BSE & Co in den Medien – Teil 23 khd
Stand:  6.6.2003   (38. Ed.)  –  File: M/edien23.html *




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (24. Teil).
  • 23.11.2001: Experten erwarten weniger vCJD-Todesfälle.
  • 19.11.2001: Vor einem Jahr wurde die erste deutsche BSE-Kuh entdeckt...
  • 12.11.2001: Mastskandal: Tierische Gewinne.
  • 22.10.2001: Ausbreitung von BSE durch Untätigkeit.
  • 20.10.2001: Falsches Hirn.
  • 13.10.2001: BSE bei Schafen – drohen neue Massenschlachtungen?
  • 05.10.2001: Bauern wollen Hühner weiter im Käfig halten.
  • 22.08.2001: Glücksfall Rinderwahn?
  • 22.08.2001: Höhn warnt vor BSE-Toten.
  • 19.08.2001: EU-Kommissar: Keine Entwarnung bei BSE.
  • 31.07.2001: Was wurde eigentlich aus BSE?
  • 24.07.2001: Die Rindfleischberge wachsen weiter.
  • Ältere Presseberichte  (22. Teil).
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    Die Rindfleischberge wachsen weiter

    Die EU-Staaten haben nichts aus der BSE-Krise gelernt / Strukturveränderungen lassen auf sich warten

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 24. Juli 2001, Seite 16 (Wirtschaft). [Original]

    BRÜSSEL. Die BSE-Krise ist überwunden, der Rindfleischmarkt jedoch keineswegs entspannt – so lautet die Quintessenz der Berichte, die die EU-Kommissare Franz Fischler und David Byrne den Agrarministern bei ihrem Agrarrat in Brüssel am Montag präsentierten. Die Tests in Deutschland hatten 82 BSE-Fälle ergeben. Das ist eine ähnliche Größenordnung wie in Frankreich. Epidemische Ausmaße des Rinderwahnsinns wie in Großbritannien, wo Hunderttausende von Fällen auftraten, aber wurden auf dem europäischen Festland nicht verzeichnet.

    Vielleicht ist das der Grund, aus dem die Mitgliedstaaten bei den Haushaltsberatungen für 2002 in der vergangenen Woche optimistisch die geplante Milliarde Euro für die Folgen von BSE und der Maul- und Klauen- Seuche aus dem Budget herausstrichen. Von einer positiven Tendenz auf dem Rindfleischmarkt kann jedenfalls gegenwärtig nicht die Rede sein, im letzten Monat ist die Nachfrage nach einem erstem BSE-Fall in Griechenland nach kurzer Erholung in den Vormonaten wieder zurückgegangen, für den Herbst rechnet Agrarkommissar Franz Fischler mit großen Rindfleischmengen auf dem europäischen Markt.

    "Wenn die Schlachtsaison beginnt, füllen sich auch die Interventionslager", kündigt ein Brüsseler Agrarexperte an. Der Streit mit der deutsche Verbraucherministerin Renate Künast dürfte programmiert sein, wenn die Interventionsmengen weiter erhöht werden müssen. Wenn es nicht zu Strukturveränderungen in der Agrarpolitik kommt, werden die unverkäuflichen Rindfleischüberschüsse bis 2004 auf 750.000 Tonnen wachsen und erst danach langsam zurückgehen, so die Marktprognosen für die Landwirtschaft der EU und der Kandidatenstaaten.

    Auch in den darauf folgenden Jahren bis 2008 ist weiter mit einem Rindfleischberg von 250 000 Tonnen zu rechnen. Die Agrarexperten der EU-Kommission sind deshalb weiter alarmiert. "Die Debatte über das Sieben-Punkte- Programm von Kommissar Fischler hat gezeigt, dass die Mitgliedsstaaten nichts aus der BSE-Krise gelernt haben", sagt ein Fachmann. Vor vier Wochen haben die Agrarminister zwar Maßnahmen zur Stabilisierung des Rindfleisch-Marktes beschlossen. Doch das von Agrarkommissar Fischler vorgeschlagene Sieben-Punkte- Programm zum Abbau der Überproduktion von Rindfleisch wurde auf Wunsch der einzelnen Agrarminister stark verwässert. Verbraucherministerin Renate Künast hatte das Programm anfangs als nicht weitgehend genug abgelehnt. Schließlich setzte sie jedoch – ganz im nationalen Interesse – durch, dass die zunächst geplante Höchstbestandsgrenze von 90 Tieren pro gefördertem Betrieb gestrichen wurde. Denn diese hätte die Subventionen für Großbetriebe im Osten Deutschlands gefährdet.

    Die übrigen EU-Mitgliedsstaaten können jetzt selbst entscheiden, ob sie die 90 Tiere-Grenze anwenden wollen oder nicht. Jedenfalls stimmte Deutschland den übrigen Maßnahmen zu, nämlich einer Verringerung der Besatzdichte und der Möglichkeit, Agrarbeihilfen bis zu einer Höhe von 1250 Euro pauschal auszuzahlen. Außerdem sollen von 2003 an nur noch 1,8 anstatt zwei Rinder pro Hektar subventioniert werden. EU-Kommissar Fischler will jetzt versuchen, die Überproduktion von Rindfleisch mit Hilfe der durch die Agenda 2000 vorgeschriebenen Bestandsaufnahme einzudämmen, die er im Frühjahr nächsten Jahres vorlegen will. Kurzfristig kann er angesichts der Rindfleischberge zwar nur auf die Ausweitung der EU-Interventionsmaßnahmen setzen. Langfristig aber sollen im nächsten Jahr Vorschläge zur Veränderung der Rindermarktordnung gemacht werden, die die Subventionen so steuern, dass es sich lohnt, weniger Fleisch zu produzieren. Schon jetzt weiß Fischler, dass die großen Rindfleischproduzenten Frankreich, Spanien, Belgien und Griechenland ihm dabei Schwierigkeiten machen werden. Große Schwierigkeiten werden jedoch auch deshalb entstehen, weil eine stärkere Förderung der ländlichen Entwicklung von den Mitgliedstaaten kofinanziert werden muss. Das könnte für Deutschland als Nettozahler allerdings günstiger sein.



    6  M O N A T E  S P Ä T E R

    Was wurde eigentlich aus BSE?

    Aus:
    B.Z., Berlin, 31. Juli 2001, Seite 2 (Politik). [Original]

    BERLIN. Deutschland ist weltweit vorn – leider nur bei der Rinderseuche BSE. 93 Fälle gab es bei uns seit letztem November. Dritter Platz hinter Großbritannien und Irland. Gestern wurde der erste Fall einer Creutzfeldt-Jakob- Erkrankung in Spanien bekannt. Ein 28-Jähriger starb an dieser beim Menschen bekannten Variante von BSE. Nach Absatzrückgängen bis zu 80 % zu Jahresanfang greifen die Deutschen inzwischen wieder unbeschwert zu Rinderfilet und Kalbshaxe. Sind wir zu sorglos?

    „Nein“, sagt Matthias Berninger, Staatssekretär im Bundesverbraucherministerium, „der Schutz der Verbraucher hat aboluten Vorrang.“ Deshalb bleibe die Verfütterung von Tiermehl verboten. Außerdem seien bei uns bisher mehr als 1 Million Rinder vorsorglich auf BSE getestet worden.

    Nach Angaben der Verbraucherzentrale Hamburg gab es aber Indizien dafür, dass Viehhändler in Deutschland die vorgeschriebenen BSE-Schnelltests durch Schlachtungen in grenznahen Gebieten mit anschließendem Re-Import umgingen. Illegale Machenschaften?

    Britisches Rindfleisch muss gekennzeichnet werden. Doch wie will die Lebensmittelüberwachung die Kennzeichnung bei Einfuhr über andere EU-Staaten kontrollieren? „Der Importeur muss dafür sorgen“, sagt Sabine Kolloge, Sprecherin des Verbraucherministeriums, zur BZ. Reicht das aus und funktioniert das in der Praxis?

    In Deutschland breitet sich die Seuche immer noch aus. Es gibt immer noch keinen Frühtest am lebenden Rind, keine Mittel gegen die Krankheit. Verdrängen wir das BSE-Risiko?



    EU-Kommissar: Keine Entwarnung bei BSE

    Aus: Bild am Sonntag
    , Hamburg, 19. August 2001, Seite 8 (Nachrichten).

    BRÜSSEL. EU-Verbraucherkommissar David Byrne hat Deutschland vor einer Verharmlosung der Rinderseuche BSE gewarnt. „Wachsamkeit ist weiterhin geboten, vor allem bei der Umsetzung der Schutzgesetze“, sagte Byrne Bild am Sonntag. „Es wäre verfrüht, Entwarnung zu geben.“

    Allein in den ersten 6 Monaten dieses Jahres seien in der Europäischen Union 664 neue BSE- Fälle gemeldet worden, betonte der Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz. In Deutschland stehe der 100. Fall bevor.

    Zuvor hatten mehrere [deutsche] Länderminister die BSE-Gefahr für gebannt erklärt. Die rheinland- pfälzische Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) sagte, der Rinderwahnsinn stelle „für die Gesundheit der Verbraucher in Deutschland kein Problem dar“. Die Ministerin verlangte eine Lockerung des Tiermehlverbots in der EU.

    Dagegen verteidigte Byrne das Tiermehlverbot als sinnvolle Maßnahme zum Schutz der Verbraucher. Zugleich kritisierte er, dass deutsche Schlachtbetriebe in mehreren Fällen Rindfleisch mit verbotenem BSE-Risikomaterial, etwa der Wirbelsäule, exportiert hätten. Die bestehenden Vorschriften müssten „auf ihre vollständige Umsetzung kontrolliert werden“, mahnte der Kommissar. Dafür seien die Behörden der Mitgliedländer zuständig. Byrne: „Eventuelle Schwachstellen können wir nicht dulden.“



    Höhn warnt vor BSE-Toten

    NRW-Umweltministerin: Ansteckungswege noch ungeklärt

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 22. August 2001, Seite 4 (Politik). [Original]

    KÖLN. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn befürchtet, dass in Folge der BSE-Krise auch in der Bundesrepublik Menschen sterben werden. Dem Kölner "Express" sagte die Grünen- Politikerin: "Wir müssen damit rechnen, dass wir auch in Deutschland Fälle der neuen Creutzfeldt-Jakob- Krankheit bekommen." Allein in Großbritannien sind bereits mehr als 80 Menschen den Folgen der mit dem Rinderwahn in Verbindung gebrachten tödlichen Hirnerweichung erlegen.

    Höhn unterstrich ausdrücklich, dass es bei BSE keine Entwarnung geben könne. Dazu gebe noch zu viele unbekannte Faktoren, sagte die Politikerin. Ungeklärt sei, wie die Ansteckungswege verliefen und wie es zu einer Übertragung auf den Menschen komme. Hierzu gebe es inzwischen Forschungsprojekte. Weil die Behörden in der Bundesrepublik erst seit einem knappen Jahr für mehr Sicherheit gesorgt hätten, sei aber damit zu rechnen, "dass uns die BSE- Problematik noch in den nächsten drei bis fünf Jahren begleiten wird", sagte Höhn.

    Zur Tatsache, dass wieder mehr Rindfleisch gegessen wird, sagte Höhn: "Wir haben sehr viel für die Sicherheit beim Rindfleisch getan: Verbot von Risikomaterial, Einführung der Schnelltests, Verbot von Tiermehl und Tierfetten, einen besseren Herkunftsnachweis. Die Verbraucher honorieren das." Am Wochenende hatte EU-Verbraucherkommissar David Byrne vor einer Verharmlosung von BSE gewarnt.

    Bereits Anfang August hatten Wissenschaftler die Befürchtung geäußert, in den nächsten 40 Jahren könnten in Deutschland bis zu 400 Menschen an der neuen Creutzfeldt-Jakob- Variante erkranken. Der Münchner Prionenforscher Hans Kretzschmar stellte jedoch rasche Fortschritte bei der Diagnose der Hirnschwammerkrankungen in Aussicht. Auf diesem Gebiet werde "ziemlich schnell ziemlich viel passieren". Eine Therapie der menschlichen Form des Rinderwahnsinns werde jedoch länger auf sich warten lassen.



    Glücksfall Rinderwahn?

    Neue Erkenntnisse über BSE nutzen auch der Alzheimer-Forschung

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 22. August 2001, Seite 8 (Meinung) von ALEXANDER S. KEKULÉ, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle. [Original]

    Der Star ist endlich wieder einmal ein Deutscher. Carsten Korth, 37jähriger Exilforscher in San Francisco, brachte vergangene Woche die Fachwelt zum Staunen: Die neue Form von Creutzfeldt-Jakob, vCJD (variant Creutzfeldt-Jakob disease), die mysteriöseste aller Infektionskrankheiten, ist möglicherweise mit einem simplen Medikament heilbar – dem seit dem Zweiten Weltkrieg bekannten Malariamittel Quinacrin.

    Mindestens 106 Briten haben sich seit 1995 mit der menschlichen Form des Rinderwahns angesteckt, 99 von ihnen sind bereits gestorben – die Krankheit führt mit erschreckender Gleichförmigkeit immer zum Tode. Da zwischen Verzehr des infizierten Fleisches und dem Ausbruch von vCJD viele Jahre liegen, steht der Höhepunkt der Seuche noch bevor: Bis zu 140.000 Europäer – die meisten davon Briten – könnten ihr nach pessimistischen Schätzungen noch zum Opfer fallen.

    Ein Medikament gegen vCJD wäre daher ein Durchbruch für die Medizin – von dem sind die gefeierten Forscher jedoch noch meilenweit entfernt. Korth und seine Kollegen, die zum Labor des Nobelpreisträgers Stanley Prusiner gehören, haben das neue Verfahren nur an kultivierten Zellen erprobt, bisher gibt es nicht einmal Tierversuche. Die Erfolgsmeldungen in den Medien stützen sich auf eine einzige Patientin, deren Vater gegenüber einer Londoner Boulevardzeitung euphorisch vom angeblichen Erfolg der nur 19-tägigen Therapie berichtete. Eine zweite CJD-Patientin, die ebenfalls mit dem Malaria- Mittel behandelt wurde, zeigte keine Besserung.

    Ohne die Schützenhilfe der Boulevardpresse wäre die Veröffentlichung aus dem Star- Labor nicht einmal besonders originell: Bereits im vergangenen Mai berichtete eine japanische Forschergruppe, dass Quinacrin im Laborversuch gegen krankmachende Prionen wirkt. Auch ein zweites vom Prusiner- Team getestetes Uralt- Medikament – Chlorpromazin – ist bereits seit Jahren als Prionen- Zerstörer bekannt. Obwohl eine der Konkurrenzarbeiten sogar im renommierten Journal of Virology erschienen ist, wurden sie von der Nobelpreisträger- Gruppe angeblich schlichtweg übersehen.

    Hinter den Kulissen dürfte nun bereits der Kampf um die Patente toben. Doch gerade in der Relativierung der angeblich herausragenden Leistung des Prusiner- Labors liegt die eigentlich gute Nachricht: Die Vielzahl der in den letzten Jahren gefundenen, möglichen Therapieansätze zeigt, dass Prionenerkrankungen wie vCJD bald ihren Schrecken verlieren könnten. Die unheimliche Einfachheit der Erreger, die nur aus Protein ohne Erbinformation bestehen, erweist sich hierbei zunehmend als Achillesferse. Wenn sie in das Gehirn gelangen, lösen krankmachende Prionen wie der vCJD- Erreger eine Verklumpung gesunder Prionen aus, die auf normalen Zellen vorkommen: die Nervenzellen sterben ab.

    Bisher galt die Auflösung der todbringenden Prionen- Klumpen als ähnlich unmöglich wie die Rückverwandlung eines Rühreis in Dotter und Eiweiß. Doch jetzt zeigt sich, dass zahlreiche chemische Wirkstoffe und an Prionen bindende Antikörper nicht nur die Aggregation verhindern, sondern sogar verklumpte Prionen wieder auflösen können. Bei rechtzeitiger Behandlung könnten Prionen- Erkrankungen damit – zumindest im Prinzip und in der Theorie – eines Tages heilbar sein.

    Doch wozu wäre die teure Forschung gut, wenn möglicherweise nur ein paar Hundert Menschen an vCJD erkranken, wie es die optimistischeren Prognosen vorhersagen? Die auch in Deutschland inzwischen mit knapp dreistelligen Millionenbeträgen unterstützte Prionenforschung kommt zum Glück nicht nur den potenziellen vCJD- Patienten zugute: Wie sich zunehmend herausstellt, werden die Ablagerungen im Gehirn bei der Alzheimer- Krankheit – das Amyloid – auf ähnliche Weise wie die krankmachenden Prionen gebildet. In Analogie zu den Prionen- Experimenten wurde bereits gezeigt, dass auch die Aggregation von Amyloid durch Chemikalien und Antikörper verhindert werden kann.

    Ein Medikament gegen die Volkskrankheit Alzheimer könnte allein in den USA 4 Millionen Patienten helfen und immensen volkswirtschaftlichen Schaden abwenden. Wenn die Prionen- Forschung dazu beiträgt, hätte die BSE- Katastrophe zuletzt doch noch ein Gutes gehabt.



    Bauern wollen Hühner weiter im Käfig halten

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 5. Oktober 2001, Seite 6 (Politik). [Original]

    BERLIN. Im Streit um das geplante Totalverbot der Käfighaltung von Hühnern bleiben die Fronten zwischen Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) und Bauernverband (DBV) verhärtet. Die von Künast angedeutete Kompromissbereitschaft bei den Übergangsfristen geht dem Verband nicht weit genug. DBV-Generalsekretär Helmut Born forderte Künast auf, entsprechend der EU-Richtlinie etwas größere Käfige für kleinere Hühnergruppen zuzulassen.

    Künast zeigte sich hart. "Wir wollen keine ausgestalteten Käfige, denn Käfige sind Käfige", sagte sie bei einer Veranstaltung von Tierschutzverbänden in Berlin aus Anlass des Welttierschutztages. Der Bundesrat stimmt am 19. Oktober über Künasts Entwurf für eine neue Legehennen- Verordnung ab. Künast deutete aber erneut an, dass sie über die Fristen für das Käfigverbot mit sich reden lasse. "Mir kommt es am Ende nicht auf einen Monat an", sagte sie.

    19.10.2001 (bse-p). Ab 2007 ist in Deutschland die Käfighaltung von Hühnern verboten. Das hat heute der Bundesrat mit der neuen Legehennen- Verordnung beschlossen. In der Schweiz wurde die Käfighaltung bereits 1992 total verboten. Und im Juli 1999 hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Hennenhaltungsverordnung von 1987, die jedem Tier nur die Fläche eines Dreiviertel-DIN A4 Blattes zum Leben für 13–14 Monate zugesteht, für nichtig erklärt.



    BSE bei Schafen – drohen neue Massenschlachtungen?

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 13. Oktober 2001, 12.01 Uhr zum Artikel "Schafe zur Schlachtbank" im SPIEGEL – 42/2001, 15. Oktober 2001, Seite 17 (Panorama Deutschland).

    HAMBURG. Nach einer Alarmmeldung der Europäischen Kommission wegen BSE-Verdachts bei Schafen bereiten sich sämtliche Lebensmittel- und Agrarbehörden in der EU seit Anfang vergangener Woche auf die mögliche Vernichtung von Millionen Schafen vor. Damit einhergehen könnte ein Verkaufsverbot von Lammfleisch, auch Ziegen- und Schafsmilchprodukte könnten vom Markt genommen werden.

    Hintergrund: Die britische Expertenkommission SEAC legt am kommenden Montag [15.10.2001] einen abschließenden Forschungsbericht vor, wonach bei einzelnen von 2863 Versuchsschafen die als "Rinderwahnsinn" bekannte BSE- Krankheit festgestellt worden sein soll. Es bestehen "allerdings noch Forschungsunsicherheiten", schreibt die EU-Taskforce "BSE bei Schafen" in einem internen Vermerk. Bei den Wolltieren war bisher lediglich die uralte "Traberkrankheit" ("Scrapie") bekannt. Die neuen Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass sich dahinter auch die für den Menschen weitaus gefährlichere BSE verbergen kann.

    Ein 50-seitiger Krisenplan, den die britische Regierung bereits am 28.September vorgelegt hat, sieht für diesen Fall einen "sofortigen Konsumstopp für Tiere von der Insel" vor. Die Briten rechnen im schlimmsten Fall mit einem Prozent infizierter Tiere – also 420.000 Schafe bei einer Population von 42 Millionen Tieren in Großbritannien. Da die Infektion bei Schafen auch Lymphknoten und peripheres Nervengewebe befällt, reicht es zur Vorbeugung vermutlich nicht aus, wie bei Schlachtrindern so genannte "Risikomaterialien" wie Hirn oder Rückenmark zu entfernen – der gesamte Schlachtkörper müsste vernichtet werden. Ein anderes Szenario geht davon aus, dass nur ein Teil der Schafsherden befallen werden kann, da bestimmte Rassen wahrscheinlich gegen BSE resistent sind. Auch könnten möglicherweise gesunde Tiere durch Tests herausgefiltert werden.

    Übernächste Woche will EU-Verbraucherkommissar David Byrne mit den obersten EU-Veterinären und den Landwirtschaftsministern beraten, ob Lammfleisch europaweit verboten werden muss. Möglicherweise ist es aber schon zu spät: Da die untersuchten Schafshirne aus den Jahren 1990 bis 1992 stammen, könnte der Höhepunkt der Seuche bereits überschritten sein. [mehr]

    [Bundesverbraucherministerium am 17.10.2001: Pressemitteilung zum TSE-Risiko bei Schafen]



    Falsches Hirn

    London ließ sich eine Untersuchung über BSE bei Schafen 100 Millionen Mark kosten – die Forscher testeten aber Rinder-Gewebe

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 20. Oktober 2001, Seite 7 (Aussenpolitik). [Original]

    LONDON. Die Experimente begannen 1997. Britische Wissenschaftler versuchten herauszufinden, ob BSE, maskiert von der in Großbritannien verbreiteten Traberkrankheit, Anfang der neunziger Jahre auch in Schafen vorgekommen ist. Dies sei die "vielleicht wichtigste, unbeantwortete Frage über die BSE- Epidemie", formulierte Lord Phillips vor zwei Jahren im großen Abschlussbericht seiner fast 100 Millionen Mark teueren BSE- Untersuchung. Am Freitag [19.10.2001] sollte in London ein Symposium des BSE- Fachgremiums SEAC (Spongiform Encephalopathy Advisory Committee) eigentlich über die Ergebnisse beraten. Aber dazu kam es nicht.

    Die britische Regierung hatte sich bereits auf das Schlimmste eingestellt. Notfalls, wurde seit Monaten bereits verbreitet, werde man sämtliche 40 Millionen der von MKS verschonten Schafe auf den britischen Inseln keulen müssen. Doch nun wurde die Konferenz abgeblasen. Das Experiment ist gescheitert. Vier Jahre lang hatten die Wissenschaftler statt mit Schafshirn mit Rinderhirn experimentiert. "Unglaublich", sagt SEAC-Mitglied Harriet Kimbell vom britischen Verbraucherschutzverband. "Was sagen wir der Öffentlichkeit nun über die Sicherheit von Lammfleisch?"

    Zwei unterschiedliche Experimente wurden durchgeführt. Einmal untersuchte die "Veterinary Laboratories Agency", ob Schafe heute BSE haben können. Tests an 180 Schafen verliefen bisher negativ. Trotzdem räumte die britische Lebensmittelaufsicht FSA (Food Standards Agency) ein, "dass ein theoretisches Risiko von BSE in Schafen weiter besteht". Das zweite Experiment, durchgeführt vom "Institute of Animal Health" in Edinburgh, hätte dieses theoretische Risiko ausgeschlossen. Wenn es 1990, auf dem Höhepunkt der BSE Krise, bei Schafen kein BSE gab, wäre eine Verbindung von BSE und Schafen ausgeschlossen. Um das herauszufinden, wurde Hirnmasse von in den frühen 90er Jahren geschlachteten, mit der Traberkrankheit infizierten Schafen verschiedenen Mäusegenerationen injiziert. Ein positives Testergebnis hätte bedeutet, dass bei den Mäusen systematisch BSE- ähnliche Erkrankungen auftreten.

    Berichten zufolge hatten erste Ergebnisse in britischen Regierungskreisen bereits gewaltige Nervosität verursacht. Misstrauisch geworden, wurden DNA-Analysen angefordert, um eine Verseuchung der Schafshirnmasse mit Rinderhirnmasse auszuschließen. So wurde entdeckt, dass die Wissenschaftler jahrelang mit dem falschen Hirn experimentiert hatten. "Ein ziemlich katastrophaler Irrtum", kommentierte der SEAC- Vorsitzende Peter Smith bitter.

    Der Regierung mag erst einmal ein Stein vom Herzen fallen, auch Großbritanniens Schafe sind fürs Erste sicher. Aber nicht nur die Reputation der britischen BSE-Wissenschaft hat schweren Schaden erlitten. Den Verbrauchern fehlt es weiter an der letzten Gewissheit für wirklich unbeschwerten Lammgenuss. Die FSA sieht zwar weiterhin keine Notwendigkeit, vom Lammfleisch- Verzehr abzuraten. Doch Verbraucherschützerin Harriet Kimbell warnt: "Wir sollten mindestens die Verwendung von Lammfleisch in Babynahrung unterbinden".



    „Ausbreitung von BSE durch Untätigkeit“

    Sonderbericht des EU-Rechnungshofs

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 22. Oktober 2001, Seite 6 (Politik).

    BRÜSSEL (HB). Untätigkeit in den EU-Mitgliedsländern und eine schleppende Gesetzgebung in Brüssel haben die Ausbreitung der Rinderseuche BSE gefördert. Zu diesem Urteil kommt der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht, der dem Europäischen Parlament kommende Woche vorgestellt wird. Um die Gesundheit der Verbraucher effektiver zu schützen, schlägt der Rechnungshof vor, die EU-Kommission mit mehr Macht auszustatten.

    Die Kommission solle das Recht erhalten, gegen EU-Staaten, die den Verbraucherschutz nachweislich vernachlässigen, Geldbußen zu verhängen. Es sei durch Strafandrohungen zwar gelungen, den Missbrauch von EU- Agrarsubventionen zu verringern. Solche Sanktionen fehlten jedoch beim Gesundheitsschutz. Die gleiche Forderung hatte kürzlich auch Verbraucher- Kommissar David Byrne erhoben.

    Der Rechnungshof kritisiert als besonders krasses Beispiel für Verschleppungen die Gesetzgebung zur Beseitigung von BSE-Risikomaterialien. Von den ersten Vorschlägen bis zur Anwendung seien nahezu 4 Jahre vergangen [Ed: Dezember 1996 bis Oktober 2000].



    M A S T S K A N D A L

    Tierische Gewinne

    Aus:
    Der Spiegel – 46/2001, 12. November 2001, Seite 19 (Panorama Deutschland).

    Der im Januar aufgeflogene bayerische Schweinemastskandal soll für die beteiligten Tierärzte erhebliche finanzielle Folgen haben: Die Staatsanwaltschaft in Regensburg will bei den Ärzten den Gewinn abschöpfen, den sie mit dem Verkauf illegaler Tiermedikamente erzielt haben sollen. Nach vorläufigen Berechnungen der Ermittler hat etwa der hauptbeschuldigte Straubinger Veterinär Roland Fechter dabei angeblich einen Umsatz von 2,4 Millionen Mark gemacht. Diesen Betrag wollen die Ermittler nun pfänden lassen.

    Der Anklage der Staatsanwaltschaft zufolge hat Fechter mehrere tausend Mal gegen das Arzneimittelrecht verstoßen. Womöglich muss die Anklage noch erweitert werden: Einige Spezialmischungen Fechters werden noch untersucht. Unter anderem hatte der Tierarzt Präparate verkauft, denen Kakaopulver beigemischt worden war.

    Im Visier der Staatsanwaltschaft ist jetzt auch Fechters Mutter, die beim illegalen Handel geholfen haben soll. Darüber hinaus soll sie nach der Verhaftung ihres Sohnes Medikamente aus dem Altbestand in Österreich zum Verkauf angeboten haben.



    S K A N D A L

    Böses Blut

    Vor einem Jahr wurde die erste deutsche BSE-Kuh entdeckt, kaum einer aß noch Rind. Der Skandal verschwand aus den Schlagzeilen, auch die Angst vorm Fleisch. In den Labors der Republik klären seither Forscher, wer Recht hat – Mahner oder Entwarner.

    Hinweis auf:
    Der Spiegel – 47/2001, 19. November 2001, Seite 82–90 (Gesellschaft). [Original]

    Er ist so jung. Erst 31 ist er, der Patient aus Kiel. Stück für Stück hat er die Herrschaft über seinen Körper verloren, die Augen versagten, die Arme und Beine auch. Im Mai wurde er vergesslich, das Denken fällt ihm jetzt sehr schwer. Neuerdings spricht er sehr seltsam, wie ein Kind, das das Sprechen erst lernt. Er merkt es. Verwirrt lauscht er seinen Worten hinterher. Erst 31. Das ist nicht normal.

    Kann es sein, dass er an dieser neuen Krankheit leidet? An jener Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die man wahrscheinlich durch verseuchtes Fleisch bekommt? Bisher hat die vor allem junge Menschen befallen, Briten zumeist, kann er der Erste in Deutschland sein? Das erste deutsche Opfer von BSE?

    Ein Jahr ist es jetzt her, dass in Deutschland die erste Kuh positiv getestet wurde: Rinderwahn, aller Wahrscheinlichkeit nach durch Tiermehl infiziert. Zwei Minister haben deswegen ihren Job verloren, Bauern ihre Viehherden, Konsumenten die Lust am Fleisch. Der Rindfleischmarkt brach zusammen, und nun?

    122 wahnsinnige Kühe sind bisher gezählt worden, doch BSE-Kuh Nr. 122 ist bei weitem nicht mehr so aufgeregt zur Kenntnis genommen worden wie Kuh Nr. 1. Die Erregung ist abgeklungen. Es wird wieder Rindfleisch gegessen, so plötzlich, wie der Skandal in die Köpfe gedrungen ist, ist er wieder weg. Die Angst wurde durch aktuellere Ängste verdrängt: Maul- und Klauenseuche im Frühjahr, Thrombose und Lipobay im Sommer, Terror und Milzbrand im Herbst.

    Man sieht keine Bilder mehr von kranken Kühen, der Skandal macht keine Schlagzeilen mehr, er hat sich zurückgezogen in die Stille der Labors. Dort soll jetzt erforscht werden, an Menschen, Tieren und Zellen im Reagenzglas, welche Art von Skandal das überhaupt war: ein eigentlich harmloser, wie früher mal Herpes oder Fisch-Nematoden? Oder ein tödlicher Skandal, der erst mit Verzögerung sichtbar wird, wie bei Tschernobyl oder bei Aids?

    "Transmissible Spongiforme Enzephalopathie" heißt das Problem wissenschaftlich ausgedrückt, auf Deutsch "übertragbarer Hirnschwamm", und die TSE-Forscher sitzen in ihren Instituten in Göttingen, München, Düsseldorf, Berlin oder sollen die Frage klären, die letztlich die entscheidende ist: Sind jene verrückt, die schon wieder jede Art Fleisch verzehren? Oder die anderen, die noch immer nervös den Teller wegschieben mit der Begründung: "BSE"?

    Es ist Freitagmorgen, im Klinikum der Georg-August-Universität tagt die Göttinger Creutzfeldt-Jakob-Gruppe. Sigrid Poser, Professorin, Neurologin, Projektleiterin, und Inga Zerr, die Stellvertreterin, und noch ein paar junge Kollegen debattieren über Krankengeschichten. Besser als sonst irgendjemand in Deutschland wissen sie über dieses Leiden Bescheid. Poser und Zerr schicken ihre Leute zu den Patienten, die ihnen gemeldet werden; wie Detektive prüfen sie Symptome und suchen nach CJK-Fällen, wo verbergen sich die? In Neurologischen Kliniken? In Pflegeheimen? In Psychiatrien?

    Sie reden über ältere Leute, über Verdachtsfälle der klassischen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die selten ein junger Mensch bekommt. Und sie reden über den jungen Mann aus Kiel. Ein seltsamer Fall. Die anderen sind oft über 50, meist über 60 Jahre alt, wenn sie in jene Zwischenwelt abgleiten, in der ein CJK-Patient seine Zeit verbringt. Eine eigene Wirklichkeit, in der der Körper versagt und der Kopf, eine schreckliche Zeit lang zumindest, begreift, dass er nicht mehr funktioniert. Wie bei jener Wolgadeutschen zum Beispiel, 55 ist sie und ein CJK-Verdachtsfall, vor kurzem hat sie begonnen, Engel und Verstorbene zu sehen. Die Welt ist ihr fremd geworden. Jedes Geräusch wird für sie zum Lärm. Sie liegt in ihrem Bett und spricht nicht mehr.

    Sehr sachlich reden Ärzte unter sich über solche Dinge. Die Göttinger führen Buch, wie lange dauert das Leiden? Wann stirbt der Patient? Sie sind Epidemiologen und erforschen die Verbreitung einer Krankheit, die bis vor kurzem noch, so sagt Poser, "absolut exotisch" war. Aber das ist sie nicht mehr, seit BSE. 102 Patienten in Großbritannien sind an der neuen Variante gestorben. Und mancher britische Forscher rechnet damit, dass es Hunderttausende werden. Dass Deutschland verschont bleiben wird, glaubt praktisch niemand mehr.


    Es herrscht eine falsche Ruhe, eine gefährliche sogar.

    Erst nach dem Tod kann man völlig sicher sein, dass ein Patient an Creutzfeldt-Jakob gelitten hat und definitiv feststellen, welche Variante es war. Aber es gibt die Symptome und neue Methoden, die den Blick der Ärzte geschärft haben: typische Hirnstromkurven und Bilder aus dem Kernspintomografen, auf denen ein guter Arzt Hinweise auf die Krankheit erkennt. Im Labor der Göttinger testen Assistentinnen den "Liquor", das Nervenwasser, und suchen nach einem verdächtigen Stoff. "14-3-3." heißt dieses Eiweiß. Es hilft, die Krankheit des Patienten von anderen Nervenleiden abzugrenzen: Wer viel davon im Liquor hat, hat sehr wahrscheinlich CJK.

    Es ist sehr ungewöhnlich, dass er so jung ist, der Patient aus Kiel. Das klingt nicht nach klassischer CJK, und zunächst dachten seine Ärzte auch, dass er gute Gründe dafür habe, dass es ihm schlecht ging. Er hatte gerade Fürchterliches erlebt, war Zeuge gewesen, wie ein fremdes Mädchen von einer Brücke in den Tod sprang und konnte nichts tun. Eine "Pseudodemenz bei Depression" vermuteten die Psychologen anfangs, als sein Denken in Unordnung geriet. Sie dachten, dass das eine Folge der Verzweiflung sei. Aber diese Demenz schritt viel zu schnell fort, um allein seelische Gründe zu haben.

    "Der Liquor ist unauffällig", sagt eine Ärztin in die Stille im Raum. "Die Kernspinbilder auch." Das heißt: Es gibt bisher keine Belege, keine klaren klinischen Symptome, "es ist noch kein Fall für uns", sagt Zerr. "Aber wir wollen wissen, wie es weitergeht", sagt Poser. "Wir sind brennend interessiert."

    Wie viele werden es sein? Ein paar Dutzend? Hunderte? Oder viel mehr? Hinter Schreibtisch und Bücherstapel sitzt ein Mann mit breitem Kreuz und breitem Bayerisch, er bereitet sich vor auf den Sturm, der wohl demnächst über ihn hereinbrechen wird, wenn der erste vCJK-Fall, der erste Fall der neuen Variante also, an die Öffentlichkeit dringt.

    Hans Kretzschmar, Neuropathologe an der Universität München, ist einer der dienstältesten Prionenforscher Deutschlands und hat Bescheid zu wissen, er ist das gewohnt. Bei Kretzschmar ist es ruhiger geworden, weit ruhiger als vor einem Jahr. Aber es ist eine falsche Ruhe, eine gefährliche sogar. Denn die Gefahr, fürchtet Kretzschmar, ist nicht vergangen, sie ist sehr präsent. "Das Blut. Wie ansteckend ist es beim Menschen? Das ist es, was gefährlich werden kann. Was uns beschäftigt, und zwar sehr."

    An die Transfusionen ist zu denken, mehr als vier Millionen Blutkonserven werden jährlich in Deutschland verbraucht. An die Operationssäle, in denen Kranke behandelt und die Operationsbestecke anschließend wieder benutzt werden, desinfiziert zwar, aber doch nicht so, dass das den äußerst widerstandsfähigen CJK-Erreger töten kann. Wenn mehr als ein paar hundert Fälle auftreten, wird dann jeder Zahnarztbesuch zur Gefahr?

    Es gibt schließlich schon Patienten, die CJK beim Arzt bekommen haben und später daran gestorben sind. Als Sonderfälle gingen sie in die Medizingeschichte ein: Man hatte ihnen Wachstumshormone gespritzt, aus Leichenhypophysen zusammengemischt, und mindestens einer der Spender hatte an CJK gelitten. Nur wussten die Ärzte das nicht. Auch durch infizierte Augenhornhaut und Hirnhaut, von Toten auf Lebende transplantiert, wurden Operierte angesteckt.


    In Mandeln wurde der Erreger schon gefunden. In Milz und Augen auch.

    Im "Journal of Virology" haben jetzt Forscher aus Hamilton im US-Staat Montana Beunruhigendes publiziert. Sie haben Erreger von infizierten Hamstern auf gesunde Mäuse übertragen, und die Mäuse lebten ganz normal weiter – im Gehirn und im Immunsystem trugen sie die Krankheit in sich, aber sie erkrankten nicht, und sie reagierten auf keinen Test. Das heißt: Es kann Lebewesen geben, die gesund erscheinen und trotzdem den Erreger übertragen. Es könnte solche Fälle auch bei Menschen geben, und "sollte das der Fall sein", so kommt die Warnung aus Hamilton, dann bedeute das eine "erheblich größere" Gefahr, dass die Krankheit durch Blut oder chirurgisches Besteck übertragen werden kann.

    Wenn Hunderte von Creutzfeldt-Jakob-Kranken womöglich unerkannt auf Operationstische gelangen, was dann? In Mandeln wurde der Erreger schon gefunden. In Milz und Augen auch. Im Blut konnte bisher niemand welche nachweisen, aber das liegt vielleicht nur daran: Man hat mit den falschen Methoden gesucht.

    So ernst nehmen Experten inzwischen die Gefahr, dass niemand in Deutschland mehr Blut spenden darf, der zur gefährlichen Zeit länger als ein halbes Jahr in Großbritannien gewesen ist. Die Gesundheitsministerin hat zum "sparsamen Umgang mit Blutprodukten" aufgerufen. Wer einmal Blut bekommen habe, fordern ihre Berater, solle künftig nicht mehr spenden dürfen. Neuerdings muss das Blut speziell behandelt werden, seit Oktober werden die riskanteren Leukozyten entfernt. Aber was ist bei Blutübertragungen in den vergangenen Jahren passiert?

    Er ist heimtückisch, dieser innere Feind, der bis zu 30 Jahren im Körper schläft und dann losschlägt, um das Gehirn zu zerstören. "Prionen" hat der Nobelpreisträger Stanley Prusiner diese Erreger genannt, seit fast 20 Jahren spricht er davon, und nun erst, seit diesem Sommer, hat eine amerikanische Forschergruppe eine Art Fahndungsbild publiziert: Kleine gefaltete Dinger seien diese Prionen, wie eine Art Luftballon mit Korkenzieherlocken habe man sie sich vorzustellen.

    Jeder Mensch hat Prionenproteine im Körper, und die sind harmlos, normalerweise. Es sei denn, sie werden durch infizierte Prionen angesteckt. Dann falten sie sich falsch und verklumpen. Aber es kann Jahre dauern, bis die Erreger das Hirn angreifen, die Nervenzellen zerstören, den Menschen schließlich töten; wo bleiben sie unterdessen? In welchen Organen? Im Blut?


    Die Schafe, sagen die Forscher, seien ein ernstes Problem, die Schafe im Rinderwahn.

    Schweizer Forscher haben nun gemeldet, es sei ihnen gelungen, kleine Mengen von Prionenproteinen drastisch zu vermehren, so dass sie besser zu finden sind. Kretzschmars Gruppe geht einen anderen Weg. Sie hat eine Art Leuchttest entwickelt, der fluoreszierend schon kleine Prionenmengen erfasst. Beide hoffen, dass ihre Nachweismethode bald auch im Blut, am lebenden Wesen, funktioniert.

    Er sei, sagt Kretzschmar, "extrem interessiert daran" zu wissen, wie viele vCJK- Fälle es geben wird. Er arbeitet eng mit den Göttingern zusammen. Die begleiten die Fallgeschichten, suchen nach dem gemeinsamen Nenner: Hat der Kranke viel Fleisch gegessen? Blut bekommen? Operationen gehabt? Kretzschmars Institut organisiert die Autopsie nach des Patienten Tod. Er stellt die endgültige Diagnose. Er wird wohl der Erste sein, der es sicher weiß: Da ist er, der erste Fall der neuen Creutzfeldt-Jakob-Variante. Es ist passiert.

    Es gibt kein Roastbeef am Büfett der Prionenforscher, sie kauen Lachs- Häppchen und Ei-Brot und beschweren sich nicht. Im Senatssaal der Universität München tagt die Elite der deutschen TSE- Experten. Sie essen Häppchen und reden Jargon und sind guter Laune dabei, denn neuerdings gibt es, endlich, ordentlich Geld – insgesamt 50 Millionen Mark steuert die EU jetzt für die deutsche Hirnschwammforschung bei, 27 zahlt der Bund, dazu kommen diverse Länder- Millionen.

    Da spricht nun also Hans Kretzschmar, der Gastgeber, vor den versammelten Mikrobiologen, Chemikern, Tier- und Menschenärzten. Da referiert der Veterinär Martin Groschup, BSE-Forscher aus der Tübinger Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten – derjenige, der per Post die Hirn-Portionen von verdächtigen Kühen bekommt und die endgültige BSE- Diagnose stellt. Ein wichtiger Mann auf dieser Tagung, der berichten kann von seinem eindrucksvollen Großversuch: Auf Riems, der ehemaligen DDR- Forschungsinsel in Mecklenburg- Vorpommern, werden seine Leute Ende dieses Jahres eine Herde von 50 Kälbern mit BSE infizieren. Sie werden die Tiere regelmäßig untersuchen und in regelmäßigen Abständen welche töten, um zu erfahren, was bisher keiner weiß: Wann ist der Erreger wo?

    Da bringt der Düsseldorfer Biologe Detlev Riesner den Forschern bei, wie man einen aussichtsreichen Antrag auf Unterstützung schreibt, zu bedenken sei das Einzigartige der Prionen: "Die Infektiosität". Da steht der Kollege Michael Baier vom Berliner Robert-Koch- Institut und sagt: "Denken Sie an Alzheimer"; ein wenig abseits vom Büfett steht er und fände es "bedenklich", wenn immer nur das Besondere der Prionen betont würde und keiner an die Gemeinsamkeiten mit anderen Krankheiten denkt.

    Baier sucht lieber nach Parallelen, zu Alzheimer beispielsweise: Auch bei dieser Krankheit gibt es Ablagerungen von fehlgefalteten Proteinen im Hirn. Wie bei den Prionenkrankheiten registriert man eine hohe Aktivierung von gehirneigenen Abwehrzellen, "Mikroglia" heißen die und spielen vermutlich eine wichtige Rolle beim Krankheitsgeschehen im Gehirn. Auf diese Mikroglia müsste man einwirken können. Baiers Traum ist "ein Medikament für beides", und dafür hat seine Gruppe erste Schritte getan: Sie haben Mäuse gezüchtet, die ebenso gut als Versuchstiere für Alzheimer taugen wie für CJK. Und haben tatsächlich erste Hinweise darauf, dass es Medikamente geben könnte, die bei beiden Krankheiten wirksam sind.

    Diese Prionen – wer hat sie alles? Wo überall sind sie drin? Schweine? Hühner? Schafe? Vieles wird jetzt wieder neu diskutiert, nachdem so viele der Versuche, die die Briten am Anfang ihrer BSE-Jahre schon unternommen haben, als fragwürdig entlarvt worden sind. Englische Wissenschaftler haben sich wieder die Schweine vorgenommen, US-Forscher experimentieren mit Fischen, muss alles sein, murmeln Käsebrötchen kauende Prionenforscher, aber so richtig sorgenvoll schauen sie erst drein, wenn jemand von Schafen spricht. Von BSE-Schafen. Das, so sagen sie, sei ein ernstes Problem. Verflixt ernst.

    Martin Groschup ist ein ironisch blickender Mensch mit Stoppelhaarkopf, ein Veterinär mit einstmals exotischem Spezialgebiet, der unerwartet heftig in den aktuellen Nachrichten gelandet ist. Bald wird er nach Riems umziehen, in diesem Herbst sitzt er noch in seinem gewohnten Hochsicherheitstrakt in der Tübinger Bundesanstalt für Viruskrankheiten, verschanzt auf der Waldhäuser Höhe, eine Anstalt, die bei Bauern gefürchtet ist. Denn die Tübinger sind es, die regelmäßig böse Botschaft verschicken: BSE-Fall. Hof gesperrt.


    Sie forschen nach dem gemeinsamen Nenner: Hat der Kranke viel Fleisch gegessen? Operationen gehabt?

    Sie sind es auch, die sich um die Schafe kümmern sollen, und die sind ja wichtig, neuerdings. Früher glaubte man, dass Schafe nur die Hirnschwamm- Krankheit Scrapie bekommen würden, die dem Menschen nie gefährlich geworden war, auch wenn er von befallenen Tieren aß. Jetzt allerdings – jetzt kann ein zuckendes, schwankendes Tier Gefahr bedeuten, jetzt wissen Forscher, dass das tatsächlich existiert, was sie befürchten: Schafe im Rinderwahn.

    Zwar haben die Briten gerade eine Studie zur Übertragung von BSE auf Schafe in den Sand gesetzt, haben vier Jahre lang Zellen vom Rinderhirn getestet und geglaubt, sie wären vom Schaf. Die Forschung muss nun von vorn beginnen, Entwarnung bedeutet das nicht: Im Labor ist es schon 1996 gelungen, ein Schaf über sein Futter mit BSE zu infizieren.

    Die Symptome sind kaum zu unterscheiden. Also könnten BSE-Schafe von Menschen gegessen worden sein, und dann wäre die Bedrohung noch weit größer als beim infizierten Rind: Bei BSE-Kühen wurden die Prionen bisher nur im Gehirn, im Auge, im Rückenmark gefunden. Beim Schaf aber verteilen sich die Erreger, sei es nun BSE oder Scrapie, über das ganze Lymphsystem. Das heißt: Wer wegen BSE vom Hamburger auf Lammkoteletts umgestiegen ist, hätte womöglich den Fehler seines Lebens gemacht.

    Auch in Deutschland sind in der Vergangenheit Schafe mit Tiermehl gefüttert worden, und nun? Scrapie- Fälle sind anzeigepflichtig, und "wir testen natürlich, was uns gemeldet wird", sagt Groschup. Im Labor, an Versuchsmäusen, lässt sich feststellen, ob das Schaf wirklich Scrapie hatte. Und wenn nicht?

    Er habe, so sagt Groschup, sein Leben wegen BSE nicht verändert. Er esse nicht weniger Fleisch als früher. Er ist kein nervöser Mensch. Aber er weiß, dass viele sich Sorgen machen, auf die Schafe bezogen und rückwirkend auch: Wie viel muss der Mensch gegessen haben, um krank zu werden? Ein infiziertes Würstchen pro Woche? Eines im Monat? Oder ein einziges nur, irgendwann? An Mäusen ist so etwas nicht zu erforschen, auch an Kälbern nicht. An Affen schon.

    Der Javaneraffe als solcher ist kein strikter Vegetarier, es würde also nicht so schwierig sein, ihn mit ein bisschen Rinderhirn zu füttern. So dachten die Forscher am Göttinger Primatenzentrum (DPZ) anfangs. War es dann aber doch. Die Affen waren schwierig, die britischen Kollegen auch. Die sollten das verseuchte Stammhirn liefern, als Gerhard Hunsmanns Truppe zusammen mit vier anderen EU-Instituten den Auftrag und endlich auch das Geld bekommen hatte. Aber erst schickten die Briten nur ungenießbares Zeug, "das stank, das hätten unsere Affen nie gefressen". Also ist Hunsmann, der Chef- Virologe des DPZ, nach Schottland gefahren und hat mit dem Oberveterinär einen Whisky getrunken. Jetzt hat er das Hirn.

    Er hat auch die Affen, 18 Javaner, kleine, graue Kerle mit bräunlichen Köpfchen, die sitzen schon in Versuchskäfigen hinter grünen Stahltüren, im Sicherheitstrakt. Die musste man dazu bringen, dass ihnen das BSE-Hirn schmeckt. Sie sollen nicht krümeln. Sollen das Hirn, dieses infektiöse Zeug, nicht im Käfig verschmieren.

    Also haben die Affenforscher Bällchen produziert, aus Müsli und Quark und Honig und Bananen, "die Affen mampfen jetzt alle Quarkbällchen", sagt Hunsmann, "da sind die ganz scharf drauf". Und um die Frage zu klären, "wie viel Hirn kann ich da beimischen, dass die das noch essen?", haben sie erst mal mit Schweinehirn trainiert. So etwas fressen die Javaner jetzt brav.

    Seit Oktober bekommen die Affen gruppenweise das infektiöse Zeug serviert: 15 Gramm die einen, die nächsten 1,5 Gramm, die nächsten ein Zehntel davon und so weiter, bei der siebten Gruppe enthält das Bällchen nur 0,000015 Gramm verseuchtes Hirn. Regelmäßig werden Proben entnommen, Blutproben beispielsweise. Die werden untersucht und auch auf andere Javaneraffen übertragen, um zu überprüfen, wie ansteckend das Material noch ist. Wie bei Groschups Kälbern werden in regelmäßigen Abständen Tiere getötet und obduziert.

    Der Mensch will ja nun mal die Antwort auf seine Frage: Wie viel verseuchtes Fleisch muss ich gegessen haben, damit ich erkranke? Hunsmanns Affen sind es, die mit ihrem Körper die Antwort geben sollen, weil sie so eng verwandt sind mit dem Menschen, Hunsmann sagt: "zu 95 Prozent". Der Mensch, um seine Menschenkrankheit zu bekämpfen, will seine engste Verwandtschaft infizieren, darf er das? "Er muss", sagt Hunsmann.

    Das sagen auch Franz-Josef Kaup und Walter Bodemer, selbstverständlich, Hunsmanns Kollegen, die am DPZ einen zweiten EU-Prionenversuch mit Affen unternehmen, der jetzt im November beginnen soll. Ihre Tiere, diesmal sind es Rhesusaffen, werden mit Spritzen in die Bauchhöhle infiziert: Vier sollen BSE entwickeln, vier die klassische Creutzfeld-Jakob- Krankheit, vier die neue Variante. Eine Kontrollgruppe bekommt Kochsalzlösung statt Prionen eingespritzt.


    Die Affen sollen es ausprobieren: Wie viel verseuchtes Hirn muss man essen, um krank zu werden?

    Sie werden erkranken, werden Symptome entwickeln; körperliche und vermutlich auch psychische – aber welche? Verhaltensstörungen? Depressionen? Verhaltensforscher werden den Versuch begleiten und die Tiere studieren: Wann fängt der Affe an, dauernd müde zu sein? Wann frisst er nicht mehr? Kann man Unterschiede im Verhalten von CJK-Kranken und vCJK-Kranken sehen? Das wäre auch für die Diagnose beim Menschen interessant.

    Kaup ist ein freundlicher Herr, der seine Affen sehr mag. Diesen Eindruck vermittelt er jedenfalls, wenn er durch das Gelände führt. Der Professor, einen Pavian mit Holunderbeeren fütternd, versichert, dass BSE- Forschung an Affen dem Menschen nützlich sei. Man wird wissen, wie gering die Prionenmenge sein kann, die gerade noch ausreicht, um einen Primaten zu infizieren. Obendrein ergibt der Versuch eine große Menge von Gewebeproben; Hirn, Milz, Darm und so weiter: Untersuchungsmaterial, an dem spätere Wissenschaftler ihre Testmethoden erproben können. Das ist ja die große Hoffnung: ein sicherer Test. Und Therapie natürlich. Die vor allem.

    Man könne fast nichts tun, hören die Familien von Creutzfeldt-Jakob- Patienten normalerweise. Die Krankheit ist tödlich und nach gut einem Jahr vorbei. Doch, man könne, behauptete im Sommer dieses Jahres der britische Mikrobiologe Stephen Dealler gegenüber Rachel Forbers Familie. Rachel, damals 20, konnte nicht mehr gehen und kaum mehr sehen und sprechen, so wie die anderen vCJK-Patienten, und die Ärzte hatten gesagt: ein endgültiger Fall. Dealler schickte sie zu Stanley Prusiner in die Staaten. Sie bekam das Malaria- Mittel Quinacrin und das Schizophrenie- Medikament Chlorpromazin verschrieben, mit dem der Nobelpreisträger seit längerem experimentiert. Sie schluckte es 19 Tage lang, und dann meldete ihr Vater der britischen Boulevardpresse eine Sensation: Rachel könne wieder mit dem Löffel essen und gehen könne sie auch. Ein Wunder?

    Sehr schweigsam sind Rachels Ärzte nun, Wochen später, und ihre Familie ebenfalls. Sie melden keine weiteren Fortschritte mehr. Nichts davon, ob die Besserung von Dauer war. Man müsse, sagt die Göttinger Forscherin Inga Zerr sehr höflich, sehr distanziert, "erst einmal abwarten". Gab es wirklich eine Besserung? Stimmt die Diagnose überhaupt? Leidet die Patientin wirklich an vCJK?

    An der Georg-August-Universität fragen sich Inga Zerr und ihre Kollegen, ob man irgendetwas tun kann für den jungen Mann, den 31-jährigen CJK-Verdachtsfall aus Kiel. Ihn in eine Medikamenten- Studie aufnehmen zum Beispiel, Flupirtin heißt das Mittel, das die Göttinger zurzeit an Patienten erproben. Nichts so Sensationelles wie die Meldungen aus Amerika. Es kann möglicherweise den Verfallsprozess im Hirn verzögern. Eine Heilung bringt es nicht.

    Klar, wünschen sich Ärzte wie Zerr, dass Rachels Vater Recht haben möge, sie kennt die Verzweiflung der Eltern von jungen Menschen, "es fällt schwer, so etwas zu sehen. Man bleibt da nicht distanziert." Sie kennt auch die Hoffnungsschimmer, die manchmal bei solchen Familien aufkommen, nach optimistischen Meldungen aus Forschungslaboren. Aber die sind oft eben doch nicht so sensationell, wie die Berichterstattung glauben machen will. Auch das kann ja ein Drama sein: wenn so eine wahnwitzige Hoffnung täuscht.

    Weltweit sitzen Forscher an Therapieversuchen, in San Francisco, London, Zürich, Berlin, aber noch bleibt der große Durchbruch aus. Noch nützt es dem Patienten nicht viel, wenn man weiß: Er hat vCJK. So wird es auch dem ersten deutschen Fall ergehen. Er wird in Göttingen gemeldet werden, jemand wird hinfahren, die Tests mit ihm durchprobieren, freitags wird die Prionengruppe darüber reden: "Vermutlich CJK", werden sie sagen, "vermutlich vCJK."

    Er wird in die Medikamentenstudie eingebunden, wird gepflegt, und Monate später wird er sterben, und nach der Autopsie wird Professor Kretzschmar der Erste sein, der es weiß: Die Krankheit ist in Deutschland angekommen. Die Öffentlichkeit wird aufgeregt sein, die Medien, die Politik. Sie werden fragen: Wie, ihr wisst immer noch nicht, wie man das heilt?



    Experten erwarten weniger vCJD-Todesfälle

    Die menschliche Form des Rinderwahns könnte neuen Prognosen zufolge deutlich weniger Todesopfer fordern als bislang angenommen. Demnach ist der Höhepunkt der Krankheitswelle bereits erreicht.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 7. April 2001, 13.11 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    PARIS. Entgegen pessimistischen Vorhersagen von Tausenden Opfern der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) gehen französische und britische Forscher nun von rund 200 Todesfällen aus. Ihr neues Modell zur Verbreitung der bislang unheilbaren Hirnkrankheit, die vermutlich durch den Verzehr von BSE-verseuchtem Fleisch ausgelöst wird, veröffentlichen die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science.

    Das Team um Alain-Jacques Valleron von der Université Pierre et Marie Curie in Paris entwickelte seine Prognose auf Basis der vCJD-Fälle in Großbritannien, wo bislang mehr als hundert Menschen an der Krankheit gestorben sind. Das Rechenmodell der Forscher stützt sich vor allem auf das Alter der bisherigen Opfer, das im Durchschnitt bei nur 28 Jahren liegt.

    Valleron und seine Kollegen schließen aus diesem niedrigen Durchschnittsalter, dass Kinder besonders anfällig für eine Ansteckung sind. Ab einem Alter von 15 Jahren nehme das Risiko, an vCJD zu erkranken, vermutlich immer weiter ab. Die Forscher gehen davon aus, dass alle Infektionen im Zeitraum von 1980 bis 1989 erfolgten, als in Großbritannien schätzungsweise knapp 500.000 an BSE leidende Rinder zum Verzehr geschlachtet wurden.

    Auf Basis dieser Annahmen sagt das Team eine Inkubationszeit von durchschnittlich 17 Jahren voraus. Nach der Kalkulation der Forscher hat die Krankheitswelle ihren Höhepunkt erreicht, die Zahl der vCJD-Toten wird demnach vermutlich bei etwa 200 liegen. Rein rechnerisch schließt das Modell mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent eine Opferzahl über 403 aus.

    Es sei nicht überraschend, dass die Schätzungen zur Verbreitung der Krankheit zurückgingen, sagte der Epidemiologe Graham Medley von der britischen University of Warwick der Online- Ausgabe des Fachmagazins Nature. Die Zahl der bekannt gewordenen Fälle sei nicht so schnell gestiegen wie erwartet. Allerdings sollte man auf Grund der spärlichen Daten vorsichtig mit Prognosen umgehen, warnte der Forscher: "Es ist unmöglich, genaue Vorhersagen zu erstellen."

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    © 2001-2007 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr