BSE & Co in den Medien – Teil 18 khd
Stand:  6.6.2003   (41. Ed.)  –  File: M/edien18.html *




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (19. Teil).
  • 25.01.2001: BSE-Ursache: Milchaustauscher?
  • 24.01.2001: Was ist drin in der Wurst?
  • 23.01.2001: Unerkannte Creutzfeldt-Jakob-Fälle?
  • 23.01.2001: Arzneimittel: Schmidt will BSE-Risikomaterial verbannen.
  • 23.01.2001: Sauereien. (Schweinemast-Skandal)
  • 23.01.2001: Doping-Futter. (Schweinemast-Skandal)
  • 22.01.2001: Antibiotika in der Schweinemast: Generelles Verbot gefordert.
  • 22.01.2001: Bayerische Behörden missachteten jahrelang EU-Vorschriften.
  • 21.01.2001: Zahlreiche Fälle von Tiermehl im Futter.
  • 20.01.2001: Neuer Tiermast-Skandal.
  • 20.01.2001: Unsichere BSE-Schnelltests.
  • 20.01.2001: Streit um die europäische Lebensmittelbehörde.
  • 19.01.2001: Verkaufsverbot für Futterhersteller.
  • 18.01.2001: Schlachtopfer fürs Volk.
  • 18.01.2001: Industrialisierte Fleischproduktion ist ekelhaft – und lebensgefährlich.
  • 17.01.2001: EU-Experten empfehlen wegen BSE schärfere Kontrollen.
  • 17.01.2001: Forscher wirft Behörden Behinderung von BSE-Tests vor.
  • 17.01.2001: „Klein und Öko führt in die Sackgasse“.
  • Ältere Presseberichte  (17. Teil).



    A G R A R P O L I T I K

    „Klein und Öko führt in die Sackgasse“

    42 Agrarökonomen kritisieren Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik / Bio-Rinder sind vor BSE nicht gefeit

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 17. Januar 2001, Seite 19 (Wirtschaft). [Original]

    BERLIN (mo). Die neue Agrarpolitik der Bundesregierung ist gestern von 42 führenden Agrarökonomen scharf kritisiert worden. Die Wissenschaftler werfen der Regierung vor, die Schuld an der BSE-Krise auf die konventionelle Landwirtschaft zu schieben, statt eigene Versäumnisse einzugestehen. Die Kritik an Agrarfabriken und industrieller Landwirtschaft bezeichneten sie als "populär, aber nicht sachgerecht". "Klein und öko" führe in die Sackgasse.

    In der Neun-Punkte-Erklärung, die unter Federführung von Stefan Tangermann, Göttinger Agrarwissenschaftler und landwirtschaftlicher Berater der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast (Grüne) entstanden ist, werfen die Ökonomen der Regierung eine "zu lasche Kontrolle und Selbstkontrolle" in der Futtermittelindustrie und eine "vollkommen unreflektierte" aktuelle politische Debatte vor.

    Mit Blick auf das geplanten Umsteuern der Agrarpolitik der Regierung hin zu mehr ökologischem Landbau erinnern die Agrarökonomen daran, dass ökologisch bewirtschaftete Landwirtschaftsbetriebe bereits in der Vergangenheit gefördert wurden, die Haushaltsmittel aber noch nicht einmal ausgeschöpft worden sind. Es sei zu bezweifeln, ob tatsächlich für die ökologischen Produkte eine ausreichende Nachfrage vorhanden sei.

    Zudem gebe es keinerlei Garantie dafür, dass BSE nicht auf Bio-Bauernhöfen auftreten könne. Ebenso keinen Nachweis habe man dafür, dass Nahrungsmittel aus Ökobetrieben der Gesundheit der Verbraucher besser zuträglich sei [Ed: hm, das Nicht-Verfüttern von "Wachstumsbeschleunigern", Antibiotika, Hormonen und die Anwendung anderer Errungenschaften der Pharma- und Pestizid- Industrie sollen also – nach Auffassung von Ökonomen – keinen Einfluß auf die Gesundheit von Verbrauchern haben?]. Diese Aspekte sprächen gegen eine gezielte Förderung der Öko-Landwirtschaft mit dem Argument des Verbraucherschutzes. Die Ökonomen warnen vor einer neuen Wettbewerbsverzerrungen durch einseitige Bevorzugung bestimmter Formen von Landwirtschaft. Jede zusätzliche Förderung im Rahmen der jüngsten EU-Agrarreformen wirke kontraproduktiv. Ziel sei es immerhin, sich auf Dauer von Subventionen unabhängig zu machen und nicht, neue zu bezahlen. Sollte der Staat durch Förderung die Produktion von Bioprodukten künstlich ausweiten, drohe sogar ein schädlicher Preisverfall. Die Ökonomen verweisen zudem auf die nötige Kompatibilität der deutschen mit der europäischen und internationalen Landwirtschaft. Ein Wandel zu größeren Betriebseinheiten, die auf den Weltmärkten konkurrenzfähiger seien, sei auch in Deutschland unumgänglich.

    Ausdrücklich warnen die 42 Wissenschaftler vor einer Bevormundung der Verbraucher. Die unbestrittenen Leistungen der Öko-Betriebe für die Umwelt könnten auch von konventionellen Landwirten erbracht werden, und zwar oft kostengünstiger. Selbst Kritiker der traditionellen Landwirtschaft, wie der Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Georg Janßen, räumten am Dienstag ein, dass die Parole "Weg mit den Agrarfabriken" zu kurz greife. Klar sei, dass mit zehn Prozent Ökoprodukten kaum das Ende der BSE-Krise besiegelt werden könne. Trotzdem müsse mehr für die Verbraucheraufklärung getan werden, sagte Janßen. Die Bauern seien nur Spielball von Futtermittelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel, die die wahre Markmacht darstellten und die Nachfragestrukturen beeinflussten.

    [Mischen, mahlen, mogeln]   [Um Subventionen geht es nicht]
    [Das ganze System ist der Wahnsinn]



    Forscher wirft Behörden Behinderung von BSE-Tests vor

    Aus:
    Yahoo-News, 17. Januar 2001, 15.34 Uhr (Vermischtes). [Original]

    MÜNCHEN. Der Schweizer BSE-Forscher Markus Moser hat den deutschen Behörden schwere Versäumnisse beim Verbraucherschutz vorgeworfen. Der Zürcher Wissenschaftler, der 1998 den ersten BSE-Schnelltest auf den Markt gebracht hatte, sagte dem ZDF-Magazin Kennzeichen D von heute: "Es wurde von Anfang an Druck ausgeübt von der Bürokratie, zum Teil auch von der Fleischwirtschaft, eben keinen BSE-Test in Deutschland durchzuführen."

    Erst im Dezember 2000 habe die Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere den Schnelltest zugelassen, den die Firma Prionics an der Universität Zürich entwickelt habe. Der Test ist seit 1999 Bestandteil des Schweizer Untersuchungsprogramms. Mit ihm war es erstmals möglich, infizierte Tiere, die noch keine Symptome des Rinderwahns zeigten, zu entdecken und aus der Nahrungskette herauszuhalten. Der Chefveterinär des Bundeslandwirtschaftsministeriums hatte noch Mitte November 2000 erklärt, nur kranke und verendete Tiere sollten untersucht werden. Jedes Rind zu untersuchen, erzeuge eine falsche Sicherheit.

    [29.8.2000: BSE-Test wird in Deutschland blockiert]



    EU-Experten empfehlen wegen BSE schärfere Kontrollen

    Aus:
    Yahoo-News, 17. Januar 2001, 18.44 Uhr (Politik). [Original]

    BRÜSSEL. Wissenschaftler haben der Europäischen Kommission schärfere Kontrollen bei der Verarbeitung von Rindergewebe und Rinderfetten empfohlen, weil diese den Erreger der Rinderseuche BSE enthalten könnten. Die Experten des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses der EU betrachteten etwa Separatorenfleisch von Rindern in einem Alter von über zwölf Monaten als Risikomaterial, teilte die EU-Kommission heute in Brüssel weiter mit. Dieses Fleisch wird maschinell von Knochen abgetrennt. Experten gehen aber davon aus, dass sich etwa im Rückgrat BSE-Erreger finden. Tierische Fette müssten unter erhöhtem Luftdruck aufbereitet werden, bevor sie in Viehfutter eingesetzt würden, empfahlen die Wissenschaftler weiter.

    Fette fallen nicht unter das im Dezember von den Agrarministern erlassene EU-weite Verbot zur Verfütterung von Tiermehl. Die Fette stellten dann kein Risikomaterial dar, wenn bei ihrer Aufbereitung alle Sicherheitsmassnahmen eingehalten würden, erklärten die Wissenschaftler weiter. Die EU-Kommission erklärte, sie werde aus den Empfehlungen der Wissenschaftler "ihre Schlüsse" ziehen. In der EU sind eine Reihe von Maßnahmen gegen die Verbreitung der Rinderseuche BSE eingeleitet worden, darunter ein BSE-Testprogramm und das befristete Verbot der Verfütterung von Tiermehl.



    D A S  G A N Z E  S Y S T E M  I S T  D E R  W A H N S I N N

    Mahlzeit!

    Industrialisierte Fleischproduktion ist ekelhaft – und lebensgefährlich. Wir können damit Schluss machen. Die Verbraucher haben es in der Hand. Seit der BSE-Krise will auch die Politik die Öko-Wende. Nicht nur die Tiere sind krank – das ganze System ist der Wahnsinn. Wir brauchen keine Tierfabriken – auch wenn die Lobbyisten schreien. Die Verbraucher wollen besseres Essen – aber sie müssen dafür zahlen.

    Hinweis auf: Stern – 4/2001, 18. Januar 2001, Seite 22–29 (Wirtschaft) von ARNE DANIELS, TILMAN GERWIEN, HORST GÜNTHEROTH, GÜNTER HANDLÖGTEN, JAN HEIDTMANN, ALINA KANITZ, STEFAN SCHMITZ, HANNELORE SCHÜTZ, GERD SCHUSTER, HANs-MARTIN TILLACK und GEORG WEDEMEYER. [Original]

    Die Artikel bzw. Grafiken des STERN-Beitrags:

    Der Agro-Klüngel reicht bis ins Parlament. Die Mitglieder des Bundestags- Ernährungsausschusses kontrollieren vor allem, ob der Minister von bäuerlichen Privilegien die Finger lässt. Die Herrschaften sind aufs Engste mit der Landwirtschaft verbandelt. Manche bringen es auf Ämterhäufungen, die an Honeckers Spätphase erinnern. Das fängt beim Ausschussvorsitzenden Peter Harry Carstensen (CDU) an. Der gelernte Landwirt ist Aufsichtsratsmitglied des Hamburger Fleischverarbeiters CG Nordfleisch. Er hält den Vorsitz im Kuratorium des Leipziger „Vereins für Agribusiness-Forschung“, mischt beim „Institut für Reines Bier“ im Leitungsgremium mit und wirkt als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Agrar- und Umweltpolitik. Viele seiner Kollegen sind ebenfalls Multifunktionäre im Dienste der bäuerlichen Pfründewirtschaft. „Dieser Agrarausschuss ist nichts anderes als ein Durchlauferhitzer für die Verbandsinteressen“, sagt ein Insider.

    Nicht viel besser sieht es in Brüssel aus, wo Landwirtschaftspolitik für ganz Europa gemacht wird. BSE? „Da kann man nicht den Agrarsektor verantwortlich machen“, befand Noël Devisch, der Präsident des mächtigen Agrarier- Dachverbandes COPA. Der Brite Ben Gill sah in der ganzen Debatte einen Ausdruck von „Hysterie“, und der deutsche COPA-Mann Heinz Christian Bär klagte, von der deutschen Regierung höre er vor allem „Erklärungen ohne entsprechende Substanz“. Sogleich machten die Bauernfunktionäre klar, was das wahre Problem sei: dass die Rinderhalter immer noch „keine Garantien“ haben, dass ihre „Märkte wiederhergstellt“ und Verluste „ersetzt“ werden. Und zwar „vollständig“.

    Die EU-Landwirte bekommen Geld dafür, dass sie produzieren – und Ausgleichszahlungen, wenn sie freundlicherweise nichts mehr herstellen. 80 Milliarden Mark, fast die Hälfte des EU-Budgets, dient der Aufrechtserhaltung dieses Wahnsinnsystems. Insgesamt 40 Milliarden Mark – 500 Mark pro Kopf – blechen die deutschen Steuerzahler jedes Jahr. Von der Rinderprämie bis zur Seidenraupen- Beihilfe regeln Zigtausende EU-Gesetzblätter eine Geldvernichtungsmaschine, die bis heute viel zu oft Masse statt Klasse schafft. Seit 1980 sei den europäischen Volkswirtschaften so etwa eine Billion Mark „ohne Gegenleistung“ entzogen worden, schätzt Rudolf Wolffram von der Uni Bonn: „Da wussten sogar die Kommunisten mehr vom Markt.“ (...)



    R I N D E R W A H N

    Schlachtopfer fürs Volk

    Deutsche Bauern protestieren gegen die Tötung ganzer Rinderherden. Briten und Schweizer verzichten auf die Massenexekution. Aus gutem Grund.

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 04/2001, 18. Januar 2001, Seite ?? (Wissen). [Original]

    Schweizer Landwirte schleichen um ihr Vieh und triezen es. Unvermittelt klatschen sie in die Hände, schlagen sachte mit dem Besen auf die Hinterbeine oder stupfen die Kuh mit einem Kugelschreiber hinter dem Ohr. Gesunde Rinder zeigen sich davon nur mäßig beeindruckt und malmen alsbald wieder ihr Futter – nicht so ihre schreckhaften BSE-kranken Artgenossinnen. Die bekommen einen ängstlichen Blick, zittern sekundenlang, schlagen aus und beruhigen sich kaum.

    Die Verhaltensforschung soll ans Licht bringen, was bisher kein biochemischer Test vermag: BSE im Frühstadium am lebenden Tier erkennen. Professor Ueli Braun von der Zürcher Universitäts-Klinik für Wiederkäuer- und Pferdemedizin hat die Methode schon vor drei Jahren ersonnen, das Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) propagiert entsprechende Testanleitungen in Bauernzeitschriften. "Die Bauern sind ja tagtäglich um die Viecher rum", sagt Heinz Müller, Pressesprecher vom BVET: "Die erkennen sofort, wenn die Liese nicht mehr so tut, wie sie normalerweise tut."

    Hegt der Bauer nach dem Kugelschreibertest BSE-Verdacht, alarmiert er den Tierarzt. Anders als in Deutschland braucht er keine Angst zu haben, dass die ganze Herde eliminiert wird. Geschlachtet werden nur Tiere, die 12 Monate älter oder jünger sind als das infizierte und dessen Nachkommen. Diese so genannte Kohortentötung wird, zumindest öffentlich, auch von bayerischen Bauern und Politikern favorisiert. Die Bundesregierung, demnächst womöglich auch die EU, drängt hingegen auf den großen Rundumschlag, die Keulung ganzer Herden. So viel Radikalität schindet Eindruck beim Verbraucher – dabei ist sie wissenschaftlich gesehen eher unsinnig.

    Zehntausende von Kühen sind vermutlich umsonst gestorben

    Lehrreich ist dabei der Blick über die Grenze. Das Beispiel Schweiz zeigt, dass es auch anders geht. Der Verhaltenstest ist nur einer von vielen pragmatischen Ansätzen, die dort das Vieh schonen. Allerdings dauerte es auch in dem Alpenland eine ganze Weile, bis sich solche Erkenntnisse durchsetzten. 1990, nachdem der erste schweizerische BSE-Fall auftauchte, wurden zunächst nur die betroffenen Tiere getötet. Doch den Verbrauchern und vor allem der EU war das nicht genug, Brüssel verbot den Fleischexport in die EU. Die Berner Regierung beschloß eine härtere Gangart. Von 1997 bis Mitte 1999 liess das schweizerische Bundesamt für Veterinärwesen auch ganze Herden keulen. Insgesamt starben 3200 Tiere, davon wurden 1760 auf BSE getestet, 5 waren BSE-positiv. "Wir hofften damals, dass mit dieser radikalen Methode für unser Fleisch die Grenzen wieder geöffnet werden könnten", sagt Heinz Müller, "aber das ist nicht gelungen. Da haben wir uns gesagt: Was soll's, dann können wir gleich etwas machen, was epidemiologisch sinnvoll ist."

    Den Eidgenossen kamen dabei ihre vorausgegangenen Strategien zugute. Aus den gewonnenen Daten ließ sich ein Dreisatz wissenschaftlich begründeter Annahmen formulieren. Erstens: Das Futter ist die Übertragungsursache. Bis 1996 wurden nur in 8 Fällen Herden gefunden in denen mehr als ein Tier krank war, diese stammten aber immer aus demselben Geburtsjahrgang. Zweitens: Die Infektion erfolgt wahrscheinlich im ersten Lebensjahr der Tiere. Dies heißt drittens, dass sich offenbar die Kälber eines Jahrganges durch besonders verseuchte Futterchargen angesteckt haben. Damit ließen sich Risikogruppen bestimmen. Folgerichtig gilt seit August 1999 in der Schweiz die Kohortenregelung.

    Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme wurden im selben Jahr zusätzlich 18.000 Tiere auf BSE getestet. In 25 Fällen fiel der Test dabei auch bei Tieren positiv aus, die angeblich kerngesund und putzmunter gewesen waren. Nachforschungen ergaben allerdings, dass der Bauer dabei Warnzeichen übersehen hatte.

    Als wichtigstes Argument machen Schweizer und auch Briten gegen das massenhafte Abschlachten der Tiere geltend, dass bisher nicht belegt wurde, dass die Tiere untereinander BSE übertragen – obgleich sich die BSE-ähnliche Krankheit Scrapie unter Schafen mutmaßlich auf diesem Weg verbreiten kann. In beiden Ländern erkrankten in den Herden vor allem Einzeltiere. Das schien bislang auch in Deutschland der Fall zu sein. Vergangene Woche aber standen in Schleswig-Holstein plötzlich gleich zwei BSE-Rinder auf einer Wiese. Wie sich jedoch herausstellte, waren es Jahrgangsgenossen, geboren 1996. "Möglicherweise haben die Tiere eine besonders verseuchte Tiermehlcharge erhalten", mutmaßt Sievert Lorenzen vom zoologischen Institut der Universität Kiel, der die Massenschlachtung ebenfalls für überflüssig hält.

    Selbst der wissenschaftliche Lenkungsausschuss der EU zog im September vergangenen Jahres ein eindeutiges Resümee: "Die Keulung von Geburtskohorten ist effektiver als die Herdenkeulung." Den Berechnungen des Lenkungsausschusses zufolge hätte die Kohortenlösung allein 1992 in Großbritannien 57,5 Prozent aller Tötungen verhindern können: Wissenschaftlich gesehen, sind 22.200 Tiere in jenem Jahr umsonst gestorben.

    Was aber nutzen die schönsten Berechnungen, die genauesten Beobachtungen, wenn die Bevölkerung Blutzoll fordert? Stockt der Fleischabsatz, muss durch radikale Methoden das Vertrauen der Konsumenten zurückgewonnen werden. Da hilft das schonendste Alternativverfahren nichts. Daher wird nun für deutsche Ställe zur "Marktbereinigung" die Schlachtung von 400.000 Tieren über 30 Monate erwogen.

    Die neue Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast jedenfalls hält an der Tötung ganzer Rinderbestände fest – auch wenn die Gesetzeslage für Herdenkeulungen alles andere als eindeutig ist. Das Tierseuchenrecht sieht die Beseitigung einer ganzen Herde nur dann vor, wenn eine Krankheit sich wie die Schweinepest innerhalb von Herden ausbreitet. Das aber ist bei BSE nicht der Fall. Ordnet der örtliche Veterinär trotzdem Keulung an, liegt dies in seinem Ermessensspielraum. Am Mittwoch vergangener Woche traf sich die Bund-und-Länder- Arbeitsgemeinschaft BSE, um diese vage Rechtslage nachzubessern. Alle Länder, sagt ein Sprecher aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, hätten unterstrichen, sie wollten eine bundeseinheitliche Lösung. Selbst Bayern, das öffentlich für die Kohortenlösung eintritt, forderte in der Arbeitsgemeinschaft den Bund auf, die gesetzlichen Grundlagen für die Keulung des gesamten Bestandes zu schaffen, wenn ein BSE-Fall auftauchen sollte.

    Auch auf europäischer Ebene wird an einer gesetzlichen Nachbesserung der Notstandsregelungen gearbeitet. Mitte des Jahres könnte es so weit sein. "Es sieht so aus", sagt Beate Gminder, Pressesprecherin des EU-Verbraucher- Kommissars David Byrne, "dass sich das EU-Parlament für eine Herdenkeulung aussprechen wird, obwohl die EU-Kommission für die Kohortenlösung ist." Die Verbraucher hätten gesiegt, die Kühe verloren.



    Verkaufsverbot für Futterhersteller

    Aus: ARD-Teletext, 19. Januar 2001, 16.15 Uhr, Tafel 122, Rubrik Tagesschau.

    MÜNCHEN/POTSDAM. Zum zweiten Mal ist in Bayern im Zusammenhang mit der BSE-Krise ein Verkaufsverbot gegen einen Futtermittel-Hersteller verhängt worden. Das Unternehmen war nach Angaben des Landwirtschaftsministerium in München bei Prüfungen seit Mitte Dezember wiederholt durch Verunreinigungen im Tierfutter aufgefallen. Die Firma, deren Name nicht mitgeteilt wurde, darf erst nach einer amtlichen Überprüfung wieder verkaufen.

    In Brandenburg werden dem Agrarministerium zufolge immer häufiger Tierreste illegal entsorgt. Mehrere Kubikmeter Knochen von Rindern und Geflügel wurden im freien Gelände abgeladen. Bekannt sind bislang 4 Fälle.

    19.1.2000 (ard). In der ARD-Tagesschau von 17 Uhr wurde der Name des Futtermittel-Herstellers genannt. Es handelt sich um RKW-Süd aus Würzburg. Von diesem stammt auch das in Tirol gefundene, mit Tierbestandteilen verunreinigte Rinderfutter. Nach Angaben des Herstellers soll "eine Maus ins Futter" geraten sein.



    V E R B R A U C H E R S C H U T Z

    Streit um die europäische Lebensmittelbehörde

    Der Vorschlag der Kommission liegt auf dem Tisch / Doch welchen Einfluss die neue Behörde haben soll, ist umstritten

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 20. Januar 2001, Seite 18 (Wirtschaft). [Original]

    BRÜSSEL. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Lebensmittelsicherheit ist durch die BSE-Krise schwerer erschüttert denn je. Auch die Europäische Kommission will deshalb die Kontrolle verbessern. Im nächsten Jahr, so der Plan, soll eine europäische Lebensmittelbehörde eingerichtet werden, in der die bisher bestehenden wissenschaftlichen Ausschüsse der Kommission zusammenarbeiten. Doch noch ist keineswegs klar, wie diese Kontrolle wirksam ausgeübt werden soll, welche Rolle die Lebensmittelbehörde spielen kann und darf. Fällt dies schon in den Bereich Risikomanagement, den die Mitgliedstaaten der Kommission zugestehen oder nicht?

    Als Kommissionspräsident Romano Prodi 1999 antrat, hatte er den Verbraucherschutz und die Nahrungsmittelsicherheit zu seinem ganz persönlichen Thema gemacht. Die Lebensmittelbehörde sollte das Herzstück der künftigen EU-Lebensmittelpolitik sein. Die Nahrungsmittelkette vom Erzeuger bis zum Verbraucher soll Forschungsgegenstand der Behörde werden. Unter ihrem Dach sollen Spitzenwissenschaftler aus allen Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten. Mit den zuständigen nationalen Behörden sollen sie im Interesse einer Umsetzung ihrer Erkenntnisse eng zusammenarbeiten.

    Bisher ist geplant, die künftige Europäische Lebensmittelbehörde in den ersten drei Jahren mit 250 Mitarbeitern und Haushaltsmitteln in Höhe von 40 Millionen Euro auszustatten. Nach drei Jahren soll die Zahl der Mitarbeiter auf 330 erhöht werden. Hauptaufgabe der Behörde wird sein, im Auftrag der Kommission oder der für die Lebensmittelsicherheit zuständigen nationalen Einrichtungen oder auch des Europa- Parlamentes wissenschaftliche Gutachten zu erstellen, auf deren Grundlage eine Risikobewertung stattfinden kann. Politisch entschieden wird dann im europäischen Dreiklang von Kommission, Fachministerrat und Parlament. Die Wissenschaftler bekommen nur ein Vorschlagsrecht.

    Überlegt wird auch die Einrichtung eines Schnellwarnsystems. Falls Hersteller von Lebensmitteln oder nationale Stellen feststellen, dass ein Produkt gesundheitsschädlich ist, sollen sie die Behörde benachrichtigen. Sie verfügt über das wissenschaftliche Fachwissen, das nötig ist, um das Ausmaß der Gefahr einzuschätzen. Die EU-Kommission soll ihre Zuständigkeit für das Krisenmanagement behalten. Sie soll auch weiterhin darüber entscheiden, ob bestimmte Produkte vom Markt genommen werden müssen. Sollte die Kommission ein Produkt verbieten, muss die Entscheidung innerhalb von zehn Tagen von einem neu eingesetzten Ausschuss für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit überprüft werden.

    Noch müssen das Europäische Parlament und der Rat dem Vorschlag der Kommission zustimmen. Das Europäische Parlament aber hat noch nicht einmal einen Berichterstatter benannt. Die in der Verbraucherpolitik engagierten Europarlamentarier, wie beispielsweise die SPE-Abgeordnete Dagmar Roth-Berendt, warnen davor, der Behörde über die wissenschaftliche Analyse hinausgehende Kompetenzen zu überlassen. David Byrne, dem irischen Verbraucherkommissar, ist klar, dass die europäische Behörde weniger Macht haben wird, als beispielsweise die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA), die per Beschluss von heute auf morgen ein Medikament oder ein Nahrungsmittel vom Markt nehmen kann. Byrne will aber versuchen, der Behörde Koordinierungsaufgaben zu übertragen.

    Strittig ist zudem, wo die neue Lebensmittelbehörde ab 2002 ihren Sitz haben soll. Italien hat Parma vorgeschlagen, Spanien Barcelona und Finnland Helsinki. Und unklar ist auch, wie viele Vertreter der Mitgliedsstaaten im Verwaltungsrat vertreten sein sollen. Während die Kommission vorschlägt, jeweils vier Vertreter der Mitgliedsstaaten, der Kommission, des Europäischen Parlamentes und der Verbraucherschutzorganisationen in den Verwaltungsvorstand zu bestellen, wollen die Mitgliedsstaaten ihre Vertretung in jedem Fall erhöhen. Jeder Mitgliedsstaat, so auch der deutsche Vorschlag, sollte im Verwaltungsvorstand vertreten sein.



    Unsichere BSE-Schnelltests

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 20. Januar 2001, 10.56 Uhr zum Artikel "Blindflug ins Hirn" im SPIEGEL – 4/2001, 22. Januar 2001, Seite 32–33 (Deutschland).

    HAMBURG. Bei den Schnelltestverfahren zur Erkennung BSE-kranker Rinder zeigen sich gravierende Sicherheitslücken. Wie das Nachrichten-Magazin Der Spiegel in der neuen Ausgabe berichtet, hat der am häufigsten in Deutschland verwendete Schnelltest der Firma Bio-Rad bei einer BSE-Kuh in Bayern nicht angeschlagen. Dagegen konnte das deutsche BSE-Referenz-Zentrum in Tübingen die Rinderseuche bei dem Tier "problemlos und auf Anhieb" feststellen. Die Kuh war am 14. Dezember in einem Garchinger Labor mit dem Test des Bio-Rad- Konkurrenten Prionics positiv getestet worden; der Bio-Rad- Gegentest in der Landesuntersuchungsanstalt in Nürnberg erbrachte dagegen keinen BSE-Befund.

    Bei weiteren Schnelltests in der Tübinger Bundesforschungsanstalt blieb auch ein Prionics-Test erfolglos; der Bio-Rad-Test kam auch hier in zwei Versuchen nicht zum richtigen Ergebnis. Bisher waren bei Schnelltests lediglich gesunde Kühe unter falschen BSE- Verdacht geraten. In diesem Fall hat nun erstmals ein krankes Tier einen Schnelltest unbemerkt überstanden. Nach Angaben der Bundesforschungsanstalt und des Herstellers Bio-Rad könnten dafür Fehler bei der Probenentnahme eine Rolle gespielt haben. Nach Angaben des Spiegel kommt es beim Herausschneiden der BSE- Nester aus dem Rinderhirn für den Schnelltest immer wieder zu Schwierigkeiten. So habe das Veterinäruntersuchungsamt Neumünster bis zum Januar 25 geschlachtete Rinder sperren müssen, bei denen die Gewebeproben für den Schnelltest unbrauchbar gewesen seien. [Original-Artikel]



    Neuer Tiermast-Skandal

    Tierärzte sollen Arzneimittel illegal verkauft haben

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 20. Januar 2001, 11.07 Uhr zum Artikel "Pillen für das Turbo-Schwein" im SPIEGEL – 4/2001, 22. Januar 2001, Seite 29 (Deutschland).

    HAMBURG. Deutschland droht ein neuer Tiermast-Skandal. Wie das Nachrichten-Magazin Der Spiegel in der neuen Ausgabe berichtet, werden Tierärzte aus Bayern von Staatsanwaltschaften in Straubing und Landshut beschuldigt, viele hundert Schweinebauern illegal Arzneimittel verkauft zu haben. In Bayern wurde an 20 Orten Hausdurchsuchungen vornehmlich bei Veterinären durchgeführt. Gleichzeitig führten Gendarmeriekommandos und Überwachungsgruppen des Zolls in Österreich Razzien durch.

    Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen zwei Tierärzte, die in großem Stil Pharmazeutika illegal in Deutschland und Österreich an Bauern verkauft haben sollen. Darunter waren Hormone und Impfstoffe, zudem in großem Umfang Antibiotika. Diese können gravierende Folgen haben: Je mehr Tiere solche Bakterientöter erhalten, desto mehr resistente Keime bilden sich; für Menschen kann dies lebensbedrohlich enden, da bei Infekten die Arzneimittel nicht mehr anschlagen. [Original-Artikel] [mehr]



    Zahlreiche Fälle von Tiermehl im Futter

    Aus: Welt am Sonntag
    , Hamburg, 21. Januar 2001, Seite 2 (Politik Inland). [Original]

    HAMBURG (cls/-ng). In Futtermitteln deutscher Produzenten werden immer noch Spuren tierischer Bestandteile gefunden. Das bestätigten Sprecher mehrerer Landwirtschaftsministerien gegenüber WELT am SONNTAG.

    Obwohl seit 2. Dezember vergangenen Jahres die Beimengung von Tiermehl in Kraftfutter generell verboten ist, fanden Kontrolleure des Stuttgarter Landwirtschaftsministeriums in drei von 124 Proben Spuren tierischer Bestandteile, in Mecklenburg-Vorpommern waren fünf von 40 Proben auffällig, in Schleswig-Holstein enthielten 13 von 69 untersuchten Proben Rückstände.

    Die Staatsanwaltschaft Kempten ermittelt wegen Verstoßes gegen das Futtermittelgesetz, nachdem in Proben bei einem Regensburger Produzenten tierische Bestandteile in Höhe von einem Prozent nachgewiesen worden waren. Tiermehl gilt bisher als einer der Hauptinfektionswege für BSE.

    Bayerns Initiative

    Bayern bringt eine Initiative zur Eindämmung von BSE auf Bundes- und Europaebene im Bundesrat ein, über die am 16. Februar entschieden werden soll.

    Der neue bayerische Minister für Verbraucherschutz, Prof. Wolfgang Herrmann, kündigte in WELT am SONNTAG an, die Initiative umfasse unter anderen folgende Maßnahmen:

    • Entfernung von sämtlichem Risikomaterial in allen Altersklassen bei Rindern, Schafen und Ziegen;

    • Einführung einer Positivliste für erlaubte Futtermittel;

    • offene Deklaration auf der Verpackung der Futtermittel;

    • ein europaweites unbefristetes Verfütterungs-, Verwertungs- und Exportverbot für Tiermehl;

    • Einführung einer Verbrennungspflicht für Tiermehl;

    • Verbot von Milchaustauschern mit tierischen Fetten in der Kälberhaltung in allen EU-Staaten;

    • eine drastische Erhöhung der Bußgelder im Futtermittelrecht.

    Zu einem Schwerpunkt will Herrmann die Forschung machen. Besonders intensiv gearbeitet werden soll an der Diagnostik aller Varianten der neuen Creutzfeld-Jakob- Krankheit und darauf aufbauender Therapieforschung, die es in Deutschland bisher nicht gibt.

    Unterdessen kommen neue Zweifel an der Zuverlässigkeit der BSE-Schnelltests auf. Der Spiegel berichtet, das BSE-Referenzzentrum in Tübingen habe BSE in einem Fall nachgewiesen, bei dem zuvor durchgeführte Schnelltests negativ ausgefallen waren.

    In deutschen Zoos wird inzwischen zunehmend Rindfleisch verfüttert. Der Zoo in Halle kauft es für eine Mark pro Kilo. Im Laden kostete ein Kilo Rinderbraten am Samstag in Hamburg noch immer 17 Mark.



    B S E

    Lieber nichts sehen

    Bayerische Behörden missachteten jahrelang EU-Vorschriften zum Schutz vor BSE.

    Aus:
    Der Spiegel – 4/2001, 22. Januar 2001, Seite 33 (Deutschland).

    Als „falsche Vorwürfe“ tat Ministerpräsident Edmund Stoiber bisher alle EU-Befunde über die bayerischen BSE- Zustände ab. Doch jetzt liegen neue Erkenntnisse deutscher Futtermittelinspektoren vor. Sie weisen darauf hin, dass

    Als ein Inspektor aus dem baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium 1997 bei Kontrollen auf eine unsichere Tiermehlprobe in seinem Bundesland stieß, ordnete er verstärkte Prüfungen an. In Futtermittelfabriken stieß er auf Tiermehl aus Südbayern. Es war nicht genügend erhitzt worden.

    Weitere Untersuchungen wurden veranlasst, darunter ein Erhitzungstest namens „Elisa“. Danach gilt Tiermehl als sicher, wenn es unter einem von der EU empfohlenen Referenzwert bleibt. Keine der bayerischen Proben erfüllte diese Norm. Die behördlichen Tester stellten vielmehr fest, dass die Bayern einen Sonderweg gegangen waren: Sie hatten die „Elisa“- Werte einfach erhöht und duldeten damit das ungenügend erhitzte Tiermehl aus ihren Anlagen. Im Klartext: Sie wollten nichts sehen.

    Bei einem Workshop in Kulmbach legte schließlich ein leitender Angestellter des nordbayerischen Untersuchungsamts im Dezember 1998 die genauen Ergebnisse aus 4 Tierkörperbeseitigungsanlagen vor: 25 % der Proben überschritten sogar die laxe bayerische Norm, gut 10 % der untersuchten Tiermehle lagen im „Toleranzbereich“. Der Rest (36 von 56 Proben) galt nach bayerischen Maßstäben als „ausreichend erhitzt“. „Der EU-Wert war doch niemals Gesetz“, verteidigt sich das Amt, „inzwischen arbeiten wir aber mit strengeren Werten“.

    Auch Prüfer der EU-Veterinärinspektion in Dublin bestärken den Verdacht gegen Bayern. Vor allem im Landesuntersuchungsamt Süd sei die EU-Regel zur BSE-Seuchenüberwachung nicht beachtet worden. 47.612 verendete Rinder seien 1999 in zwei südbayerischen Anlagen zur Vernichtung eingeliefert worden. Doch anders als in der EU-Entscheidung 98/272 vorgeschrieben, sei kein einziges Gehirn dieser Risikokategorie auf BSE untersucht worden. „Die Bayern haben es nie kapiert“, kommentiert ein EU-Veterinär.

    Ebenso hätten bayerische Futtermittelkontrolleure Laboranalysen über möglicherweise verseuchtes Futter nicht ernst genommen. Weder Hersteller noch Bauern seien darüber informiert worden: „Besuche der Hersteller, Kontrolle von Lieferscheinen oder Produktionsabläufen fanden nicht statt.“

    Der EU-Verbraucherkommissar David Byrne ahnt, dass im deutschen Tiermehl noch unbekannte Gefahren lauern. Er verlangt von Landwirtschaftsministerin Renate Künast eine Fahndung nach verseuchter Ware. T-Bone-Steak und Fleisch am Knochen will die Brüsseler Kommission zum Schutz der Verbraucher möglicherweise bald verbieten. [mehr]



    A N T I B I O T I K A   I N   D E R   S C H W E I N E M A S T

    Generelles Verbot gefordert

    Nach der Aufregung am Wochenende wird jetzt gehandelt: Antibiotika im Schweinefutter sollen verboten werden. Der neue Skandal ums Fleisch zieht die Schlinge um den Hals der bayerischen Gesundheitsministerin Barbara Stamm immer enger zu. Die jedoch wiegelt routiniert ab.

    Aus:
    Spiegel Online – 22. Januar 2001, 17.50 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    PASSAU/HAMBURG. Nach dem neuen Schweinemast-Skandal wird der Ruf nach einem generellen Verbot von Antibiotika in Futtermitteln für Tiere immer lauter. Ein solches Verbot müsse aber EU-weit gelten, sagte die agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsgrünen, Ulrike Höfken. Der designierte bayerische Verbraucherschutz-Minister Wolfgang Herrmann (CSU) forderte darüber hinaus auch ein Hormonverbot in Tierfutter.


    Gefahr jetzt
    auch im
    Schweinefleisch?

    Die Grünen hätten ein Verbot der Antibiotika- Verfütterung seit Jahren gefordert, nun sei dieser Vorstoß auch Konsens mit dem Koalitionspartner SPD und den Bundesländern, erklärte Höfken. Herrmann sagte: "Wir müssen hin zu natürlich erzeugten Lebensmitteln." Die Kontrollen von Tierfutter und -medikamenten müssten massiv ausgebaut werden.

    Durch den Schweinemast-Skandal ist die bereits in der BSE-Krise heftig kritisierte bayerische Sozial- und Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU) weiter unter Druck geraten. SPD und Grüne in Bayern warfen Stamm "Verantwortungslosigkeit" vor und forderten erneut ihre Entlassung. Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) erklärte, ein Rücktritt von Stamm stehe "überhaupt nicht zur Debatte". Er verzichtete aber darauf, seiner Ministerin das Vertrauen auszusprechen. Stamm selbst wies eine Verantwortung für den Schweinemast-Skandal in Bayern zurück, denn für die tierärztliche Aufsicht seien die Bezirksregierungen verantwortlich.

    Kripo bildet Sonderkommission

    Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) in München hat zur Aufklärung des Schweinemast-Skandals eine zehnköpfige Sonderkommission gebildet. Wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz wird gegen eine Straubinger Tierklinik sowie einen Tierarzt im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn ermittelt. Die Mediziner sollen illegal in großem Stil Antibiotika- und Hormon- Medikamente an Bauern in Deutschland und Österreich verkauft haben.

    Bislang gebe es keine Erkenntnisse, dass durch das Handeln der beschuldigten Veterinäre Konsumenten einem Risiko ausgesetzt worden seien, sagte der Straubinger Oberstaatsanwalt Horst Böhm. Die Verbraucher müssten nicht beunruhigt sein, erklärte auch der Münchner Immunologe Hermann Wagner. Die Kernfrage sei, wie viel Kilo Schweinefleisch mit Antibiotika- oder Hormonrückständen ein Mensch zu sich nehmen müsse, um von einer gesundheitlichen Gefährdung sprechen zu können, sagte der Experte. "Dafür müsste man den ganzen Tag lang Fleisch essen, und das macht kein Mensch." Im konkreten Fall sehe er deshalb "keine direkte Gefahr".

    Tierschützer erstatten Anzeige

    Die österreichische Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" erstattete unterdessen wegen missbräuchlichen Einsatzes von Medikamenten gegen rund 1500 Schweinemäster in Österreich und Deutschland Strafanzeige. Es handele sich bei dem Skandal um "organisierte Kriminalität", erläuterte "Vier Pfoten"-Mitarbeiter Michael Buchner die Ergebnisse seiner eineinhalbjährigen Recherchen. Die kriminellen Machenschaften würden zwischen deutschen Tierärzten und österreichischen Bauern an Autobahnraststätten angebahnt. Später bestellten die Landwirte maßgeschneiderte Pakete, die von Kurieren überbracht würden. Schließlich schickten die Ärzte die Arzneien sogar per Post.

    In Bayern hatte die Landestierärztekammer das Gesundheitsministerium nach eigenen Angaben bereits vor einem Jahr aufgefordert, gegen den Medikamentenmissbrauch in der Schweinezucht einzuschreiten. Dieser Brief sei bis heute nicht einmal beantwortet worden, sagte Vizepräsident Tobias Held den Nürnberger Nachrichten.

    Zwei der beschuldigten Tierärzte waren nach Angaben von Stamm seit längerem im Visier der Behörden. Gegen die beiden sei "eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden, so zum Beispiel Bußgeldbescheide, Anzeigen bei der Tierärztekammer wegen Verstoßes gegen das tierärztliche Berufsrecht sowie Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft". [mehr]



    Doping-Futter

    Was der Bauer in den Trog schütten darf, damit seine Tiere schneller wachsen

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 23. Januar 2001, Seite 2 (Thema des Tages). [Original]

    BERLIN (fk). Die Europäische Union ist bei der Zulassung von Antibiotika für die Tiermast deutlich strenger als beispielsweise die USA. Nach Angaben der EU-Kommission wurden seit den siebziger Jahren allein 20 Antibiotika von Brüssel verboten. Derzeit seien nur noch vier Antibiotika als Futterzusatzstoffe zugelassen: Monensin-Natrium, Salinomycin-Natrium, Flavophospholipol und Avilamycin. Diese Stoffe werden als Leistungsförderer eingesetzt, das heißt, sie dürfen gesunden Tieren verabreicht werden, damit die schneller wachsen.

    Andere Antibiotika, die auch von Menschen eingenommen werden, wie etwa Penicillin, Tetracycline oder Erythromycin sind als Leistungsförderer schon seit 1975 nicht mehr erlaubt. Kranke Tiere dürfen damit aber behandelt werden.

    In Bayern und Österreich stehen Tierärzte jetzt unter Verdacht, solche zur Mast nicht zugelassenen Medikamente dennoch illegal zur Leistungssteigerung verfüttert zu haben, und zwar in großen Mengen. Deklariert wurde das offenbar als medizinische Präventionsmaßnahme.

    Auch auf die Umwelt hat der Einsatz von Antibiotika und anderen Tierarzneien Folgen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes werden die Chemikalien zu einem großen Teil wieder ausgeschieden und landen in der Gülle, die sodann auf den Äckern verteilt wird. Wissenschaftler der Universität Göttingen erforschen derzeit die Auswirkungen auf Böden und Grundwasser. Die Forscher haben bei Untersuchungen in der Region Weser-Ems, wo rund 20 % der Schweinemast und 40 % der Mastgeflügelproduktion in Deutschland konzentriert sind, bedenkliche Konzentrationen von Tetrazyklinen im Dünger und im Boden ermittelt. Tests haben gezeigt, dass diese Antibiotika kaum abgebaut werden, sondern lange in der Gülle bleiben.

    [Warum Antibiotika dem Menschen oft nicht mehr helfen]
    [Bakterien gefährlicher als BSE]



    S K A N D A L  U M  D I E  S C H W E I N E M A S T

    Sauereien

    BSE ist noch längst nicht ausgestanden. Und schon verunsichert die nächste Krise die Verbraucher. Aus Angst vor Rinderwahn kaufen viele Menschen jetzt Schweinefleisch. Aber das kann noch gefährlicher sein.

    Aus: Der Tagesspiegel, Berlin, 23. Januar 2001, Seite 2 (Thema des Tages). [Original]

    BERLIN. Der Appetit auf Rindfleisch ist den Deutschen längst vergangen. Doch auch die Lust auf Schweinefleisch wird angesichts des jüngsten Mast-Skandals, der sich zwischen Österreich und Bayern gerade abspielt, auf eine harte Probe gestellt. Die Vorsitzende des Bundesverbands für Verbraucherschutz, Edda Müller, sieht die Deutschen sogar auf dem Weg zu einem "Volk der Vegetarier". So beschrieb sie etwas überspitzt im ZDF die Gemütslage vieler Verbraucher.

    Dabei hat die BSE-Krise bloß den Blick für die Zustände in der Landwirtschaft geschärft. Hinter dem illegalen Tierarzneimittelhandel in Süddeutschland und Österreich war die Wiener Tierschutzorganisation "Vier Pfoten" schon seit anderthalb Jahren her. Gegen vier bayerische Tierärzte und zwei große Schweinezüchter in Österreich wird jetzt auf Grund dieser Recherchen ermittelt. Attila Cerman, Pressesprecher von "Vier Pfoten", vermutet, dass ein Großteil der österreichischen Schweinezüchter in diesen Skandal verwickelt ist. Der Markt für illegale Antibiotika, Hormone und Impfstoffe wird in Österreich auf 300 Millionen Schilling (rund 42,8 Millionen Mark) geschätzt. Der legale Markt für Tierarzneien ist gerade mal doppelt so groß. Die deutschen Tierärzte – in der Szene werden diese Arzneimittel- Händler als Autobahntierärzte bezeichnet – waren offenbar gut im Geschäft. Zwar hätten sie, so Cerman, in Österreich allenfalls Scheinpraxen betrieben. Dennoch sei es ihnen gelungen, in wichtige Gremien gewählt zu werden und ihre Arbeit mit entsprechender Lobbyarbeit abzusichern. "Wir sind keiner Kleinigkeit auf der Spur", sagt Cerman. Das habe sich auch daran gezeigt, dass ein Landesrat der konservativen ÖVP noch in der vergangenen Woche versucht habe, seine Bauern vor Hausdurchsuchungen zu warnen. "Vier Pfoten" werde ihn deshalb wegen Amtsmissbrauchs anzeigen.

    Dass die Tierschützer sich auf ein gefährliches Terrain begeben, ist ihnen bewusst. Michael Buchner, der gestern seine Recherche- Ergebnisse in dem Buch "Risiko Schweinefleisch" vorgestellt hat, sei bereits mehrfach bedroht worden, berichtet Cerman. In Belgien blieb es Mitte der 90er Jahre nicht bei Drohungen. Dort wurde ein Tierarzt erschossen, der versuchte, die mafiosen Strukturen zwischen Tierarzneimittelherstellern und Landwirten zu durchbrechen. Eine Reihe weiterer Tierärzte kam bei ungeklärten Autounfällen ums Leben. Kein Wunder, dass sich bei der Aufklärung dieser kriminellen Verstrickungen kaum jemand öffentlich aus dem Fenster lehnen will.

    Trotzdem findet die Tierärztin Anita Idel an diesem jüngsten Skandal lediglich überraschend, dass es für illegale Tierarzneien überhaupt einen Markt gibt. Schließlich sei vieles ohnehin erlaubt. "Schon in den ersten Lebenstagen machen Ferkel zum ersten Mal Bekanntschaft mit Antibiotika. Und das ganz legal", sagt sie. Der Grund dafür liegt für Thomas Dosch, Vorstandsmitglied beim ökologischen Landbauverband Bioland, auf der Hand. In einer effizienten Schweinezucht werden meist gleich alte Ferkel zugekauft. Sie werden im selben Tempo gemästet und, wenn irgend möglich, allesamt am selben Tag zum Schlachthof gebracht. Dann ist der Stall leer, kann gesäubert und desinfiziert werden und wird erneut mit Ferkeln belegt. So weit, so effizient. Doch für die Ferkel bedeutet das "tierischen Stress", wie der grüne Europa- Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf vor zwei Jahren in einer Broschüre schrieb. Dosch sagt: "In den ersten Tagen ist im Schweinestall der Teufel los." Um sicher zu gehen, werden den Ferkeln aus Gründen der Vorsorge "therapeutische Antibiotika" unters Futter gemischt.

    Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes kommt für das Jahr 1997 zu dem Schluss, dass im so genannten Schweinedreieck im Weser-Ems-Kreis in der ganz alltäglichen Schweinemast zwischen 150.000 und 200.000 Kilogramm Antibiotika im Jahr eingesetzt worden sind. Weitere 120.000 Kilogramm sind als leistungsfördernde Futtermittelzusätze in die Schweinetröge gekippt worden. Zwar wurde diese Praxis 1999 in Deutschland verboten. Dennoch fällt es nicht ganz leicht, den Unterschied zwischen diesen beiden Verabreichungsformen zu erklären. Schließlich landen sowohl "therapeutische Antibiotika" wie Leistungsförderer letztlich im Mischfutter für Schweine. In der Geflügelzucht, seien das Masthähnchen oder Puten, ist das im Übrigen kaum anders.

    In Norddeutschland sind die Autobahnärzte übrigens selten geworden. Der Grund: Heutzutage sind Tierärzte weniger pingelig, wenn es darum geht, Antibiotika zu verschreiben. Viele Schweinezüchter haben einen Vertrag mit einem Tierarzt. In Absprache verabreichen sie die Medikamente einfach selbst. Das spart dem Tierarzt Mühe und dem Schweinezüchter Kosten. Die Marge scheint für beide zu reichen. In Süddeutschland und Österreich sind die Tierärzte offenbar weniger großzügig. Deshalb, vermutet ein Schweinezüchter aus Norddeutschland, sei dort die Verlockung eines illegalen Marktes auch größer. [mehr]



    A R Z N E I M I T T E L

    Schmidt will BSE-Risikomaterial verbannen

    Die neue Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will die Verwendung von BSE-Hochrisikomaterial wie Hirn und Rückenmark auch bei Arzneimitteln verbieten.

    Aus:
    Spiegel Online – 23. Januar 2001, 14.47 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    BERLIN. Schmidt kündigte an, es werde "in Kürze" eine entsprechende Rechtsverordnung geben. Auch die Einfuhr von Arzneien, bei denen Risikomaterial verwendet wird, soll untersagt werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stufte die Gefahr bei Arzneimitteln aber als "gering" ein. Das Institut hat nach eigenen Angaben bereits Anfang der neunziger Jahre besondere Sicherheitsprüfungen eingeführt. Die Zulassung eines Medikamentes werde automatisch widerrufen, falls die Sicherheitsstandards nicht erfüllt würden.

    Die Verwendung von BSE-Hochrisikomaterialien in Wurst und anderen Fleischprodukten ist seit 1. Oktober 2000 EU-weit untersagt. Dies gilt aber nur für Tiere, die älter als zwölf Monate sind. Schmidt will aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes nun auch ein Verwendungsverbot bei Arzneimitteln. Die BSE-Tests könnten "nur Infektionen erkennen, die sich in einem relativ fortgeschrittenen Stadium befinden", erklärte Schmidt.

    Bestimmte Gewebe könnten aber schon früher erheblich mit BSE-Erregern belastet sein. Neben Gehirn und Rückenmark würden auch die lymphatischen Organe wie Mandeln, Thymus und Milz sowie der Darm als Risikomaterial gelten. Das geplante Verbot soll die Maßnahmen des Bundesinstituts ergänzen.

    Tiermaterialien werden häufig genutzt

    Nach Angaben des Instituts werden in Deutschland bei mehr als der Hälfte aller Arzneimittel Wirk- oder Hilfsstoffe aus tierischen Materialen verwendet. Häufig werde zum Beispiel Gelatine als Kapselhülle genutzt, aber auch Milchzucker und Stearate seien in Tabletten enthalten. "Es besteht kein Risiko, wenn Arzneimittel mit diesen Hilfsstoffen eingenommen werden", meinte das BfArM.



    Unerkannte Creutzfeldt-Jakob-Fälle?

    Aus: ARD-Teletext, 23. Januar 2001, 23.35 Uhr, Tafel 545, Rubrik Gesundheit.

    BERLIN. Experten halten es für möglich, dass Fälle der neuen Creutzfeldt- Jakob- Krankheit (nvCJD) in Deutschland unerkannt bleiben. Die vermutlich durch die Rinderseuche BSE ausgelöste Variante der Demenz- Erkrankung ist bisher in Deutschland offiziell nicht aufgetreten.

    Eine endgültige Klarheit über die Art der Erkrankung gibt nur eine Untersuchung des Gehirns nach dem Tod. An kleinen Kliniken, an denen es keine ausgebildeten Neurologen gebe, sei es denkbar, dass bei betroffenen Patienten schlicht Demenz diagnostiziert werde. [Zur Diagnostik von nvCJD]



    „Im Prinzip darf alles verarbeitet werden“

    Was ist drin in der Wurst? / Innereien, Kopfhaut, Schwarten und 170 Zusatzstoffe sind erlaubt

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 24. Januar 2001, Seite 15 (Berlin). [Original]

    BERLIN. "Ich will endlich wieder ohne Angst essen können", bittet ein Besucher der Grünen Woche. Auf der "Wunschkuh" in Halle 3.2 hat er wie viele andere Gäste des Erlebnisbauernhofes einen Zettel mit Wünschen und Sorgen rund um das Thema Fleisch hinterlassen. Die Wunschzettel ähneln sich: die Verbraucher fordern von den Landwirten "offene Hoftore" und von den Produzenten eine transparente Verarbeitung.

    Nun nach dem neuen Lebensmittelskandal in Bayern, wo Schweine mit unerlaubten Antibiotika gemästet wurden, macht sich Fatalismus breit. "Was soll man denn noch essen?", fragt Familie Jäger aus Hohenschönhausen. Und kauft am Stand von "Rhöni- Wurtspezialitäten" (Hessen) gleich eine ganze Tüte Wurst – garantiert ohne Rindfleisch, verspricht der Händler. Auch der Berliner Gerhard Krüger lässt sich am Stand des bayerischen "Sonnenhofes" seine Schweinskopfsülze schmecken. "Bei Rindfleisch pass' ich auf, aber bei Schweinefleisch habe ich keine Bedenken." Alle Sorgen um die Wurst scheinen sich auf das Rindfleisch zu fokussieren. Aber was da noch alles drin steckt, davon haben die wenigsten Kunden eine Ahnung.

    Seitdem die deutsche Fleischverordnung 1998 von der EU ausgehebelt wurde, darf "in der Wurst alles verarbeitet werden, da gibt es im Prinzip keine Grenzen", sagt Klaus Tröger von der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach [BAFF]. "Allerdings muss das Produkt mindestens 50 Prozent tierische Rohstoffe enthalten, damit es sich noch Wurst nennen darf." Welche tierischen Rohstoffe "verkehrsfähig" sind, regeln die Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches. "Frisches Fleisch muss es sein." Damit ist nicht nur Muskelfleisch gemeint, sondern alle Teile des Tierkörpers, die für den Menschen genießbar sind: Mäuler, Kopfteile oder Schwarten, Leber, Zunge und Speiseröhre ohne Schleimhaut sowie das Herz. Bei regionalen Wurstspezialitäten werden darüber hinaus auch Mägen, Lungen und Nieren verarbeitet. Auch Schweinehirn, -milz, -kropf und Kalbshirn sind – noch – gestattet. Demnächst soll dieses Material verboten werden. "Die Umsetzung wird aber noch etwa drei bis vier Monate dauern", sagt Tröger. Aus der Wurst verbannt sind bereits Rinderhirn und Rückenmark, Augen, Geschlechtsorgane und die Mandeln.

    Gestreckt werden – oder veredelt, das kommt ganz auf den Standpunkt an – dürfen die tierischen Rohstoffe mit pflanzlichen Eiweißen, wie Soja. Als besonders preiswerte Streckmethode erweist sich Wasser. Bei Brühwürsten liegt der Anteil von Wasser zum Teil bei 25 Prozent, mit Verdickungsmitteln, wie Gelatine oder Agar-Agar, lassen sich noch höhere Werte erreichen – "und das kann ja durchaus im Interesse der Verbraucher sein", meint Tröger. "Dann ist der Fettgehalt niedriger". Bei manchen Formfleisch- Erzeugnissen, also dem stark zerkleinerten Fleisch, das dann wieder zu standardisierten Schinken- oder Hähnchenstücken zusammengesetzt wird, kann mit solchen Tricks das Endprodukt 60 Prozent mehr Masse haben, als die eingesetzte Rohware.

    Dass dabei manchmal der Geschmack auf der Strecke bleibt, verwundert nicht. Also helfen die Hersteller mit Aromen nach – Raucharoma beispielsweise. Dieses flüssige Aroma erspart dem Hersteller die Prozedur, seinen Wurstwaren über teurem Naturholz den typischen Rauch-Geschmack zu verleihen. In Deutschland ist dieser Aromastoff nur zur äußerlichen Behandlung der Wurst zugelassen und muss dann eindeutig auf der Packung als "Raucharoma" oder "Flüssigrauch" deklariert sein. "Steht nur Rauch auf der Packung, muss die Wurst tatsächlich im Rauch gehangen haben", sagt Tröger.

    Färben gehört auch zum Wursthandwerk, um das Produkt appetitlicher zu machen. Mit Lebensmittelfarben wie Kurkumin, Paprikaextrakt, Karotine oder Beetenrot lässt sich das weiße Fett rosa einfärben. Das ungeübte Auge könnte das für schieres Muskelfleisch halten. Insgesamt sind 170 Zusatzstoffe – Bindemittel, Farb- und Aromastoffe, Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe – zugelassen.

    Tröger kennt die Grenzen seines Berufes: "Bis zum 1. Oktober 2000 war Rinderhirn in der Wurst erlaubt, heute ist es das giftigste, das wir auf den Teller bekommen können. Nun das langwierige Verbot von Schweinehirn – man hat das Gefühl, ständig der Entwicklung hinterherzurennen."



    BSE-Ursache: Milchaustauscher?

    Aus: ZDF-Teletext, 25. Januar 2001, 19.05 Uhr, Tafel 117, Rubrik Nachrichten.

    MÜNCHEN. Nach Einschätzung des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte könnten infizierte Milchersatzstoffe für die Kälberzucht die Ursache für einen Teil der deutschen BSE-Fälle sein. In Der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere seien in Milchaustauschern Fette mit Prionen entdeckt worden. Krankhaft veränderte Prionen gelten als Auslöser für den Rinderwahn.

    Die 8 bayerischen BSE-Fälle seien als Kälber mit Milchaustauschern ernährt worden. Die auf Rinderfett basierende Substanz könnte bis 1997 infektiös gewesen sein. Heute wird sie auf pflanzlicher Basis hergestellt.

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      Zum Teil 19

    © 2001-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr