BSE & Co in den Medien – Teil 10 khd
Stand:  3.6.2003   (29. Ed.)  –  File: M/edien10.html




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (11. Teil).
  • 30.11.2000: BSE-Schnelltests ab nächster Woche Vorschrift.
  • 30.11.2000: BSE: Wir forschen zu wenig. (Interview mit Prof. Hans Kretzschmar)
  • 30.11.2000: BSE: Knochen, Blut und Politik. (Ökologie wieder ein Thema)
  • 30.11.2000: BSE: Wir Allesfresser. (Fünf Maßnahmen gegen BSE)
  • 30.11.2000: BSE-Experte Bruno Oesch: Das kümmert kein Schwein.
  • 30.11.2000: Clement mahnt rasches Umdenken in Landwirtschaft an.
  • 29.11.2000: EU-Kommission plant europaweites Tiermehl-Verbot.
  • 29.11.2000: BSE: Der Tschernobyl-Effekt. (Kekulé-Kolumne)
  • 28.11.2000: BSE-Erreger vielleicht auch im Erdboden.
  • Ältere Presseberichte  (9. Teil).



    BSE-Erreger vielleicht auch im Erdboden

    Umweltministerium will verseuchte Weideflächen unter Quarantäne stellen

    Aus:
    Yahoo-News, 28. November 2000, 17.39 Uhr (Vermischtes). [Original]

    BERLIN. Möglicherweise kann der Erreger der Rinderwahn-Seuche auch im Boden überdauern. Auf diesen Verdacht von Experten hat Bundesumweltminister Jürgen Trittin heute hingewiesen. Der wissenschaftliche Beirat seines Ministerium habe empfohlen, Weideflächen unter Quarantäne zu stellen, wenn ein Verdacht auf BSE-Verseuchung vorliege.

    Der Rat schließe nicht aus, dass der Erreger längere Zeit im Boden überdauern und als Infektionsträger über das Weidegras erneut in die Nahrungskette gelangen könne, sagte Trittin. Es müsse daher abschließend geklärt werden, ob von Böden "Gefahr für Mensch und Umwelt ausgehe." Nach dem ersten BSE- Fall in Schleswig-Holstein habe diese Frage "höchste Priorität".

    [Informationen zum Risiko, daß BSE-Erreger vom Boden auf Rinder übertragen werden können]



    Der Tschernobyl-Effekt

    Warum der Aktionismus gegen BSE nicht viel bringt

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 29. November 2000, Seite 8 (Kolumne: Was Wissen schafft) von ALEXANDER S. KEKULÉ, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. [Original]

    Seit der gescheiterten Klimakonferenz haben wir von den Amerikanern gelernt, dass die globale Erwärmung gar nicht stattfindet, wenn man nur die Treibhausgase geschickt gegen Waldflächen und russische Emissionsgutscheine verrechnet. Auch beim GAU von Tschernobyl bestand in Deutschland "keine Gefahr" – bis Wissenschaftler und Journalisten heftig knatternde Geigerzähler vor TV-Kameras hielten. Und BSE konnte Deutschen nichts anhaben, weil ja nur ausländische Tiere krank werden.

    Erstaunlicherweise zahlt sich das absurde Katastrophen- Management für die Verantwortlichen sogar meistens aus: Erstens ist ein Sündenbock politisch gesehen ein nützliches Haustier. Solange die anderen an allem schuld sind, brauche man sich um die eigenen Treibhausgase, AKWs oder BSE-Teste nicht zu kümmern.

    Zweitens lassen sich drastische Maßnahmen in Demokratien leichter umsetzen, wenn die Katastrophe bereits eingetreten ist: Bereits vor 10 Jahren vermuteten Wissenschaftler, dass BSE durch verseuchtes Tiermehl auch auf andere Arten übertragen werden könnte. Trotzdem hätte damals kein Politiker ein Milliarden teures Totalverbot durchsetzen können.

    Schließlich hat der politische Tschernobyl- Effekt – die Unfähigkeit der Politik, wissenschaftlich vorhergesagte Katastrophen abzuwenden – auch noch die Eigenschaft, sich selbst zu verstärken: Je länger die Verantwortlichen abwarten, desto einschneidender werden die erforderlichen Maßnahmen.

    Die 1997 in Kyoto festgelegten Klimaschutz-Regeln hat kaum ein Land eingehalten – nun ist das Ziel einer 5,2-prozentigen Reduktion der Treibhausgase bis 2012 nur noch mit drastischen Mitteln zu erreichen.

    Auch der plötzlich entflammte Aktionismus der Bundesregierung in Sachen „German beef“ hält sich streng an das Szenario des Tschernobyl-Effekts: Die beschlossenen Maßnahmen, totales Tiermehlverbot und BSE-Teste, hätten vor Jahren möglicherweise die Ausbreitung der Prionen- Seuche eindämmen können – jetzt reichen sie nicht mehr aus.

    Da deutsche Rinder nicht auf BSE getestet wurden und die Verwertung hoch infektiöser Organe wie Gehirn und Rückenmark erst seit Oktober verboten ist, waren der Ausbreitung des Erregers jahrelang Tür und Tor geöffnet. Da macht es auch keinen Unterschied, ob das Verbot sofort per Eilverordnung oder ein paar Tage später per Gesetz kommt.

    Auch der BSE-Test ist für das aktuelle Problem von beschränktem Nutzen. Durch reihenweise Untersuchungen älterer Tiere können mit dem Test zwar mit BSE infizierte Herden identifiziert werden – bis eine Herde als "BSE-frei" gelten kann, vergehen jedoch Jahre.

    Die Sicherheit von Fleisch aus einer unsicheren Herde kann ohnehin nicht verbessert werden, da die meisten Rinder so jung geschlachtet werden, dass der Test noch nicht anspricht. Die Forderung von Verbraucherschützern und Politikern, Rindfleisch vor dem Verkauf als "BSE-frei" zu testen, ist daher technisch (noch) nicht machbar.

    Konsequent wäre es, alle Rinder- Herden, die jemals mit Tiermehl gefüttert wurden, bis zum Vorliegen der Testergebnisse zu sperren. Konsequent wäre es, nicht sicher BSE-freies Rindfleisch in Kindergärten und Schulen vom Speiseplan zu streichen. Konsequent wäre es, viel Geld in die Diagnostik und Therapie zu stecken. Aber dafür muss die Katastrophe noch größer werden.

    [Kekulé-Kolumne vom 9. August 2000: Auch deutsches Beef ist wahrscheinlich nicht BSE-frei]



    EU-Kommission plant europaweites Tiermehl-Verbot

    Aus:
    Yahoo-News, 29. November 2000, 19.20 Uhr (Politik). [Original]

    BRÜSSEL/BERLIN. Im Kampf gegen die Rinderseuche BSE will die EU-Kommission das geplante Tiermehlverbot auf die gesamte Europäische Union ausweiten. Der für den Verbraucherschutz zuständige EU- Kommissar David Byrne sagte heute in Brüssel, die Kommission strebe ab Januar ein zunächst auf 6 Monate befristetes Verfütterungsverbot an. Darüber sollen die EU-Agrarminister in einer Sondersitzung am Montag [4.12.2000] entscheiden. Im Bundestag einigten sich Agrar- und Gesundheitsausschuss auf einen Gesetzentwurf zum Tiermehlverbot in Deutschland. Der Entwurf geht über bisherige Pläne hinaus und sieht für Nutztiere nur noch pflanzliches Futter vor. Der Bauernverband kritisierte ein solches Totalverbot als überzogen.

    Die Agrarminister aus Italien, Dänemark und Frankreich begrüßten den Vorstoß der EU-Kommission. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (beide SPD) hatten ebenfalls ein EU- einheitliches Tiermehlverbot gefordert. Schröder verlangte in der Haushaltsdebatte des Bundestags angesichts der BSE-Krise eine grundlegende Reform der Landwirtschaft. Es müsse nun darum gehen, die industriellen Agrarfabriken abzuschaffen und eine verbraucherfreundlichere Landwirtschaft zu entwickeln. Der Weg des Produktes Fleisch müsse sich künftig lückenlos verfolgen lassen.

    Byrne und EU-Agrarkommissar Franz Fischler begründeten ihren Vorstoß mit dem Unverständnis der Verbraucher auf die unterschiedlichen Vorgehensweisen in den EU-Ländern. "Die Maßnahmen sind nötig, um das Vertrauen der Verbraucher wieder zu erhöhen", sagte Byrne. Fischler ging von einer Jahresmenge von 3 Millionen Tonnen proteinhaltigem Tiermehl in der EU aus, dessen Entsorgung etwa 3 Milliarden Euro kosten würde. Die EU- Kommission will außerdem erreichen, dass Rindfleisch von Tieren, die älter als 30 Monate sind, nur noch nach Tests in den Handel kommt.

    In Deutschland soll das Verbot am Samstag in Kraft treten, nachdem die ersten beiden Fälle von BSE-erkrankten Rindern am vorigen Freitag [24.11.2000] bekannt geworden waren. Tiermehl gilt als ein möglicher Übertragungsweg für BSE. Der Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition war nochmals ausgeweitet worden. Nutztiere dürften künftig nur noch mit Pflanzen oder mit Milch- und Molkereiprodukten gefüttert werden, teilten Sprecher der zuständigen Bundestags- Ausschüsse nach getrennten Sitzungen mit. Damit ist auch die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene Verfütterung von gemahlenen Knochen, Federn oder Hornspänen künftig verboten. Mit Fischmehl dürfen danach nur noch Fische gefüttert werden.

    Der Gesetzentwurf beziffert die Kosten für die Entsorgung von Tierkörpern auf bis zu 2 Milliarden Mark pro Jahr. Die Kosten teilen sich in der Regel Länder, Kommunen und Landwirte zu je einem Drittel. Die Ministerpräsidenten der Länder würden darüber am Donnerstagabend [30.11.2000] mit Bundeskanzler Schröder sprechen, sagte der SPD- Agrarexperte Matthias Weisheit. Bislang wurde von der Fleischindustrie nicht verwertbare Tierkörper und Abfälle jährlich zu gut 1 Million Tonnen Tiermehl verarbeitet.

    Bauernpräsident Gerd Sonnleitner kritisierte dagegen das Vorgehen der Koalition scharf. "Die Politik macht hier Tabula rasa", sagte Sonnleitner in Hannover. Ein Totalverbot sei wissenschaftlich nicht zu begründen. Mehl aus Fleischknochen oder Tierfette seien bislang amtlich als lebensmitteltauglich eingestuft worden. Tiermehl werde seit langem nicht mehr an Rinder verfüttert und scheide somit als Überträger von BSE aus. "Was jetzt gemacht wird, hat mit Verbraucherschutz nichts zu tun", sagte Sonnleitner.

    Der vom Bundesumweltministerium eingesetzte Wissenschaftliche Beirat Bodenschutz hält es für möglich, dass BSE-Erreger sich längere Zeit im Boden halten könnten und auf diesem Weg in die Nahrungskette gelangen könnten. Deshalb müssten Weiden, die möglicherweise durch den Kot von BSE-kranken Tieren verseucht worden sind, unter Quarantäne gestellt werden. Zudem müsse 2001 mehr Geld für die BSE-Forschung bereit stehen.

    Bundeslandwirtschaftsminister Funke wies Vorwürfe zurück, er habe die Rinderseuche BSE verharmlost. "Dann hätten außer mir auch alle meine Vorgänger verharmlost", sagte Funke in Berlin [Ed: ja, auch die haben massiv verharmlost]. Er sehe daher überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt [Ed: und somit ein Minister auf Abruf]. Auch der Bundeskanzler stehe hinter ihm. Der CSU-Politiker und frühere Gesundheitsminister Horst Seehofer warf Funke vor, er habe seine Amtspflicht verletzt, weil er sich bis vor Kurzem noch gegen ein Tiermehlverbot gewehrt habe. Zu möglichen Entschädigungen für Rinderzüchter nach dem ersten BSE-Fall wollte sich Funke nicht konkret äußern. Die Nachfrage von Rindfleisch ist in den Tagen nach dem ersten deutschen BSE-Fall deutlich zurückgegangen.



    Clement mahnt rasches Umdenken in Landwirtschaft an

    Aus:
    Yahoo-News, 30. November 2000, 12.12 Uhr (Politik). [Original]

    BONN. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement hat heute mit Blick auf die aktuelle BSE-Krise ein rasches Umdenken in der Landwirtschaft angemahnt. "Wir brauchen eine Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft und eine Förderung regionaler Absatzstrukturen", sagte der SPD-Politiker in Bonn. Nachhaltigkeit müsse auch bei der Agrarpolitik Vorrang vor Produktivitätsrekorden haben. Auf Dauer seien nur Landwirte erfolgreich, die dem Verbraucherschutz und der Sicherheit ihrer Lebensmittel eine alles überragende Bedeutung zumessen. Die Politik müsse dafür die Rahmenbedingungen schaffen, meinte der SPD-Politiker.



    S C H W E R P U N K T  B S E

    Das kümmert kein Schwein

    BSE-Experte Bruno Oesch: Die Lobby verhindert die Aufklärung

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 49, 30. November 2000, Seite ?? (Wissen). [Original]

    Der Hirnforscher Bruno Oesch ist einer der Gründer der Zürcher Firma Prionics AG, die einen BSE-Schnelltest entwickelt hat.

    DIE ZEIT: BSE macht allen Angst. Wen würden Sie zur Verantwortung ziehen?

    Bruno Oesch: Die Politiker. Wobei man herausfinden müsste, wer in der Industrie die Politiker unter Druck gesetzt hat, damit diese nichts unternehmen.

    ZEIT: Die Regierungen verweisen gerne darauf, dass der Übertragungsweg nicht hundertprozentig geklärt sei.

    Oesch: Tatsache ist, dass BSE auf den Menschen übertragen werden kann. Also müssen wir wenigstens verhindern, dass noch mehr BSE- verseuchtes Fleisch in den Handel gelangt.

    ZEIT: Also: testen. Doch an Ihrem Test wird kritisiert, dass er nicht früh genug anzeigt, ob ein Tier infiziert ist.

    Oesch: Bei AIDS hätte man das gleiche Argument bringen können: Die ersten Tests haben HIV-Infizierte nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent erkannt. Das ist immer noch besser als gar kein Test. Schon damit hätte man Hunderten von Blutern das Leben retten können. Und mit unserem BSE-Test stehen wir heute schon viel besser da. Unser Ziel ist es, möglichst viele infizierte Tiere zu entdecken, und wenn wir zunächst nur die Tiere mit der größten Infektiosität erwischen, dann nehmen wir diese eben schon mal aus der Nahrungskette. Auf diese Weise könnten wir wahrscheinlich über 99 Prozent der Infektionsquellen eliminieren. Den hundertprozentig zuverlässigen Test gibt es weder für HIV noch für BSE. Aber anstelle Hunderter steckt sich dann vielleicht nur noch einer an.

    ZEIT: Noch ist völlig unklar, wie sich Kühe infizieren. Kann es sein, dass dabei Kofaktoren wichtig sind? Schadstoffe wie Organophosphate, Mangan oder Kupfer?

    Oesch: Organophosphate scheinen ein Faktor zu sein, der die Konzentration der Erreger fördert.

    ZEIT: Wirft das die herrschende Theorie über den Haufen?

    Oesch: Nein. Dass Kofaktoren existieren, ist ja nicht weiter erstaunlich. Ich hätte zum Beispiel mit dem Einsatz von Organophosphaten früher aufgehört.

    ZEIT: Mit Organophosphaten wurde früher die Dasselfliege bekämpft, ein Schädling in der Tierhaltung.

    Oesch: Zumindest in der Schweiz wird das im großen Stil weiter gemacht – vor allem bei der Schweinehaltung.

    ZEIT: Ist bei Schweinen etwas Ähnliches wie BSE aufgefallen?

    Oesch: Wir haben uns Schweine angeschaut, aber nichts gefunden. Aber die Tiere sind prädestiniert dafür, BSE zu kriegen. Sie haben wesentlich mehr natürliche Eiweiße vom Typ der "Prion-Proteine" im Hirn als andere Spezies – und es besteht nun einmal die Gefahr, dass diese Proteine in eine krankhafte Form umschlagen. Leider werden die meisten Schweine nicht älter als ein Jahr, ausgenommen die Muttersauen, weshalb ich liebend gerne Muttertiere untersuchen würde. Doch die Schweizer Veterinärbehörden haben beschlossen, dass Schweine nicht getestet werden, weil sonst die Kunden verunsichert sind. Die Logik: Findet man bei Schweinen etwas, bricht die Schweineindustrie zusammen.

    ZEIT: Sind denn ältere Muttertiere schon auffällig geworden?

    Oesch: Wenn sich eine Muttersau seltsam verhält, wird sie geschlachtet und zu Tiermehl verarbeitet. Die Ursache kümmert sozusagen kein Schwein. Das Tier wird nicht auf BSE untersucht. Falls BSE in Schweinen existiert, dann hat das keiner bemerkt, weil noch keiner nachgeschaut hat.

    ZEIT: Kaufen Sie doch einem Schlachter eine Muttersau ab.

    Oesch: Mit einer oder zehn Sauen ist es nicht getan. Wir müssten das im großen Stil machen. Das wäre umso wichtiger, weil jetzt alles Tiermehl an Schweine verfüttert wird. Das schlimmste ist, dass Schweine an Schweine verfüttert werden. Der gleiche Kreislauf hat die Verheerung bei den Kühen angerichtet. Und dann vergessen wir bitte nicht: Die Schweiz hat 120 Millionen Franken für die Stützung des Rindfleischpreises ausgegeben – aber nicht für Tests.



    S C H W E R P U N K T  B S E

    Wir Allesfresser

    Fünf Maßnahmen gegen die BSE-Seuche

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 49, 30. November 2000, Seite ?? (Wissen). [Original]

    Es könnte alles so einfach sein: Verseuchtes Tiermehl verursacht den Rinderwahn BSE, Fast Food oder Kalbsbries lassen Menschen tödlich erkranken. Wäre das der gesicherte Stand der Forschung, stünde auch das politische Programm felsenfest: Tiermehl verbieten, wankende Rinder töten und verbrennen, Hirn, Rückenmark und andere verdächtige Gewebe im Schlachthof entfernen – und abwarten. Wer jetzt noch erkrankt, ob Tier oder Mensch, ist ein bedauernswertes Opfer, das sich in der Vergangenheit infiziert hat. Aber fürderhin wäre die Seuche gestoppt.

    Wären da nicht jene Tiere, die nach wissenschaftlich verordneter Tiermehldiät partout nicht erkranken, und jene Rinder, die der Wahn Jahre nach dem Fütterungsverbot in Großbritannien befällt. Wären da nicht jene Menschen, die auch ohne übermäßigen Hirn- und Hamburgerkonsum, als Vegetarier gar von der fürchterlichen Krankheit befallen werden. Wäre da nicht jener Erreger, der unsichtbar und nahezu unsterblich die Forscher immer noch vor Rätsel stellt. Es ist dieses verhängnisvolle Nichtwissen, das die immer gleichen Muster europäischer Politik im Umgang mit BSE erklärt. Die Forscher sind hilflos, die Politiker berufen sich auf den Stand der Forschung – und wanken mit jeder neuen Hypothese.

    Lange galt die Schafskrankheit Scrapie als BSE-Ursache. Die These war nicht nur naheliegend, sondern in Großbritannien, wo BSE zuerst auftrat, auch politisch opportun. Da Scrapie nie auf den Menschen übersprang, galt auch BSE nicht als Bedrohung für den Konsumenten, ein verhängnisvoller Fehlschluss. Übertragungswege, hieß es sodann, seien Tiermehl und wenige Rindergewebe. Nachdem sie die Verfütterung und Verarbeitung von beiden verboten hatten, legten britische Politiker die Hände in den Schoß. Zu früh: Noch immer gibt es neue BSE-Fälle auf der Insel, noch immer erkranken Menschen. Die Franzosen hingegen sahen das größere Risiko in der Rindermast mit Wachstumshormonen und führten einen heftigen Handelskrieg mit den USA. Das BSE-Problem selbst, hofften sie, werde sich bis 2001 erledigt haben. Nun verzeichnet Frankreich immer noch steigende BSE-Zahlen.

    Schließlich Deutschland: „Deutsches Fleisch ist sicher“, wurde Agrarminister Karl-Heinz Funke nicht müde zu betonen. Auch dann noch, als im Juli eine europäische Expertenkommission warnte, BSE sei in Deutschland lediglich noch nicht nachgewiesen, ein Auftreten der Krankheit aber sehr wahrscheinlich. Jetzt ist er da, der angekündigte Wahn. Funke wankt, aber er fällt nicht. Zwei Minister hat Bundeskanzler Gerhard Schröder gerade verloren; müsste jetzt auch noch der Landwirt im Kabinett zurücktreten, hätte Deutschland nicht nur eine BSE-Krise.

    Statt nun konsequentes Risikomanagement zu betreiben, weisen die Verantwortlichen einander die Schuld zu. Die Bundesregierung beschimpft die Brüsseler Kommission und die Agrarfunktionäre: Sie hätten nicht konsequent genug gehandelt. Brüssel erwidert, die Deutschen seien oft genug gewarnt worden. Die Opposition wittert ihre Chance und greift Landwirtschafts- und Gesundheitsministerium an. Und Bayern bleibt dabei: Wir sind BSE-frei.

    Der hysterische Aktionismus zeigt: Die Politik tut sich schwer im Umgang mit Risiken, deren Eintrittswahrscheinlichkeit gering, deren möglicher Schaden aber immens ist. Denn ihre Eindämmung kostet viel Geld, und der Erfolg der mühsam gegen den Druck von Lobbyisten durchgesetzten Maßnahmen ist so wenig zu berechnen wie das Risiko selbst. Was in einem solchen Moment allein zählt, ist konsequenter Verbraucherschutz: Vorbeugung statt menschenverachtender Rechnung mit Wahrscheinlichkeiten. Das hätten deutsche Politiker aus den Fehlern ihrer britischen Kollegen längst lernen können. Jetzt wird – spät, aber immerhin – in die Wege geleitet, was bei allem Nichtwissen notwendig ist. Das ist vielleicht das Gute am ersten deutschen BSE-Fall. Fünf Maßnahmen stehen im Vordergrund.

    Erstens. Das Verbot der Verfütterung von Tiermehl, einschließlich des immer noch zugelassenen Blut- und Knochenmehls, soll nach dem Willen der Bundesregierung europaweit durchgesetzt werden. Nur so ist sicherzustellen, dass Rinder kein verunreinigtes oder von kriminellen Herstellern vermischtes Futter erhalten. So wird auch das hypothetische Risiko verringert, dass Schweine oder Hühner die Seuche übertragen, an der sie selbst nicht erkranken.

    Zweitens. Das Risikomaterial – Hirn, Rückenmark und andere Gewebe, die den Erreger in hohen Konzentrationen enthalten können – darf nicht in die Nahrungskette gelangen. In Frankreich gilt diese Regelung seit langem. Deutschland hat hingegen unter dem Druck der Agrarlobby viel zu lange gezögert, den entsprechenden EU-Beschluss umzusetzen.

    Drittens. Vom Bauernhof bis zum Metzger bedarf es strenger Kontrollen. Wenn bei Stichproben innerhalb weniger Tage BSE-Fälle und Futtermittelskandale aufgedeckt werden, ist das nicht, wie Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke behauptet, ein Beweis für ein funktionierendes Überwachungssystem, sondern ein Alarmzeichen. Da die Kontrolle Ländersache ist, gibt es hierzulande bisher kein einheitliches System.

    Viertens. Auch wenn die europaweit geplanten BSE-Tests dem Verbraucher keine letzte Sicherheit geben können, weil hierzulande meist das Fleisch junger Rinder in den Verkauf gelangt, bei denen die bisher verfügbaren Testverfahren versagen: Die Tests an älteren Tieren können und müssen so ausgelegt werden, dass verlässliche statistische Aussagen über die Verbreitung von BSE in Deutschland möglich werden. Zudem ist es auch hier dringend notwendig, die Verfahren zu vereinheitlichen.

    Fünftens. Der Verbraucher muss wissen, woher sein Fleisch kommt. Die ursprünglich für das Jahr 2002 vorgesehene ausführliche Kennzeichnung – Wo ist das Tier geboren? Wo wurde es gemästet, geschlachtet, das Fleisch zerlegt? – soll jetzt so schnell wie möglich kommen. Das können die Deutschen nicht im Alleingang machen. Noch immer zeichnen einige europäische Staaten nicht einmal britisches Fleisch entsprechend aus. All das ist notwendig, aber nicht ausreichend. Die BSE-Krise zeigt wie kein anderer Lebensmittelskandal der vergangenen Jahrzehnte, dass die industrialisierte Landwirtschaft zum Risiko wird.

    Doch die gegenwärtige Agrarpolitik zementiert mit Entschädigungen und Subventionen das bestehende System – und das nicht nur in Deutschland. Allein mit den 120 Millionen Franken, die in der Schweiz nach dem dortigen Ausbruch des Rinderwahns in Stützungskäufe für den heimischen Markt investiert wurden, hätte man nach Ansicht von Experten die Tiere zehn Jahre lang auf BSE testen können (siehe Interview).

    Eine verhängnisvolle Preispolitik betreibt aber auch der Verbraucher selbst. Wer Fleisch an der Billigtheke kauft, forciert den Preiskampf mit tödlichen Folgen. Ein 4-Personen-Haushalt mit mittlerem Einkommen gab noch 1950 in den alten Bundesländern 45 Prozent ihres Konsumetats für Lebensmittel aus. Heute sind es gerade noch 15 Prozent. Musste man 1970 noch durchschnittlich 115 Minuten für ein Kilo Rinderbraten arbeiten, sind es heute noch 56 Minuten. Der beste Verbraucherschutz ist das Verhalten des Verbrauchers selbst. Die Politik muss allerdings die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich der Konsument vernünftig entscheiden kann. Sie sollte Deutschland vor jener Panik bewahren, die sie mit ihrem nun aufgeflogenen jahrelangen Selbstbetrug geschürt hat. Deshalb muss sie jetzt die Risiken nennen, ihre Maßnahmen erklären, die Kontrollen transparent machen.

    Für Rot-Grün liegt nur in schonungsloser Offenheit eine Chance. Aus Aufklärung darf dabei kein Alarmismus werden. Der nämlich hilft weder den Verbrauchern noch den Bauern. Helfen kann allein eine verantwortungsvolle Landwirtschaftspolitik der Nachhaltigkeit, die mehr bedeutet als Sonderangebote im Supermarkt.



    S C H W E R P U N K T  B S E

    Knochen, Blut und Politik

    Seit das erste BSE-Rind in Deutschland entdeckt wurde, ist die Ökologie wieder ein Thema. Alles blickt auf die Regierung: Sie soll handeln. Aber wie?

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 49, 30. November 2000, Seite ?? (Wissen). [Original]

    Am vergangenen Freitag [24.11.2000] um 0.15 Uhr beschlich Finn Zedler ein ungutes Gefühl. Als er sich über den Leuchttisch in seinem Labor beugte, mochte der Biologe von der Hamburger Artus GmbH kaum glauben, was er vor sich sah. Aber die dunklen Partien auf dem belichteten Film ließen keinen Zweifel zu: Im Hirn des Rindes hatte sich der Erreger für BSE breit gemacht. Zedler schreckte seine Kollegen aus dem Schlaf und versicherte sich, ob auch nichts verwechselt worden war. Um 1.20 Uhr, als feststand, dass die Probe aus der Versandschlachterei Richard Basche in Itzehoe stammte, alarmierte Zedler das Unternehmen. Um 3.20 Uhr rief ein erschrockener Veterinär zurück. Das erste deutsche BSE-Rind war aktenkundig.

    Der Landwirtschaftsminister steht fest wie eine Eiche

    Vier Tage später, als auch die Bestätigungstests positiv ausgefallen waren, konnte sich Zedler etwas Genugtuung nicht verkneifen: "Man kann sich gar nicht vorstellen mit wie viel Ignoranz wir in den Schlachthöfen behandelt worden sind." BSE in Deutschland? "Unfug, Deutschland ist BSE-frei", musste er sich anhören, als er im Auftrag einer Großhandelskette durch Norddeutschland fuhr, um Hirnproben für freiwillige Tests zu sammeln.

    Seit vergangenem Freitag nörgelt niemand mehr. Jetzt kann sich Zedler vor Anfragen kaum retten. Allein am Dienstag dieser Woche hat er 400-mal den Test der Zürcher Firma Prionics (siehe Interview) angesetzt. Neue Mitarbeiter werden eingestellt, die Firma zieht demnächst in größere Räume um. Und Zedler ist zur öffentlichen Person geworden, in Tagesschau und heute journal. Ein einziges BSE-Rind brachte zustande, was Hunderte Experten und die EU nicht vermocht hatten: Deutsche Politiker erwachten aus dem Schlaf der Selbstgerechten. Nach dem britischen Beef-Desaster, der französischen Boeuf- Katastrophe geht nun die Hackbratenangst um.

    Doch einen gibt es, der fürchtet sich nicht: So selbstsicher wie Karl-Heinz Funke (SPD) ist selten ein angeschlagener Minister vor die Presse getreten. Schließlich habe nicht er, sondern das internationale Tierseuchenamt in Paris Deutschland den Status "BSE-frei" gegeben, sagt er; dass der deutsche Landwirtschaftsminister dies unzählige Male wiederholte, scheint ihm kein Anlass zum Selbstzweifel zu sein. Die Tatsache, dass der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss der Europäischen Kommission schon im Mai die Vermutung ausgesprochen hatte, dass der BSE-Erreger "wahrscheinlich" auch hierzulande verbreitet sei, ficht den Mann ebenso wenig an. Damals wies sein Ministerium die alarmierenden Begründungen aus Brüssel als "unbewiesene Annahme" zurück. Egal, was man ihm heute vorhält – Funke steht, fest wie eine Eiche.

    Doch der Landwirtschaftsminister hat in Wahrheit die unglückselige Tradition seiner Vorgänger Ignaz Kiechle (CSU) und Jochen Borchert (CDU) fortgeführt. Auch ihnen war es gelungen, Maßnahmen gegen den seit Mitte der achtziger Jahre bekannten Rinderwahn zu hintertreiben. Es war die angeblich BSE-freie Bundesrepublik, die jene EU-Vorschrift erst einmal blockierte, nach der "Risikomaterial" wie Hirn, Rückenmark, Augen und Mandeln von Rindern, Schafen und Ziegen aus der Nahrungskette wie aus Futtermitteln verbannt werden sollte. Erst nach langem Tauziehen stimmte Berlin dem Katalog der EU-Maßnahmen zum Schutz vor der BSE-Seuche zu.

    Nun stehen Politiker und Experten vor einem Problem. Die verängstigten Menschen wollen von der Wissenschaft Antworten hören und von der Politik Taten sehen. Aber welche sollen es sein?

    Der vollkommen neuartige Infektionsmechanismus, den der Erreger des Rinderwahns verkörpert, macht die Forscher verlegen und lässt Politikern einen weiten Spielraum für symbolische Aktionen, den einige von ihnen nur allzu gern ausnutzen. Böse Zungen könnten mit gewisser Berechtigung behaupten, dass es sich bei Notschlachtungen und Tiermehlverbot nur um eine extrem teure Prophylaxe auf der Basis von Spekulationen handele. Gesichert ist lediglich, dass die Rinderseuche BSE durch krankhaft veränderte Prionen ausgelöst wird: Das sind wenige tausendstel Millimeter große Eiweißpartikel, die im Gehirn von Säugetieren vorhanden sind – warum, ist bislang unbekannt. Dieses Eiweiß kann seine dreidimensionale Form krankhaft verändern; es entsteht dann ein geknicktes Molekül, das die tückische Eigenschaft hat, benachbarte, gesunde Prionen zu verbiegen. Prionenklumpen entstehen, die von den Hirnzellen nicht mehr abgebaut werden können. Die Zellen gehen zugrunde – das Lebewesen auch.

    Auf welche Weise das erste krankhafte Prion entstand, ist ungewiss. Möglich, dass schon in den siebziger Jahren eine spontan aufgetretene Mutation im Hirn eines britischen Rindes das Eiweiß umklappen ließ; vielleicht begünstigt durch Umweltfaktoren. Doch einmal entstanden, tickte von nun an die Zeitbombe: die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE), der Rinderwahn.

    Im kannibalistischen Kreislauf der Tiermehlverfütterung verbreitete sich die Seuche in den achtziger Jahren in Großbritannien. Doch die Gefahr für den Menschen blieb zunächst unklar. Man weiß zwar, dass es auch in Menschenhirnen zum Amoklauf von Prionen kommen kann, der dann Creutzfeldt-Jakob-Krankheit heißt und mit Rinderwahn nichts zu tun hat. Doch nur allmählich deutete sich an, dass eine neue Variante dieser Krankheit (vCJK), die zumeist junge Menschen befällt, auf BSE zurückzuführen ist. In Europa sind bis heute 88 Menschen dieser vCJK zum Opfer gefallen. Der viel zitierte Untersuchungsbericht der britischen Regierung kam kürzlich zu dem Schluss, dass es "jetzt ausreichend Beweise gibt, um sicher sein zu können, dass vCJK durch die Übertragung von BSE auf den Menschen verursacht wird".

    Noch immer sind die Forscher indes nicht sicher, ob sich Menschen wirklich durch das Fleischessen infizieren. Die Indizien – allen voran die große Ähnlichkeit zwischen BSE und vCJK – lassen genauso den Schluss zu, dass die beiden Prionenkrankheiten einfach nur eine gemeinsame Ursache haben. Der Merkwürdigkeiten sind viele: Vegetarier erkrankten an vCJK; der britische Norden und die Landbevölkerung sind prozentual häufiger betroffen als der Süden Großbritanniens und die städtischen Ballungsgebiete – obwohl gerade dort die besonders garstigen Hamburger verzehrt werden, in die das so genannte mechanically recovered meataus Innereien, Gehirnmasse und minderwertigen Fleischresten hineinwanderte, die allesamt als schwer kontaminiert gelten. Die Experten des Creutzfeldt-Jakob- Forschungszentrums in Edinburgh gelangten jetzt nach der bislang gründlichsten Studie von 50 vCJK- Fällen zu dem Schluss, es gebe bei den Todesopfern keinerlei Hinweise auf Besonderheiten bei der Ernährung.

    Bis zum endgültigen Beweis können daher alle Notschlachtungen, alle Fütterungsverbote und Herkunftszeugnisse zunächst nur als Vorsichtsmaßnahme verstanden werden – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass das Verbot der Tiermehlfütterung immerhin helfen könnte, legt die Erfahrung in Großbritannien nahe: 1988 wurde es erlassen, binnen fünf Jahren sank die Zahl der infizierten Rinder drastisch.

    Was war los auf dem Bauernhof: Mutation oder Schlamperei?

    Auch die Schnelltests können nicht Sicherheit geben, sind aber besser als nichts. Dennoch hat sich der deutsche Landwirtschaftsminister für ihre flächendeckende Einführung nie stark gemacht; es war ein freiwilliger Test, der die Bombe hochgehen ließ. Kein Zweifel: Unter normalen Umständen wäre Funke schon nicht mehr im Amt.

    Doch vielleicht gründet die unaufgeregte Art, mit der Funke sein Fiasko kommentiert, nicht nur in der Bodenständigkeit des niedersächsischen Landwirtes, sondern auch in seiner Kenntnis der politischen Lage in Berlin. Gewiss, der Kanzler ist alarmiert: Verbraucher sind Wähler, verunsicherte Verbraucher sind unberechenbare Wähler. Die Politik ist wieder einmal der Adressat, sie soll es richten. Und weil schnelle Maßnahmen zur Beruhigung der Bevölkerung schwer zu haben sind, wäre dem Kanzler wenigstens ein symbolischer Akt hochwillkommen – vielleicht so: Der Minister übernimmt die politische Verantwortung und zieht die persönlichen Konsequenzen. Aber Rücktritt passt gerade schlecht. Zu viele Minister hat Schröder schon verloren, als dass er gerne noch einen weiteren opfern möchte. Gerade noch – kurz vor dem Abgang seines Kulturstaatsministers – hat er alle Gerüchte über eine bevorstehende Kabinettsumbildung dementiert. Über andere Kabinettsmitglieder – Edelgard Bulmahn, Christine Bergmann – kursieren seit längerem Demissionsgerüchte. Zwar spürt die Gesundheitsministerin Andrea Fischer wegen ihrer umsichtigen Haltung in der BSE-Krise ein wenig Aufwind – aber sicher kann sich auch die grüne Gesundheitsministerin nicht fühlen; ihr Ministerium ist, letztlich, nicht gerade die Avantgarde rot-grüner Reformen. Kippt Funke, könnte das ganze Kabinett ins Geschiebe kommen. Das ist der eigentliche Grund, warum er noch im Amt ist.

    Lieber wirft sich die Koalition erst einmal in die Abwehrschlacht gegen die Opposition und verweist auf die Vorgängerregierung: "Tiermehl hat keine rot-grüne Farbe", verkündet SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Stimmt schon. Doch auch der rot-grünen Koalition gibt die rot-bunte Kuh aus Schleswig-Holstein Rätsel auf. Irgendetwas muss getan werden, etwas Wirksames. Dafür aber müsste man dies wissen: Auf welchem Wege hat sich der BSE-Erreger in das Hirn des Tieres vorgearbeitet?

    Durch die Verfütterung von verseuchtem Tiermehl? Zunächst wurde angenommen, dass mangelhafte Sterilisierung in britischen Öfen für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich war. Inzwischen ist man nicht mehr so sicher. Das pathologisch veränderte Prion ist erstaunlich hart im Nehmen. Es widersteht sogar großer Hitze; nachdem Forscher einen infizierten Hamster 15 Minuten lang bei 600 Grad geröstet hatten, enthielt das Tier immer noch intakte BSE-Erreger.

    Also wurde in ganz Europa die Verfütterung von Tiermehl an Kühe verboten. Doch die schleswig-holsteinische Kuh kam erst 1996, also zwei Jahre nach dem Tiermehlstopp, auf die Welt. Was war auf dem norddeutschen Bauernhof geschehen: eine spontane Mutation oder Schlamperei bei der Futtermittelherstellung – oder ist gar die Verfütterung von Blutmehl an der Infektion schuld? Auch Blut ist infektiös, doch diesen Übertragungsweg hat die Politik bislang außer Acht gelassen. Nach einer EU-Ministerratsentscheidung war es bis jetzt ausdrücklich erlaubt, Blut und Blutprodukte an Wiederkäuer zu verfüttern. Anders als Tiermehl werden Blutprodukte in Deutschland "nur auf etwa 100 Grad Celsius erhitzt", sagte Udo Wiemer vom Bundeslandwirtschaftsministerium der Ärzte Zeitung. Futterfette, Fleischknochen- und Blutmehle lediglich zu temperieren sei gemäß einer EU-Basisrichtlinie und einer EU-Entscheidung von 1996 zulässig. Hat dies den deutschen BSE-Fall ausgelöst? Wer weiß.

    Aber die Politik ist vorsichtig geworden: Das deutsche Tiermehlverbot soll jetzt auch Knochen- und Blutmehl umfassen. Auch das ist richtig gehandelt. Solange aber ungewiss ist, auf welche Weise sich die Prionen verbreiten, bleibt Fleisch grundsätzlich ein riskantes Nahrungsmittel, trotz aller Tests und Herkunftsnachweise.

    Mit der Pflicht zur Etikettierung, aus der ersichtlich sein soll, in welchem EU-Mitgliedstaat das Fleisch in der Verkaufstheke produziert wurde, ist unterdessen schon der nächste Skandal programmiert. Zu erwarten ist, dass die nun massenweise anzusetzenden Kontrollen lückenhaft bleiben, denn die deutsche Lebensmittelüberwachung bietet ohnedies ein chaotisches Bild. Die Kontrolle ist Sache der Länder, deren Überwachungsstrukturen sind aber so unterschiedlich, dass eine einheitliche Lebensmittelkontrolle beinah unmöglich ist. In einem Bundesland ist das Ernährungsministerium, im benachbarten das Sozialministerium verantwortlich, mitunter mischt die Polizei mit – oder ist sogar allein zuständig. Anderswo stehen nur die Kommunen in der Pflicht, mal mit den Ämtern für Gesundheit, dann wieder mit denen für das Gewerbe oder die öffentliche Ordnung. Sämtliche Überwachungsbehörden sind zudem seit Jahren finanziell wie personell derart ausgetrocknet, dass die 2600 deutschen Lebensmittelkontrolleure hoffnungslos überlastet sind und sich mehr oder weniger auf Stichproben beschränken müssen. Überdies ist ihre Bezahlung miserabel; für den Einsatz des privaten Pkw gibt es eine Entschädigung, die nicht einmal kostendeckend ist – gleichwohl, die Prüfer sind verpflichtet, das eigene Fahrzeug zu benutzen. Man kann sich leicht vorstellen, mit welchem Eifer manch ein frustrierter Beamter an die Arbeit geht.

    Selbst wenn die Organisation funktioniert: Es hapert bei den Testverfahren. Drei kommerzielle Diagnoseverfahren haben 1999 den Segen der EU-Experten erhalten. Marktführer ist die Zürcher Diagnostik-Firma Prionics. Auch der erste deutsche BSE-Befund am Freitag vergangener Woche gelang mit dem Prionics-Verfahren. Der Test "gibt 100-prozentig sichere Resultate", behauptet der Prionics-Forschungschef Eric Kübler. Solches reklamieren auch die Konkurrenten, denen auf einmal ein Milliardenmarkt winkt. Gleichwohl, die Scharfsicht der BSE-Tests bleibt begrenzt: "Ab sechs Monate vor dem ersten Auftreten der Symptome", sagt Kübler, sei der Test verlässlich. Die Inkubationszeit liegt jedoch bei fünf Jahren, aber erst kurz vor Ausbruch der Krankheit ist die Konzentration der Prionen hoch genug, um von den Tests entdeckt zu werden. Die bisherigen Befunde bei Versuchstieren zeigen, dass die Infektion erst das Gehirn und das Rückenmark erreicht, wenn die Inkubationszeit zur Hälfte abgelaufen ist. Davor scheinen sich die Prionen ihren Weg aus der Nahrung über Immunzellen des Darms zunächst in das Blut- und Lymphsystem zu bahnen. Erst von dort gelangen sie schließlich ins Nervensystem und entfalten ihre zerstörerische Wirkung. Hirntests bei jungen Tieren könnten die Prüfer daher in falscher Sicherheit wiegen – Schlachtvieh ist typischerweise nur 20 Monate alt.

    Nach dem Abschied vom Alarmismus: Alarm!

    Vonnöten wäre ein hoch empfindlicher Bluttest. Eine neue, noch leistungsfähigere Nachweismethode von Prionics steht nach Angaben der Firma kurz vor der Fertigstellung, doch auch sie werde für Schnelldiagnosen im Blut nicht ausreichen, sagt Erik Kübler. Daher konzentrieren sich die Hoffnungen nun auf die Gentechnik. Mit ihrer Hilfe könnte die Nachweisgrenze um das Hunderttausendfache nach unten verlagert werden. Doch wann solche Verfahren für den Alltagseinsatz brauchbar sind, ist derzeit nicht abzusehen.

    Auch für Kontrollen an der Ladentheke steht im Prinzip ein Test zur Verfügung: Bereits Ende 1999 hatte das Institut für Lebensmittelhygiene der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Institut für Biochemie und Endokrinologie der Universität Gießen und der ScheBoa-Biotech AG das Qualitätsversprechen deutscher Wurstwaren-Produzenten überprüft. Bei 600 getesteten Würsten wurden die Wissenschaftler mit ihrem "Brainostic-Test" in 9,7 Prozent der Leberwürste und 20 Prozent der gekochten Mettwürste fündig – sie enthielten Nervengewebe. Und das sogar bei Produkten der höchsten Qualitätsstufe, die schon nach den damals geltenden deutschen Vorschriften diese Zutat gar nicht enthalten durften. Aber damals galt ja noch das Dogma, deutsches Fleisch sei sicher. Mit dieser Annahme hatte Deutschland auch drei Jahre lang das Verarbeitungsverbot für Risikomaterialien wie Rinderhirn in den Wurstprodukten blockiert.

    Wird nun umgedacht – im Sinne des Verbraucherschutzes und einer neu konzipierten, gesünderen Landwirtschaft? Immerhin wird Deutschland rot-grün regiert, und gerade die Grünen fühlen sich in ihrer Grundskepsis gegen den entfesselten Fortschritt bestätigt. Auch beim sozialdemokratischen Koalitionspartner stärkt der BSE-Schock das ökologische Gewissen. So laut wie Franz Müntefering dieser Tage von einer Politik der Nachhaltigkeit schwärmt, so gewitzt wie er von der BSE-Krise zur Verteidigung der umstrittenen Ökosteuer wechselt, hat man das von SPD-Seite lange nicht gehört. Fast scheint es, als wollten beide Koalitionsparteien die Umwelt künftig wieder näher ans Zentrum ihrer Politik rücken.

    Denn der eine Gedanke zieht, so ist das mit den Tiefenströmen des Zeitgeistes, den anderen nach sich: Waren wir zu sorglos in der Landwirtschaft, sind wir es nicht auch beim Klimaschutz oder in der Verkehrspolitik?

    Die Umweltthemen sind wieder da, und sie werden nicht etwa, wie einst in der grünen Bewegung, am Infostand und Tapeziertisch, sondern an der Würstchenbude und am Familientisch abgehandelt. Öko ist out? Die Nachrichtenlage der Republik ist eine andere.



    BSE: Wir forschen zu wenig

    Professor Hans Kretzschmar über das mangelhafte Wissen der Experten bei BSE

    Aus:
    STERN – 49/2000, 30. November 2000, Seite 32–33 (Zum Titel). Das Interview führte GEORG WEDEMEYER.

    Der Neuropathologe Hans Kretzschmar vom Münchner Klinikum Großhadern überprüft, ob Patienten an der Hirnkrankheit Creutzfeldt-Jakob gestorben sind.

    STERN: Herr Professor Kretzschmar, wie sicher kann man bei Creutzfeldt- Jakob- Patienten sagen, es handelt sich bei ihrer Krankheit um die neue, durch BSE verursachte Variante von CJK?

    Kretzschmar: Eine wirklich sichere Diagnose ist derzeit nur durch die Untersuchung des Gehirns möglich. Bei der neuen Variante gibt es erst rund 90 Fälle in England und Frankreich.

    STERN: In Oberbayern lebt ein 22-jähriger Mann, der an einer ganz neuen Variante leiden soll.

    Kretzschmar: Zu einzelnen Erkrankungsfällen kann ich hier natürlich nichts sagen. Ich kann aber mit Bestimmtheit sagen, dass wir derzeit keinen bestätigten Fall oder begründeten Verdachtsfall der neuen CJK- Variante hierzulande haben.

    STERN: Erfassen Sie denn alle Fälle?

    Kretzschmar: Fast. Aber wir haben nach wie vor ein Datenschutzproblem. Laut Gesetz müssen die CJK- Verdachtsfälle beim Robert-Koch-Institut gemeldet werden. Doch die dürfen ihre Meldungen mit unseren Fällen nicht abgleichen.

    STERN: Sie haben nur in 70 % der Verdachtsfälle die Gehirne der Toten untersucht. Könnten Sie eine Obduktion rechtlich erzwingen?

    Kretzschmar: Die Gesundheitsbehörden könnte eine Obduktion nach dem Bundesseuchengesetz durchführen lassen. Es gibt aber eine Übereinkunft, Obduktionen bis auf seltene Ausnahmen nur mit Zustimmung der Angehörigen vorzunehmen.

    STERN: Prionen, diese infektiösen Proteine, gelten als äußerst aggressiv.

    Kretzschmar: Das ist das Problem. Diese Erreger scheinen besonders an Stahl unglaublich fest zu haften. Man muss nach einem Eingriff bei einem CJK- Patienten das Operationsbesteck wegschmeißen. Selbst Natronlauge, die Prionen sonst unschädlich macht, reicht hier nicht aus.

    STERN: Ist Ihnen unheimlich, damit umzugehen?

    Kretzschmar: Man muss extrem vorsichtig sein. Wenn wir die Gehirne sezieren, haben wir extra feste Handschuhe und extra Schutzkleidung an, die wir hinterher komplett entsorgen. Das Sezierbesteck wird mit Natronlauge gewaschen und gesondert aufbewahrt.

    STERN: CJK ist bislang unheilbar. Wer krank wird, stirbt. Forscht niemand an einer Therapie?

    Kretzschmar: Kaum jemand. Dazu kommt die Krankheit zu selten vor. Die Entwicklung eines Medikaments kostet Millionen. Eine Firma kann die Kosten niemals wieder einspielen.

    STERN: Man muss aber befürchten, dass die Fälle sich häufen.

    Kretzschmar: Sicher.

    STERN: Die Erfinder von BSE-Tests werden jetzt Millionäre. Den Menschen hilft niemand?

    Kretzschmar: Bei der Diagnose für den Menschen wird auch geforscht, irgendwann kommt vielleicht ein Bluttest. Bei der Therapie kaum. Man weiß jetzt, dass es mit Sicherheit noch mehr [nvCJD-] Fälle geben wird. Und man weiß um die lange Inkubationszeit. Das heißt, von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Krankheit dauert es wohl 10 Jahre und länger. Diese Zeit muss man nutzen.

    STERN: Muss sich der Staat mehr in der Therapieforschung engagieren?

    Kretzschmar: Dringend. Durch den Pharmazie-Markt und durch Wegschauen regelt sich das nicht. Bisher hatten wir nur einen allgemeinen Prionen- Forschungsverbund, der mit rund 1 Million Mark jährlich gefördert wurde. Unter dem Gesichtspunkt „Therapieforschung“ ist das natürlich viel zu wenig. Außerdem ist die Finanzierung im August ausgelaufen. Fertig, aus. Daraufhin habe ich versucht, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen Prionen- Schwerpunkt auf die Beine zustellen. Der wurde abgelehnt mit dem Hinweis, wir bekämen ja Geld von der Europäischen Union und vom Forschungsministerium.

    STERN: Wer sollte forschen?

    Kretzschmar: Es gibt vielleicht 10 aktive Gruppen in Deutschland. Die sollten sich mit ein, zwei Pharmafirmen zusammentun.

    STERN: Sehen Sie denn eine Chance, dass ein Heilmittel gefunden wird?

    Kretzschmar: Es gibt einige Dinge, die man weiter verfolgen könnte. Man kennt Stoffe, die verhindern, dass sich die krankhaften Proteine bilden oder zusammenballen. Man muss sich die erfolgsversprechendsten Wege überlegen und die dann verfolgen. Wir sollten die paar Jahre, die wir noch haben, intensiv nutzen, um so etwas zu machen. [mehr]

    STERN: Sie lassen sich von niemandem daran hindern bekannt zu geben, wenn Sie auf den ersten BSE/CJK- kranken Deutschen stoßen?

    Kretzschmar: Sicher nicht.

    STERN: Wann war die Gefahr bei uns am größten, sich anzustecken?

    Kretzschmar: Etwa Mitte der neunziger Jahre. Das haben unabhängige Wissenschaftler der EU gut eingegrenzt. Genau in der Zeit, in der die BSE-Krise in England auf dem Höhepunkt war, nämlich von 1986 bis 1993, haben wir von dort 14.000 Rinder importiert und 1.200 Tonnen Tiermehl. Aus anderen BSE- Ländern wie Frankreich und der Schweiz kamen weitere Tonnagen von Tiermehl sowie Rinder. Gleichzeitig bezeichnen die EU-Wissenschaftler das deutsche Überwachungssystem bis 1996 als ungenügend. Es wurden zu wenig auffällige Tiere untersucht, und einige Tiermehlfabriken arbeiteten nicht einwandfrei.

    STERN: Also war – trotz aller Aufregung und Angst jetzt – das Risiko, sich anzustecken, vor 5 Jahren am größten?

    Kretzschmar: Ja. Damals gab es aber die offizielle Meinung: Wir haben kein BSE, also brauchen wir Gehirn und Rückenmark von Rindern nicht rauszunehmen. Wenn wir so was machen, werden die Leute bloß nervös. Ein unabhängiges wissenschaftliches Beratungskomitee hat es leider in Deutschland nicht gegeben. Dort hätte man vermutlich früher gefordert, die mehr als 60.000 so genannten „gefallenen“, also kranken oder notgeschlachteten Tiere pro Jahr zu untersuchen. So hätte man früher gewusst, dass es auch hier BSE gibt, und sich besser schützen können. Aus dem Fehler sollte man lernen: Eine solche unabhängige Beratungskommission [Ed: die es sogar bei der TK-Deregulierung gibt], in der sich die Wissenschaftler austauschen können, muss so bald wie möglich eingerichtet werden.

    STERN: Was kann man noch essen? Gehirn sicher nicht.

    Kretzschmar: Ja, aber das ist nicht immer zu vermeiden. Die Tiere werden häufig durch einen Bolzenschuss betäubt. Dabei wird das Gehirn zerstört. Das Herz schlägt noch eine Weile weiter und pumpt dabei Gehirnteile in die Lunge.

    STERN: Sie haben früh davor gewarnt, dass auch das Muskel- Rindfleisch gefährlich sein könnte.

    Kretzschmar: Wir glauben, dass im Steak keine Erreger sind. Die in Großbritannien dazu durchgeführten Untersuchungen sind allerdings nicht befriedigend.

    STERN: Werden Sie weiterhin Steaks essen?

    Kretzschmar: Seit vergangenem Freitag ist die Beantwortung noch schwieriger geworden. Dass es BSE auch bei uns gibt, hat man ja nie ausschließen können. Aber wo stehen wir jetzt? Auf dem Niveau Frankreichs? Oder niedriger?



    BSE-Schnelltests ab nächster Woche Vorschrift

    Aus:
    Yahoo-News, 30. November 2000, 17.33 Uhr (Politik). [Original]

    BERLIN. Als weitere Konsequenz aus der BSE-Krise werden in Deutschland Schnelltests an Schlachtrindern vorgeschrieben. Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) erklärte heute in Berlin, mit Inkrafttreten einer Dringlichkeitsverordnung müssten ab kommender Woche alle geschlachteten Rinder mit einem Alter über 30 Monate auf BSE getestet werden. Sonst dürfe das Fleisch nicht verkauft werden. In Hörsten, wo erstmals ein an BSE erkranktes heimisches Rind festgestellt worden war, wird nun auch die Möglichkeit geprüft, ob der BSE-Erreger [Prionen] in Milchpulver aus den Niederlanden eingeschleppt wurde. Erneut wurde in deutschem Rinderfutter Tiermehl gefunden, obwohl dies seit 1994 verboten ist.

    Fischer erklärte, es wäre wünschenswert, wenn die Länder im Falle von weiteren Test- und Analysekapazitäten sofort auch Schlachtrinder mit einem Alter unter 30 Monaten auf BSE testen würden. Das Fleisch dieser Tiere wird überwiegend von den Verbrauchern verzehrt. Im Bundestag sagte die Ministerin, die Einführung flächendeckender Tests sei notwendig, dürfe die Verbraucher aber nicht in falscher Sicherheit wiegen. Tests brächten "keine hundertprozentige Sicherheit, wie es um das einzelne Tier steht". Sie kündigte an, sie wolle bei ihrem Ministerium einen BSE- Arbeitsstab ansiedeln, dem auch Vertreter von Bundestag, Ländern und der Wissenschaft angehören sollten. Sie rief die Opposition zur Mitarbeit auf. Nach Fischers Angaben können nach der Verordnung die Kosten für die Schnelltests auf das Fleisch umgelegt werden. "Ein Zugewinn an Sicherheit rechtfertigt auch einen höheren Preis für den Verbraucher", erklärte Fischer. Sie forderte erneut, die Massentierhaltung aufzugeben.

    Damit unterstützte sie die am Vortag von Schröder erhobene Forderung nach Abschaffung der industriellen Tierhaltung. Konkrete Maßnahmen sind aber noch nicht geplant. Eine Regierungssprecherin sagte, Schröder habe eine gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft anstoßen wollen. Grünen- Agrarexpertin Ulrike Höfken begrüßte das Kanzlerwort als "ganz klaren Hinweis an das Landwirtschaftsministerium und die Fraktionen, dass man nicht so weiter machen darf wie bisher". Der Verbraucherschutz müsse eine tragende Säule werden.

    Ein Sprecher des Bauernverbandes sagte, Agrarfabriken gebe es in Deutschland nicht. Im Vergleich innerhalb der Europäischen Union (EU) seien die Tierbestände in Deutschland eher von mittlerer und kleiner Größe. Eine Sprecherin von Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) sagte, es gehe in der Diskussion nicht um die Größe der Betriebe, sondern um die Art und Weise der Tierhaltung. Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch trat im ZDF für eine völlige Neuorientierung in der Landwirtschaftspolitik ein. So müssten Zielmargen vorgegeben werden für ökologisch bewirtschaftete Flächen. Österreich und die Schweiz seien dafür gute Beispiele. Sie verfügten bereits über 10 Prozent Ökoflächen, während Deutschland erst bei 3 Prozent liege.

    Noch am Abend wollte der Bundestag die Verfütterung von Tiermehl grundsätzlich verbieten [Ed: und der Bundestag hat das Gesetz heute Abend mit großer parteiübergreifender Mehrheit in 2. und 3. Lesung beschlossen]. Das Verbot soll am Samstag [2.12.2000] in Kraft treten. Zuvor muss morgen der Bundesrat zustimmen. Dies galt nach Angaben aus den Ländern als gesichert. Die Zustimmung werde nicht von einer Einigung über die Verteilung für die Kosten der künftigen Beseitigung von Tierkadavern abhängig gemacht. Darüber wollte am Abend Schröder bei seinem regelmäßigen Treffen mit den SPD- Ministerpräsidenten am Vorabend der Bundesratssitzung beraten. Funkes Staatssekretär Martin Wille bezifferte die Kosten der Entsorgung auf 300 bis 350 Millionen Mark. Der Stromkonzern Energie Power AG teilte mit, auf Bitten des Bundeslandwirtschaftsministeriums prüfe es die Mitverbrennung von Tiermehl in seinen Kohlekraftwerken.

    In Hörsten bislang kein weiterer BSE-Fall

    Bei der Suche nach den Ursachen für die BSE-Infizierung eines Rindes in Hörsten in Schleswig-Holstein verfolgen die Behörden nun eine neue Spur. Landwirtschaftsministerin Ingrid Franzen (SPD) sagte in Kiel, der betroffene Landwirt habe Anfang 1995 rund 250 Kilogramm eines auf Milchpulver basierenden Kälberfutters aus den Niederlanden bezogen. Die Ministerin sprach in diesem Zusammenhang von einer "Futterspur", der nachgegangen werde. So genannter Milchaustauscher [Trockenmilch], der Kälbern als Milchersatz gefüttert werde, sei ein Hauptinfektionsweg für BSE in Großbritannien und Frankreich gewesen. Franzen teilte weiter mit, die Untersuchung der geschlachteten Rinder des Hofes habe bisher keinen weiteren BSE- Fall ergeben. Die ersten 32 Proben seien negativ ausgefallen. Morgen [1.12.2000] sollten die Ergebnisse aller 170 Rinder vorliegen, die von dem Hof stammen [Ed: das Ergebnis war BSE-negativ].

    Neuer Tiermehlfund

    In Rheinland-Pfalz wurden unterdessen Spuren von Tiermehl in Rinderfutter entdeckt. Bei der Routinekontrolle eines rheinland-pfälzischen Futtermittelhändlers sei in einem Kälberfutter ein ein- bis zweiprozentiger Tiermehlanteil gefunden worden, teilte das Landwirtschaftsministerium mit. Das Ministerium prüfe nun, ob das Tiermehl wegen eines technischen Defekts oder vorsätzlich in das Futter gelangt sei. Der Händler dürfe ab sofort kein Futter für Wiederkäuer mehr liefern. Das Mehl steht im Verdacht, die Verbreitung von BSE zu begünstigen.

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      Zum Teil 11

    © 2000-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr