinweis auf: Der Spiegel 47/2000, 20. November 2000, Seite 288302 (SPIEGEL-Titel/Wissenschaft) von MARCO EVERS, MANFRED DWORSCHAK, VERONIKA HACKENBROCH, ULRICH JAEGER, ROMAIN LEICK, ALEXANDER NEUBACHER, BARBARA SCHMID und SYLVIA SCHREIBER sowie MATTHIAS SCHULZ und JÖRG BLECH. [Original
Die Artikel bzw. Grafiken des SPIEGEL-Titels:
Der lachende Tod der Menschenfresser
Der Hirnschwamm vCJK [= nvCJD] kann noch 40 Jahre nach dem Fleischkonsum ausbrechen.
Aus: Der Spiegel 47/2000, 20. November 2000, Seite 296 (Kasten im SPIEGEL-Titel) von JÖRG BLECH. [Original]
Eine seltsame Seuche brach unter den Kannibalen Neuguineas aus. Die Menschenfresser kicherten idiotisch, torkelten und zitterten am ganzen Leib. Der Geist verfiel in raschem Tempo. Die Erkrankten starben innerhalb weniger Monate.
Mehr als 2500 Frauen und Männer des Fore-Stammes, eines Steinzeitvolkes im Regenwald der pazifischen Insel, wurden im vorigen Jahrhundert dahingerafft. Seinen Namen verdankt das unheilvolle Leiden jenen unkontrollierbaren Lachattacken, mit denen es sich ankündigt. "Kuru" bedeutet in der Fore- Sprache "der lachende Tod". Erst als die australischen Territorialherren 1957 die Menschenfresserei unterbanden, verebbte die Epidemie.
Kuru, die Krankheit der Kannibalen, schien beinahe schon in den Annalen der Heilkunst vergessen. Doch jetzt liefert sie möglicherweise entscheidende Erkenntnisse über "Menschen-BSE": jene neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK), die immer mehr Männer, Frauen und Kinder in Europa befällt. Die Leiden sind eng verwandt: Genau wie bei vCJK weichen bei Kuru Regionen des menschlichen Gehirns schwammartig auf und zerstören auf diese Weise das Denkorgan.
Überdies werden beide Erkrankungen durch Gehirn und Gewebe aus dem Rückenmark übertragen. Die Fore aßen aus rituellen Gründen die Gehirne ihrer infizierten Toten und steckten sich dadurch an, wie der spätere Nobelpreisträger Carleton Gajdusek in den fünfziger Jahren als Erster entdeckte. Die Europäer verzehrten BSE-kranke Kühe. Eng verwandt ist auch die Natur des Erregers: vCJK wie Kuru werden durch infektiöse Eiweißmoleküle, so genannte Prionen, ausgelöst.
Nicht nur die extrem lange Inkubation erregt Besorgnis. Alle Opfer hatten zudem eine ganz bestimmte genetische Ausstattung, die man bisher eigentlich für einen besonders wirksamen Schutz gegen Kuru hielt. Nun zeigt sich: Kein Mensch ist dank seiner guten Erbanlagen gegen Kuru immun und das gilt wohl auch für die eng verwandte vCJK. Dabei hatten Wissenschaftler bisher immer wieder beschwichtigt: Die Mehrheit der Menschen sei auf Grund bestimmter Gene von Natur aus resistent gegen das neuartige Hirnleiden. Die Theorie basiert auf Gentests an den bisher 88 vCJK- Toten und Kranken in Großbritannien. Sämtliche Opfer trugen eine ganz bestimmte Gen-Variante auf dem Chromosom 20: Sie begünstigt die Zusammenballung der giftigen Prionen im Gehirn, falls man mit dem Erreger in Kontakt kommt.
Chronik des BSE-Schreckens
Von der BSE-PageIn Großbritannien tragen 37 Prozent der Menschen dieses Verhängnis in ihren Genen die übrigen 63 Prozent der Bevölkerung hingegen schienen gefeit gegen die neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Die Ergebnisse des Kuru-Forschers Collinge lassen das jetzt mehr als vage erscheinen vermutlich ist jeder Mensch anfällig. Unter der Mehrheit der noch gesunden Menschen mit den scheinbar schützenden Genen bricht der Hirnschwamm möglicherweise nur später aus als unter der anfälligeren Minderheit. "vCJK könnte jeden bedrohen, der dem infektiösen Agens ausgesetzt war", warnt das englische Wissenschaftsblatt New Scientist.
Unversehens erscheinen die 88 vCJK-Opfer wie Vorboten einer Epidemie, die erst noch kommen wird. Millionen von Briten, aber auch Kontinentaleuropäer haben nach Bekanntwerden der BSE-Seuche Beef und Burger verschlungen, als sei nichts geschehen. Jene, die sich dabei infizierten, werden womöglich erst in vier Jahrzehnten krank werden. John Collinge jedenfalls geht von einem lang anhaltenden Seuchenzug aus: Fälle von vCJK, prophezeit der Mediziner, werde man "sicherlich noch bis in die zweite Hälfte des Jahrhunderts sehen".
Vage Einigung in Brüssel
BSE-Beschluss: Nach dem Treffen der EU-Agrarminister bleiben viele Details offen
Aus: Die Welt, Berlin, 22. November 2000, Seite ?? (Politik). [Original]BRÜSSEL. Es war eine Nacht so recht nach dem Geschmack alter Brüsseler Veteranen: sitzen, feilschen, Kompromisse schmieden und ja nicht einschlafen. Wer weiß, was dann die anderen machen? Mittags um 15 Uhr nahmen die 15 Landwirtschaftsminister am Brüsseler Konferenztisch Platz, am nächsten Morgen um acht standen sie wieder auf. Da glaubten sie, einen gemeinsamen Weg gefunden zu haben. Immerhin. Aber ob er zum Ziel führt? Da gehen die Meinungen auseinander.
Als "großen Erfolg" feierte die EU-Kommission die nächtliche Ministerrunde. Zum ersten Mal gebe es "eine politische Grundsatzeinigung", dass auch "gesunde Tiere" BSE-Tests unterworfen werden. So sah es zumindest die Sprecherin des engagierten EU-Verbraucherschutzkommissars David Byrne.
Tatsächlich wollen die Mitgliedsstaaten in zwei Stufen vorgehen: Ab 1. Januar 2001 sollen alle "Risikorinder" getestet werden, die in einem Alter von mehr als zweieinhalb Jahren unter fragwürdigen Umständen sterben. Ab dem 1. Juli 2001 sollen dann "im Lichte der Erfahrungen" aus Phase 1 ausnahmslos alle Rinder über zweieinhalb Jahren getestet werden auch die, die gesund und regulär zur Fleischproduktion geschlachtet werden. Das sind pro Jahr 7 bis 8 Millionen Tiere in der EU; bei Test- und Abwicklungskosten von bis zu 200 Mark pro Fall beliefen sich die Gesamtkosten auf maximal 1,6 Milliarden Mark. "Tests sind gut angelegtes Geld", sagte ein EU-Beamter dazu. Die Kommission werde sich finanziell beteiligen Höhe aber noch offen. Außerdem soll in Tiermehl als Futter für Schweine und Hühner möglichst bald nichts mehr hineindürfen, was nicht auch für menschlichen Verzehr geeignet wäre. Damit folgten die Minister überraschend einem Kommissionsvorschlag aus dem Oktober.
Was die EU-Sprecherin als "Erfolg" feierte, hält die verbraucherpolitische Frontfrau der SPD im Europaparlament für einen "wirklichen Skandal". Die Minister hätten sich wieder einmal darin geübt, "alles kleinzureden", schimpfte Dagmar Roth-Behrendt, seit fünf Jahren mit BSE so eng vertraut wie wenige. Nicht nur die Prüfung der älteren Risikorinder ab Januar 2001 sei viel zu wenig. Vor allem klagt sie, dass "in den Beschluss jeder alles hineininterpretieren" könne. In der Tat ist nicht klar, ob die Agrarminister den wirklich kostspieligen Übergang zu Tests auch an gesunden Tieren noch einmal formell beschließen müssen. Auf jeden Fall sind noch zahlreiche "technische Details" in den nächsten Monaten zu klären, weil es dramatisch an geeigneten Laboratorien fehlt. Das könnten die Bremser nutzen: vor allem die Schweden, Finnen und Österreicher. Sie nennen sich BSE-ungefährdet.
Die Einigung ist auch deshalb vage formuliert, weil sie einstimmig zu Stande kommen musste: Ein Mehrheitsbeschluss hätte einen monatelangen Gesetzgebungsprozess nach sich gezogen. Stattdessen sind die Minister eine einheitliche Selbstverpflichtung eingegangen an manchen Stellen aber auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. [mehr]
Funke spricht von Sicherheit, doch die Länder sind skeptisch
Funke: Sieg für den Verbraucherschutz / Bärbel Höhn ist enttäuscht
Aus: Die Welt, Berlin, 22. November 2000, Seite ?? (Politik). [Original]BRÜSSEL (DW). Als Sieg für den Verbraucherschutz hat Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) die Entscheidung der EU-Agrarminister begrüßt, die BSE-Tests in Europa auszuweiten. Funke sagte nach den Beratungen der Minister gestern in Brüssel, nur durch ein gemeinsames Vorgehen in der EU könne Sicherheit für die Verbraucher erreicht werden. Die Entscheidung, die BSE-Schnelltests auf alle verendeten und notgeschlachteten Rinder auszuweiten, die älter als 30 Monate sind, werde in Deutschland etwa 66.000 Tests pro Jahr bedeuten. Würden alle Rinder, die in Deutschland zum Verzehr bestimmt sind, getestet, würde dies in der Bundesrepublik zu rund einer Million Tests pro Jahr führen.
Dagegen hält die nordrhein- westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) weitere Verbesserungen bei der Suche nach BSE-verseuchtem Rindfleisch für nötig. Zwar sei der Beschluss der EU-Staaten ein großer Fortschritt. "Eigentlich ist es aber sinnvoll, Schlachtvieh schon mit 20 Monaten auf die Seuche zu testen", sagte Höhn gestern. Das jüngste mit der Rinderseuche infizierte Tier sei 20 Monate alt gewesen. Auch künftig könne man nicht von 100-prozentiger Sicherheit für den Verbraucher sprechen.
"Enttäuscht" sei sie darüber, dass Tiermehl außer an Wiederkäuer weiter verfüttert werden dürfe. "Man muss sich mal klar machen, was alles ins Tiermehl kommt", sagte Höhn mit Blick auf die Verwertung auch von einst mit Medikamenten behandelten Haustieren als Futter. Die Verfütterung des Tiermehls sollte nicht nur an Wiederkäuer, sondern auch an Geflügel und Schweine verboten werden, forderte sie. In dieser Richtung werde sie Druck machen. Im Grunde sei ein Exportverbot von britischem Rindfleisch weiter angezeigt. "Die Kennzeichnung ist nur die zweit- und drittbeste Möglichkeit", meinte Höhn.
Für ein Importverbot von britischem Rindfleisch sprach sich neben Bayern auch das Bundesland Hessen aus. Hessen will bei der Bund-Länder-Runde heute in Bonn die Wiedereinführung des Einfuhrverbots fordern. Darüber hinaus müsse auch der Import von französischem Rindfleisch untersagt werden, verlangte die hessische Sozialministerin Marlies Mosiek-Urbahn (CDU) gestern in Wiesbaden. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass in Großbritannien auch Schafe mit dem BSE-Erreger infiziert sind, müssen nach Ansicht von Mosiek-Urbahn die geforderten Schutzmaßnahmen auch auf Schaffleisch ausgeweitet werden. Ebenso werde sich Hessen für die Einführung eines Blutspendeverbotes für Großbritannien-Reisende einsetzen, um das Risiko einer Übertragung der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit durch Blutprodukte zu unterbinden.
Nach Recherchen des ZDF-Magazins Kennzeichen D werden aus Großbritannien trotz der dort grassierenden Scrapie-Seuche lebende Schafe sowie in unbegrenzten Mengen Lamm- und Schaffleisch nach Deutschland eingeführt. Der Scrapie- Erreger gilt als Auslöser der BSE-Epidemie bei Rindern. Obwohl BSE-Experten davon ausgehen, dass mindestens ein Drittel der britischen Schafherden mit Scrapie infiziert sein können, erfolgen die Importe weitestgehend unkontrolliert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes geht es dabei um Millionenumsätze.
Gesundheitsrisiken sehen Wissenschaftler vor allem in der Einfuhr britischer Schafe für Zuchtzwecke. Gegenüber dem TV-Magazin erklärte der Schweizer Prionenforscher Bruno Oesch von der Universität Zürich: "Kritisch wird es bei Tieren, die als Zuchttiere gehalten werden. Die können Prionen auf den Weiden verbreiten. Es ist nachgewiesen, dass diese Verbreitungsart bei Schafen üblich ist. Beim BSE-Erreger wäre das fatal, weil auf den gleichen Weiden auch Kühe weiden und so ein großes Potenzial an BSE verbreitet wird."
Bei den Prionen handelt es sich um die Eiweißmoleküle, die als Erreger des Rinderwahnsinns gelten und sich vor allem im Gehirn ansammeln. Gestern hatte Bundesgesundheitsministerin Fischer bestätigt, dass in Deutschland derzeit ein Einfuhrverbot für britisches Schaffleisch geprüft werde. [mehr] [Aber: Deutschland ist nicht BSE-frei]
Der Wahnsinns-Skandal
Die Seuche BSE ist eine Folge von Vertuschung, Verharmlosung und Schlamperei durch die Politik auch in Deutschland
Aus: Die Welt, Berlin, 22. November 2000, Seite ?? (Politik). [Original]BRÜSSEL. Vorbildlich hatte EU-Verbraucherkommissar David Byrne die freiwillige Ausweitung der BSE-Schnelltests in Frankreich genannt. Doch ausgerechnet diese Maßnahme, die den Verbauchern mehr Sicherheit bringt, hat in Europa erneut Angst und Mißtrauen ausgelöst. Schließlich sind in Großbritannien allein in diesem Jahr schon mehr als 20 Patienten an der menschlichen Form des Rinderwahnsinns (vCJK) gestorben, insgesamt forderte die BSE-Seuche dort schon mehr als 80 Todesopfer.
Doch längst ist BSE kein Problem allein der Briten mehr, es ist ein europäisches Problem. Und Maßnahmen zur Bekämpfung, so Byrne, könnten nur noch gemeinschaftlich erfolgen. Nationale Alleingänge soll es künftig nicht mehr geben. Dass BSE sich aber überhaupt zu einer Seuche dieses Ausmaßes entwickeln konnte, liegt an der Schlamperei der Politik.
Der Hauptteil der Verantwortung für Ausbruch und Ausbreitung von BSE liegt bei Großbritannien, urteilte vor 3 Jahren ein Untersuchungsausschuß des Europa-Parlaments. Die EU-Kommission habe sich massiv am Herunterspielen der Gefahren beteiligt. Angesichts der Lagerhäuser, prall gefüllt mit Rindfleisch, habe die Sorge vor weiteren Turbulenzen auf dem milliardenschweren Markt stets mehr gewogen als Verbraucherschutz.
1985 war in Südengland die erste Kuh an BSE gestorben. Schon zwei Jahre später gelang es, den BSE-Erreger in Versuchen auf Mäuse zu übertragen. Da hatten die Wissenschaftler die Gefahr schon längst erkannt, die Infektion auf kontaminiertes Kraftfutter aus Tiermehl zurückgeführt. Sie riefen dazu auf, die Verfütterung sofort zu stoppen. Nicht nur einzelne erkrankte Tiere, sondern ganze Herden hätten getötet und die Kadaver vernichtet werden müssen, um die Ausbreitung des Erregers zu stoppen. Doch nichts geschah.
Zwar erließ die britische Regierung 1988 ein Verbot, Tiermehl aus den Kadavern von Schafen und Rindern wieder an Rinder zu verfüttern. Aber überprüft wurde das Verbot nicht, dennoch aufgefallene Verstöße nicht bestraft: Die britischen Bauern sollten keine Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren Konkurrenten auf dem Kontinent erleiden. Bis 1994 ließ London das Tiermehl sogar noch exportieren. Hinter den Brüsseler Kulissen setzte die britische Regierung durch, dass bei den spärlichen EU-Inspektionen ihrer Schlachthäuser nach allem gesucht werden durfte, nur nach einem nicht: BSE.
Im damaligen "Wissenschaftlichen Veterinärausschuss" waren oft mindesten zwei der fünf Anwesenden britische Beamte oder Experten, "die mehr oder weniger den Anweisungen des britischen Lndwirtschaftsministeriums unterstanden", wie es in dem Bericht des Europäischen Parlaments hieß. Kritische Beamte seien systematisch von den wichtigen Beratungen ausgeschlossen worden. Ein Ziel war es, "ein Wiederaufflammen der öffentlichen Debatte" über BSE zu unterbinden. In einer privaten Notiz hielt ein niederer EU-Beamter fest, seine Chefs hätten sich geeinigt, gegenüber der Presse eine regelrechte Kampagne "zur Desinformation" zu starten.
"Man hat uns gegen jede Wahrscheinlichkeit gesagt, die BSE-Epidemie sei unter Kontrolle und bald zu Ende", schreibt der schwedische Medizin-Professor Michael G. Koch. "Aber die fortgesetzten Neuerkrankungen in mehreren Ländern sprechen eigentlich dagegen." Die Strategie von Vertuschung hat nicht nur zu einem immensen Vertrauensverlust in die Politik geführt. Es verging auch kostbare Zeit, die für intensive Forschungsarbeiten hätte genutzt werden können. Wäre schon Ende der achtziger Jahre infiziertes Material von BSE-kranken Rindern an gesunde Artgenossen verfüttert worden, ließe sich heute besser abschätzen, welche Gewebe und Körperteile des Rinds tatsächlich infektiös sind.
So wurden bislang die BSE-Erreger in Hirn und Rückenmark kranker Rinder nachgewiesen. Inzwischen erhärtet sich der Verdacht, dass BSE-Erreger auch über das Blut übertragen werden. Und da Muskelfleisch durchblutet wird, könnte der Erreger möglicherweise auch mit dem bislang als sicher geltenden schieren Fleisch übertragen werden. Unklar ist nach wie vor auch, wie hoch die BSE-Konzentration sein muss, damit sich ein Mensch beim Verzehr von Fleisch infizieren kann.
Das Importverbot für britisches Rindfleisch sei viel zu früh aufgehoben, meint denn auch Walter Schulz-Schäffer, Neuropathologe an der Universität Göttingen. Annette Widmann-Mauz, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU, wirft Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer mangelnde Sorgfaltspflicht vor. Mit der Aufhebung des Importverbots habe sie "sehenden Auges das Tor bei BSE aufgerissen" und bekomme es nun nicht mehr zu.
Bislang sind in Deutschland keine Fälle der menschlichen BSE-Form vCJK registriert worden. Und noch gilt Deutschland als BSE-frei. Nur bei sechs Rindern, fünf Importe aus Großbritannien und eines aus der Schweiz, stellten Veterinäre die Diagnose BSE. Doch erst im Sommer attestierten EU-Experten Deutschland und Ländern wie Frankreich, Irland, Spanien, Schweiz und Niederlande ein "wahrscheinliches Risiko" für BSE. Deutschland dürfe sich nicht als "Saubermann" darstellen, meint Professor Detlev Riesner, BSE-Forscher an der Universität Düsseldorf. Auch wenn es zur Zeit noch keine Probleme gebe. Vom Verzehr undefinierbarer Wurst und Rindermark rät er dringend ab.
Auch die geplanten Schnelltests würden keine hundertprozentige Sicherheit geben, warnt Angelika Michel-Drees von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV). Auch der Verzicht auf Rindfleisch banne die Gefahr nicht völlig. Da möglicherweise infektiöses Tiermehl weiterhin an Geflügel, Schweine und Fische verfüttert werde, sei nicht auszuschließen, dass auch solche Tiere den BSE-erreger übertragen können. Meist würden die Tiere im jungen Alter geschlachtet, so dass es unmöglich sei, eine Infektion festzustellen, erklärte Frau Michel-Drees. Der sicherste Schutz vor einer BSE-Infektion sei ein generelles Verbot der Verfütterung von Tiermehl [Ed: was Ignorant Funke (SPD) nicht will].
Unklar ist auch, ob auch Schafe mit BSE-infiziert wurden. Immerhin stammen zehn Prozent des jährlichen Imports von 40.000 Tonnen aus Großbritannien. In Experimenten hatten britische Forscher Schafe mit dem BSE-Erreger infiziert. Die Tiere entwickelten Symptome, die der bekannten Schafkrankheit Scrapie ähnelten. Erst die pathologische Untersuchung zeigte, dass die Tiere nicht an Scrapie, das für den Menschen ungefährlich ist, sondern an BSE erkrankten. Möglicherweise übertragen Schafe den BSE-Erreger, ohne selbst zu erkranken.
So wächst der Druck auf Ministerin Fischer. Ihre Länderkollegen, die Opposition und auch SPD-Politiker fordern im Kampf gegen BSE schärfere Maßnahmen. Bundesregierung und Länder wollen heute auf einem Krisengipfel über die Strategien beraten. Bayerns Sozialministerin Stamm fuhr bereits schweres Geschütz gegen Frau Fischer auf. Angesichts der Gefahren müsse umgehend ein Einfuhrverbot für Rindfleisch aus Großbritannien, Irland, Frankreich und der Schweiz verhängt werden, forderte die CSU-Politikern. Schützenhilfe erhielt sie von Hessens Sozialministerin Marlies Mosiek-Urbahn. Und auch Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Höhn hält die jetzt beschlossenen EU-Maßnahmen noch nicht für ausreichend.
Die SPD-Gesundheitsexpertin Regina Schmidt-Zadel verlangt ein sofortiges Einfuhrverbot für Tiermehl. Dass dieses überhaupt weiter verfüttert werde, nannte sie "abartig". Michael Müller, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sprach sich für ein generelles Verbot von Tiermehlfütterung aus. Frau Fischer wäre durchaus bereit, das potenziell gefährliche Tiermehl aus den Futtertrögen zu verbannen. Das Problem: Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke mauert.
Der größte Problem an der Bekämpfung des BSE-Problems sei, dass weitreichende Entscheidungen auf der Basis von Nichtwissen getroffen werden müssen, meint Professor Herbert Budka, Neuropathologe an der Universität Wien und Koordinatur eines EU-Forschungsprojekts. Für ihn sei die Gesundheit aber auf jeden Fall wichtiger als die Landwirtschaft. [Kommentar] [Aber: Deutschland ist nicht BSE-frei]
C R E U T Z F E L D T - J A K O BTiermehl als Futter bald verboten?
Wegen der BSE-Krise schließt Bundeskanzler Gerhard Schröder ein völliges Verbot der Verfütterung von Tiermehl nicht mehr aus. Der Schutz der Verbraucher vor der Rinderseuche müsse absolute Priorität haben.
Aus: Spiegel Online 22. November 2000, 15.27 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]BERLIN. Schröder sagte heute nach einem Treffen mit der EU-Kommission in Brüssel, Deutschland unterstütze die in der EU beschlossene Ausweitung der BSE-Tests. Würden dabei auch neue BSE-Fälle in Deutschland entdeckt, werde die Bundesregierung reagieren müssen. Er sei durchaus dafür, die Verfütterung von Tiermehl zu verbieten, doch müsse man dabei auch die Konsequenzen wie die Frage der Entsorgung des Mehls berücksichtigen. Wenn er aber die Wahl zwischen diesem Problem und der Gesundheit der Verbraucher habe, stehe die Gesundheitsvorsorge ganz obenan.
BSE steht im Verdacht, beim Menschen eine Variante der tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auszulösen. Die EU-Agrarminister hatten in der Nacht zu gestern eine Ausweitung der BSE-Tests beschlossen, nachdem in Frankreich in diesem Jahr rund 100 Fälle der Rinderseuche entdeckt worden waren.
Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke hatte aber Forderungen abgelehnt, das bereits bestehende Verbot einer Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer in ein generelles Verfütterungsverbot umzuwandeln. Deutsches Tiermehl sei sicher, hatte Funke erklärt. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer hatte dagegen für ein Ende der Verfütterung plädiert. Die Diskussion um das Verfütterungsverbot war durch Frankreichs Landwirtschaftsminister Jean Glavany angestoßen worden [Ed: sorry, es war die britische FSA]. Tiermehl steht im Verdacht, die Verbreitung von BSE zu fördern. Bislang ist in der Europäischen Union nur die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer untersagt, nicht aber an andere Tiere. [mehr]
[EU-Agrarminister: Flächendeckende BSE-Tests ab 2001]
[Trotz Seuche: Unbegrenzte Schafimporte aus England]
[BSE: Deutschlands Rinder zu jung für den Test]
[BSE: Andrea Fischer will mehr Schnelltests]
[Interview: Kein Gebiet in Europa ist BSE-frei]
[SPIEGEL-Titel: Wie lebt man BSE-sicher?]
Wir riskieren die Katastrophe
Ein ZEIT-Gespräch mit John Collinge, einem der führenden britischen BSE-Experten
Aus: DIE ZEIT Nr. 48, 23. November 2000, Seite ?? (Politik). [Original]Collinge arbeitet am Londoner St.-Mary's-Hospital und wissenschaftlicher Berater der britischen Regierung. Er hat jetzt elf Kuru-Opfer aus Neuguinea untersucht. Das beunruhigende Resultat: Kuru wie BSE von infektiösen Proteinen (Prionen) verursacht ist hoch ansteckend und bricht oft erst nach Jahrzehnten aus. Wenn dies ebenso für die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob- Krankheit (vCJD) gilt, steht die Epidemie möglicherweise erst bevor. Dann werden viele Menschen sterben.
DIE ZEIT: Die Gefahr, an der neuen Creutzfeldt-Jakob-Variante (vCJD) zu erkranken, ist größer, als bisher angenommen. Schätzungen gehen von 65 bis 135.000 potenziellen Opfern aus.
JOHN COLLINGE: Mit Prognosen bin ich extrem vorsichtig. Ich bin skeptisch, was die Aussagekraft der Modelle angeht. Denn nun ist erstmals ein 74-Jähriger an vCJD erkrankt. In die Modelle fließen Annahmen ein, die ich nicht teile. Zum Beispiel wird davon ausgegangen, dass nur ein Teil der Bevölkerung mit einem speziellen genetischen Subtyp erkranken wird. Das aber wird so nicht eintreffen.
ZEIT: Was heißt das für eine mögliche Epidemie?
COLLINGE: Menschen, die derzeit an vCJD erkranken, haben womöglich "unglückliche" Genotypen, die sie für die Krankheit extrem empfindlich machen. Wenn das stimmt, ist die entscheidende Frage: Wie hoch ist die Anzahl dieser Individuen? Es könnte sein, dass die 88 bisherigen Fälle nur eine winzige Untergruppe ausmachen und die restliche Bevölkerung nur eine längere Inkubationszeit aufweist.
ZEIT: Sie meinen, dass die eigentliche Epidemie in der Masse der britischen Bevölkerung womöglich noch gar nicht begonnen hat?
COLLINGE: Genau. Wenn wir derzeit nur eine Miniepidemie in einer extrem empfindlichen Untergruppe sehen und die anderen erst zehn Jahre später erkranken, dann wird es kritisch. Die politischen Entscheidungen sollten auf der Annahme beruhen, dass es eine schwere BSE-Epidemie beim Menschen geben könnte.
ZEIT: Besonders beunruhigend ist in Ihren Augen der Vergleich von vCJD mit Kuru, einer Prionenkrankheit beim Menschen, die Sie intensiv erforschen. Was macht Ihnen Sorgen?
COLLINGE: Kuru ist durch Kannibalismus beim Menschen entstanden. Wenn wir die Erfahrungen mit dieser Krankheit ernst nehmen, sollten wir für BSE beim Menschen sehr lange Inkubationszeiten erwarten über 30 Jahre im Durchschnitt. Wie bei vCJD wissen wir auch bei Kuru nicht genau, wann sich die Leute infiziert haben. Immerhin, der Kannibalismus der Fore in Papua- Neuguinea hörte spätestens in den fünfziger Jahren auf. Trotzdem finden wir noch heute Krankheitsfälle bei über 60-Jährigen. Wir wissen, dass damals auch 5-jährige Kinder an Kuru erkrankt sind, die Inkubationszeit also nur 5 Jahre oder mehr als 50 Jahre betragen kann. Der jüngste vCJD-Fall war 12 Jahre, der älteste ist nun 74 Jahre alt. Diese Erkenntnisse passen auf beunruhigende Weise zusammen: Wir befinden uns in einem sehr frühen Stadium der vCJD- Epidemie beim Menschen. Nicht in der Mitte oder gar schon am Ende.
ZEIT: Was war der entscheidende Fehler der britischen Regierung im Umgang mit BSE?
COLLINGE: Hinter verschlossenen Türen hieß es stets: Okay, lasst uns alle Maßnahmen ergreifen für den theoretischen Fall der Übertragbarkeit aber lasst uns den Menschen gleichzeitig sagen, es gibt keinen Grund, sich zu beunruhigen, esst weiter unbesorgt Fleisch. Der Öffentlichkeit wurde verschwiegen, was die wirklichen Unsicherheitsfaktoren waren. Und das führte bei der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zu Problemen, zum Beispiel in den Schlachthöfen. Den Schlachtern am Akkordband wurde eingetrichtert, das Rückenmark sehr sorgfältig rauszuschneiden. Aber dann schauten die abends fern und sahen einen hochrangigen Minister, der seine Tochter einen Hamburger verspeisen lässt und erklärt: Liebe Briten, macht euch keine Sorgen.
ZEIT: Wann gab es erstmals deutliche Hinweise, dass die Annahme falsch sein könnte?
COLLINGE: Um 1990 nahm die Regierung korrekterweise an, dass die Quelle der BSE-Infektionen kontaminiertes Rinderfutter gewesen sein musste. Die zweite Annahme war, dass der Erreger von BSE letztlich dem ähnelte, der die bei Schafen seit Jahrhunderten bekannte Scrapie-Krankheit verursacht. Der Erreger, so glaubte man, sei also vom Schaf auf Rinder übergesprungen. Weil wir auch wussten, dass Scrapie kein Problem für die Gesundheit des Menschen darstellte, schloss man, dass das auch für BSE gelten sollte. Schon damals war diese Annahme zumindest mutig.
ZEIT: Sie klingt aber eigentlich logisch...
COLLINGE: Mag sein. Aber schon damals wussten wir, dass Prionen ihre Eigenschaften ändern können, wenn sie von einer Art auf eine andere überspringen. Als 1990 die ersten Fälle bei Hauskatzen auftauchten, war mir sofort klar: Der BSE-Erreger, egal, ob er vom Schaf kam oder nicht, besitzt andere Eigenschaften als Scrapie. BSE hatte offenbar ein anderes Wirtsspektrum. Die alles entscheidende Frage war nun nur noch, ob der Mensch dazugehörte oder nicht. Ich finde dabei bezeichnend, dass die Hersteller von Katzenfutter die Verwendung von Risikomaterialien aus Schlachtabfällen freiwillig verboten, bevor die Regierung über Maßnahmen bei der Menschennahrung entschieden hatte.
ZEIT: Sie plädieren dafür, Kannibalismus bei der Tierfutterherstellung, also die Verfütterung toter Tiere, europaweit zu stoppen. Warum?
COLLINGE: Die Politiker müssen die Konsequenzen dieses Kannibalismus begreifen. Der Rinderwahnsinn ist eine eindeutige Lektion dafür, was passiert, wenn eine Art an sich selbst verfüttert wird. Beim Menschen gibt es als Lektion die Krankheit Kuru, die in Papua- Neuguinea beim rituellen Verzehr menschlicher Gehirne aufgetreten ist. Es geht inzwischen nicht mehr nur um das Recycling von BSE-infizierten Rindern. Solange man intensives Recycling von infektiösem Gewebe betreibt, egal, von welcher Tierart, riskiert man eine Katastrophe. Als ich erstmals hörte, dass auch Schweine an Schweine oder Hühner an Hühner verfüttert werden, ließ ich das sofort auf die Tagesordnung des Expertengremiums SEAC der britischen Regierung setzen. Wir haben empfohlen, diese Praxis zu stoppen. Die britische Regierung folgte dem Ratschlag. Zumindest in Großbritannien wird es keine Krise durch recyceltes Geflügel oder Schweineabfälle geben. Mich erstaunt, dass andere Länder einfach weitermachen.
ZEIT: Wenn BSE wirklich durch das Recycling von Schlachtabfällen entstand, wieso ist die Krankheit dann nicht früher aufgetreten?
COLLINGE: Das ist ein Rätsel. Noch immer wissen wir nicht, woher BSE eigentlich kam. Die wahrscheinlichste Hypothese ist, dass BSE eine Form sporadischen Rinderwahnsinns bei Kühen repräsentiert, das sich durch das kannibalistische Recycling zur Epidemie auswuchs. Das hätte also in vielen Ländern passieren können. Möglicherweise hatten die Briten schlicht Pech, dass es sie zuerst traf.
ZEIT: Im Bericht der BSE-Untersuchungskommission heißt es, dass die Regierung die Veröffentlichung von Daten unterdrückt habe. Galt das auch für Ihre Arbeit?
COLLINGE: Nein, ich wurde niemals unter Druck gesetzt, eine Arbeit nicht oder verzögert zu publizieren. Anders war das bei Wissenschaftlern, die im Landwirtschaftsministerium MAFF angestellt waren. Damals gab es durchaus die Taktik im MAFF, Veröffentlichungen hinauszuzögern oder zu unterdrücken.
ZEIT: Wie sollte nach Ihren Erfahrungen die wissenschaftliche Politikberatung aussehen?
COLLINGE: Zunächst einmal: Dass jemand Experte für BSE ist, bedeutet keinesfalls, dass er Experte für den Umgang mit der Seuche ist. Ich mag viel darüber wissen, wie BSE sich im Reagenzglas verhält und Tiere infiziert. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass ich weiß, wie ein Schlachthaus funktioniert.
ZEIT: Sollten Forscher überhaupt politische Fragen entscheiden, wie es ihre Regierung wollte?
COLLINGE: Sie sollen beraten, können aber keine Entscheidungen treffen. Als wir damals im SEAC die zehn vCJD-Fälle diskutierten, wurden alle möglichen Optionen auf den Tisch gelegt sogar die, alle britischen Rinder notzuschlachten. Das hätte 10 Milliarden Pfund gekostet. Niemand kann von uns erwarten, solches zu beschließen. Wir sind eine Risikogesellschaft, und über die akzeptablen Risiken müssen gewählte Volksvertreter entscheiden.
ZEIT: Wie hoch ist heute das BSE-Risiko in Großbritannien im Vergleich zum Kontinent?
COLLINGE: Es dürfte derzeit in einigen europäischen Ländern wie Frankreich höher sein. Die Maßnahmen in Großbritannien sind stringent und werden unglaublich scharf kontrolliert. Es gibt Armeen von Fleischinspektoren. Wir essen nur noch Tiere, die jünger sind als 30 Monate, alle bekannten Risikomaterialien werden trotzdem entfernt. Diese Maßnahmenpalette gibt es nirgends sonst in Europa.
ZEIT: Also könnten uns unliebsame Überraschungen ins Haus stehen. Arbeiten die Pharmafirmen an Medikamenten gegen vCJD?
COLLINGE: Leider können Sie die selbst mit 130.000 potenziellen Fällen nicht motivieren, das ist kein großer Markt. Die Pharmakonzerne wollen Medikamente für 10 Prozent der Bevölkerung entwickeln, gegen Leiden wie Krebs, Herzinfarkt oder Alzheimer.
ZEIT: Gibt es denn in Ihrem Labor überhaupt Ansätze für Therapien gegen Prionenerkrankungen?
COLLINGE: Ja, und es gibt sogar eine Pharmafirma, die daran interessiert ist, Glaxo Wellcome. Der Ansatz ist, die natürliche Form der Prionen zu stabilisieren, damit sie nicht in krankhafte umschlagen. Wir wissen zwar immer noch nicht, was die Nervenzellen im Gehirn zugrunde gehen lässt. Das infektiöse Prion selbst ist nicht toxisch für Nervenzellen. Irgendein Zwischenstadium löst die Krankheit aus. Wir testen derzeit 100.000 Substanzen daraufhin, ob sie das Umschlagen der Prionen in die krankhafte Form hemmen können.
ZEIT: Eine Ethikkommission hat Ihnen vor wenigen Monaten erlaubt, nach Mandeloperationen entnommene Mandeln anonym auf BSE-Infektionen zu testen. Damit soll die heikle Frage untersucht werden, wie viele Briten den Erreger in sich tragen. Wann gibt es Ergebnisse?
COLLINGE: Wir testen derzeit die ersten 1000 frisch entnommenen Mandeln.
ZEIT: Jede positive Probe kann statistisch den Tod Tausender Briten bedeuten. Was werden Sie tun, wenn Sie schlechte Nachrichten haben?
COLLINGE: Sobald wir einen positiven Befund aufspüren, reiche ich sofort eine Veröffentlichung im Fachjournal Lancet ein. Sie hören also rechtzeitig davon, es wird nichts verheimlicht.
[DIE ZEIT: Rätselhafter Wahn] [DIE ZEIT: Tests gegen den Tod]
Sofortiges Verfütterungsverbot von Tiermehl ist notwendig
Aus: SPD-Bundestagsfraktion, 23. November 2000, 16.00 Uhr (Pressemitteilung).Zur Diskussion über die Gefahren durch die Verfütterung von Tiermehl erklärt der Vorsitzende der SPD- Bundestagsfraktion, Peter Struck:
1. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüsst, dass
2. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, dass in Deutschland seit Jahrzehnten ein Verfahren der Tiermehl- herstellung angewandt wird, das größtmögliche Sicherheit bietet. Allerdings sind Restrisiken einer BSE- Übertragung nicht auszuschliessen,
- Frankreich ein vorübergehendes Verbot der Verfütterung von Tiermehl beschlossen hat,
- ein solches Verfütterungsverbot bereits in anderen Mitgliedstaaten besteht,
- die EU-Kommission Vorschläge unterbreitet hat, die den mittelfristigen Ausstieg aus der Tiermehlverfütterung zur Folge hätten.
- wenn Tiermehl weiter aus Ländern mit weniger sicheren Verfahren importiert wird,
- weil eine absolut sichere Trennung der Futtermittelherstellung für Wiederkäuer (Verfütterungsverbot von Tiermehl seit 1994) und Nicht- Wiederkäufer (Schweine und Hühner) in Frage gestellt wird,
- weil Wissenschaftler auch bei Anwendung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens der Tiermehlherstellung auf Untersuchungen verweisen, wonach eine vollständige Abtötung des BSE-Agens [Ed: infektiöse Prionen] nicht erfolgt sei.
3. Die SPD-Bundestagsfraktion bittet die Bundesregierung, auf ein EU-weites Tiermehlverfütterungsverbot hinzuwirken. Die SPD-Bundestagsfraktion ist allerdings der Meinung, dass bis dahin nicht abgewartet werden darf. Aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes muss deshalb die Verfütterung von Tiermehl in Deutschland vollständig verboten werden. Darüber hinaus ist ein Importverbot für Rindfleisch aus Großbritannien, Frankreich, Irland und der Schweiz zu prüfen.
BSE-Übertragung: Kommt das Tiermehl-Verbot?
[Ed: Voilà!] In der Politik verdichten sich die Hinweise, dass in Deutschland bald kein Tiermehl mehr verfüttert werden darf. Selbst Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) schließt ein Verbot nicht mehr aus.
Aus: Spiegel Online 23. November 2000, 18.51 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]BERLIN. Die Bundesregierung will die Verfütterung von Tiermehl zum Schutz vor BSE möglichst schnell unterbinden. "Die Bundesregierung ist sich einig, dass der Ausstieg aus der Verfütterung von Tiermehl sehr zügig erfolgen muss, und wird jetzt die Modalitäten des vollständigen Ausstiegs erarbeiten", sagte Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) heute in Berlin.
Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, will Tiermehl sofort aus den Ställen verbannen. Es müsse schnell ein generelles Verfütterungverbot erfolgen, da das "Restrisiko" einer BSE- Übertragung nicht ausgeschlossen werden könne, so Struck. "Der Schutz der Menschen steht absolut im Vordergrund."
Die SPD-Fraktion werde die Regierung bitten, auf ein EU-weites Verbot hinzuwirken, so Struck. Eine einheitliche europäische Regelung dürfe jedoch nicht abgewartet werden. Der SPD-Politiker forderte auch einen nationalen Alleingang beim Exportverbot von Rindfleisch aus Großbritannien, Frankreich, Irland und der Schweiz.
Funke, der bislang die Notwendigkeit der Tiermehlverfütterung bekräftigt hatte, korrigierte seinen Kurs nun [um 180 Grad]: Wenn der Verbraucher ein solches Verbot wünsche, müsse ein "systematischer Ausstieg" aus dieser Art der Fütterung "sorgfältig" vorbereitet werden. Allerdings sehe er keinen Grund "für ein hektisches Vorgehen", so Funke, da in Deutschland das Tiermehl nach einem sicheren Verfahren hergestellt werde. Ein übereiltes Verbot bringe neue Probleme. Tier- und Schlachtabfälle müssten weiterhin hygienisch entsorgt werden. Nach Ansicht Funkes ist es nicht möglich, Tiermehl kurzfristig durch pflanzliches Eiweiß zu ersetzen.
Der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Martin Wille, erklärte, kein Land könne derzeit behaupten, BSE-frei zu sein. Wille wies jedoch darauf hin, dass bei einem Tiermehl- Verbot verstärkt Soja importiert werden müsse. Rund die Hälfte des in den USA angebotenen Sojamehls stamme jedoch von genmanipulierten Pflanzen. "Hier entsteht ein riesiges Problem", sagte Wille. In Frankreich habe dies bereits heftige Diskussionen ausgelöst.
Die Union warf der Regierung Untätigkeit bei der BSE-Bekämpfung vor. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU- Fraktion im Bundestag, Horst Seehofer, erklärte, die Regierung müsse wieder einen Importstopp für britisches Rindfleisch verhängen. Der frühere Bundesgesundheitsminister forderte in der Berliner Morgenpost ein generelles Verbot der Verfütterung von Tiermehl. [mehr]
[SPD-Bundestagsfraktion: Sofortiges Verfütterungsverbot von Tiermehl ist notwendig]
[Bauernpräsident: Tiermehl nicht verbieten]
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