BSE & Co in den Medien – Teil 17 khd
Stand:  6.6.2003   (45. Ed.)  –  File: M/edien17.html *




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

Auf dieser Doku-Seite ist auch Copyright- geschütztes Material anderer wegen der permanenten Link-Möglichkeit mit eigenen HTML-Ankern (NAME-Tags) dokumentiert. Bitte beachten Sie bei kommerzieller Nutzung das Copyright, das bei den jeweiligen (Zeitungs-) Verlagen liegt. Die meisten Links sind redaktionell hinzugefügt worden. Hier sind dokumentiert:

  • Neuere Presseberichte  (18. Teil).
  • 16.01.2001: In Tirol deutsches Rinderfutter mit Tiermehl entdeckt.
  • 16.01.2001: Die Milch gilt als sicher – vorerst.
  • 15.01.2001: Essen ohne Risiko. (Hinweis auf FOCUS-Titel)
  • 15.01.2001: Von der Krise zur Agrarwende. (Hinweis auf SPIEGEL-Titel)
  • 14.01.2001: Briten untersuchen mögliche Übertragung von BSE durch Milch.
  • 14.01.2001: Bundeswehr vernichtet Fleisch-Konserven.
  • 13.01.2001: EU-Kommissar alarmiert über BSE bei jungem Tier in Bayern.
  • 13.01.2001: Was darf nicht in die deutsche Wurst?
  • 12.01.2001: Bayern untersagt Rinderfutter-Produktion.
  • 11.01.2001: Genforscher züchten versehentlich Killer-Virus.
  • 11.01.2001: BSE-Experte: Tests sind kein lückenloser Schutz.
  • 10.01.2001: Schröder beruft Künast und Schmidt als Minister.
  • 10.01.2001: Frankreich rügt deutsche „Vogel-Strauß-Politik“ in BSE-Krise.
  • 09.01.2001: Gescheitert – die Mutige und der Lobbyist. (Kommentar zum Doppel-Rücktritt)
  • 08.01.2001: Verbraucherschutz in den Sand gesetzt. (Ex-Präsident des BGA zu BSE)
  • 08.01.2001: Regierung: Gleichgewicht der Schwachen.
  • Ältere Presseberichte  (16. Teil).



    R E G I E R U N G

    Gleichgewicht der Schwachen

    Neue haarsträubende Pannen verstärken den Druck auf die angeschlagenen Minister Karl-Heinz Funke und Andrea Fischer. Mit der strikten Weigerung, sein Kabinett zu verändern, läuft Kanzler Gerhard Schröder Gefahr, sich den Ruf des Zauderers einzuhandeln.

    Aus:
    Der Spiegel – 2/2001, 8. Januar 2001, Seite 59–61 (Deutschland) von ULRICH DEUPMANN, HORAND KNAUP, GERD ROSENKRANZ, RÜDIGER SCHEIDGES und SYLVIA SCHREIBER. Dokumentiert ist die Print-Fassung. Die Zwischentitel stammen aus der Online-Fassung. [Original]

    Der 9. November 2000 war ein wichtiger Tag für EU-Kommissar David Byrne. Europas höchster Verbraucherschützer hatte der deutschen Gesundheitsministerin Andrea Fischer bei einem Treffen in Paris ein Papier mit politischem Sprengstoff überreicht, das er zuvor eigens bei der Dienststelle seiner EU-Inspektoren in Dublin abgeholt hatte.

    Hielt Andrea Fischer BSE-Warnungen der EU zurück?
    Aus: Spiegel-Online, 6.1.2001, 18.30 Uhr.
    Dies dementierte unterdessen das Gesundheits- ministerium heute. Fischer habe dem Landwirt- schaftsministerium "zu keinem Zeitpunkt Informationen vorenthalten". "Selbstverständ- lich" habe Gesundheits- staatssekretär Erwin Jordan seinen Kollegen Martin Wille vom Agrarministerium "umfassend über diese neuen Informationen mündlich informiert". Der Bericht von EU-Kommissar David Byrne sei "unter Einbeziehung des Landwirtschaftsministeriums erstellt worden", hieß es am Samstag [6.1.2001]. [8.1.2000: Falsches Dementi]
    Die Beamten listeten darin reihenweise Schlampereien, Versäumnisse und Behördenpannen bei der BSE-Bekämpfung in Deutschland auf. Nunmehr, hoffte der Brüsseler Kommissar, werde die Bundesregierung den Kampf gegen die Rinderseuche endlich ernst nehmen. Doch es regte sich nichts. Statt Alarm zu schlagen, legte die Ministerin den brisanten Bericht einfach beiseite. Weder Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke noch die Bayern erfuhren von dem Brandsatz aus Brüssel. Gerüchteweise hörte das Landwirtschaftsministerium davon und verlangte vom Gesundheitsressort zweimal die Herausgabe des Reports – vergebens [siehe Kasten].

    Das Schriftstück sei "vertraulich" ausgehändigt worden und könne deshalb nicht weitergegeben werden, erklärte der zuständige Unterabteilungsleiter. Mit der gleichen Ausflucht verteidigte sich die Ministerin vergangene Woche. Dabei war der so genannte 24-Stunden- Report keineswegs geheim, sondern für den Amtsgebrauch in Brüssel verfasst.

    Anfang Dezember vergangenen Jahres wandte sich das Bundeslandwirtschaftsministerium, das zwei Straßen von Andrea Fischers Behörde entfernt liegt, resigniert an EU-Kommissar Byrne wegen der Übersendung des – nunmehr in der Endfassung vorliegenden – Berichts. Spätestens jetzt lag für die Brüsseler offen zu Tage, welches Chaos beim Thema BSE in der Bundesregierung herrschte. Verwundert ließ Byrne ein weiteres Exemplar nach Berlin übermitteln – und schimpfte über die "offenkundigen Mängel" in der Bundesregierung.

    Druck auf Schröder wächst

    Das Kompetenzgerangel zwischen Landwirtschafts- und Gesundheitsministerium und die dickfellige Bürokratenmentalität im deutschen Ernährungswesen erweisen sich als immer haarsträubender. Während Bundeskanzler Gerhard Schröder sich in der Neujahrsansprache "entsetzt" über das Ausmaß der BSE-Krise zeigte, hielten die zuständigen Ressortchefs es nicht für erforderlich, in den darauf folgenden Tagen an ihren Arbeitsplätzen zu erscheinen. Der Druck auf Schröder, durchzugreifen, wächst mit jedem neuen BSE-Fall. An der Totalrenovierung beider Häuser, schwant dem Kanzler, führt wohl kein Weg vorbei.

    Faktisch hat Schröder den Ministern Funke und Andrea Fischer das Vertrauen entzogen: Das Krisenmanagement leitet seither Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier mit den beamteten Staatssekretären beider Behörden, Martin Wille (SPD) und Erwin Jordan (Grüne). "Das sind fähige Leute", heißt es vielsagend im Kanzleramt. Besondere Wertschätzung bei Steinmeier hat sich der bislang fast unbekannte Landwirtschaftsstaatssekretär Wille erworben.

    Schon vor Weihnachten hatten Schröder und Steinmeier die Personalentscheidung eingefädelt, mit der der Kanzler dem Volk in der Neujahrsansprache Handlungswillen suggerierte: die Ernennung der Präsidentin des Bundesrechnungshofs, Hedda von Wedel (CDU), zur BSE-Sonderbeauftragten. Bis zum Sommer soll die einstige niedersächsische Landwirtschaftsstaatssekretärin eine "Schwachstellenanalyse" des Behörden-Wirrwarrs erstellen. Nicht mehr als ein hastiger PR-Gag, wie Schröder und Mitglieder der rot-grünen Koalitionsspitze intern bekennen: Die unabhängige Dame diene auch dem Zweck, "Zeit zu gewinnen, um Entscheidungen zu treffen".

    Denn die "Schwachstellen", die die Rechnungshof-Präsidentin aufspüren soll, sind längst bekannt:

    • Mit verschlossenen Augen und Ohren reagieren die Beamten in den Bundes- und Landesministerien auf die wiederholten BSE-Alarmrufe aus Brüssel.

    • Die zersplitterten Zuständigkeiten für Verbraucherschutz, bei denen vier Bundesministerien, zahlreiche Bundes- und Landesbehörden sich Konkurrenz machen, verhindern wirksames Handeln.

    • Massiver Druck auf die staatlichen Futtermittelkontrolleure, bei ihren Inspektionen keine Arbeitsplätze zu gefährden, machte die jahrelange Panscherei von Kraftfutter mit Tiermehl möglich.

    Seit die EU-Kommission unter Jacques Santer im Jahr 1999 abtreten musste und neue engagierte Kommissare den früheren Lotterverein aufmischen, hinkt die deutsche Politik den europäischen Entscheidungen bei der Bekämpfung der Rinderseuche erkennbar hinterher. Im Frühjahr 2000 legten EU-Wissenschaftler eine Risikobewertung vor, die jeden Politiker hätte aufschrecken müssen: "In Deutschland ist heimisches Vieh wahrscheinlich (klinisch oder vorklinisch) mit dem BSE-Erreger infiziert, obwohl dies bislang nicht bestätigt ist", heißt es in der Expertise, die sich wie ein seuchenpolitischer Kriminalreport liest:

    Eine gezielte Risikoüberwachung in Deutschland finde nicht statt, kritisierten die Wissenschaftler der Europäischen Union. Die deutschen Kontrolleure seien nicht in der Lage, alle klinischen BSE-Fälle zu identifizieren. Ihr Fazit: "Die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland in den nächsten Jahren BSE bestätigt wird, ist hoch, insbesondere, wenn aktiver überwacht wird." Ein halbes Jahr später war es so weit.

    Bunkermentalität in den Berliner Ministerien

    An der Bunkermentalität in den Berliner Ministerien hat der Eintritt des Katastrophenfalls freilich nichts geändert. Halsstarrig brüsten sich die Sachbearbeiter der EU-Studie im Landwirtschaftsministerium noch heute damit, dass es richtig gewesen sei, die Warnrufe aus Brüssel nicht wichtig zu nehmen. In einer internen Lagebesprechung bekräftigten die Besserwisser vergangenen Dienstag [2.1.2001], "wie schwach die Brüsseler Studie" gewesen sei. Streng wissenschaftlich gesehen, hätten die EU-Kollegen keine "Beweise" geliefert. "Weltbewegendes" habe da wahrlich nicht dringestanden. Ein Beobachter der Veranstaltung: "Ich war völlig entgeistert."

    So reagierte auch das Bundeskanzleramt. Die Beamten "müssen umlernen, das gilt besonders für das Landwirtschaftsministerium", heißt es in Schröders Umgebung. Dort gebe es "offenkundig Schwierigkeiten, das ganze Ausmaß der erforderlichen Umsteuerung zu erfassen".

    Wachere Geister im Landwirtschaftsressort sind intern zur Selbstkritik bereit. "Abgeschliffene Sensibilität" beklagt ein hoher Ministerialer bei vielen seiner Kollegen. Seit Jahrzehnten hockten dieselben Beamten über denselben Themen. "Wer seit ewigen Zeiten unbeachtete Warnungen in den Akten abheftet", meint der Spitzenbeamte, "kommt nicht mehr auf den Gedanken, dass plötzlich ein paar Tage mehr oder weniger beim Brieftransport über das Schicksal eines Ministers entscheiden."

    Zwei Wochen brauchte der skandalträchtige Brief, in dem zwei Institutsleiter der Bundesanstalt für Fleischforschung (BAFF) vor der Gefahr BSE-verseuchter Wurst warnten, bis er kurz vor Weihnachten die zuständige Ministerin erreichte. Aus dem Anschreiben geht hervor, dass sie dabei keineswegs die Angst vor der Rinderseuche antrieb, sondern vor der Öffentlichkeit: "Laut gestriger Information des NDR wird die Thematik 'Separatorenfleisch' Inhalt der nächsten 'Panorama'-Sendung sein", meldeten die beiden Verfasser eilfertig.

    Ebenso beflissen wiesen die Institutsleiter, die Professoren Manfred Gareis und Klaus Troeger, darauf hin, wann sie zuletzt die Alarmglocke geläutet hatten: "Auf die generelle Problematik bei der Verwendung von Separatorenfleisch wurde in einer Stellungnahme des BAFF vom 29.11.1996 an das BMG und BML hingewiesen."

    EU-Kontrolleure aus Brüssel sind immer wieder konsterniert, wenn sie von ihren Expeditionen durch den Urwald deutscher Zuständigkeiten für den Verbraucherschutz zurückkehren. In der Bundesregierung kümmern sich darum Gesundheits-, Landwirtschafts-, Umwelt- und Wirtschaftsministerium. Sie teilen sich auch die Hoheit über diverse Bundesinstitute. In den Ländern liegt die Zuständigkeit mal beim Gesundheitsministerium wie in Bayern, mal beim Sozialressort, dann wieder beim Landwirtschafts- oder Justizministerium – und manchmal sogar bei allen zusammen.

    "Brüssel hat für unseren außerordentlich lebendigen Föderalismus noch nie rechte Begeisterung aufbringen können", spöttelt Staatssekretär Wille, der das Problem mit Kanzleramtschef Steinmeier jetzt vordringlich anpacken will: "Das steht ganz oben. Sonst haben wir weiterhin einen schweren Stand in Brüssel."

    Landwirtschaftsministerium: Staatssekretär Wille im Aufwind

    Obwohl Wille nur beamteter Staatssekretär ist, hat er in den vergangenen Wochen die Geschicke im Landwirtschaftsministerium übernommen. Mit dem Amtskollegen im Bundesumweltministerium, Rainer Baake, revidierte Wille - in Abwesenheit von Minister Funke und mit dem Segen des Kanzleramts – die Politik seines Chefs. Beinahe über Nacht gilt Wille, der in den siebziger Jahren als junger Referent im Kanzleramt von Helmut Schmidt anfing, als kommender Mann, gegen den sich Funke wehren muss. Der Grüne Baake, noch ganz baff, findet nur ein Wort für das gemeinsame Papier: "Großartig."

    Nicht mehr das Mästen von möglichst viel Vieh in möglichst kurzer Zeit, sondern "Qualitätsprodukte" müssten künftig "Standard in der Nahrungsmittelerzeugung sein", fordert Wille in dem "Programm zu den Konsequenzen aus der BSE-Krise". Die "natürliche und flächengebundene Tierhaltung" gehöre "besonders gefördert". Ziel sei "das Wiederherstellen von Naturkreisläufen und die Abkehr von der Massentierhaltung ohne Futterbasis im Betrieb".

    Bei den Agrar- und Umweltstaatssekretären der Länder stieß das überraschende Konzept vergangenen Freitag [5.1.2001] aber mehrheitlich auf helle Empörung. Besonders rustikal brachte das der schleswig-holsteinische Agrar-Staatssekretär Rüdiger von Plüskow (SPD) zum Ausdruck: Für ihn sei das Programm "der Beweis, dass Rinderwahn auf den Menschen übertragbar" sei. Der Kampf um die Zukunft der Landwirtschaft, so zeigt sich, hat erst begonnen.

    Selbst wenn die praktische Politik längst an Funke vorbei betrieben wird, hält der Kanzler scheinbar unverbrüchlich an seinem Freund "Kalle" fest. Nachdem ihm bereits vier Minister nach und nach abhanden gekommen sind, fürchtet Schröder nichts mehr als eine größere Kabinettsumbildung. Aber mit jeder neuen Panne aus dem Landwirtschafts- und Gesundheitsressort wächst der Druck. Flugs könnte Schröder in die Rolle des Zauderers und Getriebenen geraten – wie so häufig sein Amtsvorgänger, der "Aussitzer" Helmut Kohl.

    Wenn es nach Funke ginge, würde er "sofort abhauen"

    Funke klebt nicht an seinem Sessel. Für den dünnhäutigen Landwirt aus Leidenschaft ist mit der BSE-Krise auch persönlich eine Welt zusammengebrochen. "Wenn es nach ihm ginge, würde er sofort abhauen", sagt ein ranghoher Sozialdemokrat, der lange mit ihm geredet hat. Wie in eine Trutzburg hatte sich Funke seit Weihnachten auf seinen Hof im ostfriesischen Varel zurückgezogen. Staatssekretär Wille, aus Berlin angereist, musste seinem Minister vergangenen Donnerstagabend beim Korn am Küchentisch gut zureden, wieder zur Arbeit zurückzukehren.

    Während Spitzen-Grüne unverhohlen Funkes Rücktritt fordern, warnen führende SPD-Abgeordnete Schröder vor jedem Versuch, der "Funke abschießt und Andrea Fischer schont". Dann gebe es "massiven Ärger". Die SPD- Bundestagsabgeordneten haben die Gesundheitsministerin als Hauptschuldige beim schlechten Krisenmanagement in Sachen BSE ausgemacht. Schon lange, heißt es in der Fraktion, würden "Fehlerlisten" gegen Fischer aufgestellt, nicht nur zum Thema Rinderwahn.

    So stützen zwei Schwache einander wider Willen. Wenn, dann gehen Funke und Fischer gemeinsam. Auch bei den Grünen bröckelt die Solidarität mit Andrea Fischer. Vor Weihnachten wurde in der Partei- und Fraktionsspitze bereits über die Möglichkeit eines Austauschs der glücklosen Gesundheitsministerin diskutiert. Am Ende der Beratungen stand jedoch die Erkenntnis, so ein Teilnehmer: "Ein Ministersturz würde mehr Probleme bereiten als lösen. Wenn wir einen Baustein rausziehen, fällt vielleicht das ganze Gebäude zusammen."

    Grünen-Parteichef Fritz Kuhn darf wegen der Geschlechterquote nicht in ein Ministeramt, weil dann drei grüne Männer dem Bundeskabinett angehören würden. Bei den Frauen böte sich die nordrheinwestfälische Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn an, die wegen ihrer vorausschauenden BSE-Politik sogar von ihrem langjährigen Lieblingsgegner, Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD), Lob einheimst. Ehe sie die streitbare Linke Höhn nach Berlin holen, wollen die grünen Realo-Männer jedoch lieber weiter an Andrea Fischer leiden.

    Auf jeden Fall, heißt es in der Koalitionsspitze, müsse "möglichst schon in den nächsten vier Wochen" etwas geschehen. Bei den Klausurtagungen von SPD- und Grünen-Fraktionen will Kanzleramtschef Steinmeier seine Ideen für die Neuverteilung der Verbraucherschutz-Zuständigkeiten vorstellen. Möglich ist, diese Kompetenz gebündelt einem Ressort zuzuschlagen – "aber keineswegs bei Andrea Fischer", tönt es aus der SPD-Fraktionsspitze, während die Grünen- Führung zurückblafft: "Aber keineswegs bei Funke".

    Der SPD-Fraktionsvize Michael Müller hält gar ein eigenständiges Verbraucherschutzministerium für "wünschenswert". Mit einem ähnlichen Coup – der Errichtung des Bundesumweltministeriums – hatte Helmut Kohl 1986 nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl die Stimmung im Land wieder zu seinen Gunsten gedreht. Die CDU gewann die schon verloren geglaubte Landtagswahl in Niedersachsen. Leidtragender war der unterlegene Herausforderer: Gerhard Schröder.

    [Neue Agrarpolitik: Nach allen Seiten offen]



    P O S I T I O N E N

    Verbraucherschutz in den Sand gesetzt

    Der Bund spart auf Kosten der Gesundheit. Das rächt sich in Zeiten von BSE.

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 8. Januar 2001, Seite 29 (Forschen) von DIETER GROßKLAUS, der bis 1994 Präsident des Bundesgesundheitsamts war. [Original]

    Deutschland wurde einmal um sein öffentliches Gesundheitswesen mit seinem gesundheitlichen Verbraucherschutz beneidet. Eine letzte Förderung erfuhr es mit der Wende, als hervorragende Spezialisten und Einrichtungen der ehemaligen DDR hinzugewonnen werden konnten. Heute sind wir als Folge undifferenzierten Sparens und Auflösens auf diesem Gebiet eher zum Entwicklungsland geworden.

    Der "schlanke Staat" forderte seine Opfer: Unter den sachverständigen Mitarbeitern im Verbraucherschutz der Bundes- und Länderministerien, in den Forschungseinrichtungen des Bundes, in den Veterinär- und Lebensmitteluntersuchungsämtern sowie in der Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung. Es bedurfte erst des BSE-Dramas, um für die Öffentlichkeit das Demontage-Fiasko sichtbar werden zu lassen: Fehlende Forschung und nicht mehr ausreichende Untersuchungs- und Überwachungskapazitäten.

    1994 kam die Auflösung des deutschen Gesundheits- und Verbraucherschutzzentrums [Ed: durch Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU)], nämlich des Bundesgesundheitsamtes, hinzu. Damit erfolgte zugleich die Zerstörung von Organisationen, die gerade für einen modernen Verbraucherschutz alle Voraussetzungen geschaffen hatten. Durch die BSE-Krise registriert nun auch die Öffentlichkeit, dass beim Verbraucherschutz die Belastung unserer vom Tier stammenden Lebensmittel mit Infektionserregern ganz obenan steht.

    Das hatten bereits in den 70er Jahren das damalige Bundesgesundheitsministerium und Parlament so gesehen, als es 1972 im Bundesgesundheitsamt ein eigenständiges Institut für Veterinärmedizin (Robert-von-Ostertag-Institut) gründete. 1975 wurde entschieden, diesem Institut einen Neubau für 360 Millionen Mark in Berlin-Marienfelde zu genehmigen, der erst 1992 seiner Bestimmung übergeben wurde. Alle waren sich darüber einig, dass an diesem Institut die durch eine moderne Tierhaltung für die daraus hergestellten Lebensmittel entstehenden Risiken erforscht werden sollten. Was ist heute davon übrig geblieben?

    Der Personalbestand des inzwischen völlig umorganisierten Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), zu dem das Ostertag-Institut nun gehört, wird weiter reduziert, qualifizierte Wissenschaftlerstellen bei ihrem Ausscheiden eingespart, und die vorgesehene Neuorganisation wird der Bedeutung des Infektionsschutzes kaum noch gerecht. Laboratorien, ausschließlich für die Arbeiten mit Infektionserregern geschaffen, sollen für ganz andere Arbeiten umgebaut werden, Spezialtierstallungen bleiben ungenutzt, und das für rund 40 Millionen ausgebaute Versuchsgut verwaist oder wird zweckentfremdet.

    Von der dem Institut ursprünglich zugedachten Rolle als Forschungszentrum des Bundes für vom Tier auf den Menschen übertragbare Krankheiten (Zoonosen) und als Koordinierungsstelle kann so gut wie keine Rede mehr sein. So überrascht es auch nicht, dass bei der BSE-Diskussion inzwischen das Robert-Koch-Institut – für die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung des Menschen zuständig – die Aufgaben im Verbraucherschutz wahrnimmt und sich öffentlich zur Tierkörpermehl-Problematik, zur BSE-Erkrankung von Rind und Schaf und zu lebensmittelhygienischen Fragen äußert.

    Da die Einsparmaßnahmen für den "schlanken Staat" auch vor dem Bundesgesundheitsministerium nicht halt gemacht haben, findet in zunehmenden Maße von dort Aufgabendelegation an dieses Institut statt. Im Klartext: Die Schreibtischarbeiten werden weiter zu- und die experimentellen Arbeiten abnehmen. Gemessen an der Aufgabenstellung und den Baukosten muss festgestellt werden, dass dieses Institut "in den Sand gesetzt" worden ist.

    Besteht aber vielleicht doch noch Hoffnung, wenn als Konsequenz des BSE-Dramas die angemahnte Verbesserung des Verbraucherschutzes einen Umdenkungsprozess der Politik in der Nutzung des ursprünglichen Vorzeigeinstitutes zur Folge haben sollte? Dann könnten gemeinsam mit dem betreffenden Institutsteil in Jena Erforschung und Koordinierung von durch Infektionserregern verursachten Risiken in der Nahrungsmittelkette doch noch den notwendigen Aufschwung erhalten. Dafür ist allerdings Eile geboten. Denn: Nicht nur BSE gefährdet die Sicherheit unserer Grundnahrungsmittel Fleisch und Wurst.

    Seit Jahren kritisieren das frühere Bundesgesundheitsamt und Experten die Hygienesituation in Tierbeständen, die von einer mehr oder weniger starken Belastung mit Infektionserregern wie Salmonella-Bakterien bestimmt wird. Die Problematik liegt darin, dass die Tiere gesunde Träger dieser Infektionserreger sind, dabei äußerlich nicht erkranken, also unerkannt bleiben. Zugegeben, bakterielle, virale und parasitäre Erreger sind im Gegensatz zu den BSE-Prionen zumeist hitzeempfindlich. Trotzdem sterben jährlich allein an lebensmittelbedingter Salmonellose rund 100 Menschen, obwohl diese Erkrankung therapierbar ist. Die Todesfälle wären nicht zu beklagen, würde die Politik den auch hier bestehenden Forschungsbedarf befriedigen, das dafür geschaffene Bundesinstitut mit dieser Forschungsaufgabe betrauen und hier Sanierungs- und Bekämpfungsverfahren entwickeln.

    Sicher ist, dass es künftig bei von solchen Erregern verursachten Lebensmittelinfektionen keine Entschuldigung mehr geben kann. Denn wie schon bei der BSE-Problematik handelt es sich bei diesen Risiken um eine lange Zeit ignorierte, nicht rechtzeitig geförderte und durchgeführte Forschung. Wahrscheinlich hätten Verunsicherung in der Verbraucherschaft durch BSE, der große finanzielle Schaden in der Fleischbranche, in der deutschen Landwirtschaft und Futtermittelindustrie vermieden werden können, wäre aus deutscher Sicht stärker und früher geforscht worden. Es ist blamabel, dass wir nichts Verlässliches über die Übertragungswege wissen, die diagnostischen Möglichkeiten am lebenden Tier noch nicht ausgeschöpft haben und unsicher sind, was das Verhalten des Erregers in Wurstwaren unterschiedlicher Herstellung anbelangt. Das Gleiche trifft auf die Frage zu, ob es BSE bei Schafen gibt, sie Träger des Erregers sein können und wie sich der Erreger in aus Rindern gewonnenen Rohstoffen verhält, aus denen Gelatine, Arzneimittel oder Kosmetika hergestellt werden.

    Die BSE-Problematik macht deutlich, dass ein "schlanker Staat" nicht zu Lasten des Allgemeinwohls gehen darf und ein leistungsfähiger Verbraucherschutz eben sein Geld kostet. 1962 waren sich bei der Gründung des Bundesgesundheitsministeriums übrigens alle einig, dass ein starker Verbraucherschutz schon aus Gründen der Neutralität in dieses Ministerium gehört. Die jetzt angekündigte Einrichtung einer neuen Abteilung unter Einfluss des Verbraucherschutzes im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist daher angesichts knapper Mittel kontraproduktiv, solange das Bundesgesundheitsministerium die dringend notwendige personelle Verstärkung des dort bereits vorhandenen gesundheitlichen Verbraucherschutzes nicht vornehmen kann. Und schließlich müsste es im Eigeninteresse des Landwirtschaftsministeriums liegen, wenn dieses wie früher auf ein leistungsfähiges Bundesinstitut für den Verbraucherschutz zurückgreifen könnte, das nicht seiner Dienstaufsicht unterliegt.



    K O M M E N T A R

    Gescheitert – die Mutige und der Lobbyist

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 9. Januar 2001, 21.09 Uhr (nur elektronisch publiziert) von HARALD SCHUMANN. [Original]

    Es ist vollbracht. Nach einer nun schon über einen Monat währenden Hängepartie haben die beiden verantwortlichen Minister für das politische Missmanagement der BSE-Krise das Feld geräumt. So stürzten Fischer und Funke aus gleichem Anlass – aber die Ursachen für ihr Scheitern könnten verschiedener nicht sein.

    Mit dem Landwirtschaftsminister tritt ein Politiker ab, dessen Vorstellung von seiner Aufgabe sich schon bei seinem Amtsantritt überlebt hatte. Schon vor der vergangenen Bundestagswahl war klar, dass die alte Agrarpolitik keine Zukunft hatte. Das ließ sich gut in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen nachlesen.

    Die Kette der europäischen Lebensmittelskandale, von Antibiotika im Schweinfleisch bis zum Dioxin im Hühnerfutter, hatte längst bewiesen: Die Industrialisierung der Nahrungsmittel-Herstellung und die Trennung von Tierhaltung und Futterproduktion führt zu unkontrollierbaren Risiken. Und absehbar war auch, dass spätestens mit dem EU-Beitritt der osteuropäischen Staaten der organisierte Wahnsinn einer mit über 100 Milliarden Mark jährlich geförderten Überproduktion nicht mehr bezahlbar sein wird.

    Beides hat Funke konsequent ignoriert. Der jüngste Streit über das richtige Reformkonzept, bei dem sogar sein Staatssekretär es lieber mit den Grünen hielt als mit ihm, war nur der letzte Beleg. Der Minister Funke war kein Reformer, sondern ein Bremser. Statt die Interessen der Verbraucher zu vertreten, kungelte er mit der Agrarlobby.

    All das ist Andrea Fischer gewiss nicht vorzuwerfen. Sie scheute weder den Konflikt mit der Ärztelobby noch mangelte es ihr an mutigen Konzepten. Fischers Fehler war ihr zögerlicher Umgang mit dem Ministerialapparat und ihren Gegnern in der SPD-Fraktion. An letzterer scheiterte die Sanierung des Gesundheitswesens. An der Desorganisation ihrer Ministerialen scheiterte sie selbst. Falsche Rechtsauskünfte, verschleppte Warnungen aus Brüssel, brisante Dokumente, die auf dem Weg durch ihre Behörden wochenlang unterwegs waren, vermittelten den Eindruck einer überforderten Ministerin.

    Dass nun ausgerechnet eine noch vergleichsweise unverbrauchte Grünen-Politikerin über den BSE-Skandal stürzt, ist in der Tat "bizarr", wie sie selber klagte. Denn Verantwortung für die Ausbreitung der unheimlichen Seuche tragen die Grünen gewiss nicht. Im Gegenteil: Die Grünen haben stets die Umkehr gefordert, Fischer selbst hat frühzeitig versucht innerhalb der Regierung gegenzusteuern. Insofern beweist Andrea Fischer mit ihrem Rücktritt politischen Anstand und Verantwortung. Denn erst jetzt wird, wegen der verhängnisvollen Posten- Arithmetik einer Koalitionsregierung, der Weg für eine neue Verbraucherpolitik frei. Nur weil Fischer ging, konnte Kanzler Schröder auch Funke endlich gehen lassen. Alles andere hätte die auf Posten wartenden Genossen der Bundestagsfraktion in den Aufstand gegen ihren Kanzler getrieben. Fischer sei Dank – Rot-Grün bekommt eine zweite Chance für die seit Jahrzehnten überfällige ökologische Agrarreform.



    Frankreich rügt deutsche „Vogel-Strauß-Politik“ in BSE-Krise

    Aus:
    Yahoo-News, 10. Januar 2001, 15.27 Uhr (Politik). [Original]

    PARIS. Deutschland hat nach Einschätzung des französischen Landwirtschaftsministers Jean Glavany angesichts der BSE-Gefahr lange eine "ziemlich unverständliche Vogel-Strauß-Politik" betrieben. Die Regierungen, die der Öffentlichkeit die Wahrheit lange verschwiegen hätten, seien nun in größeren Schwierigkeiten als die, die auf Transparenz gesetzt hätten, sagte der sozialistische Politiker mit Blick auf die Kabinettsumbildung in Deutschland. Dabei habe er jedoch keinen Grund zu der Annahme, es sei bewusst gelogen worden, versicherte Glavany der Tageszeitung Le Monde [11.1.2001].

    Er wolle nicht arrogant sein oder europäischen Partnern Lektionen erteilen. Doch hätten drei oder vier Länder mit der Begründung, von BSE nicht betroffen zu sein, im EU-Agrarrat ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Rinderseuche jahrelang blockiert. Erst als in Deutschland und Spanien die ersten Fälle von Rinderwahn entdeckt worden seien, seien ein europaweites Tiermehlverbot und die Ausweitung der BSE-Test beschlossen worden.



    Schröder beruft Künast und Schmidt als Minister

    Aus:
    Yahoo-News, 10. Januar 2001, 19.54 Uhr (Politik). [Original]

    BERLIN. Mit einer Neuordnung der Verbraucher- und Agrarpolitik will die Bundesregierung nach den Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) das durch die BSE-Krise erschütterte Vertrauen der Bürger wiederherstellen. Schröder benannte heute die Grünen-Parteichefin Renate Künast als Nachfolgerin des wegen der BSE-Krise zurückgetretenen Landwirtschaftsministers Karl-Heinz Funke (SPD). Zugleich berief er die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ulla Schmidt zur Nachfolgerin von Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne). Für eine weitergehende Kabinettsumbildung, die die Opposition gefordert hat, sehe er keinen Grund, sagte Schröder.

    Während die Opposition die Umbildung als unzureichend kritisierte, begrüßten Verbraucher- und Umweltschützer sowie Vertreter des Gesundheitswesens die Entscheidungen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sagte, Schröder habe das Heft des Handelns nicht in der Hand. Er sei ein Getriebener, der das Gespür für das verloren habe, was die Menschen bewege. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle sagte, seine Partei erwäge, wegen angeblich mangelhafter Unterrichtung der Bevölkerung über die BSE-Krise durch die Bundesregierung einen Bundestags- Untersuchungsausschusses zu beantragen. Die Umweltverbände BUND und NABU erklärten, die Regierung habe nun die personellen Voraussetzungen für eine Agrarwende geschaffen.

    Schröder sagte, die BSE-Krise mache ein Umdenken in der Agrarpolitik erforderlich. "Das Umdenken hat an der Ladentheke zu beginnen." Das Agrarministerium werde künftig für "Verbraucherschutz, Ernährung – mit einem Schwerpunkt Lebensmittelsicherheit – und Landwirtschaft" zuständig sein. Verbraucherschutz-Kompetenzen würden aus dem Gesundheits- und dem Wirtschaftsministerium ins Agrarministerium verlagert. Mit der Neuordnung sollten Fehlentwicklungen in der Lebensmittelindustrie und beim Gesundheitsschutz abgestellt werden, die seit Jahrzehnten bestünden. "Wir wollen Lebensmittelsicherheit durch eine artgerechte und umweltschonende Landwirtschaft, für die wir auch auf europäischer Ebene eintreten wollen."

    "Renate Künast ist eine sehr qualifizierte Politikerin, die das sehr gut machen wird", sagte Schröder. Die Grünen hätten mit dem neuen Ressort eine große Möglichkeit, sich zu profilieren. Der Bauernverband müsse mit der Schmälerung seines Einflusses auf die Agrarpolitik rechnen. Die politischen Konflikte, die daraus entstünden, werde die Regierung durchstehen. Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner sagte, sein Verband habe keine Vorbehalte gegen eine grüne Landwirtschaftsministerin. "Wir haben schon mit vielen politischen Strömungen gelebt und nehmen auch jetzt diese Herausforderung an."

    Mit der 45-jährigen Künast rückt erstmals eine Juristin und nicht ein Vertreter der Bauernschaft an die Spitze des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Zudem hatte noch nie eine Frau oder ein Mitglied der Grünen diese Position inne. Die ehemalige Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus steht seit sechs Monaten mit Fritz Kuhn an der Spitze der Bundespartei. Dieses Amt muss sie laut Parteistatut aufgeben. Ihre Nachfolgerin soll auf dem Grünen-Parteitag Anfang März gewählt werden.

    Künast bezeichnete ihre neue Aufgabe als Chance für die Verbraucher, die Landwirte und die Grünen. Sie wolle nicht gegen die Bauern arbeiten, sondern lege Wert auf Zusammenarbeit. Für ihre Politik gebe es drei Leitlinien: Zunächst gelte es, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Zweitens müsse die Zukunft der Landwirtschaft gestaltet und auch ökonomisch gesichert werden. Denkbar sei ein Runder Tischer von Produzenten und Verbrauchern. Zudem sei eine Umstellung auf eine naturnahe Landwirtschaft und Tierhaltung nötig. Konkreter wurde sie nicht: "Heute ist nicht der Tag für Konzepte." Künast machte aber klar, dass sie das aus dem Umwelt- und dem Agrarministerium vorgelegte Programm für eine ökologische Neuausrichtung der Landwirtschaft nicht voll übernehmen wird. "Wir werden jetzt gemeinsam etwas Neues machen." Im ZDF ergänzte Künast am Abend: "Die Grünen und ich stehen dafür, dass wir im Laufe der nächsten fünf Jahre den wirklich ökologischen Landbau auf zehn Prozent hochsetzen. Nur wenn wir ein Stück naturnäher produzieren, ist die ökonomische Zukunft der Landwirte gesichert." Sie verlasse sich darauf, dass die Bauern Interesse an ihren Arbeitsplätzen hätten. Die Zukunft der Landwirtschaft liege fest in der Hand der Verbraucher.

    Schröder wies vor der Presse Kritik an seinem Krisenmanagement zurück: "Ich glaube, dass das Handeln zeigt, dass wir zur richtigen Zeit die richtigen konzeptionellen Konsequenzen gezogen haben." An einer Schwächung des Koalitionspartner habe er kein Interesse, sagte der Kanzler. In einem Stern-Interview hatte Schröder zuvor angekündigt, er wolle mit einer Koalitionsaussage für die Grünen in den Bundestagswahlkampf 2002 gehen.

    Auch in der Gesundheitspolitik würden Belange der Verbraucher – der Patienten und Versicherten – mehr ins Zentrum gestellt werden, sagte der Kanzler. Der Risikostrukturausgleich zwischen ärmeren und reicheren Krankenkassen und die Gesundheitsreform seien die wichtigsten Aufgaben, die auf Schmidt zukämen. Die 51-jährige Sozialexpertin erfülle alle Voraussetzungen für dieses schwierige Ministeramt. "Sie ist dialogfähig, beharrlich und durchsetzungsstark." Die gelernte Grundschullehrerin und allein erziehende Mutter einer Tochter leitet derzeit die Arbeitsgruppe der SPD zur Rentenreform. Schmidt sagte in Bonn, sie sehe die neue Aufgabe als eine große Herausforderung an, die sie bewältigen könne. Es sei ganz wichtig, für eine patientengerechte Versorgung zu sorgen, die bezahlbar bleibe.



    BSE-Experte: Tests sind kein lückenloser Schutz

    Aus:
    Yahoo-News, 11. Januar 2001, 14.54 Uhr (Politik). [Original]

    ROM. Die BSE-Tests sind nach Ansicht eines der führenden Experten auf diesem Gebiet, Professor Adriano Aguzzi, keine Gesundheitsgarantie für Schlachtrinder. Das liege daran, dass die Erreger des Rinderwahnsinns, die Prionen, erst gegen Ende der Inkubationszeit entdeckt werden können. Die Verbraucher würden am besten geschützt, wenn diejenigen Körperteile nicht in die Nahrungskette für Mensch und Tier gelangten, in denen sich die Prionen bevorzugt aufhalten, sagte der italienische Pathologe heute. Das ist Nervengewebe wie Gehirn und Knochenmark, aber auch Gewebe mit hohem Nervenanteil wie rückgratnahes Fleisch und die Augen.

    Aguzzi, der am Institut für Neuropathologie der Universität Zürich tätig ist, sagte in einem Telefoninterview, dass BSE-Tests negativ verliefen, könne irreführend sein. Das gelte für den Rinderwahnsinn, die Bovine Spongiforme Enzenphalopathie (BSE), wie für alle Infektionskrankheiten. Darauf wies auch Professor Ralph Blanchfield vom Londoner Institut für Lebensmittelwissenschaft und -technologie hin. Keiner der BSE-Tests sei zu 100 Prozent zuverlässig, sagte er. BSE steht im Verdacht, beim Menschen eine besondere Form der tödlichen Creutzfeldt- Jakob- Krankheit auszulösen, die ebenfalls das Gehirn zersetzt.

    Die Europäische Union (EU) hat angeordnet, dass alle Rinder, die älter sind als 30 Monate, nach dem Schlachten auf Prionen untersucht werden, bevor das Fleisch verarbeitet werden darf. Seit dem 1. Oktober vergangenen Jahres darf auch kein Besonderes Risikomaterial (SRM) verarbeitet werden, zum Beispiel Separatorenfleisch. Es wird maschinell vom Rückgrat abgeschält und wurde bis dahin für Wurstwaren verwendet.

    An der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sind in Großbritannien, wo die Rinderseuche Mitte der 80er Jahre erstmals epidemieartig auftrat, über 80 Menschen gestorben. In Frankreich gab es zwei Tote. Aguzzi befürchtet, dass die Zahl der Todesopfer steigen wird. Beim Menschen dauert es bis zu 30 Jahre, bevor sich aus der Infektion mit Prionen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit entwickelt und die Zerstörung des Gehirns beginnt.



    K I L L E R - V I R U S   F Ü R   M Ä U S E

    Genforscher züchten versehentlich Killer-Virus

    Australische Forscher wollten mit gentechnischen Eingriffen die Vermehrung von Mäusen stoppen. Aus Versehen entstand jedoch ein Killer-Virus.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 11. Januar 2001, 18.22 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    LONDON. Genforscher haben ohne Absicht ein für Mäuse absolut tödliches Virus hergestellt. Dies zeige die wachsende Bedrohung für den Menschen, dass Biotechniken von skrupellosen Regierungen oder Terroristen zur Schaffung gefährlicher Bio-Waffen eingesetzt werden könnten, schreibt das britische Magazin New Scientist in seiner neuesten Ausgabe. Die australischen Wissenschaftler wollten mit Hilfe gentechnischer Eingriffe ein Virus schaffen, das die Vermehrungsrate von Mäusen dämpft. Im Labor entstand jedoch ein für die Tiere absolut tödliches neues Virus.

    Die Wissenschaftler Ron Jackson und Ian Ramshaw hatten dem Virenstamm für Mäusepocken das Gen zur Produktion des Proteins Interleukin-4 eingepflanzt. Die damit infizierten Tiere sollten Antikörper gegen die eigenen Eier bilden und somit unfruchtbar machen. Zur Überraschung der Forscher starben dagegen alle Tiere, selbst die gegen das Virus geimpften, innerhalb kurzer Zeit. Die Veränderung hatte die Immunantwort gegen Viren völlig abgeschaltet, fanden die Forscher. Der Mäusevirus ist eng verwandt mit dem menschlichen Pockenvirus. Dies zeige, dass es leicht möglich sein könnte, auch Viren anderer Tiere oder des Menschen zu hochgefährlichen Killern zu machen.

    "Der Geist ist aus der Flasche", kommentiert der New Scientist. Bisher waren Forscher meist davon ausgegangen, dass gentechnische Veränderungen Viren eher weniger gefährlich machten. Bei einer Umfrage der Zeitschrift unter Genetikern hatten diese vor fünf Jahren noch angegeben, die Erschaffung neuer, gefährlicher Viren sei "sehr schwierig, wenn nicht unmöglich". Wissenschaftler seien allerdings zurückhaltend, die Möglichkeiten eines Missbrauchs ihrer Techniken zu diskutieren, weil dies ihre Arbeit behindern könnte, meint der New Scientist.

    Der Fall werfe auch die Frage auf, ob solche Ergebnisse überhaupt publiziert werden sollten. Auch Jackson und Ramshaw hatten dies mit Regierungsstellen beraten. Sie waren aber zu der Überzeugung gekommen, dass die verwendeten Methoden weitgehend bekannt seien und es wichtig sei, Kollegen und Öffentlichkeit über ihre möglichen Gefahren zu informieren. Die Ergebnisse werden in der Februar- Ausgabe des Journal of Virology dargestellt.

    [New Scientist: Killer virus]   [DER SPIEGEL: Mörderische Wissenschaft]



    Bayern untersagt Rinderfutter-Produktion

    Aus: Bayern3-Teletext, 12. Januar 2001, 23.15 Uhr, Tafel 133, Rubrik Bayern.

    MÜNCHEN. Landwirtschaftsminister Miller (CSU) hat die Produktion von Wiederkäuerfutter bei DEUKA in Regensburg gestoppt. Bei Proben seien unzulässige Spuren von tierischen Bestandteilen in dem Futter gefunden worden, teilte heute das Landwirtschaftsministerium in München mit.

    Das Unternehmen wurde verpflichtet, Händler und Landwirte umgehend vor dem verunreinigten Rinderfutter zu warnen. Nach Angaben von DEUKA wurden die beanstandeten Futtermittel möglicherweise nicht im Werk verunreinigt. So seien 2 Proben bei Landwirten erst Wochen nach der Auslieferung genommen worden.



    Was darf nicht in die deutsche Wurst?

    Aus:
    Main Post, Würzburg, 13. Januar 2001, Seite ?? (Weltspiegel). [Original]

    BERLIN. Hirn, Rückenmark, Augen, Mandeln, Milz und Darm – diese und andere Tier-Innereien durften jahrelang "verwurstet" werden. Mit der Ausbreitung des Rinderwahnsinns gerieten bestimmte Innereien jedoch in BSE-Verdacht. Seit dem 1. Oktober 2000 muss dieses Risikomaterial von für den Verzehr bestimmten Wiederkäuern wie Schaf, Rind und Ziege gemäß einer EU-Richtlinie beim Schlachten entfernt und vernichtet werden. Es darf also nicht mehr in deutsche Wurst- und andere Fleischprodukte gelangen.

    Zum Risikomaterial, über das der BSE-Erreger in die Futter- oder Nahrungsmittelkette gelangen könnte, zählen beim Rind der Schädel einschließlich Hirn und Augen, Mandeln und Rückenmark sowie der Darm. Für Schaf und Ziege gilt bis auf den Darm die gleiche Regel. Zum Risikomaterial wird bei diesen Tieren dagegen auch die Milz gezählt.

    Die Schwachstelle der EU-Regelung: Bei dem Verbot von Hirn, Rückenmark, Augen und Mandeln gilt nach Angaben des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin eine Zwölf-Monats-Frist. Das heißt: Nur bei Tieren, die älter als zwölf Monate sind, müssen diese Innereien entfernt werden.

    Bei Jungtieren unter zwölf Monaten ging man bislang davon aus, dass sie nicht mit BSE infiziert seien. Allerdings erhärtet sich der Verdacht, dass sich bereits Kälber infizieren könnten. Das Institut plädiert deshalb für die Aufhebung der Altersbegrenzung und ein Komplett- Verbot von Hirn, Rückenmark, Augen und Mandeln.

    Neben Risikomaterial ist seit 1. Oktober 2000 in Deutschland außerdem die Verwendung von so genanntem Separatorenfleisch von Rindern verboten. Dabei handelt es sich um Fleischreste, die maschinell von der Wirbelsäule abgeschabt werden. Es wird befürchtet, dass dabei der BSE-Erreger aus dem Zentralnervensystem ins Fleisch gelangen kann.

    Das fein zerkleinerte Fleischmus wurde etwa in Brüh- und Kochwürsten, Fleischwurst, Fleischsalat, grobem Leberkäse, Cabanossi, Leberwürste und Ragout fin verwendet. Das Bundesinstitut will daraufhin wirken, künftig die komplette Wirbelsäule ebenfalls als Risikomaterial einzustufen.   [Kritische Wurstsorten]



    EU-Kommissar alarmiert über BSE bei jungem Tier in Bayern

    Aus:
    Yahoo-News, 13. Januar 2001, 13.50 Uhr (Vermischtes). [Original]

    HAMBURG. EU-Verbraucherschutz-Kommissar David Byrne hat sich alarmiert über den BSE-Fall eines jungen Rindes in Bayern gezeigt [Fall 15]. In einem Brief an die Bundesministerien für Gesundheit und Landwirtschaft wies er laut Bild am Sonntag darauf hin, dass das Tier erst zwei Jahre und vier Monate alt war: "BSE-Fälle bei so jungen Tieren sind bisher nur im Vereinigten Königreich festgestellt worden, als die BSE-Inzidenz auf Grund unzureichender Schutzmaßnahmen auf epidemische Ausmaße anstieg und große Mengen kontaminierter Futtermittel im Umlauf waren."

    Byrne habe von der Bundesregierung umgehende Informationen darüber angefordert, wie stark in Deutschland das Tierfutter mit dem BSE-Erreger verseucht sei, berichtete das Blatt. Er frage nach dem Ausmaß der Verseuchung und danach, welche Folgen für die öffentliche Gesundheit entstehen könnten.



    Bundeswehr vernichtet Fleisch-Konserven

    Aus: Bild am Sonntag, Hamburg, 14. Januar 2001, Seite 11.

    BERLIN (fwrn). Auch die Bundeswehr zieht jetzt Konsequenzen aus der BSE-Krise in Deutschland. Ab Montag [15.1.2001] hat bei der Bundeswehr jeder Anspruch auf rindfleischfreies Essen. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hat die Truppenküchen entsprechend angewiesen.

    Außerdem lässt er Wurst- und Fleischkonserven sowie Dosensuppen und Teigwaren mit Fleisch, die vor dem 1. Oktober 2000 hergestellt wurden, aus den Lagerbeständen nehmen und vernichten. Gesamtwert: 1,675 Millionen Mark. Scharping: „Alles, was nur irgendwie in Verdacht stehen könnte, mit BSE zusammenzuhängen, wird vernichtet.“



    Briten untersuchen mögliche Übertragung von BSE durch Milch

    Aus:
    Yahoo-News, 14. Januar 2001, 12.31 Uhr (Kurzberichte). [Original]

    LONDON. Die britische Behörde für Lebensmittelsicherheit [FSA] will untersuchen, ob Rinderwahnsinn auch durch Milch übertragen werden kann. Dies bestätigte ein Sprecher der Behörde der Zeitung The Sunday Times. Demnach meinen Wissenschaftler, Untersuchungen des Jahres 1995, mit denen eine BSE- Übertragungsgefahr durch die Milch ausgeschlossen wurde, seien möglicherweise fehlerhaft gewesen. Die Zahl der nachgewiesenen BSE-Fälle in Deutschland ist indes auf 13 gestiegen. In Schleswig- Holstein wurden erstmals zwei BSE-Fälle in einem Bestand bestätigt [Ed: wobei die Tiere nicht verwandt sind]. [mehr zur Milch]



    Z U R Ü C K  Z U R  S C H O L L E ?

    Von der Krise zur Agrarwende

    Der Rinderwahnsinn hat das Kabinett an den Rand einer Regierungskrise gebracht. Mit seiner neuen Frauen-Riege und dem Bekenntnis zur Ökolandwirtschaft will der Kanzler nun wieder das Heft des Handelns an sich reißen. Doch Agrarindustrie und Bauernverbände wehren sich.

    Hinweis auf: Der Spiegel – 3/2001, 15. Januar 2001, Seite 20–34 (SPIEGEL-Titel/Deutschland) von PETRA BORNHÖFT, ULRICH DEUPMANN, SUSANNE FISCHER, JÜRGEN HOGREFE, JÜRGEN LEINEMANN, GERD ROSENKRANZ und RÜDIGER SCHEIDGES sowie JÜRGEN DAHLKAMPF, VOLKER MRASEK, NORBERT PÖTZL, SYLVIA SCHREIBER, MARCO EVERS, DIRK LAABS, CORDULA MEYER, CONNY NEUMANN, IRINA REPKE, HEINER SCHIMMÖLLER, BARBARA SCHMID und FELIX ZIMMERMANN. [Original]

    Die Artikel bzw. Grafiken des SPIEGEL-Titels:



    B S E :  G E N U S S  O H N E  G E F A H R ?

    Essen ohne Risiko

    Alle sehnen sich nach sicheren, gesunden Lebensmitteln – Politiker, Bauern, Konzerne und Verbraucherschützer müssen verlässliche Qualitätskontrollen installieren. Sind Biowaren besser?

    Hinweis auf: Focus – 3/2001, 15. Januar 2001, Seite 102–112 (Forschung & Technik) von MARTIN KUNZ, REGINA ALBERS, BURKHARDT RÖPER, THOMAS GRASBERGER, HANS HALTMEIER, HANS-JÖRG HEINRICH, HILKA DE GROOT und ULRIKE BARTHOLOMÄUS. [Original]

    Die Artikel bzw. Grafiken des FOCUS-Titels:

    Dem Heft ist ein praktischer „BSE-Kompass“ beigefügt. Darin sind die wichtigsten Antworten zur Rinderseuche BSE sowie zum Risiko bei Lebensmitteln und Medikamenten zu finden.



    Die Milch gilt als sicher – vorerst

    Zweifel an Verlässlichkeit von BSE-Tests mit Mäusen

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 16. Januar 2001, Seite 5 (Politik) von HARTMUT WEWETZER. Dokumentiert ist die neuere Print-Fassung. [Original]

    Forscher haben bis jetzt keine Anhaltspunkte dafür, dass Milch oder Milchprodukte die Rinderkrankheit BSE übertragen. In diesem Sinne äußerten sich gestern mehrere BSE-Experten, nachdem die Bild-Zeitung unter Berufung auf englische Fachleute die Frage aufgeworfen hatte, ob das Übertragungsrisiko durch Milch nicht unterschätzt werde. Bereits im August 2000 hatte die britische Regierung eine dreijährige Studie zur Frage des BSE-Risikos der Milch angekündigt.

    "Milch ist aus unserer Sicht weiterhin als unbedenklich anzusehen", sagte Irene Lukassowitz, Sprecherin des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin [BgVV] in Berlin. Trotzdem sei es sinnvoll, die bisherigen Versuche "auf eine breitere Basis zu stellen".

    In einer 1997 vom wissenschaftlichen Veterinärausschuss veröffentlichten Studie seien 171 Kälber mit 185.000 Litern Milch von BSE-infizierten Kühen gefüttert worden, sagte Goetz Hildebrandt vom Institut für Lebensmittelhygiene der Freien Universität Berlin. Dabei sei kein BSE-Fall diagnostiziert worden. "Nach dem derzeitigen Stand des Wissens gibt es keinerlei Anhaltspunkte für diesen Übertragungsweg."

    In Milch und Milchprodukten sind laut Hildebrandt keine BSE-Erreger nachweisbar. Die Nachweisgrenze liege bei unter 10 Stück pro Gramm Milch. Nach derzeitigem Wissensstand benötigt es jedoch eine gewisse Mindestmenge an Erregern für eine Infektion. Selbst bei der Annahme, dass Milch winzige Mengen an erregerhaltigem Material ("Prionen") enthalte, müsse man über 10.000 Liter Milch BSE-infizierter Tiere trinken, um die Infektionsdosis zu erreichen. Dasselbe gelte für den Verzehr von Muskelfleisch. Ein Gramm Gehirn eines BSE-infizierten Tieres enthält laut Hildebrandt dagegen 1 Milliarde "Prionen". [Prionen-Konzentrationen im BSE-kranken Rind]

    Den britischen Plan für neue Studien mit einer größeren Zahl an Kälbern hält Hildebrandt für schwer realisierbar. "Es ist schwierig, praxisadäquate Untersuchungen durchzuführen, weil kaum natürlich infiziertes Material vorhanden ist."

    Falsche Sicherheit

    BSE-Tierversuche an Kühen sind langwierig und teuer. Das ist ein Grund dafür, dass die meisten Experimente – auch mit der für sicher angesehenen Milch – bisher hauptsächlich an Mäusen angestellt werden. Sie sind leicht und schnell zu züchten, und sie erfüllen eine einfache Bedingung: Mäuse erkranken auch an BSE. Allerdings sind sie um das Tausendfache unempfindlicher als Rinder. Beim Überwinden der Artgrenze büßt der BSE-Erreger also einen großen Teil seines Ansteckungspotenzials ein. Deshalb gibt es Kritik an den Mäuseversuchen, die vielleicht eine falsche Sicherheit vermitteln. Allerdings muss der Erreger auch beim Übergang auf den Menschen eine Artgrenze überspringen. Niemand weiß bis heute, wie hoch sie ist.

    Spritzt man erregerhaltiges Material in das Gehirn des Versuchstiers, dann erkranken neben Rindern und Mäusen auch Schafe, Ziegen, Schweine, Nerze und Affen. Schweine sind offenbar gegen den Erreger gefeit, sofern sie ihn nur über den Darm aufnehmen, und Hamster erkranken erst, wenn der BSE-Auslöser zuvor in Mäusen "vermehrt" wurde. Hühner erkranken weder nach einer BSE-Injektion in das Gehirn oder das Bauchfell noch nach dem Verfüttern.

    [BSE-Gefahr auch in der Milch?]



    In Tirol deutsches Rinderfutter mit Tiermehl entdeckt

    Aus:
    Yahoo-News, 16. Januar 2001, 19.06 Uhr (Politik). [Original]

    WIEN. In dem Tiroler Dorf, aus dem das unter BSE-Verdacht stehende österreichische Rind stammt, ist heute verbotenes Tiermehl im Tierfutter entdeckt worden. Die Knochenreste seien bei einer Futtermittelprobe nachgewiesen worden, sagte der Sprecher der Tiroler Landesregierung, Herwig Ortner. Das Futter stamme aus Deutschland. Nach dem BSE-Verdacht gegen das Tier aus Schattwald waren in der Umgebung Futterproben gezogen worden. Tiermehl sei in jenem Betrieb festgestellt worden, in dem das möglicherweise mit BSE infizierte Tier geboren wurde, sagte Ortner.

    Bei dem mit Tiermehl versetzten Produkt handelt es sich den Angaben zufolge um ein Ergänzungsfutter für Milchkühe eines Herstellers aus Würzburg. An dem Fund sei vor allem brisant, dass der Landwirt eine Bestätigung der Erzeugerfirma vorlegen konnte, dass dieses Futter frei von Tiermehl und Fleischknochenmehl sei, sagte Ortner. In dem Bericht des Testlabors hieß es, in der Probe seien Spuren von Landtierknochenteilchen nachgewiesen worden. Ihr Anteil sei mikroskopisch gerade noch erfassbar und liege bei etwa 0,5 Prozent. In Österreich ist Tiermehl im Futter von Wiederkäuern seit zehn Jahren verboten.

    In den Futterproben von dem Bauernhof, auf dem die Kuh lebte, bei der sich der BSE-Verdacht ergeben hatte, wurde nach Angaben von Landwirtschaftsminister Willi Molterer jedoch kein Tiermehl gefunden. Das siebenjährige Tier wurde im November nach Deutschland verkauft und vor kurzem in Baden-Württemberg geschlachtet. Dort deutete ein erster Test auf eine Infektion mit der Rinderseuche BSE hin. Das Ergebnis einer Untersuchung an der Universität Tübingen, die klären soll, ob damit auch Österreich seinen ersten BSE-Fall hat, wurde für Mittwoch oder Donnerstag erwartet.

    17.1.2001 (bse-p). Der BSE-Verdacht bei der Kuh aus dem Landkreise Sigmaringen, die erst im November 2000 aus Tirol importiert wurde, konnte vom nationalen BSE-Referenz-Labor in Tübingen nicht bestätigt werden.

    Weitere Services zu den Themen „BSE“ sowie „Gift im Essen“ von khd
    Hier gibt es keine gekauften Links!

      Zum Teil 18

    © 2001-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr