BSE & Co in den Medien – Teil 24 khd
Stand:  18.5.2004   (40. Ed.)  –  File: M/edien24.html




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (25. Teil).
  • 19.03.2002: Eine kritische Analyse des BSE-Wahnsinns.
  • 15.03.2002: Chronologie des staatlichen Bio-Siegels.
  • 23.02.2002: Schlampereien bei Tier-Datenbank.
  • 20.02.2002: Künast will Länder für fehlerhafte BSE-Tests haftbar machen.
  • 09.02.2002: BSE-Tests: Pfusch aus Profitgier?
  • 14.01.2002: BSE-Tests: Künast befürchtet Schlamperei und Betrug.
  • 04.01.2002: Der alltägliche Rinderwahnsinn. (Zum Stand beim BSE)
  • 16.12.2001: Rindfleischerzeuger stehen wegen BSE vor dem Ruin.
  • 14.12.2001: BSE – Gesunkenes Risiko. (Aguzzi-Interview)
  • 01.12.2001: Fleischpanscherei weitet sich aus.
  • 29.11.2001: BSE-Nachweis: Göttinger Forscher entwickeln Lebendtest.
  • Ältere Presseberichte  (23. Teil).
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    B S E - N A C H W E I S

    Göttinger Forscher entwickeln Lebendtest

    Weltweit arbeiten Wissenschaftler und Firmen fieberhaft an Verfahren, die einen BSE-Test künftig auch an lebenden Tieren möglich machen sollen. Ein Göttinger Team will nun einen Durchbruch erzielt haben.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 29. November 2001, 18.10 Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    GÖTTINGEN. Der BSE-Nachweis ist bislang ein blutiges Geschäft: Nur durch die Analyse des Hirngewebes geschlachteter Kühe lässt sich der Rinderwahn verlässlich feststellen. Doch ein Test am lebenden Tier ist nun, wie Forscher der Universität Göttingen vermelden, in greifbare Nähe gerückt: "Wir haben einen deutlichen Schritt in Richtung eines Lebendtests zur Identifizierung BSE- infizierter Kühe gemacht", erklärte am Donnerstag Bertram Brenig, Direktor des Tierärztlichen Instituts der Universität Göttingen.

    Wie der Wissenschaftler berichtete, fand sein Team im Blutserum infizierter Tiere charakteristisch veränderte Nukleinsäuren, die bei gesunden Kühen nicht in dieser Form vorkommen. Der Nachweis dieser molekularen Veränderungen stellt Brenig zufolge ein praktikables, bezahlbares und vor allem sicheres Verfahren dar.

    Die Forschungsergebnisse werden nun an Serumproben einer größeren Anzahl kranker Rinder überprüft. "Ich rechne mit einer Validierungsphase von circa einem halben Jahr, in der wir Proben von mehreren hundert Tieren untersuchen werden", so Brenig.

    Seit Dezember vergangenen Jahres arbeiten die Göttinger Forscher mit dem kalifornischen Biotech- Unternehmen Chronix Biomedical zusammen. Ziel ist die Entwicklung eines marktfähigen Nachweises für die Prionenkrankheit an lebenden Tieren. Die US-Firma habe als Ergebnis der Kooperation inzwischen einen Patentantrag über einen so genannten Serum- basierten Test zur BSE- Identifizierung gestellt, teilte die Universität Göttingen mit.



    F L E I S C H - S K A N D A L

    Fleischpanscherei weitet sich aus

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 1. Dezember 2001, 10.32 Uhr zum Artikel "Panscher am Pranger" im SPIEGEL – 49/2001, 3. Dezember 2001, Seite 18 (Panorama Deutschland).

    HAMBURG. Zu den Fleischpanschern, die Kochschinken- und Putenfleisch mit Wasser strecken, gehören Firmen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die Bezirksregierung im westfälischen Arnsberg nennt nach einer Meldung des Nachrichten- Magazins Der Spiegel [48/2001] 19 Hersteller aus Nordrhein- Westfalen, Thüringen, Niedersachsen, Berlin und Bayern.

    Ein Betrieb aus dem Kreis Unna streckte gleich 8 Produkte, kam aber billig davon. Die Firma zahlte 2000 Mark Bußgeld; 4 Ordnungswidrigkeitsverfahren laufen noch. Der Schinken- Pfusch beschränkt sich nicht auf Supermarkt- Ware, noch ärger werden vielerorts Restaurantbesucher getäuscht. Das Landesuntersuchungsamt Nordbayern fand in "überwiegend für Pizzen und Nudelgerichte verwendetem ,Schinken' einen Fleischanteil von nur 60 %, dafür aber einen Wassergehalt von bis zu 35 %".

    Die gestreckten Zutaten stammten "nahezu ausschließlich" aus Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Italien, so das Landesuntersuchungsamt Südbayern. Das beanstandete 2001 von 38 Proben 34 wegen "erheblicher Mängel" und moniert, "dass die Qualität dieser Erzeugnisse in den letzten Jahren noch weiter abnahm". Verbraucherministerin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) spricht von "Missbrauch" und fordert von den Ländern, "derartigen Verstößen in verstärkter Weise nachzugehen".



    BSE — Gesunkenes Risiko

    Interview mit dem Neuropathologen Adriano Aguzzi, einem der weltweit führenden Experten für die neue Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD).

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 51/2001, 14. Dezember 2001, Seite ?? (Wissen). Gesprächsführung: EDDA GRABAR. [Original]

    ZEIT: Vor einem Jahr wurde das erste deutsche Rind BSE-positiv getestet. 122 Rinder sind seit dem offiziell an BSE erkrankt. Kein Fall der neuen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) sorgt bislang für eine Aufschrei. Sind die Gefahren überschätzt worden?

    Aguzzi: Ganz im Gegenteil, die deutsche Regierung hat lange die Gefahr eher unterschätzt. Bis Ende 2000 gab es in Deutschland faktisch keine BSE-Politik. Zehn Jahre lang hat die Politik gekonnt weggeschaut. Immer behaupteten sie "Deutschland ist BSE-frei", obwohl das in Fachkreisen schon jahrelang niemand mehr glaubte. Deutsche Minister versäumten bis zum Frühjahr 2001 Gesetze zu schaffen, die BSE-Risikomaterialen aus Lebensmitteln verbannen, nicht nur aus der berühmten bayerischen Weißwurst.

    ZEIT: Der Rindfleischkonsum in Deutschland ist wieder auf dem Ante-BSE-Niveau gestiegen. Ist es heute noch leichtsinnig auf dem Münchener Viktualienmarkt eine Weißwurst zu genießen?

    Aguzzi: Die seit dem Frühjahr getroffenen Maßnahmen schützen wahrscheinlich die Verbraucher ausreichend. Ein Restrisiko besteht zwar noch, denn BSE ist noch nicht ausgerottet. Das ist jedoch viel geringer als noch vor einem Jahr.

    ZEIT: Den deutschen Medien wird häufig unterstellt, die Panik unter den Menschen schüren.

    Aguzzi: Nur diese BSE-Hysterie in Deutschland hat die Bürger wachgerüttelt. Ich behaupte, dass in diesem Fall die Hysterie eine glücklich Fügung war. Skandalös berichteten nicht die Medien. Als Skandal bezeichne ich, dass die wissenschaftlichen Fakten bereits seit fünf bis sieben Jahren auf dem Tisch lagen und die Entscheidungsträger untätig blieben. BSE in Deutschland wäre eine vermeidbare Katastrophe gewesen.

    ZEIT: Der schottische Gesundheitsexperte George Venters bezweifelt, dass der BSE-Erreger die Ursache für die neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist. Eine seriöse Behauptung?

    Aguzzi: In England gibt es nahezu 200.000 BSE-Rinder und etwa 120 vCJD Patienten. Es stimmt, das sind weniger Opfer, als wir zunächst angenommen hatten. Meiner Meinung nach ignoriert Venters aber die Fakten, die für eine Übertragung sprechen: Die Erreger sind biochemisch identisch. Großbritannien ist nicht ohne Zufall sowohl von BSE als auch von vCJD am stärksten betroffen. Außerdem wurden im Tiermodell das gleiche Krankheitsmuster und die Übertragung nachgewiesen. Aber den ultimativen Beweis für eine Verbindung gibt es nicht, und es wird ihn nie geben. Dafür müsste man Menschenversuche durchführen.

    ZEIT: Die Zahlen über mögliche vCJK-Opfer variieren stark. Der britische Epidemiologe Roy Anderson geht von bis zu 136.000 Opfern aus. Peter Smith von der London School of Hygiene and Tropical Medicine rechnet mit 100 Infektionen pro Jahr.

    Aguzzi: Ja, der Verlauf der Epidemie lässt mich hoffen, dass Peter Smith recht behalten wird. Es werden wohl weniger Fälle sein. Aber sicher können wir uns dessen nicht sein.

    ZEIT: Sie selbst arbeiten an einem Impfstoff gegen BSE. Ist bereits absehbar, wann er zum Einsatz kommt?

    Aguzzi: Darauf möchte ich mich nicht festlegen. Im September haben wir die ersten transgenen Mäuse vorgestellt, denen der BSE-Erreger nichts mehr anhaben konnte. Das war ein wichtiger Schritt, aber in den Naturwissenschaften kann man nicht vorraussagen, wie es weiterlaufen wird. Wir arbeiten weiter daran und hoffen, dass wir schnell vorwärtskommen.

    ZEIT: Welche weiteren Therapieansätze halten Sie für erfolgsversprechend?

    Aguzzi: Der Prionenforscher Stanley Prusiner hat mit zwei Malaria-Wirkstoffen Creutzfeldt-Jakob-Patienten behandelt. Das ist prinzipiell ein interessanter Ansatz und ich denke, dass viele Wissenschaftler solche niedermolekularen Substanzen nun testen werden. Von den Medikamenten, die gegenwärtig klinische Studien durchlaufen, halte ich aber nicht viel. Vor allem problematisch finde ich, dass Prusiner sich nicht die Mühe gemacht hat, auszuprobieren, ob die Malaria-Wirkstoffe wenigstens bei Versuchsmäusen funktionerieren.

    ZEIT: Der britische Prionenexperte John Collinge fand heraus, dass vCJD-Patienten häufig ein bestimmtes Gen fehlt, das im Immunsystem eine Rolle spielt. Arbeiten auch Sie daran?

    Aguzzi: Es sieht so aus, als ob dieses Gen vor einer Infektion schützt, wenn auch nur sehr schwach. Die vCJD scheint überhaupt eng mit Immunsystem verknüpft zu sein. Wie das Genprodukt wirkt und ob es einen therapeutischen Nutzen hat, steht noch in den Sternen. Von Bedeutung ist aber die Erkenntnis, dass es einen Zusammenhang außerhalb des eigentlichen Priongens gibt. Dass also auch andere Faktoren außer dem Prionprotein eine Rolle bei der Erkrankung spielen. In Deutschland untersuchen wir gerade, was passiert, wenn Affen mit BSE-verseuchter Nahrung gefüttert werden. Das wird uns weiterhelfen.

    ZEIT: Was bringen weitere Versuche an Affen? Mäuse und Ratten testen Sie doch bereits.

    Aguzzi: Natürlich wecken Versuche mit Primaten ethische Bedenken. Notwendig sind sie trotzdessen. An Hamstern oder Mäuse lässt sich nicht untersuchen, welche Gefahr von Operationsbesteck ausgeht, mit dem vorher ein vCJD- Patient behandelt wurde. Das ist aber enorm wichtig für die Sterilisationsverfahren in Krankenhäusern. Auch eine mögliche Übertragung durch Bluttransfusionen können wir besser am Affen testen, weil sein Stoffwechsel unserem weitgehend entspricht. Ich bedauere, dass man nicht bereits früher an diese Versuche dachte. Dann müssten uns diese Fragen nicht erst zu einem Zeitpunkt stellen, der vermutlich für Großbritannien, und möglicherweise auch für Festland-Europa, zu spät ist.



    Rindfleischerzeuger stehen wegen BSE vor dem Ruin

    Aus:
    Yahoo-News, 16. Dezember 2001, 16.41 Uhr (Politik). [Original]

    HANNOVER. Gut ein Jahr nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland stehen die Rindfleischerzeuger nach Angaben des niedersächsischen Landvolk-Präsidenten Wilhelm Niemeyer vor dem Ruin. "Die reinen Rindfleischerzeuger wissen nicht mehr ein noch aus, sie verdienen gar nichts mehr", sagte Niemeyer in Hannover. "Sie sind die großen Verlierer von BSE." Zwar seien die Rindfleisch- Preise in den Geschäften um bis zu 10 % gestiegen. Trotzdem erzielten die Landwirte pro Tier etwa 350 Mark (179 Euro) weniger als vor der BSE-Krise.

    "Die Ausbeute eines Tieres ist heute wesentlich geringer als früher", sagte Niemeyer. Aus Sicherheitsgründen würden viele Teile eines Rindes, die früher verzehrt wurden, vernichtet. "Die Bauern sind das schwächste Glied in der Kette."

    Bundesweit sei der Landwirtschaft durch den Rinderwahnsinn BSE ein Schaden von etwa 2 Milliarden DM entstanden. "Die Bundesregierung muss nun alles dafür tun, dass sämtliche Exportventile geöffnet werden, damit Fleisch ins Ausland verkauft werden kann", forderte Niemeyer. In europäischen Kühlhäusern lagerten zur Zeit 900.000 Tiere. Kritik übte er an der Bundesregierung. Während und nach der BSE-Krise habe kein anderes Mitgliedsland der Europäischen Union die Landwirte derart "im Regen stehen lassen" wie Deutschland.

    Das Kaufverhalten der Verbraucher habe sich inzwischen jedoch wieder normalisiert. "Im Vergleich zum Rindfleisch-Verzehr vor BSE liegen wir bei 90 %", sagte der Landvolk- Präsident. "Alle, die Panikmache betrieben haben, sind eines Besseren belehrt worden." Die 100 % seien noch nicht erreicht, weil einige Wurstfabrikanten ihre Rezepturen noch nicht wieder umgestellt hätten.



    Der alltägliche Rinderwahnsinn

    Experten rechnen für die nächsten Jahre eher mit steigenden BSE-Zahlen – trotz Tiermehlverbot

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 4. Januar 2002, Seite 24 (Wissen + Forschen) von HARTMUT WEWETZER. [Original]

    Insgesamt 133 BSE-Fälle gibt es nun in Deutschland. Die letzten ereigneten sich in Brandenburg, Schleswig- Holstein und Baden- Württemberg. Aber anders als noch vor anderthalb Jahren erregt die tödliche Rinderkrankheit kaum noch Aufsehen. Der Verbraucher hat sich offenbar an den Rinderwahnsinn gewöhnt. "Wir haben BSE im Land", stellt Michael Baier vom Robert-Koch- Institut in Berlin lakonisch fest, "und wir werden noch in den nächsten vier bis fünf Jahren mit einer steigenden Zahl von BSE-Fällen rechnen müssen."

    Rinder stecken sich nicht untereinander mit BSE an, sie nehmen den Erreger mit der Nahrung auf. Als verdächtige Infektionsquelle für die deutschen Rinder gilt dabei Milchaustauscher. Er wurde Kälbern als Milchersatz gegeben und aus Schlachtabfall gewonnen, der offenbar erregerhaltig war. Eine andere Möglichkeit ist infektiöses Tiermehl. Das durfte zwar in Deutschland nie an Wiederkäuer verfüttert werden, kann aber durch verunreinigtes pflanzliches Kraftfutter – es wird in den gleichen Anlagen wie Tiermehl hergestellt – oder durch illegale Verfütterung die Rinder erreicht haben.

    Erst Ende 2000 hat Deutschland Tiermehl für die Fütterung verboten (Ausnahme ist Fischmehl für Fische). Da es 4 bis 5 Jahre dauert, bis BSE ausbricht, erklärt sich daraus die Befürchtung des BSE- Experten Baier: Bis zum Jahr 2005 steigende Fallzahlen, dann allmählicher Rückgang, weil ab 2000 hoffentlich keine Tiere mehr durch Tiermehl infiziert wurden.

    Das Beispiel Großbritannien zeigt, dass ein rigoroses Tiermehl- Verbot eine scharfe Waffe im Kampf gegen BSE ist. Seit August 1996 ist Tiermehl in Großbritannien verboten. Danach sind lediglich vier Kälber zur Welt gekommen, die noch BSE- positiv waren – bei insgesamt mehr als 180.000 BSE- Fällen seit 1986. 2001 gab es nach bisherigen Angaben noch rund 700 Fälle.

    Die entscheidende Frage ist, wie gefährlich BSE für den Menschen ist. Bislang wurden in Großbritannien rund 100 Menschen Opfer der neuen Variante der Creutzfeldt- Jakob- Krankheit [vCJK oder nvCJD], die als "menschliches BSE" gilt. BSE wie vCJK sind tödlich und machen aus dem Gehirn einen löcheriges, schwammartiges Gebilde. Beide Infektionen sind schleichend, und es dauert Jahre, bis es zu ersten Krankheitszeichen kommt. Da die Erkrankungen an vCJK aber nicht deutlich zunehmen, schöpfen Seuchenforscher Hoffnung und rücken allmählich von Hochrechnungen mit Zehntausenden von Opfern ab.

    "Bislang fehlt es an einer verlässlichen Datenbasis, um solide Vorhersagen abgeben zu können", sagt Michael Baier vom Robert-Koch-Institut. "Aber wenn etwa eine Progose zutrifft, nach der es 150.000 Opfer durch vCJK geben soll, dann müsste es ja so langsam mit der Epidemie losgehen."

    Wie sicher ist deutsches Rindfleisch? Tiermehl- Verbot, BSE- Tests (bei Tieren, die älter als zwei Jahre sind) und die Nichtverwendung von Risikomaterial wie Hirn, Rückenmark, Augen und Dünndarm haben Rindfleisch sicherer gemacht. Aber ein Restrisiko bleibt. Dabei gelten Muskelfleisch – wie in Steaks – und Milch als sicher.

    Keine Hinweise auf ein BSE-Risiko gibt es bei Schwein, Geflügel und Fisch. Noch ungeklärt ist dagegen die Frage, ob Schafe an BSE erkranken können. Sie werden von einer für den Menschen wohl ungefährlichen Variante des Hirnschwamms, der Traber- Krankheit (Scrapie), befallen. Scrapie ist möglicherweise der Vorläufer von BSE. Er könnte auf die Rinder übergegangen und dabei "scharf gemacht" worden sein.

    Englische Forscher, die aufwändige Untersuchungen an vermeintlichem Schafsgewebe vornahmen, stellten am Ende fest, dass sie sich vertan hatten: Das angeblich BSE-haltige Schafshirn erwies sich als Rinderhirn. "Wenn BSE sich bei Schafen verhält wie Scrapie, wäre das sehr unangenehm", sagt Baier. "Denn Scrapie kommt immer wieder bei den Tieren vor, auch ohne Tiermehl." Die Hoffnungsformel "Kein Tiermehl – kein BSE" würde nicht mehr aufgehen. Allerdings haben Schafe weniger Tiermehl als Rinder bekommen.

    "Wir haben in Sachen BSE-Sicherheit bereits eine Menge erreicht", sagt Dieter Arnold, Direktor des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin in Berlin. Allerdings gibt es aus dem Bundesinstitut auch Kritik. So fordern die Verbraucherschützer, dass nicht nur das nachweislich erregerhaltige Rückenmark, sondern die gesamte Wirbelsäule als Risikomaterial anzusehen ist. Denn beim Zerlegen des Rindes wird die Wirbelsäule in zwei Hälften gespalten. Dabei kann der Erreger aus dem Rückenmark freigesetzt werden und das Fleisch gesunder Tiere verunreinigen. Besser wäre es, die Wirbelsäule nicht zu spalten.

    Außerdem sprechen die Fachleute des Bundesinstituts sich dafür aus, Herz und Lunge bolzenschussbetäubter Rinder nicht zu verwerten. Denn der Metallbolzen dringt in das Gehirn ein, so dass Teile des womöglich befallenen Gehirns über den Blutkreislauf in Lunge und Herz gelangen können.

    Schließlich gilt die Bezeichnung "Risikomaterial" nur für Rinder, die älter als ein Jahr sind. Das Bundesinstitut möchte diese Alterseinschränkung aufgeben, ist dabei aber in der EU nicht auf Gegenliebe gestoßen. Wer will, kann also noch immer Kalbshirn essen. Wohl bekomm's.

    [Kunden lassen sich vom Rinderwahn nicht mehr verrückt machen]
    [Entwarnung für den Hof in Oberhavel]
    [Fleischer-Kunden bleiben gelassen]
    [Neuland behält viele Neukunden]
    [Wirte servieren wieder Rind]



    B S E - T E S T S

    Künast befürchtet Schlamperei und Betrug

    Verbraucherschutzministerin Künast will Labors für BSE-Tests kontrollieren. Hintergrund sind Ermittlungen gegen ein Passauer Unternehmen, das bei Tests geschlampt haben soll.

    Aus:
    Der Spiegel – 7/2002, 14. Januar 2002, Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    BERLIN/MÜNCHEN. Ihr Ministerium werde bei allen Länderministern konkret hinterfragen, wie Testlabors geprüft werden, sagte Renate Künast. Sie werde prüfen, ob die Länder ihrer gesetzlichen Pflicht auch nachkommen. "Offensichtlich haben hier einige auf Kosten der Bauern eine Finanzquelle entdeckt", sagte die Verbraucherschutzministerin (Bündnis 90/Grüne). BSE-Tests seien "finanziell zu lukrativ". Offensichtlich entwickele sich "ein Feld für neue Straftaten".

    Die bayerische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ein Laborunternehmen in Passau. Dieses hatte rund 40.000 BSE-Tests bei einer nicht zugelassenen Zweigstelle durchführen lassen. Dabei waren in 270 Fällen nicht eindeutig geklärt worden, ob die Schlachtrinder mit BSE infiziert waren.

    Künast forderte Bayern auf, nicht zugelassene Testlabors zu schließen und die zertifizierten Labors zu prüfen. Das Land bewege sich auf "sehr gefährlichem Terrain". Der Freistaat habe bereits die Hälfte aller BSE-positiven Tests. Er solle nicht noch dadurch bekannt werden, dass ein großer Teil seiner Tests möglicherweise nicht funktioniere.

    „Alles schief gelaufen“

    Der bayerische Verbraucherminister Eberhard Sinner (CSU) teilte mit, in Bayern würden nun alle Labors überprüft, die BSE-Tests machten. Der Minister sagte, in dem betroffenen Labor im fränkischen Westheim seien 30 zunächst positiv befundene Tests nicht den Behörden gemeldet worden. Sie seien in der Wiederholung dann negativ gewesen.

    Bei 131 Proben sei "alles schief gelaufen", die Proben seien dennoch für negativ erklärt worden. Wie aus den beschlagnahmten Testunterlagen hervorgehe, seien 90 Proben überhaupt nicht untersucht worden. Eine Probe, die als nicht untersuchbar eingestuft worden war, sei einfach als BSE-negativ deklariert worden.

    Unsicher, ob BSE-infiziertes Fleisch in den Handel kam

    Der Verdacht gehe "bis hin zum Subventionsbetrug", sagte Sinner. Dem Labor wurde am Wochenende der Betrieb untersagt.

    Es sei nicht sicher, dass als Folge der unsachgemäßen Tests wirklich BSE-infiziertes Fleisch in den Handel gelangt sei, sagte ein Sprecher des bayerischen Verbraucherministeriums. Er verwies darauf, dass als zusätzliche Schutzmaßnahmen die Schlachtmethoden verbessert worden seien und BSE- Risikomaterial wie Hirn und Rückenmark entfernt werden müsse. [mehr]

    [12.01.2002: Ein Jahr Künast: Nimbus verbraucht]
    [13.01.2002: Dicke Kriterien für ein Amt]
    [13.01.2002: Landwirtschaft: Künast in der Klemme]
    [25.01.2002: Verbraucher-Informationsgesetz: Künast gibt dem Druck der Industrie nach]
    [06.02.2002: BSE-Test-Panne: Künast fordert Schadenersatz von Bayern]



    B S E - T E S T S

    Pfusch aus Profitgier?

    Fahnder haben gefährliche Schlampereien in Labors entdeckt. Für ein paar Euro riskieren Unternehmer offensichtlich die Gesundheit der Fleischkonsumenten.

    Aus:
    Der Spiegel – 7/2002, 9. Februar 2002, Seite 38 (Deutschland). [Original]

    Jeder hatte ihm von diesem Schritt abgeraten: weil so etwas doch nur Ärger einbringe, weil man Kollegen nicht anschwärze und weil er sich auch selbst belaste. Dennoch setzte sich ein ehemaliger Laborleiter aus München am 17. Januar an den Computer, um einen bedrohlichen Missstand aufzudecken.

    In einem Fax an die Staatsanwaltschaft Kempten, die bereits Unregelmäßigkeiten bei BSE- Tests bearbeitete, beschrieb der Mann die "katastrophalen Zustände" in BSE- Testlabors, in denen er gearbeitet hatte. In einem Institut, so der 45-Jährige, würden Einwegspritzen zur Entnahme von Hirnmasse aus Kostengründen wieder verwendet, positive Testergebnisse nicht ordnungsgemäß gemeldet, Flüssigabfälle ungefiltert ins Abwasser gespült.

    Wenige Tage später durchsuchte das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) ein Münchner und ein Nürnberger Labor der Firma Diagnostic- Lab. "Wer einige Labors von innen kennt", hatte der Tippgeber den Staatsanwälten gesagt, "der kann derzeit ruhigen Gewissens kein Rindfleisch essen."

    Seit Januar 2001 muss das Hirn jedes über zwei Jahre alten Rindes in Deutschland auf BSE getestet werden – eine Folge des Fleischskandals in den Monaten zuvor. Jetzt zeigen mehrere Fälle von Schlamperei, dass es die von Politikern versprochene Sicherheit nicht gibt, weil private Labors, offensichtlich aus Profitgier, pfuschen.

    Schlimm trifft es Bayern. Denn noch bevor die Diagnostic-Labors gefilzt wurden, hatten Behörden bereits ein nicht zugelassenes Labor der Passauer Firma Milan geschlossen – mit jährlich über 350.000 Tests von Rinderhirnen einer der größten Anbieter der Branche. Ein Teil des von Milan getesteten Fleischs war längst über Ladentheken gegangen.

    Nach den üblen Nachrichten aus Bayern schauten andere Länder genauer hin – in Baden-Württemberg flog ein pfuschendes Labor auf, und Rheinland-Pfalz sperrte in der vergangenen Woche gleich zwei Privatlabors wegen diverser Unregelmäßigkeiten.

    Schuld ist eine Gemengelage aus Schlamperei, Geschäftemacherei und lascher Kontrollpraxis. Fachleute schütteln vor allem den Kopf über das Haus von Bayerns Verbraucherschutz- Minister Eberhard Sinner – seine Amtstierärzte hatten ein halbes Jahr lang nicht gemeldet, dass in einem nicht zugelassenen Labor Proben getestet worden waren. Ob aus Versehen oder bewusst, das prüft nun die Kripo.

    Auch in München und Nürnberg funktionierte die Kontrolle offensichtlich nicht. Dort inspizierten Sinners Emissäre zwar die Laborräume, Mängel entdeckten sie offenbar nicht. In einem internen "Besuchsprotokoll" vom September 2001 zählte eine Mitarbeiterin der Münchner Firmenzentrale dagegen schwere Mängel auf: "Die Zentrifugen sind dreckig", vorgeschriebene Testzeiten würden nicht eingehalten, und die Laborleitung habe "Wissensdefizite".

    Bei positiven Ergebnissen im Münchner Diagnostic- Labor, teilte der ehemalige Mitarbeiter dem LKA zudem mit, sei nicht unverzüglich das Landesuntersuchungsamt eingeschaltet worden – so wie das die Vorschriften verlangen. Auch seien in Nürnberg mehrere hundert Tests als negativ deklariert worden, obwohl die Testergebnisse eigentlich ungültig gewesen seien. Diagnostic- Lab bestreitet alle Vorwürfe – man habe sich stets an die Vorschriften des Staatsministeriums und des Test- Herstellers gehalten, dem Laborchef sei von den Behörden ein "zuverlässiges Management attestiert worden".

    Renate Künast (Grüne), Bundesministerin für Verbraucherschutz, schimpft nun, es gebe vor allem dort Lücken im System, wo die BSE-Tester unter "Zeit- und Preisdruck" stehen. Sie will jetzt präzise "Leitlinien für BSE- Tests" durchsetzen und die Länder drängen, das Kontrollpersonal zu verstärken. Außerdem fühlte sich die Ministerin von ihrem bayerischen Kollegen wochenlang hingehalten, weil Sinner nicht preisgab, wohin die 39.000 nicht ordnungsgemäß getesteten Rinder geliefert worden waren. Nun soll Bayern für den Schaden aufkommen, der durch die Rückrufaktion entsteht.

    Bayern wird jetzt zum Verhängnis, dass es fast ausnahmslos in privaten Labors testen lässt. Denn unter dem Druck der Fleischindustrie, billig und schnell zu testen, leidet offenbar die Analysequalität. Nur etwas über 20 Euro nahm das Münchner Diagnostic- Labor von Schlachtern für das Testen eines Rinderhirns. Zum Vergleich: Staatliche Tests in Niedersachsen kosten die Metzger 25 bis 26 Euro.

    Mindestens 14 Euro müssen die Labors an den Hersteller der Testmaterialien bezahlen, dazu kommt Geld für Personal und Sachmittel, für Transport, Dokumentation und Entsorgung. "Und wer permanent die Kosten drückt", sagt der ehemalige Laborleiter, "der missachtet die Qualität der Proben." [mehr]

    16.2.2002 (bse-p). Die unglaubliche Test-Schlamperei zeigt Folgen. Denn immer wieder wurden in den letzten Tagen neue Fehler bei den BSE- Tests in Deutschland bekannt. So hat die Hamburger-Kette McDonald's jetzt Teile des eigenen Rindfleischlagers gesperrt und in manchen Restaurants den Verkauf von Burgern mit Rindfleisch gestoppt. [mehr]



    Künast will Länder für fehlerhafte BSE-Tests haftbar machen

    Aus:
    Yahoo-News, 20. Februar 2002, 15.04 Uhr (Politik). [Original]

    BERLIN. Im Skandal um fehlerhafte BSE-Tests will Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) die drohenden EU- Rückforderungen in Millionenhöhe auf die betroffenen Bundesländer abwälzen. Haftbar würden vor allem Baden-Württemberg und Bayern gemacht, sagte eine Sprecherin Künasts am Mittwoch in Berlin.

    Nach einer Prüfung durch mehrere europäische Referenzlabors blieben nach ersten groben Schätzungen in Bayern etwa 20.000 BSE- Tests und in Baden- Württemberg 10.000 Tests ungültig. Die Gesamtsumme der fehlerhaften Tests auch in Rheinland- Pfalz und Bremen muss anhand der Länderberichte noch ermittelt werden.

    Nach vorliegenden Zahlen aus zwei Bundesländern müsste das Fleisch von etwa 30.000 Rindern zurückgerufen werden. Jedoch sei ein Teil bereits in den Handel gelangt und verzehrt worden, sagte die Sprecherin. Nur das noch in Kühlhäusern gelagerte Fleisch könne sichergestellt werden. Bisher sind infolge der mangelhaften Tests mehr als 2.600 Tonnen Rindfleisch beschlagnahmt worden. Bei den als unsicher eingestuften Tests hätten die Labors auf die obligatorische Vergleichsproben verzichtet, sagte die Sprecherin.

    Die EU hatte Deutschland wegen der Schlampereien bei den BSE-Tests mit Rückforderungen gedroht. Diese werden nach Angaben der Künast- Sprecherin «eindeutig an die Länder durchgeleitet», in denen mangelhaft getestet wurde. Grund dafür sei, dass die Kontrolle der Testlabors den Ländern obliegt.

    Mit der Höhe der Rückforderungen beschäftigt sich der Ständige EU-Veterinärausschuss. Auf dem Prüfstand stehen die EU-Zuschüsse für jeden BSE-Test in Höhe von 15 Euro (29 Mark). Bei 30.000 fehlerhaften Tests kommen allein in diesem Bereich 450 000 Euro zusammen. Hinzu kommen EU-Zahlungen an Deutschland für das Ankaufprogramm für ältere, auf BSE getestete Rinder sowie Exporterstattungen für Ausfuhren in Drittländer. [mehr]



    Schlampereien bei Tier-Datenbank

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 23. Februar 2002, 10.30 Uhr zum Artikel "BSE-Kontrollen: Schlampereien bei Tierdatenbank" im SPIEGEL – 9/2002, 25. Februar 2002, Seite 17 (Panorama Deutschland).

    HAMBURG. Die zentrale Tierdatenbank HIT, die im September 1999 auf EU-Geheiß eingeführt worden war, weist gravierende Löcher auf, so das Nachrichten- Magazin Der Spiegel in der neuen Ausgabe. Zur Vorbeugung gegen BSE müssen die Daten aller Rinder in Deutschland an die HIT in München gemeldet werden, um den Lebensweg jedes Tieres von der Geburt bis zur Schlachtung verfolgen zu können. Mit dieser Maßnahme sollte die "Qualität des Rindfleisches" und die Sicherheit des Verbrauchers vor BSE- verseuchtem Fleisch gestärkt werden. Bisher jedoch funktionieren weder Erfassung und Auswertung noch die Kontrolle der Betriebe. So tauchten in Thüringen allein bei einem einzigen Viehhändler innerhalb von zweieinhalb Jahren über 8.000 Tiere auf, die nicht ordnungsgemäß mit Ohrmarken versehen worden waren.

    Besonders in Bayern gibt es erhebliche Probleme in der Zusammenarbeit zwischen staatlichen Veterinärämtern und privaten Einrichtungen, denen Verbraucherminister Eberhard Sinner (CSU) die Rinderkontrolle übertragen hatte. So waren Tiere auf anderen Höfen gemeldet als angegeben; manche Rinder waren laut Computerauskunft bereits geschlachtet worden, obwohl sie noch lebten. Bei einem Kontrollbesuch stellten EU-Prüfer zudem fest, dass mehr als 50 Tiere des Stalls überhaupt keine Marken hatten.

    In dieser Woche reisen erneut EU-Gesandte nach Bayern, um die Beseitigung mehrmals monierter Missstände zu überprüfen. Negativ aufgefallen war vor allem, dass die vorgeschriebene Anzahl von Kontrollen weit unterschritten wird. Sollten die Mängel nicht umgehend abgestellt werden, muss Deutschland Subventionskürzungen der EU in Millionenhöhe fürchten. Verbraucherministerin Renate Künast (Bündnis 90/Grüne) hat deshalb ihre Kollegen in den Ländern schriftlich eindringlich ermahnt, sich stärker um die Kontrolle der Rinderregistrierung zu kümmern.



    Chronologie des staatlichen Bio-Siegels

    Aus:
    Stiftung Ökologie & Landbau, Bad Dürkheim, 15. März 2002 (Homepage). [Original]

    Mai 2001 — Diskussion um den Standard eines staatlichen Ökozeichens

    Im Mai 2001 wurden die Standards für das von Verbraucherschutzministerin Künast geplante staatliche Ökozeichen diskutiert. Die ÖPZ- GMbH hat die Argumente der Befürworter eines Siegels auf Niveau der EU-Verordnung Ökolandbau und die der Befürworter eines höheren Niveaus in einer Tabelle zusammengefasst. Diese Tabelle sowie weitere aktuelle Diskussionsbeiträge zum Thema sind hier abrufbar:


    21. Mai 2001 — BMVEL: Künast legt Konzept für gesetzliches Öko-Zeichen vor: EU-Ökoverordnung ist Standard

    Am 21.5.2001 legte Verbraucherschutzministerin Renate Künast ein Konzept für gesetzliches Öko- Zeichen vor. Beteiligte des Lebensmittelhandels, Bioverbände, der Bauernverband und die Politik verständigten sich auf ein einheitliches deutsches Ökosiegel nach den Kriterien der EU-Ökoverordnung. Jetzt soll eine Grafik für das Siegel erarbeitet und öffentlich gemacht werden. Dann kann das Siegel verwendet werden – zunächst auf freiwilliger Basis, eine gesetzliche Absicherung wird auf den Weg gebracht. Die von den Bundesländern zugelassenen Kontrollstellen werden die Einhaltung der Kriterien sicherstellen, so das BMVEL in seiner Pressemeldung. Die BMVEL Pressemeldung und der Hintergrundtext: "Künast entscheidet sich für EU-Ökoverordnung als Standard für das Ökozeichen" sind als PDF-Dokumente abrufbar.

    "Die Entscheidung, diesem Vorschlag nicht zu folgen, sondern auf ein staatliches Label zu setzen, muß die AGÖL akzeptieren," erklärte der Vorsitzende der AGÖL, Dr. Felix Prinz zu Löwenstein. "Wir freuen uns aber durchgesetzt zu haben, dass wir zusammen mit Renate Künast die Initiative in Brüssel ergreifen können, um eine Verbesserung der gesetzlichen Standards zu erreichen. Sollte das allerdings bis 2003 nicht gelingen, werden wir die Ministerin beim Wort nehmen und auf einer Erhöhung der Standards für das deutsche Öko- Zeichen bestehen."

    Weitere Stimmen zum staatlichen Zeichen:

    Das Ökoprüfzeichen

    Das Öko-Prüfzeichen wurde 1999 von AGÖL und CMA auf den Weg gebracht. Als verbandsübergreifendes Zeichen lobt es solche Produkte aus, die den gesetzlichen Standard, also die EU-Verordnung über den ökologischen Landbau sowie zusätzlich die Rahmenrichtlinien der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau (AGÖL) erfüllen. Diese Richtlinien gehen zum Teil über den gesetzlichen Standard hinaus.


    5. September 2001: Staatliches Biosiegel vorgelegt

    Bio-Siegel Das von Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast initiierte und von einer großen Allianz aus Handel, Verbänden und Politik letzten Mai vereinbarte Bio- Siegel für Produkte des ökologischen Landbaus wurde am 5.9.2001 der Öffentlichkeit vorgestellt. Markenrechtlich bereits abgesichert, kann es von allen Erzeugern, Verarbeitern und dem Handel zur Kennzeichnung von Lebensmitteln genutzt werden, die nach den streng kontrollierten Standards der EG-Öko- Verordnung produziert werden.

    Am 5.9.2001 erfolgte ebenfalls die gesetzliche Absicherung des Bio-Siegels durch das Bundeskabinett. Bis Ende 2001 wird das weitere Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein. Die notwendige Durchführungsverordnung wird ebenfalls auf den Weg gebracht.

    Für die interessierten Marktteilnehmer hat Künast die Informationsstelle Bio-Siegel bei der Öko- Prüfzeichen GmbH, Rochusstraße 2, 53123 Bonn, einrichten lassen. Sie soll dafür sorgen, dass die Markteinführung des Bio-Siegels schnell und unbürokratisch organisiert werden kann.

    Näheres / Stellungnahmen:



    P R I O N E N - K R A N K H E I T E N

    Eine kritische Analyse des BSE-Wahnsinns

    1996 erschien in der renommierten Fachzeitschrift Nature die maßgebliche epidemiologische Arbeit über BSE. Die Autoren schätzten, daß bis zum Jahr 1994 etwa 750.000 Rinder mit BSE in die Nahrungskette in Großbritannien gelangt seien. Demnach müßten Millionen von Briten kontaminiertes Fleisch verzehrt haben. 1995 erschien der erste Bericht über eine neue Form der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (vCJD) bei jungen Patienten. Man vermutete einen Zusammenhang. Wegen des Verdachts, daß die Verwendung von Tiermehl zum Ausbruch von BSE bei Rindern geführt hatte, war die Tiermehlfütterung bereits 1988 verboten worden. Die Zahl der BSE-Neuerkrankungen sank bald darauf in Großbritannien; seit 1993 bewegt sich die Statistik kontinuierlich nach unten. Die Epidemie dürfte in den nächsten Jahren beendet sein.

    Aus:
    Pharamazeutischen Zeitung – 12/2002, 19. März 2002, Seite xx (xxx) von SUCHARIT BHAKDI und JÜRGEN BOHL, Uni Mainz. [Original]

    Vor einem Jahr traten erste BSE-Fälle in Deutschland auf; die Gesamtzahl der registrierten Erkrankungen liegt gegenwärtig bei etwa 100. Voller Panik wurden Maßnahmen in gigantischem Ausmaß ergriffen. Diese reichten von der Tötung von hunderttausend symptomlosen Tieren über die gesetzliche Einführung von BSE-Nachweistests bei Rindern bis hin zur Ausschreibung von teuren Sonderprogrammen zur Erforschung von BSE und Prionenkrankheiten. Die Kosten, die durch die BSE-Krise entstanden sind, haben allein in Deutschland die Milliardengrenze längst überschritten. Sie tragen wesentlich zur Belastung der europäischen und der deutschen Wirtschaft bei.

    Ein Ende der Maßnahmen ist nicht in Sicht, denn Gesellschaft, Politik und Ärzteschaft sind erheblich verunsichert. So wird beispielsweise über die europaweite Einführung eines Gesetzes diskutiert, das den Gebrauch von Einmal-Instrumenten bei bestimmten operativen Eingriffen, insbesondere bei Tonsillektomien, vorsieht. Ein gesetzlicher Beschluss über die Erhöhung der Betriebstemperatur von Autoklaven auf 134 °C steht möglicherweise bevor. Dass solche und andere Maßnahmen weitere immense Kosten verursachen werden und unser ohnehin kränkelndes Gesundheitssystem zusätzlich belasten, ist offenkundig. Nachdem Politik, Gesellschaft, aber auch die Wissenschaftler selbst diese Situation heraufbeschworen haben, sollte man eine Auszeit nehmen, um über Sinn und Unsinn unserer Handlungsweisen zu reflektieren.

    Die Prionen-Saga: CJD, ...

    In den zwanziger Jahren beschrieben die beiden Neurologen Hans-Gerhard Creutzfeldt und Alfons Jakob die Creutzfeldt- Jakob- Erkrankung (CJD). Kennzeichnend ist die Entwicklung einer raschen, unaufhaltsamen Demenz, die in der Regel innerhalb von ein bis zwei Jahren tödlich endet. Die Erkrankung tritt in zwei Formen auf: sporadisch mit einer weltweiten Inzidenz von etwa 1 zu 1 Million (in Deutschland gibt es demnach 60 bis 80 Fälle pro Jahr) und familiär gehäuft. In solchen Familien sterben bis zu 40 Prozent der Familienmitglieder an der Erkrankung. Sowohl die spontane wie auch die familiäre CJD beginnt im mittleren Lebensalter (in der Regel bei Patienten über 50 Jahren). Die CJD galt Jahrzehnte lang als nicht infektiös. Epidemische Ausbrüche gab es nie – mit einer einzigen Ausnahme.

    ... Kuru und Scrapie

    In den dreißiger und vierziger Jahren grassierte auf Neu-Guinea eine einzigartige Epidemie von CJD, wobei erstmals junge Erwachsene und Kinder betroffen waren. Tausende Bewohner starben. Man stand vor einem Rätsel: Wie konnte sich das für die Erkrankung wohl verantwortliche CJD-Gen in so kurzer Zeit in der Bevölkerung ausbreiten?

    Der amerikanische Neuropathologe Gajdusek ging den Ursachen des epidemischen Auftritts von CJD, in Neu-Guinea Kuru genannt, auf den Grund. Für seine Entdeckungen erhielt er 1976 den Nobelpreis. Gajdusek wies den Zusammenhang zwischen dem Ausbruch von Kuru und kannibalistischen Ritualen nach. In den Gehirnen der verstorbenen Patienten entdeckte er typische pathologische Veränderungen. Das schaumige Aussehen von sterbenden Nervenzellen führte zur Bezeichnung "spongiforme Enzephalopathie" (schwammartige Enzephalopathie). Gajdusek konnte außerdem durch eine Spezialfärbung präzipitiertes Material in den Gehirnschnitten nachweisen.

    Die epochale Entdeckung bestand darin, dass Gajdusek die Infektiosität des Kuru-Agens nachwies. Die Injektion von pathologisch verändertem Gewebe ins Gehirn von Schimpansen erzeugte CJD in den Versuchstieren. Der Forscher schloss daraus, dass Kuru eine Infektion sei, bei der sich das Agens im Hirngewebe befand. Durch die kannibalistischen Rituale wurde es über den Magen-Darmtrakt aufgenommen und gelangte ins Gehirn. Seine Entdeckung wies darauf hin, dass eine bislang als genetisch bedingt angesehene Krankheit zugleich infektiös sein könnte. Dies war in der Biomedizin bislang undenkbar: Infektiöse Gene gab und gibt es nicht.

    Der britische Wissenschaftler Hadlow wies bereits zu Beginn der Prionen-Saga auf Ähnlichkeiten zwischen Kuru und Scrapie hin. Scrapie ist die Manifestation einer CJD-ähnlichen Krankheit bei Schafen und seit 250 Jahren bei Schafzüchtern bekannt. Weltweit gibt es Hunderttausende von Scrapie-Fälle. Die Ausweitung wird verhindert, indem erkrankte und verendete Tiere ausgesondert werden, so dass ihre Reste nicht in den Boden gelangen, wo gesunde Tiere weiden. Eine Übertragung auf den Menschen ist bislang nicht wissenschaftlich dokumentiert. Jedoch besagt eine Bauernweisheit, dass erkrankte Tiere nicht verzehrt werden sollen. Die Verfasser vermuten, dass die Übertragung von Scrapie auf den Menschen in frühen Zeiten vorgekommen ist und deshalb diese einfache, jedoch sehr effektive Bauernregel entstand.

    Die Natur des infektiösen Kuru-Agens

    Gajdusek stellte fest, dass das Kuru-Agens sehr klein und gegen Umwelteinflüsse ungewöhnlich resistent ist. Nukleinsäuren konnten nicht nachgewiesen werden. Ein solches Agens – nicht Bakterium, nicht Virus – hatte es noch nie zuvor gegeben. Woraus bestand der geheimnisvolle Erreger?

    Die bahnbrechenden Arbeiten des amerikanischen Wissenschaftlers Stanley Prusiner führten zum heute breit akzeptierten Prionen-Konzept, für das er 1997 den Nobelpreis erhielt. Prusiner nahm zuerst die Aufreinigung des Kuru-Agens aus Hirngewebe in Angriff. Nach jahrelangen Arbeiten wies er nach, dass das Agens aus einem einzigen präzipitierten (unlöslichen) Protein bestand. Die Injektion des aufgereinigten Proteins in viele Versuchstierarten rief die Erkrankung hervor. Prusiner verlieh dem infektiösen Agens den Namen "Prion" (infectious proteinaceous particle).

    Der nächste große Schritt war die Identifizierung des Gens, das für das Prionprotein kodiert. Dies gelang Prusiner und dem Schweizer Wissenschaftler Charles Weissmann 1985. Zur Verblüffung aller stellte sich heraus, dass das Prionprotein von einem Gen kodiert wird, das bei allen Menschen (und wohl auch bei allen Säugetieren) vorhanden ist. Das Prionprotein kommt in bedeutenden Mengen in der Membran von Nervenzellen vor. Warum erkranken wir dann so selten an der CJD? Um diese Frage zu beantworten, besann sich Prusiner auf die Familien, in denen die CJD-Erkrankung häufig auftrat. Bei genetischen Analysen wurde er fündig: Die Prion-Gene wiesen Punktmutationen auf, die zum Austausch von einzelnen Aminosäuren in der Proteinsequenz führte. Dies war die Geburtsstunde seiner Prionenhypothese.

    Sensationell: die Prionen-Hypothese

    Das Prionenkonzept besagt, dass bestimmte Eiweiße (Prionen) infektiös sein können. Gelangen sie in die empfänglichen Organe, so wird die Krankheit ausgelöst. Bei CJD und Kuru ist das Gehirn betroffen.

    Das CJD-Prion existiert in zwei Formen: die normale, harmlose, nicht infektiöse Form (PrPc) und eine veränderte, gefährliche und infektiöse Form (PrPsc). Die gefährliche Struktur entsteht normalerweise spontan aus der intakten Form. Dann überführt sie das umliegende, normale Prionprotein in die krankhafte Konformation. Diese sammelt sich an, fällt aus und lagert sich als unlösliches Material ab.

    Zur Veranschaulichung: Prionproteine stehen aufrecht – wie Bäume "gepflanzt" – in der Membran von Nervenzellen. An bestimmten Stellen neigen die Bäume von Natur aus dazu umzuknicken. Dadurch fällt ein Baum gegen den nächsten und bringt ihn zu Fall. Ein Dominoeffekt folgt, und die umliegenden Bäume stürzen um. Voraussetzung ist, dass die Bäume grundsätzlich gleiche Gestalt haben und sich aneinander schmiegen können. Ein Prionprotein X kann also kein Prionprotein Y zum Umkippen bringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass im Laufe des Lebens eines Menschen ein "Baum" von selbst umknickt, ist extrem gering, nämlich etwa 1 zu 1 Million – daher das seltene Vorkommen der sporadischen CJD. Bei der familiären Form sind die Prion-"Bäume" jedoch fehlerhaft und knicken leichter um.

    Die CJD kann somit als eine Art Infektion innerhalb des erkrankten Individuums angesehen werden, wobei ein krankmachendes Agens von selbst entsteht und sich auf einzigartige Art und Weise ausbreitet, nämlich durch das Aufzwingen seiner Gestalt (Konformation) auf die gesunden Nachbarmoleküle. Gewöhnlich begrenzt sich der Krankheitsprozess auf den Patienten, denn die krankhaften Prionproteine können nicht ins Gehirn eines anderen Menschen gelangen. Geschieht dies ausnahmsweise – wie auf Neu-Guinea durch die kannibalistischen Rituale –, tritt die infektiöse Natur des Prions zutage. Ob es sich bei dem ersten auslösenden Fall um eine spontane oder familiäre CJD gehandelt hat, dürfte ohne Belang sein. Jede CJD ist potenziell infektiös.

    Bekanntlich gab es auch Fälle von iatrogener CJD. Insbesondere hat die Verwendung von Wachstumshormon aus menschlichen Hypophysen zu etwa 100 Erkrankungen geführt. Die Umstellung auf rekombinantes Wachstumshormon hat die Gefahr gebannt. Einige wenige Fälle von iatrogener CJD sind nach Dura-Transplantation (Hirnhaut-Übertragung) und neurochirurgischen Operationen bekannt geworden. Durch Ausschluss von Dura-Spendern mit Verdacht auf CJD und durch erhöhte Vorsichtsmaßnahmen bei der Handhabung von Instrumenten nach Operationen von CJD-Patienten konnten diese Übertragungswege ebenfalls unterbunden werden.

    Der experimentelle Beleg

    Mit seiner Prionenhypothese löste Prusiner eine hitzige Diskussion aus, denn sein Vorschlag war revolutionär: Seit der Entdeckung von Genen bestand das unumstößliche Gesetz, dass ein infektiöses Agens genetisches Material (Nukleinsäuren) besitzen müsse. Die Prionenhypothese dagegen schlug vor, dass ein pathologisch gestaltetes Eiweißmolekül durch bloßen Kontakt mit umliegenden Molekülen den krankmachenden Prozess in Gang setzt. Im Sinne einer Infektion kommt es dann zwar zur Vermehrung der pathologischen Substanz, jedoch wird kein fremdes genetisches Material vervielfältigt.

    Sollte die Prionenhypothese korrekt sein, so könnte eine Prionenkrankheit nicht entstehen, wenn das entsprechende Prionprotein fehlt. Der Molekularbiologe Weissmann entschloss sich in Zusammenarbeit mit Prusiner, eine Prion-knockout-Maus herzustellen. Zur Verblüffung aller züchteten sie nicht nur lebensfähige, sondern auch völlig gesunde, unauffällige Prionprotein-freie Mäuse. Warum Maus und Mensch das Protein überhaupt besitzen, ist bis heute unklar.

    Im entscheidenden Experiment wurden tödliche Dosen an infektiösen Prionen ins Gehirn der Knockout-Mäuse gespritzt. Sollte Prusiner recht haben, dürften diese Mäuse nicht erkranken, – denn wo im Wald keine Bäume sind, können auch keine umkippen. Alle Knockout-Mäuse blieben gesund, alle Kontrolltiere verstarben. In einem weiteren, sehr eleganten Versuch wurde ein Stück Gehirn von einer normalen Maus in das Gehirn einer Knockout-Maus verpflanzt. Dann wurden infektiöse Prionen in das Gehirn injiziert. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen: Die Ausbreitung der Prionen fand ausschließlich im transplantierten "normalen" Gehirnstück statt und hörte genau an der Grenze des Transplantats auf. Ein Jahr nach der Publikation dieser Ergebnisse erhielt Prusiner den Nobelpreis für Medizin.

    Wie Prionen übertragen werden

    Früh stellte es sich heraus, dass Prionenkrankheiten am effektivsten durch intrazerebrale Injektion von infektiösem Material übertragbar sind. Die Übertragung durch Fütterung war zwar möglich, es mussten jedoch ungleich höhere Dosen verabreicht werden und die Ergebnisse waren weniger konstant.

    Eine zweite wichtige Rolle spielt die Speziesbarriere. Prionproteine verschiedener Spezies, zum Beispiel von Mensch und Rind, weisen kleine Unterschiede auf. Um im Bild zu bleiben: Die "Bäume" schmiegen sich nicht so eng aneinander. Folglich benötigt man mehr ausgefallene Rinderprionen, um ein menschliches Prionprotein in die pathologische Gestalt zu überführen. Fast ausnahmslos ist es zwar möglich, infektiöse Prionen von einer Tierspezies auf eine andere zu übertragen, aber fast immer sind bedeutend höhere Konzentrationen der infektiösen Prionen notwendig.

    BSE-Skandal und vCJD

    Das Verbot der Tiermehlfütterung wurde 1988 in Großbritannien verhängt. Vorher und einige Jahre danach ist – nach der 1996 erstellten Hochrechnung – das Fleisch von 750.000 infizierten Tieren in die Nahrungskette gelangt. Es wird daher geschätzt, dass weit über eine Million Menschen in England Prionen-haltiges Rindfleisch gegessen haben. 1996 wurde die Welt durch die Bekanntgabe der neuen Form von CJD (variante CJD, vCJD) in Großbritannien aufgeschreckt. Die Indizien mehrten sich, dass vCJD in unmittelbarem Zusammenhang mit dem BSE-Skandal stand. Die Beweisführung mag Lücken aufweisen, doch die heutigen Diskussionen über mögliche prophylaktische Maßnahmen gehen grundsätzlich davon aus.

    Hochrechnungen werden korrigiert

    Wie viele Menschen werden in Großbritannien an vCJD sterben? 1997 und 1998 wurden Wahrscheinlichkeitsrechnungen in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht. Ein wesentlicher Parameter betraf die Inkubationsdauer der Krankheit, das heißt die Zeit zwischen Aufnahme der Prionen und Ausbruch der Erkrankung. Da diese Zeit nicht sicher bekannt ist, wurden mehrere Möglichkeiten in die Hochrechnung eingebracht. Je länger die Inkubationszeit, desto größer die Zahl der zu erwartenden Erkrankungen. Ein zweiter entscheidender Parameter war die Zahl der jährlich neu auftretenden vCJD-Fälle. Ein rascher Anstieg in den nächsten Jahren ließe eine entsprechend hohe Gesamtzahl erwarten.

    Schlimmstenfalls (worst case scenario) würden 80.000 Menschen bis zum Jahr 2040 an der Erkrankung sterben, wenn die Inkubationszeit bis zu 25 Jahre betragen sollte. Die zweite Hochrechnung lieferte dagegen eine Höchstzahl von 500.000 Erkrankungen unter der Bedingung, dass die maximale Inkubationszeit 60 Jahre betrug. Wohlgemerkt: Diese Zahlen würden nur gelten, wenn sich in den kommenden Jahren bestimmte, in den Publikationen angenommene Steigerungsraten tatsächlich manifestierten. So müssten beispielsweise laut einer Hochrechnung 70 bis 80 neue Fälle im Jahr 1997 und 150 bis 170 neue Fälle 1998 auftreten. Diese Hochrechnung löste weltweit große Sorgen aus.

    In den Jahren 1997 bis 2000 traten neue vCJD-Fälle in Großbritannien auf, aber deutlich weniger als in den schlimmsten Befürchtungen angenommen. 2000 korrigierten daher die gleichen Forscher die Zahlen eklatant nach unten. Jetzt hieß es: Bei einer möglichen Inkubationszeit von mehr als 60 Jahren läge die Zahl von vCJD-Fällen bis 2040 bei maximal 136.000. In dieser Arbeit stehen andere Zahlen, die gerne übergangen werden: Beträgt die Inkubationszeit nämlich "nur" 30 bis 40 Jahre, so sind ganz erheblich weniger Erkrankungen zu erwarten: höchstens 6000, vielleicht sogar nur einige Hundert.

    Entscheidend ist die Inkubationszeit

    Die Frage nach der Inkubationszeit erlangt also große Bedeutung, und die Ungewissheit darüber wird gerne als Argument angeführt, dass man nicht vorsichtig genug sein kann. Liegt die Inkubationszeit bei 60 Jahren, ist die Lage in England immer noch sehr Besorgnis erregend. Es wäre zudem denkbar, dass Menschen jahrelang den Erreger beherbergen (inkubieren) und in dieser symptomfreien Zeit eine potenzielle Infektionsquelle darstellen könnten. Dasselbe gilt natürlich auch für BSE. Diese Überlegung verführte Homo sapiens dazu, Hunderttausende symptomfreier Rinder zu vernichten.

    Jedoch ist es nicht wahr, dass recht sichere Aussagen über die Inkubationsdauer der Prioneninfektion nicht getroffen werden können. Eine Inkubationszeit von mehr als 40 Jahren kann mit großer Sicherheit ausgeschlossen werden; die Annahme einer Inkubationszeit von 60 Jahren und mehr entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.

    Kuru führt uns dies deutlich vor Augen. Der Kannibalismus wurde Mitte der fünfziger Jahre verboten. Die Zahl von Kuru-Fällen sank wenige Jahre danach ab, und seit Mitte der neunziger Jahre werden praktisch keine Fälle mehr gemeldet. Auch die Übertragung von CJD durch Wachstumshormon- Präparate weist auf eine maximale Inkubationszeit von etwa 30 Jahren hin. Kein Mensch, der natürliches Wachstumshormon erhielt und 30 Jahre lang gesund blieb, ist später erkrankt.

    Es gibt somit keinen triftigen Grund anzunehmen, dass die maximale Inkubationszeit von 30 bis 40 Jahren wesentlich überschritten werden kann. Im Gegenteil: Die Inkubationszeit beträgt eher Jahre als Jahrzehnte. Sonst wären in Neu-Guinea nicht so viele Kinder und junge Erwachsene an Kuru verstorben, und die Erkrankung wäre einige Jahre nach dem Verbot des Kannibalismus nicht zurückgegangen. Eine analoge Situation ergibt sich bei BSE. Die Fallzahl sank in England prompt nach dem Verbot des Tiermehlfutters – ein ähnliches Muster wie beim Verschwinden von Kuru.

    Es wird meist nicht wahrgenommen, dass die publizierten epidemiologischen Arbeiten über BSE und vCJD stets darauf hingewiesen haben, dass die Inkubationsdauer wahrscheinlich Jahre beträgt. Ferner wird festgestellt, dass eine Inkubationszeit von über 30 Jahren kaum anzunehmen sei; die in einer Arbeit erstellte Hochrechnung für eine mögliche Inkubationszeit von über 60 Jahren wurde lediglich der Vollständigkeit halber aufgeführt.

    Tatsache ist, dass wir in diesen und den kommenden 10 Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit den Gipfel der vCJD-Erkrankungen erleben werden und dass die Zahlen bereits jetzt weit niedriger ausfallen als 1997 angenommen. Woran liegt das?

    Zur Frage der Penetranz

    Begriffe wie Infektiosität und Kontagiosität werden im Zusammenhang mit BSE und vCJD gerne in die Diskussion gebracht, denn sie verleihen dem Thema eine anziehende Brisanz. Infektiosität beschreibt die Effizienz, mit der ein Erreger eine Krankheit auslösen kann. Je effizienter der Erreger, desto kleiner die infektiöse Dosis. Kontagiosität beschreibt die Übertragbarkeit einer Infektionskrankheit von einem Wirt zum anderen.

    Prionen sind hochinfektiös und kontagiös. Hinzu kommt die grausige Tatsache, dass sie fast unzerstörbar sind. Eine Schreckensmeldung lautet unter anderem: Ein Gramm von Prionen-haltigem Hirngewebe eines erkrankten Tieres reicht aus, um 1010 Mäuse umzubringen.

    Dabei wird die Penetranz einer Krankheit nicht berücksichtigt. Penetranz beschreibt das tatsächliche Auftreten einer Infektionskrankheit unter den gegebenen Bedingungen. Beispielsweise ist es nicht realistisch, dass kontaminiertes Rindfleisch ins Gehirn eines Menschen gespritzt wird. Die Ergebnisse des Mausexperimentes sind wissenschaftlich interessant, haben aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Nach oraler Aufnahme müssen Prionen noch den Weg ins Gehirn finden – ein nicht triviales Unterfangen, wie die Tierversuche gezeigt haben. Dort angelangt, stehen Menschen-fremde Prionen vor dem Problem der Speziesbarriere.

    Wenn die Penetranz von BSE und vCJD betrachtet wird, erscheinen ganz andere Zahlen, die eine klare Botschaft übermitteln. Nehmen wir an, dass in Großbritannien nicht 750.000, sondern "nur" ein Fünftel, also 150.000 erkrankte Rinder mit sehr hohem Prionengehalt zu Lebensmitteln verarbeitet wurden. Mit Sicherheit hat dann mehr als eine 1 Million Menschen BSE-Prionen aufgenommen. In den Jahren 1994 bis 2000 sind in der Folge etwa 100 Personen an vCJD verstorben, und das "worst case scenario" bei einer Inkubationszeit von 30 bis 40 Jahren ergibt eine maximal zu erwartende Zahl von 6000 Erkrankungen bis zum Jahr 2040.

    Und in Deutschland?

    Bislang sind etwa 100 BSE-Fälle in Deutschland und etwa 1000 auf dem europäischen Festland bekannt geworden. In Deutschland sind wohl keine, in den umliegenden Ländern vielleicht einige dieser Tiere in die Nahrungskette gelangt. Nehmen wir an, dass trotz aller Vorsichtsmaßnahmen 100 erkrankte Tiere doch zu Lebensmitteln verarbeitet wurden. Dann wäre mit maximal 6 Fällen von vCJD bis 2040 zu rechnen. Wenn alle 1000 BSE-Rinder in Europa verzehrt worden wären, würden wir auf maximal 60 Fälle in Europa schauen. Dies erklärt, warum es noch keinen gesicherten Fall von vCJD in Deutschland gegeben hat.

    In der gleichen Zeit werden in Deutschland Millionen von Menschen an Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Tumoren und Infektionskrankheiten sterben. Krankenhausinfektionen fordern mindestens 10.000 Menschenleben jedes Jahr. Es könnten auch viel mehr sein: Wir wissen es nicht genau, denn im Gegensatz zu BSE besteht keine Meldepflicht für Todesfälle durch Krankenhausinfektionen, deren Anzahl durch verbesserte Diagnostik und Therapie deutlich gesenkt werden könnte.

    Überhaupt lohnt es sich, gelegentlich über Zahlen zu reflektieren. Die Krankenkassen geben etwa 3 Euro pro Patient und Tag für die gesamte infektiologische Diagnostik am Mainzer Universitätsklinikum aus. Dies entspricht zwar nur der Hälfte der Kosten für die Verpflegung, ist aber deutlich höher als der Betrag, der in kleinen Krankenhäusern für die Infektionsdiagnostik genehmigt wird. Dafür sind in der EU bereits 8 Millionen gesunde Rinder auf BSE getestet worden (in Deutschland 3 Millionen); jeder Test kostet etwa 50 Euro. Die Zahl der positiv getesteten Tiere liegt in Deutschland unter 100. Überträgt man diesen Befund auf den gesamten Rinderbestand Europas von rund 40 Millionen Tieren, ist offensichtlich, dass maximal 1000 klinisch gesunde, aber im BSE-Test positive Rinder überhaupt existieren. Würden alle in die Nahrungskette gelangen, bleibt es dem geneigten Leser selbst überlassen, das tatsächliche Risiko auszurechnen.

    Was ist zu tun?

    Die Ergebnisse der BSE-Tests werden durch andere wichtige Daten ergänzt. Es ist nämlich bekannt, dass infektiöse Prionen auch in den Tonsillen von vCJD-Patienten nachweisbar sind. Dies eröffnet die große Chance, (noch) gesunde Träger aufzuspüren. Tausende von Tonsillen wurden in England untersucht – ohne einen einzigen positiven Fall zu finden. Dies unterstreicht die miserable Penetranz von BSE und vCJD. Theoretisch ist es möglich, dass sich während der Inkubationszeit zu wenig Prionen in den Tonsillen befinden, um nachweisbar zu sein. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass diese nicht nachweisbaren Mengen an Prionen Operationsinstrumente kontaminieren und Infektionen verursachen könnten. Aber nach menschlichem Ermessen sind solche Wahrscheinlichkeiten so klein, dass sie neben den realitätsnahen Problemen der Medizin entsprechend relativiert werden müssen.

    Was zu tun bleibt, ist klar. Selbstverständlich müssen alle BSE- und vCJD-Fälle möglichst früh diagnostiziert werden. Erkrankte Tiere sind sofort zu entfernen und dürfen nicht in die Nahrungskette gelangen. Das Verbot der Verwendung von Tiermehl muss rigoros aufrecht erhalten werden. Maximale Vorsichtsmaßnahmen sind bei der Handhabung von Instrumenten nach Operationen von CJD-Patienten geboten. Viel mehr ist allerdings definitiv nicht zu tun!

    Vom Wissen zur Weisheit

    Die Entdeckung von Prionen und der Prionenkrankheiten stellt eine der größten wissenschaftlichen Errungenschaften der Biomedizin dar. Den beteiligten Forschern gebührt die höchste Anerkennung, und die Erforschung von Prionen muss selbstverständlich im vernünftigen Maß gefördert werden. Dies darf aber nicht zu einem Aktionismus führen, der wenig intelligente und leider auch unethische Züge aufweist.

    Als sich der tatsächliche BSE-Skandal in GB ereignete und die ersten menschlichen vCJD-Opfer 1995 bekannt wurden, waren auf Grund der ersten Hochrechnung die Ängste berechtigt und die Reaktionen von Medien, Politik und Wissenschaft einigermaßen verständlich. Das Problem in Deutschland entstand jedoch im Jahr 2000. Das Auftreten der BSE-Fälle hätte niemals zu den hektischen Reaktionen führen dürfen, wie wir sie erlebten und erleben. Denn es lagen – ganz im Gegensatz zu der Situation im Jahr 1997 – die hier aufgeführten Daten und Fakten vor. Dennoch folgte ein kollektives Versagen, an dem Politik, Gesellschaft und Wissenschaft gleichermaßen beteiligt waren und sind. Sinnlose Taten folgten, die unbedingt beendet werden müssen. Tiere sinnlos zu töten, ist verwerflich; ebenso, Menschen in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Die Verschwendung begrenzter Ressourcen ist unverantwortlich, denn die dringend benötigten Mittel fehlen für sinnvolle Aufgaben.

    Die Sehnsucht nach Sicherheit überschreitet leider zu oft die Grenzen der Rationalität. Und wenn etwas passiert, kommt eine zweite irrationale Sehnsucht des Menschen dazu: einen Schuldigen zu finden und zu bestrafen. Dies führt dazu, dass eine der Urpflichten von Homo sapiens vergessen und verletzt wird: Wissen in Weisheit zu verwandeln.


    Die Autoren

    Professor Dr. Sucharit Bhakdi leitet seit Mai 1990 das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Seit zwei Jahren ist er Sprecher des SFB 490 "Invasion und Persistenz bei Infektionen". Bhakdi ist seit 1995 als Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das Fach Medizinische Mikrobiologie und Immunologie tätig. 1997 gründete er das Thai Network for Biomedical Research zur Förderung der biomedizinischen Forschung in Thailand. ["Das ist Hysterie"]

    Dr. med. Jürgen Rudolf Eduard Bohl ist Pathologe und Neuropathologe und arbeitet seit mehr als 25 Jahren in der Abteilung für Neuropathologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind degenerative Erkrankungen des menschlichen Gehirns, insbesondere die senile Demenz vom Alzheimer-Typ, und spongiforme Enzephalopathien. Darüber hinaus gilt sein Hauptinteresse der Synthese von Natur- und Geisteswissenschaften in den neurologischen Fachgebieten sowie der Erarbeitung philosophischer und naturwissenschaftlicher Grundlagen für ärztliches Handeln.

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      Zum Teil 25

    © 2001-2005 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr