BSE & Co in den Medien – Teil 11 khd
Stand:  5.6.2003   (36. Ed.)  –  File: M/edien11.html




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (12. Teil).
  • 07.12.2000: Die BSE-Krise ist eine Krise der EU.
  • 07.12.2000: Bundestag: „BSE-Dornröschenschlaf“.
  • 07.12.2000: Des Wahnsinns fette Beute.
  • 05.12.2000: Hochsicherheitsstufe im BSE-Labor.
  • 05.12.2000: BSE und die EU: Die Prionen und ihre Politiker. (Leitartikel)
  • 04.12.2000: Tiermehl in Europa auf dem Index.
  • 04.12.2000: EURONATUR und BUND fordern radikale Wende in der europäischen Agrarpolitik.
  • 04.12.2000: Rinder: Große Hast bei der Mast.
  • 03.12.2000: BSE: Verbraucher soll zahlen.
  • 02.12.2000: BSE lässt die Pharma-Industrie kalt.
  • 02.12.2000: Tests und Tiermehl-Verbot sollen Gefahr bannen.
  • 02.12.2000: BSE: Durchbruch auf dem Korridor.
  • Ältere Presseberichte  (10. Teil).



    BSE: Durchbruch auf dem Korridor

    Auf Drängen Nordrhein-Westfalens macht die Länderkammer Druck: Die BSE-Maßnahmen gehen nicht weit genug

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 2. Dezember 2000, Seite 4 (Innenpolitik) von ULRIKE FOKKEN und ALBERT FUNK. [Original]

    BERLIN (Tsp). Tiermehl hat die Beziehungen vergiftet. Über zwei Stunden sitzen Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) und Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) auf der Regierungsbank im Bundesrat nebeneinander und wechseln kein einziges Wort. Der Abstand zwischen ihnen ist gering, ihre Papierstöße drohen auf dem schmalen Pult ineinander zu fallen, aber es fällt kein Wort über den Inhalt der Anträge aus dem Bundesrat. Dabei hätten sich Fischer und Funke darüber eine Menge zu sagen, seitdem die Beamten aus ihren Häusern vor einer Woche ein sofortiges Verbot der Tiermehlverfütterung angekündigt haben. Aus der Eilverordnung wurde ein Eilgesetz, das von Dienstag bis Freitag durch die Parlamente gebracht wurde. Den Bundestag passierte es am Donnerstag, die Länder stimmten am Freitag [1.12.2000] einstimmig zu.

    Nicht ohne Bauchgrimmen wegen ungeklärter Kostenfragen – und mit besonderer Eile. Die Geschäftsordnung wurde außer Kraft gesetzt, damit die Zustimmung sofort nach der Abstimmung gültig wurde und nicht erst am Ende der Sitzung. So konnte Bundeskanzler Schröder das Gesetz noch am Freitag unterzeichnen, dann wurde es per Flugzeug zu Bundespräsident Johannes Rau nach Bonn gebracht, um dessen Unterschrift einzuholen. Damit tritt es an diesem Samstag [2.12.2000] in Kraft.

    Ganz ohne Retourkutsche kam die Bundesregierung, die dem Bundesrat ihre Eile aufzwang, aber nicht davon: Überraschend kam, nach einigem Hin und Her auf dem Parkett, ein einstimmig verabschiedeter Entschließungsantrag zustande, der in der Forderung nach einem Importverbot für britisches Rindfleisch gipfelte. Noch am Donnerstag hatte es so ausgesehen, dass es einen gemeinsamen Antrag aller Länder nicht geben werde, mit dem die Bundesregierung zu weitergehenden Schritten bewegt werden sollte. Es war der Überredungskunst der Düsseldorfer Bank zu verdanken: Vor allem NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne) – "heute müssen wir handeln" – und Ministerpräsident Wolfgang Clement warben im eigenen Lager um Zustimmung für Forderungen der Unions-Länder, damit der Antrag der SPD-geführten Länder – vorgegeben vor allem von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – doch eine Mehrheit finden könne.

    Es gelang. Die Union verzichtete auf schärfere Formulierungen, konnte aber eigene Kernforderungen durchsetzen. So verlangt nun der Bundesrat einstimmig von der Bundesregierung, "unverzüglich im nationalen Alleingang" einen Importstopp für britisches Rindfleisch zu verfügen. Zudem soll die Bundesregierung nicht nur die Verfütterung von Tiermehl verbieten, sondern auch dessen Verwertung. Außerdem soll die Bundesregierung endlich dafür sorgen, dass EU-Kommissar David Byrne die Kennzeichnungspflicht für Rindfleisch in der EU durchsetzt. Und weil das noch nicht genug war, schloss der Bundesrat die Forderung an, künftig einen BSE-Test bei allen geschlachteten Rindern einzuführen, "bei denen der Test aussichtsreich ist". Das geht weiter als die Verordnung von Ministerin Fischer, die den Test nur bei Tieren fordert, die älter als 30 Monate sind. In Großbritannien wurden aber auch schon jüngere Rinder positiv getestet. Die CSU hatte daher darauf gedrungen, ab einem Alter von 24 Monaten zu testen. Eine schwarz-grüne Allianz der besonderen Art hatte sich da gefunden: Höhn und die CSU-Bayern einer Meinung, allenfalls in Nuancen unterschiedlich.

    Wortführerin Bärbel Höhn war es, die in einer turbulenten, wenn auch konzentrierten Arbeitspause auf dem Korridor gemeinsam mit der Mainzer Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) und Niedersachsens Landwirtschaftsminister Uwe Bartels den bayerischen Bundesratsminister Reinhold Bocklet vom gemeinsamen Vorgehen überzeugte. Ausgerechnet jenen Bocklet, der den SPD-Ländern gerne Feigheit vor der Bundesregierung vorwarf und von "Selbstgleichschaltung" der SPD-Länderregierungen sprach. Die "Verhandlungen" unter Höhns Vermittlung begannen während der Rede der Bundesgesundheitsministerin. So hoch ging es im Plenum her, dass Bundesratspräsident Kurt Beck die Runde sogar auffordern musste, doch bitte außerhalb des Saales weiter zu reden.

    Nach dem Einlenken Bayerns zog Baden-Württemberg ebenfalls mit, die von der CDU regierten Länder Sachsen und Thüringen hatten schon vorher signalisiert, dass sie für den Antrag sind. Erbost zeigte sich später der Bundeslandwirtschaftsminister. Karl-Heinz Funke warnte nach der Abstimmung vor Euphorie: "Ein einseitiges Importverbot stehenden Fußes geht so nicht."

    Bärbel Höhn war dennoch erleichtert. "Das ist ein schöner Abschluss einer guten Woche", sagte sie dem Tagesspiegel. Das Tiermehlverbot stelle die Länder zwar vor "riesige logistische Schwierigkeiten", aber immerhin sei eine "Trendwende in der Krise" auszumachen. [mehr]

    [Die Rinderseuche lässt die Pharma-Industrie kalt]   [Tierfette zu Biodiesel]



    Tests und Tiermehl-Verbot sollen Gefahr bannen

    Gesundheitsministerin Fischer unterzeichnet Dringlichkeitsverordnung / Bundesrat verabschiedet Eilgesetz

    Aus:
    Süddeutsche Zeitung, München, 2. Dezember 2000, Seite xx (xxx). [Original]

    BERLIN. Vom kommenden Mittwoch an müssen alle Rinder, die 30 Monate alt sind, in Deutschland auf BSE getestet werden. Wie ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin bestätigte, hat Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) eine entsprechende Dringlichkeitsverordnung unterzeichnet. Danach müssen alle Bundesländer vom 6.  Dezember an die BSE-Schnelltests vornehmen, bevor das Fleisch verkauft werden darf. Die Kosten für die Tests können auf die Fleischpreise aufgeschlagen werden. Die flächendeckenden Tests sollen dem Verbraucher zusätzliche Sicherheit geben, selbst wenn es eine hundertprozentige Garantie nicht geben könne, meinte ein Ministeriumssprecher.

    Gleichzeitig ist das Füttern von Tiermehl in Deutschland in Zukunft generell verboten. Eine Woche nach Bekanntwerden des ersten BSE-Falles in Schleswig- Holstein hat der Bundesrat das erforderliche Eilgesetz einstimmig verabschiedet. Mit dem Gesetz, das zuvor bereits der Bundestag mit Stimmen aus allen Parteien gebilligt hatte, wird das Fütterungsverbot von Tiermehl auf alle Nutztiere ausgeweitet, auch auf Schweine und Geflügel. Bislang gilt das Verbot innerhalb der Europäischen Union nur für Rinder, Ziegen und Schafe. Durch das Totalverbot soll ausgeschlossen werden, dass Tiermehl weiter in Rinderfutter gelangt. Allerdings dürfen die Bauern Restbestände noch verbrauchen.

    Der Bundesrat forderte die Bundesregierung auf, sich in Brüssel für ein europaweites Tiermehlverbot einzusetzen sowie unverzüglich im nationalen Alleingang ein Importverbot für britisches Rindfleisch zu verhängen. Außerdem forderte die Länderkammer eine maßgebliche Beteiligung des Bundes und der EU an den Folgekosten des Tiermehlverbots, deren Höhe noch unklar ist. Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) sicherte den Ländern zu, der Bund werde sich seiner finanziellen Verantwortung nicht entziehen. Zu der ungeklärten Finanzierung meinte der baden- württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU), „Grabenkriege in Finanzierungsfragen sollten wir uns angesichts der Dimension des Problems, vor dem wir stehen, nicht leisten“. Allein die Kosten für die Vernichtung des Tiermehls werden auf 1,77 Milliarden Mark geschätzt.

    Wie Regierungssprecher Karsten-Uwe Heye mitteilte, wollen Bund und Länder eine gemeinsame Kommission bilden, die sich sowohl mit der Kostenfrage als auch den Konsequenzen der Seuche in der Bundesrepublik befassen soll. Vorrang habe dabei der Verbraucherschutz, sagte Heye. Es sei allen Beteiligten klar, dass das Vertrauen der Verbraucher in die Unbedenklichkeit landwirtschaftlicher Produkte zurückgewonnen werden müsse. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten begrüßte unterdessen das von der EU-Kommission empfohlene Verbot der Tiermehl- Verfütterung.

    Führende Grünen-Politiker einschließlich der Gesundheitsministerin Fischer wollen an diesem Samstag auf einem Spitzentreffen über die weitere Strategie gegen die Rinderseuche beraten. Die EU-Agrarminister wollen sich am Montag [4.12.2000] auf einer Sondersitzung in Brüssel erneut mit dem Thema befassen.

    [Tiermehl-Verbrauch in Europa]   [Bundesgesetzblatt zum Tiermehl-Verbot]



    BSE lässt die Pharma-Industrie kalt

    Medikamente gegen die als unheilbar geltende Seuche wird es vorerst nicht geben / Markt gilt als nicht lukrativ

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 2. Dezember 2000, Seite 20 (Wirtschaft). Wiedergegeben ist hier die Print-Fassung. [Original]

    BERLIN (pet). So wenig wir heute über die Rinderseuche BSE wissen – eines steht fest: Auch in Deutschland werden Patienten an dem seltsamen Erreger sterben, der in der neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auch den Menschen befallen hat. Die Krankheit gilt heute als unheilbar und verläuft immer tödlich. Und noch eines ist sicher: Die Pharma-Industrie lässt die Seuche kalt, Medikamente gegen die Krankheit wird es vorerst nicht geben. Denn der Markt gilt als nicht lukrativ.

    In Frankreich und England gibt es heute rund 90 Menschen, die von der neuen Varitante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit befallen sind, inzwischen sind auch die ersten Toten zu beklagen [Ed: bereits 80 nvCJD-Tote sind zu beklagen]. Doch den Gedanken, dass die Kuh-Seuche auch zur Volks-Seuche werden könnte, wagt im Moment niemand zu Ende zu denken. "Creutzfeldt-Jakob ist sicher nicht vergleichbar mit AIDS", sagt ein Referent des Bundesforschungsministeriums, "aber wie es weiter geht, weiß im Moment keiner."

    Da die Zielgruppe noch klein und die Entwicklung ungewiss ist, halten Pharmafirmen sich zurück. Einsatz muss sich lohnen, schließlich geben die Konzerne heute bis zu 500 Millionen Dollar für die Entwicklung eines einzigen Medikaments aus. Die Investitionen können sie nur wieder einspielen, wenn es sich um einen Wirkstoff für eine Volkskrankheit handelt, es also viele Patienten gibt, die das Medikament kaufen werden.

    Creutzfeldt-Jakob ist keine Volkskrankheit. "Es ist zwar noch nicht klar, wie groß der humanmedizinische Marktanteil bei BSE ist", sagt ein Sprecher der Pharmafirma Merck, "aber die Zeiten, dass wir einfach auf gut Glück geforscht haben, sind vorbei." Auch Thomas Postina, Sprecher des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie (BPI), gibt zu, dass "der wirtschaftliche Anreiz bescheiden ist. Und auch beim Bundesverband der Forschenden Arzneimittelhersteller heißt es nur: "Wir warten weiter ab, was passiert."

    Das Dilemma ist nicht unbekannt und hat einen Namen: Orphan Drug, zu deutsch Waisen-Medikament. So nennt man Arzneien für Krankheiten, die nur relativ selten auftreten. Was als "selten" zu gelten hat, steht in einer seit Anfang des Jahres geltenden EU-Richtlinie: Krankheiten, unter denen maximal 5 von 10.000 Menschen leiden. Um trotz der kleinen Zielgruppe wirtschaftliche Anreize für die Arzneimittelentwicklung zu geben, erhalten die Hersteller für den Zeitraum von 10 Jahren exklusive Vermarktungsrechte. Außerdem werden den Unternehmen die Zulassungsgebühren ganz oder teilweise erlassen.

    Pharma-Lobbyist Postina geht trotzdem nicht davon aus, dass Pharma-Firmen das Risiko auf sich nehmen werden. Der einzige Pharma-Konzern, der sich ansatzweise mit BSE beziehungsweise Creutzfeldt-Jakob befasst, ist Glaxo-Wellcome. Er liefert dem Londoner St. Mary's Hospital Substanzen für die Forschung an Prionen, den vermeintlichen Erregern der Seuche [Ed: hm, glaubt der Autor noch an (langsame, sich versteckende) Viren?]. Um von Medikamentenforschung zu reden, sei es aber viel zu früh, sagt eine Sprecherin.

    "Durch den Pharmazie-Markt und durch Wegschauen regelt sich das nicht", kritisiert der Neuropathologe Hans Kretzschmar vom Münchner Klinikum Großhadern in einem Stern-Interview. Kretzschmar forderte ein stärkeres Engagement des Staates. Doch die Bundesregierung sieht das anders. "Wenn die Industrie kein Medikament entwickeln will, können wir sie nicht zwingen", sagt ein Referent des Bundesforschungsministeriums. Zusätzliche öffentliche Gelder zur Erforschung von BSE oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit seien nicht vorgesehen. Forschungsministerin Bulmahn hofft stattdessen auf eine europäische Lösung. Am 15. Dezember werden sich EU-Experten treffen, um weitere Schritte zu beraten.



    BSE: Verbraucher soll zahlen

    Aus:
    Yahoo-News, 3. Dezember 2000, 14.41 Uhr (Politik). [Original]

    BERLIN. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hat die Hoffnungen auf großzügige finanzielle Hilfen des Staates zur Bewältigung der BSE-Krise gedämpft. "Hier ist nicht nur der Staat gefordert. Wenn wir unbedenklich erzeugte Nahrungsmittel haben wollen, müssen die Verbraucher auch bereit sein, dafür zu zahlen. Das kann der Staat nicht subventionieren", sagte Eichel dem Berliner Tagesspiegel. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) plädierte erneut für eine veränderte Landwirtschaft. "Es muss Schluss damit sein, dass die Subventionen für die Landwirtschaft die industrielle Massentierhaltung bevorzugen", sagte er dem Magazin Der Spiegel.

    Nach Ansicht von Schröder sind die Verbraucher derzeit nur bedingt bereit, für gesunde Nahrungsmittel auch entsprechende Preise zu zahlen. "Trotzdem muss ich als Verbraucher akzeptieren, dass sich der Preis für gesundes Fleisch künftig an der Ladentheke niederschlägt. Anders geht es nicht in einer Marktwirtschaft", sagte der Kanzler.

    Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Bärbel Höhn (Grüne) sagte dem Sender n-tv, künftig werde Fleisch, das nicht auf BSE getestet ist, nicht mehr gekauft werden. Mit einer Dringlichkeitsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums sind von Mittwoch [6.12.2000] an sind in Deutschland BSE-Tests bei über 30 Monate alten Schlachtrindern vorgeschrieben. Die Verordnung soll es ermöglichen, die Kosten von rund 200 Mark pro Test auf den Fleischpreis umzulegen.

    Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) will unter dem Eindruck der BSE-Krise die Schwerpunkte in seinem Ministerium neu setzen. Umwelt und Lebensmittelsicherheit sollten nach einer Umorganisation künftig eine stärkere Rolle spielen, teilte das Ministerium in Bonn mit. Dann soll es eine eigenständige Abteilung für "Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit und Veterinärfragen" geben. Einen neuen Auftrag und neue Mitglieder soll auch der Wissenschaftliche Beirat des Ministeriums bekommen. Der vom Ministerium unterstützte Forschungsbereich soll die Forschung im Bereich des Rinderwahnsinns (BSE) kurzfristig ausbauen.

    Der Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV), Heiko Steffens, forderte eine rasche Auflösung des Landwirtschaftsministeriums. Funke könne nicht Sachwalter der Bauern und Verbraucher gleichzeitig sein, sagte Steffens. Die geplante neue Abteilung Verbraucherschutz sei "eindeutig zu wenig", sagte der Verbraucherschützer der Berliner Zeitung [4.12.2000]. Langfristig brauche Deutschland ein eigenes Ministerium für Verbraucherfragen.

    EU-Agrarkommissar Franz Fischler und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sprachen sich als Konsequenz aus der BSE-Krise für eine stärkere Förderung der artgerechten Tierhaltung und Lebensmittelproduktion in der EU aus. Stoiber sagte bei einem Treffen mit Fischler am Freitagabend in München, es sei falsch, wenn ein Großbetrieb genauso viel Förderung bekomme wie ein Familienbetrieb.

    Grünen-Chef Fritz Kuhn plädierte für eine Umstellung auf ökologischen Landbau. Bund, Länder und Europäische Union (EU) müssten eine artgerechte und naturschonende Landwirtschaft stärker fördern als bisher, forderte er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Auch in der Umstellungsphase bräuchten die Betriebe angesichts der notwendigen hohen Investitionen Hilfen vom Staat.



    Rinder: Große Hast bei der Mast

    Kraftfutter und Mais-Silagen machen das Rind in Deutschland satt – und früh schlachtreif

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 4. Dezember 2000, Seite 29 (Forschen). [Original]

    Das Rind senkt seinen Kopf in den Futterberg auf dem Stallgang. Von der Mais-Silage darf das Tier so viel fressen, wie es will. Das wohlschmeckende Kraftfutter dagegen gibt es nur portioniert.

    Die Ernährung von Mastrindern ist heute ein ausgeklügeltes Verfahren, das hauptsächlich ein Ziel verfolgt: Den Aufenthalt der Rinder im Stall des Landwirts so kurz wie möglich zu gestalten. Das idyllische Bild von Rindern, die tagtäglich auf der Weide stehen und sich nur von Luft und Gras ernähren, hat mit der Realität wenig gemein. Etwa drei bis vier Jahre bräuchte ein Rind unter diesen Bedingungen, um ein Schlachtgewicht von 500 bis 540 Kilogramm zu erreichen.

    "Bei uns ist die Fläche viel zu knapp und teuer für so eine Haltung", sagt Ernst Pfeffer, Leiter des Instituts für Tierernährung der Universität Bonn. "Wenn Sie Geld verdienen wollen, dann muss das schneller gehen." Und das heißt: Das Rind braucht möglichst energiereiche Nahrung.

    Aber auch die heute vom Verbraucher gewünschte Fleischqualität spricht gegen eine jahrelange Mast auf der Weide. "Die Bullen würden in dieser langen Zeit viel Bindegewebe bilden, und das Fleisch wäre dann sehr zäh", erklärt Albert Sundrum, Fachgebietsleiter für Tierernährung und Tiergesundheit an der Universität Kassel. "Außerdem kann es sehr gefährlich sein, Bullen frei auf der Weide zu halten. Wegen ihrer hormonellen Ausstattung sind männliche Rinder manchmal sehr aggressiv. Die kann man so in der Nähe von Wohngebieten nicht halten."

    In Deutschland ist der größte Teil der Mastrinder männlich. Die Weibchen sind Milchkühe. Üblich ist eine Gruppenhaltung der Tiere, die zu etwa 95 Prozent auf Vollspaltenböden leben: Zwecks Arbeitserleichterung ist der Stallboden in regelmäßigen Abständen mit Schlitzen durchsetzt, über die Kot und Urin der Rinder in unterirdische Gänge gelangen und als Gülle abtransportiert werden.

    Die Rindermast dauert im Schnitt zwischen 14 und 18 Monate. Während dieser Zeit nehmen die Tiere täglich etwa 1000 bis 1600 Gramm zu. Die Rinder erhalten vor allem Raufutter als Energielieferanten. Dazu zählen neben Gras und Heu auch die Silagen. Für eine Mais-Silage werden die Pflanzen gehäckselt und mit Hilfe der Milchsäuregärung nach dem gleichen Prinzip wie Sauerkraut konserviert. Als Ergänzung erhalten die Tiere zusätzlich etwa zwei bis vier Kilogramm Kraftfutter am Tag. Je höher dieser Anteil ist, desto schneller wachsen die Rinder – zu Lasten der Fleischqualität?

    "Das Fleisch von schnellwüchsigen Tieren ist in jedem Fall fettärmer", erklärt Ortwin Simon, Direktor des Instituts für Tierernährung der Freien Universität Berlin. "Mit zunehmendem Alter erhöht sich aber nicht nur der unerwünschte Fettanteil unter der Haut, sondern auch der in der Muskulatur". Je höher dieser intramuskuläre Fettanteil ist, desto besser schmeckt das Rindfleisch. Eine zu schnelle Mast führt daher unter diesem Gesichtspunkt zu einer schlechteren Fleischqualität.

    Doch eine längere Mast kostet mehr und macht das Fleisch teurer. "Das Futter und der Stallplatz sind die bestimmenden Kostenfaktoren", erläutert Albert Sundrum. "Wenn der Landwirt bei den heutigen Fleischpreisen wirtschaftlich arbeiten will, muss er möglichst viel Fleisch pro Zeiteinheit aus seinem Stall herausholen."

    Die meisten Landwirte kaufen das Kraftfutter als fertiges Mischprodukt von einem Futtermittelhersteller. Die Zusammensetzung des Mischfutters ist dem Rindermäster nicht immer genau bekannt, denn jede Charge besteht aus anderen Zutaten. Das hat zwei Ursachen: natürliche Schwankungen in der Zusammensetzung der pflanzlichen Ausgangsstoffe und variable Weltmarktpreise.

    Die Futtermittelindustrie stellt ein Kraftfutter mit einem Energie- und Eiweißgehalt her, die immer gleich sind. Der Preis der Zutaten auf dem Weltmarkt diktiert die genaue Zusammensetzung des Futters: Was billig ist, wird verwendet. Der Landwirt dagegen kann nicht prüfen, welche Bestandteile das Kraftfutter enthält. Er muss dem Futterhersteller vertrauen.

    "Bei uns werden die Mischfutterbetriebe sehr stark kontrolliert. Sie müssen von jeder Charge Rückstellproben bereithalten, die nach dem Zufallsprinzip kontrolliert werden", sagt Simon. Hauptbestandteil eines Kraftfutters für Wiederkäuer ist in der Regel Getreide. Um den Eiweißanteil zu erhöhen, werden diverse Abfallprodukte der Lebensmittelindustrie beigemengt. Hierzu gehören beispielsweise Soja- oder Rapsextraktionsschrot aus der Speiseölgewinnung, Biertreber, ein Rückstand der in Brauereien anfällt, und Zuckerrübenschnitzel aus der Zuckerindustrie. Tiermehl ist in der europäischen Rindermast seit 1994 verboten.

    Ernst Pfeffer sieht in der Verwendung von "Koppelprodukten" eine gute Möglichkeit den Nährstoffkreislauf zwischen Stadt und Land zu schließen. "Wo sollen wir denn sonst mit den Resten hin?", fragt Pfeffer. "Der Landwirt löst hier ein Entsorgungsproblem."

    Neben den pflanzlichen Bestandteilen mischen die Hersteller auch noch ein Mineralfutter bei. Es enthält Calcium, Natrium, Magnesium und Phosphor, einige Spurenelemente und Vitamine. Ähnlich wie Multivitamintabletten beim Menschen, soll diese Mischung eventuellen Mangelerscheinungen vorbeugen.

    Als weitere Futterzusätze sind für die Rindermast in der EU zwei Antibiotika (Flavomycin, Monensin) und einige Probiotika zugelassen. Das sind lebende Mikroorganismen, die die Darm- und Pansenflora unterstützen sollen. Bei Wiederkäuern werden in erster Linie Hefen eingesetzt. Probiotische Jogurts, die beispielsweise mit Lactobakterien angereichert sind, verfolgen in der menschlichen Ernährung das gleiche Prinzip. Hormone sind in der Rindermast dagegen verboten. "Wer den Tieren Hormone spritzt, handelt kriminell", sagt Simon.

    In der ökologischen Landwirtschaft dürfen keine Futterzusatzstoffe verwendet werden. Den größten Teil des Futters muss ein Öko-Bauer auf dem eigenen Hof selbst erzeugen; als Kraftfutter werden daher im Öko-Landbau vornehmlich Getreide als Energie- und Ackerbohnen als Eiweißlieferanten verwendet. Außerdem darf der Anteil an Kraftfutter in der Ernährung der Rinder maximal 40 Prozent betragen.

    "Durch diese Beschränkung sind die Zuwachsraten der Rinder im ökologischen Landbau geringer. Es werden höchstens 1000 bis 1100 Gramm pro Tag erreicht. Die dadurch bedingten längeren Mastzeiten machen das Öko-Fleisch teurer", erklärt Albert Sundrum, dessen Institut auch Forschung in der ökologischen Landwirtschaft betreibt. Sowohl Sundrum als auch Ernst Pfeffer und Ortwin Simon sind der Meinung, dass allein der Verbraucher entscheidet, wie das Rindfleisch erzeugt wird, das in die Verkaufstheken gelangt. Qualität hätte nun mal ihren Preis. Und der Verbraucher diktiert, was das Fleisch kosten darf.



    Pressemitteilung des B.U.N.D.

    EURONATUR und BUND fordern radikale Wende in der europäischen Agrarpolitik

    Aus:
    Spiegel Online – 4. Dezember 2000, 13.29 Uhr (Presseinfo PM 110). [Original]

    BERLIN – 4.12.2000 (presse@bund.net). Die Verbände EURONATUR und Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordern Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, umgehend eine "Task Force" für verbraucherfreundliche Landwirtschaft einzurichten. Die Umweltorganisationen erklärten sich bereit, daran mitzuwirken. Erforderlich seien schnelle konkrete Initiativen auf der europäischen Ebene und weitere nationale Schritte zur radikalen Umgestaltung der landwirtschaftlichen Produktion. Die bisherigen Konsequenzen aus dem BSE-Skandal seien unzureichend. Das beschlossene Tiermehlverbot sei als isolierte Maßnahme lediglich ein politischer Schnellschuss, der zwar zur Beruhigung der Bevölkerung diene, aber das eigentliche Problem nicht löse.

    Die Aussage des Bundeskanzlers, man müsse wegkommen von Agrarfabriken und Perspektiven für eine verbraucherfreundliche Landwirtschaft entwickeln, wurde vom agrarpolitischen Sprecher des BUND, Prof. Hubert Weiger, nachdrücklich begrüßt. Weiger: "Die Regierung muss jetzt erklären, welche Formen der Landwirtschaft sie will und welche nicht. Der Begriff Agrarfabrik muss genauso klar definiert werden wie auch der ökologische Landbau klar definiert und geregelt ist."

    Die Bundesregierung muss sich nach Auffassung der Verbände sowohl auf der nationalen als auch auf der EU-Ebene dafür einsetzen, dass Fördergelder und Agrarsubventionen nur noch für solche Betriebe eingesetzt werden, die den Ansprüchen des Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzes gerecht werden.

    Lutz Ribbe von EURONATUR: "In der Vergangenheit hat die Bundesregierung einen knallharten Vernichtungskurs gegen bäuerliche Strukturen gefahren und sich vehement für die großen Agrarfabriken und Wachstumsbetriebe eingesetzt. Die EU-Agrarpolitik ist zudem dafür verantwortlich, dass auch heute noch alle zwei Minuten ein Arbeitsplatz in der europäischen Landwirtschaft verloren geht. Dieser Verlust an Arbeitsplätzen wird als Strukturwandel verharmlost und geht eindeutig zu Lasten des Umwelt- und Verbraucherschutzes."

    Kanzler Schröders Aussagen setzen nach Auffassung der Verbände jenen Paradigmenwechsel voraus, den die Umweltverbände seit Jahren fordern. Es müsse jetzt darum gehen, diejenigen in die Schranken zu weisen, die den Agrarhaushalt zu Lasten der Nahrungsmittelqualität plünderten. Darin würden die Umweltschützer den Kanzler nach Kräften unterstützen. Deutschland sei jedoch mitverantwortlich dafür, dass heute 4 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe 40 Prozent der Mittel erhalten würden.

    EURONATUR und BUND legen einen Forderungskatalog vor, in dem konkrete kurz- und mittelfristige Maßnahmen für eine Wende in der Agrarpolitik aufgezeigt werden. Wer ernst machen wolle mit vorsorgendem Verbraucherschutz in der Landwirtschaft, der müsse auch die sogenannte grüne Gentechnik verbieten. Ebenso müsse die Freisetzung und das in Verkehr bringen genmanipulierter Organismen gestoppt werden, da sie neue Verbraucher- und Umweltrisiken mit sich brächten. Weiger: "Dieser neuartige Großversuch an Mensch und Umwelt gehört sofort abgebrochen. Bis zum Verbot aller gentechnisch veränderten Zusatzstoffe im Futter muss Fleisch, das auf solcher Nahrung basiert, entsprechend gekennzeichnet werden."

    Für Futtermittel müsse sofort eine Positivliste erstellt werden, auf der stehe, was überhaupt im Futter enthalten sein dürfe. Heute seien nur wenige Stoffe explizit ausgeschlossen, dazu gehörten beispielsweise nicht einmal Altöle. Ribbe: "Die Bundesregierung muss sich darüber hinaus unverzüglich den Forderungen der skandinavischen Länder anschließen, alle Antibiotika als Leistungsförderer in der Tierzucht zu verbieten."

    Für Rückfragen: Prof. Dr. Hubert Weiger, mobil: 0171-4073869. BUND-Landwirtschaftsexperte, Lutz Ribbe, EURONATUR, mobil: 0170-4125767 oder BUND-Pressestelle, Tel: 030-27586-425/-489, Fax: -449; mobil: 0178-5128953. E-Mail: presse@bund.net. Pressearchiv im Internet: www.bund.net/aktuell.

    [BUND am 28.11.2000: Nachsorgender BSE-Aktionismus ersetzt nicht Vorsorge / Ökologischer Landbau muss ausgeweitet werden]



    B S E – S K A N D A L

    Tiermehl in Europa auf dem Index

    Die Mehrheit der EU-Agrarminister hat im Kampf gegen die BSE-Seuche ein generelles Verfütterungsverbot von Tiermehl beschlossen. Fischmehl soll jedoch weiter verfüttert werden dürfen.

    Aus:
    Spiegel Online – 4. Dezember 2000, 18.40 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    BRÜSSEL. Die für eine Entscheidung notwendige Mehrheit sei im EU-Ministerrat erreicht worden, sagte eine Sprecherin der Kommission. Damit ist in der gesamten europäischen Union ab dem 1. Januar des kommenden Jahres für zunächst 6 Monate die Verfütterung von Fleisch- und Knochenmehl nicht mehr erlaubt. Fischmehl darf nach den Angaben zukünftig zwar nicht an Wiederkäuer wie Kühe, Ziegen und Schafe, jedoch weiter an Schweine, Geflügel und Fische verfüttert werden.

    In EU-Kreisen hieß es, Deutschland habe gegen den Beschluss gestimmt, weil er als nicht weit reichend genug gesehen wurde. Zuvor hatte es in EU-Kreisen geheißen, nur noch Finnland und Schweden lehnten ein Verbot ab. Damit stand bereits die erforderliche Mehrheit für ein Verbot. Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) hatte seine Kollegen zuvor angesichts der BSE-Krise eindringlich aufgefordert, in der gesamten EU die Verfütterung von Tiermehl zu verbieten. Das deutsche Tiermehl- Verfütterungsverbot müsse die Grundlage für ein europaweites Verbot bilden, sagte Funke.

    In Deutschland sind Schnelltests für mehr als 30 Monate alte Rinder ab diesem Mittwoch [6.12.2000] vorgeschrieben. Die 16 Bundesländer sind nach einer Umfrage der Deutschen Presseagentur unterschiedlich für Schnelltests und Tiermehlverbrennung gerüstet. Während etwa in Bayern, Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen nicht mit Verzögerungen gerechnet wird, wies Brandenburgs Agrarminister Wolfgang Birthler (SPD) darauf hin, wegen mangelnder Lagerkapazitäten könnten zunächst lediglich Risikorinder getestet werden. Erst Anfang nächsten Jahres seien ausreichend Lagerkapazitäten vorhanden, um alle mehr als 30 Monate alten Schlachtrinder auf BSE zu testen. Ähnliche Bedenken gibt es beispielsweise auch in Niedersachsen.

    Die Verbrennung von Tiermehl ist bereits angelaufen, so am Freitag [1.12.2000] in der Hausmüllanlage im westfälischen Iserlohn. Ob die bundesweiten Kapazitäten ausreichen, steht noch nicht fest. Kälber dürfen in Deutschland vorerst nicht mit bestimmten tierischen Fetten wie Talg oder Schmalz gefüttert werden.

    Der Herkunftsnachweis des auf den Azoren an BSE erkrankten Rindes stand noch aus. Genmaterial des Tieres war entgegen ersten Meldungen vom Freitag bisher nicht in der Universität Göttingen eingetroffen. Es soll geklärt werden, ob das kranke Tier tatsächlich aus einem Stall in Sachsen-Anhalt stammt. Bei einem positiven Ergebnis wäre der zweite BSE-Fall in Deutschland amtlich.

    Nach Schätzungen müssten EU-weit im kommenden Jahr etwa 2 Millionen Tiere getötet werden. Die Landwirte sollen Entschädigungszahlungen bekommen, an denen sich die EU nicht unerheblich beteiligen würde. Die Vernichtung der Tiere komme erheblich billiger, als sie zu testen, zu schlachten und das Fleisch in der geringen Hoffnung auf einen späteren Verkauf auf EU-Kosten einzulagern, hieß es aus diplomatischen Kreisen. Durch die BSE-Krise und ihre Folgen sind europaweit Kosten in Milliardenhöhe abzusehen. Kostenbelastungen durch Maßnahmen zur Abwehr von BSE.



    DER  RINDERWAHN  AUF  DEM  EU-GIPFEL

    Die Prionen und ihre Politiker

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 5. Dezember 2000, Seite 1 (Leitartikel) von ULRIKE FOKKEN. [Original]

    Ein schönes Bild: Gerhard Schröder, Jacques Chirac, Toni Blair, José Maria Aznar und die anderen elf europäischen Regierungschefs beißen herzhaft in ein Steak. Fotogen könnten sie in einem repräsentativen Saal in Nizza während ihres Gipfeltreffens sitzen und ohne zu zucken ein fünfgängiges Menü mit Risikomaterial verzehren. Damit könnten sie den 370 Millionen Europäern zeigen: Europäisches Fleisch ist sicher, wir haben die Sache im Griff.

    Für derlei Schau-Essen ist es allerdings schon zu spät, ist das Prion schon zu weit vorgedrungen. Vor einigen Jahren noch traute sich der britische Landwirtschaftsminister, seiner Tochter einen Hamburger in den Mund zu drücken. Aber mit dieser plumpen Symbolik werden die EU-Staats- und Regierungschefs diesmal nicht davon kommen. Die Europäer haben begriffen, dass der Rinderwahnsinn BSE gefährlich ist, dass niemand weiß, wie viele Tiere infiziert sind, wie viele Menschen mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit befallen sind, wie sie behandelt werden können und vor allem: wie die Gesunden sich vor den Prionen und dem Aufweichen ihres Gehirns schützen können.

    Nachdem vor 14 Jahren die ersten BSE-Fälle in England auftauchten, die britische Regierung daraufhin vertuscht, gelogen und ihre Wissenschaftler eingeschüchtert hat und die Rinderseuche sich so über Europa ausbreiten konnte, haben die europäischen Verbraucher das Einzige getan, was noch in ihrer Macht steht: Sie weigern sich, Rindfleisch zu kaufen. Damit drohen die Bürger einen europapolitischen Gau auszulösen. Sie verweigern sich dem politischen Konstrukt eines geeinten Europa mit einem gemeinsamen Markt. Wenn nämlich jedes Land beginnt, auf die Sorgen seiner Bürger zu hören und ein Importverbot für das Fleisch der anderen Länder zu erlassen, dann funktionieren die Spielregeln der EU nicht mehr. Der deutsche Bundesrat hat am Freitag bereits ein derartiges Verbot gefordert.

    Kein anderer Wirtschaftszweig wird dermaßen reguliert und subventioniert wie die Landwirtschaft. Der Agrarhaushalt verschlingt den größten Teil der Milliarden im gemeinsamen Haus Europa, und von Almeria bis zu den Shetland-Inseln mischen sich die EU-Beamten in das Wirtschaften der Bauern. Nicht mehr nur die Tiere auf dem Hof bestimmen damit den Tagesablauf, sondern die Verwaltungsvorschriften der EU. Und nicht mehr die Jahreszeit und der Boden sagen dem Bauer, was er säen und ernten kann, sondern die EU-Subventionszahlungen und die Flächenstilllegungspläne.

    Das ist keine Schikane der EU-Beamten, sondern die gemeinsame Agrarpolitik von 15 nationalen Landwirtschaftministerien, die in den vergangenen Jahrzehnten versuchten, ihre Bauern vor dem Weltmarkt zu schützen. Die europäische Landwirtschaftspolitik hat dazu geführt, dass Schweine aus Cloppenburg über den Brenner nach Neapel transportiert werden, um sie dort zu schlachten und dann portionsweise in Plastikfolie verschweißt in deutsche Supermärkte zu bringen. Der Bauer ist seiner Aufgabe als Nahrungsmittelproduzent damit ebenso entfremdet, wie der Verbraucher seinem Essen auf dem Teller.

    Ökolandwirte, die sich dieser Normierung entziehen, hatten kaum eine Chance, Einfluss auf die Agrarpolitik zu nehmen und so ihre wirtschaftliche Lage ein wenig zu verbessern. Sie haben sich mühsam ihren eigenen Mark geschaffen.

    Der Rinderwahnsinn ist nur eine Folge der fortgeschrittenen Europäisierung der Landwirtschaft. Die europäischen Staatschefs sitzen in Nizza jedoch nicht nur als ratlos Suchende, sondern als Verantwortliche für die Verbreitung der Prionen. Sie haben somit eine doppelte Verpflichtung, dem Wahnsinn die Nahrung zu entziehen. Wenn es ihnen nicht gelingt in Nizza den Europäern das Vertrauen in die Institution EU und die Vision Europa zurück zu geben, brauchen sie auch nicht über die Stimmengewichtung zu debattieren.

    Der Wahnsinn kam mit Methode über die Europäer. Es wird Zeit, dass er auch methodisch erforscht und bekämpft wird.

    [EU verbietet Fütterung mit Tiermehl]   [Tiermehl in Europa auf dem Index]



    Hochsicherheitsstufe im BSE-Labor

    Plastikkittel kommen in den Sondermüll, Kleidung wird dekontaminiert: Morgen beginnen die Tests / Premierendurchlauf mit Fuchshirn

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 5. Dezember 2000, Seite 11 (Berlin). [Original]

    BERLIN (Tsp). Die blauen Schuh-Überzieher aus Plastik kommen nach dem Laborbesuch in den Abfalleimer – Sondermüll. Das gleiche gilt für den weißen Einwegkittel. Andere Arbeitskleidung wird dekontaminiert. Damit keine Erreger nach außen dringen, herrscht im Raum Unterdruck, und die Abluft gelangt nur durch einen Hochsicherheitsfilter nach außen. Die Hände werden zum Schluss doppelt behandelt. Erst mit Spezialseife, dann mit Sterilium – die Haut unter den Ringen nicht vergessen. In dem Labor, das ab morgen die Berliner BSE-Tests macht, herrscht Sicherheitsstufe drei, eine unter der höchsten, bei Ebola. Sicher ist sicher. Ab Mittwoch [6.12.2000] darf hier außer den Mitarbeitern keiner mehr durch die Sicherheitsschleuse.

    Ein mulmiges Gefühl, nicht nur für die Besucher des Instituts für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen (ILAT) an der Invalidenstraße 60 nahe Heidestraße in Tiergarten. "Ich vergleiche das ein bisschen mit AIDS, dagegen gibt es auch noch keinen Impfstoff", sagt Jacqueline Falk, die die Rinderseuchen-Checks im Auftrag des Landes Berlin und für Brandenburg ausführt.

    Morgen werden die ILAT-Mitarbeiter die ersten Stammhirn-Proben von wahrscheinlich vier Rindern entnehmen, die Berlins Schlächter Jörg Staske auf seinem Hof in Treptow getötet hat. "Außerdem habe ich mit den Kollegen in Brandenburg abgesprochen, dass wir mit dem Rest unserer Testkits, das sind etwa 80, anschließend Proben aus dem Nachbarbundesland untersuchen", sagt Jochen Hentschke, Abteilungsleiter und Fachtierarzt für Mikrobiologie.

    Wie der serobiologische Prionentest genau funktioniert, hat die Medizinisch-Technische Assistentin bei der Herstellerfirma des gleichnamigen "Bio-Rad"-Tests in Zürich gelernt [siehe Hinweis]. "Biorad" sei zwar etwas teurer als der "Prionics-Test", aber dafür könne man mit einem Durchgang gleich 86 Proben untersuchen. Knapp 40.000 Mark kosten die kompletten BSE-Testgeräte, das ILAT hat sie über den Zwischenhandel etwas günstiger erworben. 150 Mark verlangt das Labor jetzt pro Test vom Land – die Prozedur dauert bis zu 8 Stunden. Zuerst zieht Frau Falk etwa 350 Milligramm mit einer Art Spritze aus dem Stammhirn – zu Demonstrationszwecken beim Premierendurchlauf stammt es vom Fuchs. Das Gewebe wird in ein Röhrchen mit einer Flüssigkeit sowie kleinen Perlen gegeben und im "Ribolyser" durchgeschüttelt. Dann kommen Enzyme in Campari-Farbe hinzu. So werden die infektiösen Prionen herausgefiltert, die sich schließlich am Röhrchenboden absetzen. Im zweiten Schritt zeigt dann die Färbung, ob Entwarnung oder BSE-Alarm gegeben wird: Farblos gleich harmlos, Blau bedeutetpositiv.

    "Frei zum Verzehr, im BSE-Test negativ getestet" – so wird das Ergebnis hoffentlich lauten. Doch wegen der Jahre währenden Inkubationszeit kann es selbst bei einem Negativbefund keine absolute Sicherheit geben, weiß auch Jochen Hentschke. Bereits vor anderthalb Jahren hatte er sich mit seiner Mannschaft, die sonst andere anzeigenpflichtige Tierkrankheiten wie Schweinepest, Tollwut, Papageienkrankheit und Kuhfieber untersucht, als BSE-Testlabor angeboten – doch damals wollte niemand eine potenzielle Rinderseuchengefahr in Deutschland wahr haben. Sollten die BSE- Nachweistests die geplanten Kapazitäten sprengen, wird Hentschke im Institut Mitarbeiter umsetzen. Es kann losgehen.

    7.12.2000 (khd). Zu dem Artikel erhielt ich einen Hinweis: Die Technische Assistentin kann den "BioRad- Test" nicht in Zürich gelernt haben. Denn das ist der Sitz des absoluten Wettbewerbers Prionics AG. BioRad hat ihren Sitz in Deutschland in München. Im Falle einer BSE-positiven Probe muß auf den Bestätigungstest von Prionics zurückgriffen werden, wie es im Kapitel 7 der Arbeitsanleitung zum BioRad-Test unter den Sicherheitsvorkehrungen vermerkt ist.



    Des Wahnsinns fette Beute

    Das europäische Agrar-Imperium wankt – die Natur schlägt zurück. Es wäre die Stunde der Grünen. Aber der Mensch bleibt Verbraucher.

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 7. Dezember 2000, Seite 29 (Kultur) von PETER VON BECKER. [Original]

    Inmitten der Schreckens-Szenarien vom Rinderwahn und der menschenergreifenden Seuche leuchtet noch einmal das Wunschbild auf vom traditionellen Bauernhof, von einer harmonischen Landwirtschaft: mit grasenden Herden auf der Weide, mit ungepfercht sich suhlenden Schweinen, mit frei gackerndem Federvieh in einer Welt des naturreinen Mist. Diese Idealbilder gibt es auch heute noch. Doch Fleisch, Geflügel und Wurst in den Supermärkten oder fast allen Metzgereien entstammen längst jener industriellen Massentierhaltung, die in lebenden Geschöpfen nur noch das Rohmaterial für möglichst kostengünstig produzierte Verbrauchsgüter sieht.

    Natürlich hatte man sich in den 60er Jahren schon über das bisschen Nitrit zur Schönrotfärbung des Rinderhacks aufgeregt; danach kamen die Hormoncocktails für Kälber und Schweine, und zuletzt sorgten die Salmonellen im Hühnerei für Beunruhigung über die hygienischen Verhältnisse in den so genannten Legebatterien. Erst mit BSE aber "erleben wir eine Art Kulturrevolution", so hieß es kürzlich im Leitartikel der Süddeutschen Zeitung; die "technokratische Tierproduktion" habe den demokratischen Traum vom vielen Fleisch für alle erfüllt – und zugleich verdorben.

    Doch auch dieser Befund spiegelt mehr ein wünschenswertes Warnbild als die Wirklichkeit. Bisher ist in allen Verlautbarungen der Politik und der Agrarwirtschaft, in allen neuen Verordnungen und Gesetzen immer nur vom "Verbraucherschutz" die Rede. Dass unsere als Konsumentenschaft begriffene Spezies allerdings immerzu Lebewesen "verbraucht" und der Schutz des Menschenlebens womöglich auch etwas mit dem Schutz des vorangegangenen Tierlebens zu tun hat, bleibt ausgeblendet. Wenn die Erkenntnisse über BSE und den Zusammenhang mit der Creutzfeld-Jakob-Krankheit stimmen, dann freilich rächt sich auch eine jahrzehntelange Vergewaltigung der Natur, eine Manipulation der Evolution – die (vegetarische) Wesen zum Verzehr verheizter und vermahlener Artgenossen gezwungen hat. Dennoch soll die Verfütterung von Kadavermehl nach Brüsseler Vorstellungen bloß temporär ausgesetzt werden, und bei Fischen und Geflügel sollen ohnehin keine Einschränkungen gelten.

    So wird weiter an Symptomen, nicht an den (wahrscheinlichen) Ursachen kuriert. Es gibt keine Generaldebatte über die Perversionen der Massentierhaltung; also müssten noch ganz andere Folgeseuchen unter den "Verbrauchern" ausbrechen, um über einzelne Empörungsartikel und kurzfristig erschütternde TV-Dokumentationen hinaus ein Bewusstsein, ein Gewissen zu schaffen: Dass Tierställe in der europäischen Agrarindustrie von bergenden Höhlen zu folternden Höllen geworden sind, in denen hunderte Millionen Kreaturen ohne natürliches Licht, ohne Bewegungsraum, ohne artgerechte Aufzucht bis zur Schlachtung ständig in einem Zustand von Verzweiflung und Irrsinn (auch ohne BSE) gefangen gehalten werden. Kälber zum Beispiel werden von den Muttertieren getrennt und in Zementzellen ruhig gestellt, damit nicht psychosomatische Reaktionen die vom "Verbraucher" geschätzte helle Farbe ihres Fleisches trüben.

    Mit Tierschutz oder gar den in unserer Leitkulturdebatte beschworenen christlich-abendländischen Werten, die eine gewisse Achtung kreatürlichen Lebens gebieten, hat dies alles nichts zu tun. Paragraph 2 des deutschen Tieschutzgesetzes fordert, dass ein Tier "seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen" zu "ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterzubringen" ist und die "artgemäße Bewegung" nicht so eingeschränkt werden dürfe, dass dem Tier "Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden". Dieses Gesetz aber ist angesichts der Realität industrieller Massentierhaltung ein blutiger Witz.

    Es wäre jetzt eigentlich die Stunde der Grünen [Ed: wenn diese nachhaltig an ihren ur-eigenen Themen arbeiten würden und nicht aus Gründen vermeintlicher „Professionalität“ jedem Popanz (aktuelles Beispiel: Unter-Tarif-Entlohnung) hinterherlaufen]. Zunächst jedoch erfährt die ökologische Bewegung einmal mehr ihre politische Ohnmacht. Denn eine autonome Landwirtschaftspolitik ist in Europa nicht möglich; auch lassen sich agrarwirtschaftliche Strukturen und ganze Industriezweige, bis hin zur Futtermittelherstellung, nicht mit ein paar Federstrichen verändern. Machen die "Verbraucher", macht das Wahlvolk an der Metzgertheke nicht mit, dann sind die mit jedem Schritt zurück zur Natur verbundenen Kosten so wenig politisch durchsetzbar wie der Fünf-Mark-Liter Benzin.

    Auch werden die privaten Haushalte, die seit Jahrzehnten mit niedrigen Fleischpreisen rechnen, nicht mit reinen Qualitätsargumenten zu bewegen sein. Tatsächlich hat das industriell hergestellte Kalb- und Rindfleisch – von den weniger populären, doch bei Gourmets geschätzten Innereien wie Leber, Bries, Nieren und Hirn einmal abgesehen – heute kaum noch einen artkräftigen oder gar delikaten Geschmack. Selbst argentinische Rinder schmecken nicht mehr nach ihrer Weide – der Geschmacksabfall ist hier ähnlich wie beim Vergleich von Wildwasserlachsen und Seeforellen mit ihren gezüchteten, mehlgefütterten Artgenossen.

    BSE wirkt ein wenig wie der Unfall von Tschernobyl. Es gibt einen kurzfristigen Schock, aber wenig nachhaltige Veränderungen. Weitere GAUs oder eine Ausbreitung der Tier- und Menschenpest als Motor für ökologische Veränderungen kann sich indes niemand wünschen. Also werden wir angesichts kurzsichtiger nationaler Politiken und aberwitziger EU-Subventionen vorerst weiterleben: von und mit gequälten und mutierten Tieren aus industrieller Un-Zucht. Brechts Chicago- Drama von der "Heiligen Johanna der Schlachthöfe" erscheint da geradezu als kapitalistisches Krippenspiel.

    Und schon gebiert die Symptomkur weitere Unnatur: In Laboren sollen durch Gen- Veränderungen BSE- resistente Rinder entwickelt werden. Kaum absehbar sind jedoch bei genetischen Mutationen die Nebenwirkungen. So hoffnungsvoll neue Biotechniken bei der Bekämpfung von Krebs- und anderen Krankheiten stimmen: Eingriffe in die menschliche oder tierische Natur dürften weniger denn je dem freien Spiel des Markts überlassen werden. Wenn es eine BSE-Lehre gibt, dann angesichts der Klone, Mutanten, Chimären oder auch nur lebend gemästeten Keulen und Koteletts: Wissenschaft und Industrie bedürfen hier öffentlicher Kontrolle [Ed: und intensiver Regulierung]. Eine universell verbindliche Bioethik – sie ist das politische und kulturelle Projekt der Gegenwart. Nicht erst der Zukunft.

    [Getestet und trotzdem nicht sicher]
    [In den Schlachthöfen ruht die Arbeit]
    [„BSE-getestet “ bedeutet nicht „BSE-frei“]
    [Bauernverband weist Schuld von sich: Seh nix, hör nix, sag nix]



    D E B A T T E   I M   B U N D E S T A G

    „BSE-Dornröschenschlaf“

    In einer von ihr beantragten Aktuellen Stunde des Bundestages hat die Union die rot-grüne BSE-Politik angegriffen. Die SPD konterte, man habe mit dem Tiermehlverbot "sofort gehandelt".

    Aus:
    Spiegel Online – 7. Dezember 2000, 17.37 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    BERLIN. Der CSU-Abgeordnete Aribert Wolf warf Gesundheitsministerin Andrea Fischer vor, nicht rasch genug auf das Problem Rinderwahn reagiert zu haben. "Sie waren im BSE-Dornröschenschlaf." Sein Parteikollege Albert Deß verlangte von Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Erklärung, was genau er meine, wenn er im Zuge der BSE-Krise eine andere Agrarpolitik fordere. In Deutschland gebe es die von Schröder angeprangerten Agrarfabriken nicht. Deshalb sei es nötig, dass der Regierungschef "nicht nur große Sprüche klopft", sondern auch klarstelle, was er gemeint habe.

    Der CDU-Abgeordnete Heinrich-Wilhelm Ronsöhr bemängelte, das seit Samstag [2.12.2000] in Deutschland geltende Verbot, das auch die Verfütterung von Fischmehl an Schweine oder Geflügel untersagt, weise Widersprüche zur EU-Praxis auf.

    Fischer: Verbraucher müssen Ernährung umstellen

    Gesundheitsministerin Fischer meinte zu der Kritik, sie sei durchaus bereit, darüber zu reden, ob "unsere Performance" vielleicht nicht gut genug gewesen sei. Fischer forderte die Verbraucher gleichzeitig auf, ihre Ernährung umzustellen. Man könne nicht erwarten, "zu schlechten Preisen allerbeste Lebensmittel zu bekommen".

    Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke wies die Vorwürfe der Opposition vollständig zurück, die Regierung sei zu zögerlich gegen die BSE-Gefahr vorgegangen. Nach Ansicht von Funke ist die gegenwärtige Landwirtschaft nicht für den BSE-Fall in Deutschland verantwortlich.

    Positivliste für Futtermittel vorgeschlagen

    Funke sagte, er halte den Beschluss der EU-Agrarminister, die Verfütterung von Tiermehl nur für 6 Monate zu verbieten, noch nicht für das letzte Wort. Der SPD-Politiker kündigte an, er wolle in der EU eine Positivliste für die Verarbeitung von Futtermitteln vorantreiben und im Sinne von Landwirten und Verbrauchern eine offene Deklaration der Inhaltsstoffe fordern.

    Die SPD-Parlamentarierin Regina Schmidt-Zadel meinte, die Verbraucher seien schon seit Jahren mit widersprüchlichen Informationen über Rinderwahn konfrontiert. Das Thema eigne sich aber weder für das Durchsetzen von Lobby- Interessen noch für parteipolitisches Geplänkel. Die SPD-Politikerin Heidemarie Wright wies auf das Verfütterungsverbot von Tiermehl hin und meinte, die Politik habe "sofort gehandelt".



    B R Ü S S E L E R   I R R S I N N

    Die BSE-Krise ist eine Krise der EU

    Das Beispiel BSE zeigt: Die Europäische Union ist mit ihren bisherigen Mitteln nicht mehr als eine Verwaltung von Problemen und nationalen Eigeninteressen. Das fahle Fazit aus vierzehn Jahren BSE-Diskussion: Bisher ist in Brüssel nichts passiert, obwohl viel passiert ist.

    Hinweis auf:
    Spiegel Online – 7. Dezember 2000, 19.39 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    Das auffällige Torkeln der Kuh machte den britischen Tierarzt David Bee stutzig. Die "Kuh 133", wie er sie zu Testzwecken wenig liebevoll nannte, konnte sich nicht auf den Beinen halten, verdrehte die Augen und fraß nicht mehr. Als der Arzt im britischen Sussex ein Jahr später die tote Kuh sezierte und ein schwammartiges Gewebe aus der Hirnschale fingerte, war ihm noch nicht klar, was er in den Händen hielt: das Hirn des ersten an der Seuche BSE (Bovine Spongiforme Encephalopathie) erkrankten Rindes.

    Das war im Februar 1985. Seitdem konnte sich die Seuche völlig ungehemmt durch die Europäische Union auf dem gesamten europäischen Kontinent verbreiten und ist auch in Frankreich und Deutschland angekommen. 14 Jahre hat es nach der Identifizierung von BSE im Jahr 1986 gedauert, bis sich die Euro-Lenker in der Nacht zu Dienstag [5.12.2000] überwinden konnten, mit dem Verfütterungsverbot von Tiermehl ein einschneidendes Mittel zur BSE-Bekämpfung zu beschließen. Dass es zu der BSE-Welle kommen konnte, verdanken die Fleischesser Europas zuallererst dem EU-System von ungeklärten Zuständigkeiten, nicht rechenschaftspflichtigen Beamten und national bornierten Ministerialapparaten. So ist die BSE-Krise eine Folge der allgemeinen EU-Krise.

    In Brüssel wurde mal wieder nur geredet

    BSE war zwar von Beginn der Krise an in Brüssel in aller Munde. Dort allerdings ist wenig passiert. Ohne Zweifel ist der jetzige Beschluss zum Verbot für Tiermehlverfütterung ein Erfolg für die Verbraucher im Euro-Land. Und trotzdem ist es nicht mehr als das vorläufige Ende einer 14-jährigen Irrfahrt von Absichten, Fehleinschätzungen und letztlich immer wieder der Abwiegelung von Vorschlägen durch die EU-Länder mit ihren mächtigen Bauernlobbys.

    Zuerst spielte Großbritannien, Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger als einziges BSE-betroffenes Land, das Problem herunter. Die EU-Agrar- und Gesundheitsausschüsse wurde massiv durch die Briten gebremst. Die Insulaner waren in Sachen BSE ganz vorne und füllten fast alle Gremien mit Experten. Die kamen dort zu noch erstaunlicheren Ergebnissen. Das Risiko einer BSE-Infektion beim Menschen sei "verschwindend gering", erforschten die Mitglieder der Southwood-Kommission unter Vorsitz eines britischen Veterinärs [Ed: es war ein Zoologe!] im Jahre 1989. Also kein Handlungsbedarf.

    Weiterhin wurde also Tiermehl europaweit verfüttert und der BSE-Erreger infizierte übers Futter immer neue Rinderhirne. Beschlussvorlagen gab es in Brüssel auch weiterhin viele. Immer jedoch wurden die Papiere zu Fall gebracht: Die Briten bezweifelten andere Gutachten und legten Gegenentwürfe vor. Wenn all das nichts nutzte, versagten die Insulaner notfalls ihre Stimme in der Kommission und kippten den Beschluss, der einstimmig gefällt werden muss.

    Auch das Exportverbot für britisches Rind lief ins Leere

    Als in England die Seuche Mitte der Neunziger eskalierte und Tausende von Kühen verrückt wurden, akzeptierten die Briten zwar ein Exportverbot, doch über illegale Wege fand sowohl Fleisch als auch hoch verseuchtes Tiermehl weiter seinen Weg aufs Festland. Europa fehlt es nicht so sehr an Entscheidungsgewalt, sondern vor allem an wirksamer Kontrolle der mit viel Kraft getroffenen Entscheidungen. Ohne die bleibt jedes Verbot folgenlos. Als schon die ersten Menschen mit der neuen Variante des Creutzfeldt-Jakob-Syndroms in europäischen Kliniken lagen, ging der BSE- Erreger übers Futter weiter um.

    Die Schlappe beim Umgang mit dem Risiko BSE-Futter hatte zumindest bürokratische Folgen. Erstmals nahm ein Untersuchungsausschuss die Sache unter die Lupe und warf der EU später schweres Versagen vor. Doch das Urteil hatte wenig Folgen, in ganz Europa war man wieder zur alten Futterpraxis zurückgekehrt und scherte sich nicht mehr um BSE, obwohl Experten der EU immer wieder in Berichten vor der weiter bestehenden Gefahr warnten. Diese finden sich auf der Homepage der EU auch alle wieder, erstaunlicherweise sind sie alle nicht in Deutsch erhältlich, auch nicht der Bericht, der Deutschland im August 2000 als gefährdetes Land einstuft. Alles verpuffte, bis die erste deutsche BSE-Kuh die Öffentlichkeit aufschreckte.

    Auch Funke stemmte sich bisher gegen Tiermehlverbot

    Doch nicht nur die Briten blockierten: Auch Bundeslandwirtschaftminister Karl-Heinz Funke und seine Unions-Vorgänger blockierten mit Rücksicht auf die armen Bauern lange jegliches Fortkommen gegen BSE, sprich gegen die Tierresteverfütterung. Noch im März wetterte der Hobbylandwirt gegen das Verbot von hoch infizierten Körperteilen wie Hirn in Futtermitteln. Seiner Meinung nach sei die Tiermehlverfütterung ein unverzichtbarer Bestandteil der Rinderaufzucht. "Die fallen ja sonst um", scherzte der hemdsärmlige Minister und belehrte jeden Gegner wie die Gesundheitsministerin Andrea Fischer von den Grünen, dass sie wohl "keine Ahnung" habe. War es nicht ein Deutscher, stand ein Franzose, Spanier oder Portugiese auf der Bremse.

    Wie wenig hilfreich die neue Regelung der EU sein könnte, zeigt ein einfacher Blick in die Annalen der EU-Beschlüsse. Dort findet man bereits 1994 ein Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer. Kontrolliert hat das bisher niemand. "Ähnlich wird das wahrscheinlich mit der neuen Verordnung aussehen", befürchtet Lutz Ribbe vom Umweltschutzverband Euronatur, seit Jahren in Sachen BSE in Stellung. Zudem sei das Verbot noch auf ein halbes Jahr beschränkt. "Wenn der öffentliche Wind abgeflaut ist, könnte die Beschwichtigungsmasche weitergehen", befürchtet Ribbe. Der Verbraucherschutz bleibe bei einem Europa von Einzelstaaten mit Einzelinteressen ein schwieriges Thema, das in Nizza allerdings noch nicht mal auf der Tagesordnung steht.

    [Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu BSE]

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      Zum Teil 12

    © 2000-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr