V O G E L G R I P P EVogelgrippe: Mangelhaft vorbereitet
Aus: Der Tagesspiegel, Berlin, 20. Februar 2006, Seite 1 (Leitartikel) von BAS KAST. [Original]Viele, die in diesen Tagen in den Himmel blicken und die ersten Schwärme von Zugvögeln sehen, sehen in ihnen nicht mehr nur Boten des Frühlings. Sie sehen Unheilsboten, die eine tödliche Fracht mit sich schleppen könnten: das Vogelgrippevirus H5N1.
Auf Rügen werden Geflügelbestände gekeult. Die Bundeswehr ist vor Ort, errichtet Desinfektionspunkte. Viele Tage, nachdem man den Ausbruch auf der Insel festgestellt hat, scheint man die Situation in den Griff zu bekommen. Das klingt beruhigend. Doch das Virus, so ist zu befürchten, wird sich weiter ausbreiten, auch bei uns. Wie groß ist die Gefahr? Ist Deutschland vorbereitet?
Wenn man Rügen als Probefall sieht, als Vorgeschmack dessen, was in Sachen Vogelgrippe noch auf uns zukommen könnte, kommt man um den Schluss nicht herum: Unser Krisenmanagement ist noch suboptimal, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Schon für die Identifizierung des Erregers brauchte man Tage, obwohl für den Erreger H5N1 längst ein Schnelltest zur Verfügung steht. Mit diesem Test lässt sich das Virus binnen Stunden bestimmen. Und wie reagierte man auf die schlechte Nachricht, als man sie dann endlich hatte? Mit sofortigem Einsammeln der toten Tiere, mit wirksamen Absperrungen und Kontrollen? Nein. Tage nach der Meldung lagen überall auf der Insel immer noch Dutzende toter Schwäne herum, die enorme Virenmengen in ihren verwesenden Körpern tragen könnten. Gegen Hilfe vom Bund wehrte man sich mit Händen und Füßen, während Bussarde und Seeadler sich im nahrungsarmen Winter nur allzu gern auf die toten Schwäne stürzen und das infizierte Fleisch in Stücke reißen. Jeder konnte beliebig auf dem infizierten Kot herumtrampeln und beim anschließenden Besuch auf dem Bauernhof das dortige Zuchtgeflügel gefährden. Erst am Wochenende bekamen die Einsatzkräfte der Bundeswehr Zutritt, um den völlig überforderten Behörden auf der Insel zu helfen.
Was also unser Krisenmanagement betrifft, lässt sich noch einiges nachbessern. Und doch heißt das nicht, dass wir besorgt in den Himmel sehen müssen, wann immer Vögel auftauchen. Die Vogelgrippe ist nach wie vor eine Tierseuche. Die Gefahr für den Menschen ist äußerst gering. Es gibt sogar Grund zu vorsichtigem Optimismus. Zwar wurde die Welt immer wieder von Epidemien heimgesucht, die Millionen Todesopfer forderten. Aber wir sind den Erregern nicht wehrlos ausgeliefert. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Wir sind im Umgang mit Tierseuchen besser geworden. Als der Rinderwahn BSE wütete, waren Aufregung und Angst groß doch die Katastrophe blieb aus. Als 2003 ein naher Verwandter von H5N1, das Influenza-Virus H7N7, in Holland grassierte, kam man glimpflich davon. Auch die Folgen des Lungenvirus Sars hielten sich in Grenzen. Ein entscheidender Grund für das glimpfliche Ende war dabei stets: schnelles Handeln, konsequentes Keulen, rigorose Desinfektionsmaßnahmen.
Daran darf sich nichts ändern. Gerade in den ersten Tagen hat man gegen ein Virus oft noch eine Chance. Ist diese vertan, steigt die Gefahr, dass der Erreger sich festsetzt, wie es H5N1 in vielen Wildvögeln von Asien längst gelungen ist. In der Folge kommt es immer wieder zu Ansteckungen des Zuchtgeflügels, immer wieder muss gekeult werden.
Noch haben wir es nur mit einer Tierseuche zu tun. Aber die Vorbereitungen auf den Ernstfall dürfen nicht nachlassen. Dazu gehört, dass die Impfstoffentwicklung vorangetrieben wird. Dazu gehört auch, dass alle Länder einen Vorrat mit dem so gut wie einzigen Medikament anlegen, das bei einer Übertragung auf den Menschen heute zur Verfügung steht: Tamiflu. Für mindestens 20 Prozent der Bevölkerung, empfehlen die Experten des Robert-Koch-Instituts, sollten die Vorräte reichen. Berlin und viele andere Länder haben nur einen Bruchteil dieser Menge bestellt. Im schlimmsten Fall aber der hoffentlich nie eintritt dürfen die Überlebenschancen der Menschen nicht davon abhängen, in welcher Stadt sie wohnen. [mehr]
Mutation macht Virus widerstandsfähiger
Schlechte Nachrichten von der WHO: Das Vogelgrippe-Virus ist durch mehrere Mutationen gefährlicher für Hühner und Mäuse geworden und widerstandsfähiger. Auch vor einer wachsenden Gefahr für Menschen warnte die Organisation. Je länger die Tierseuche andauere, desto größer werde die Gefahr für eine Grippe-Pandemie.
Aus: Spiegel Online 20. Februar 2006, 23.13 Uhr MEZ (nur elektronisch publiziert). [Original]BERLIN/BRÜSSEL. Untersuchungen hätten gezeigt, dass das Virus zunehmend tödlicher für Hühner und Mäuse werde und nun etwa drei Mal so lang 6 Tage bei warmen Temperaturen im Freien überdauern könne, hieß es am Montag [20.2.2006] auf der Internet-Seite der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Allerdings gebe es keinen Beleg dafür, "dass das Virus seine Fähigkeit verbessert hat, leicht von einer Person zur nächsten übertragen zu werden".
Der Leiter des WHO-Influenza-Programms, Klaus Stöhr, warnte am Montagabend jedoch, dass mit der Dauer der Vogelgrippe auch die Gefahr einer Pandemie unter Menschen wachse. Je länger das Virus existiere, desto mehr Chancen gebe es, auf den Menschen überzugehen. "Wenn dieses Virus sich verändert, haben wir nichts in der Hand, um den weltweiten Zug hinauszuzögern", sagte Stöhr dem Fernsehsender N24. Nach drei Monaten wären alle Kontinente davon betroffen. Deutschland sei im weltweiten Vergleich besser auf die Seuche vorbereitet als andere Länder. Dennoch sei nun "Klotzen wichtiger als Kleckern", um eine Übertragung des Virus von Wild- auf Nutztiere zu verhindern.
Disease Outbreak News
Info-Service der WHO.Die Ausbreitung der Vogelgrippe wird auf Rügen inzwischen mit allen Mitteln bekämpft. Tornados der Luftwaffe sind zu Aufklärungsflügen aufgestiegen, um auf der Ferieninsel an der Seuche verendete Tiere aufzuspüren. Am Boden begannen mit ABC-Schutzanzügen und -masken ausgestattete Bundeswehrsoldaten mit dem Einsammeln toter Vögel. Die inzwischen für die Einsatzleitung zuständige Regierung von Mecklenburg-Vorpommern will mit Hilfe der Soldaten die Lage auf der Insel in den Griff bekommen, erklärte Landesagrarminister Till Backhaus (SPD).
Mittlerweile helfen alleine auf Rügen über 300 Soldaten. 59 ABC-Abwehrspezialisten der Bundeswehr sind an 3 Kontrollstellen beim Desinfizieren von Fahrzeugen und Booten im Einsatz. Weitere 250 Soldaten sammeln tote Vögel ein. Die Tornados sollen weitere tote Tiere insbesondere in unwegsamem Gelände ausfindig machen.
Backhaus forderte die zuständigen Behörden auf, die gesamte Küste Mecklenburg-Vorpommerns bis 10 Kilometer tief ins Landesinnere unter Beobachtung zu stellen. Derzeit sei die Lage weiterhin "sehr ernst" und noch nicht im Griff. Mittlerweile gibt es nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums 81 bestätigte Vogelgrippe-Fälle.
Auf Rügen und dem benachbarten Festland hatte sich die Situation zuvor verschärft. Nach dem Landkreis Rügen hatten auch die Landkreise Ostvorpommern und Nordvorpommern Katastrophenalarm ausgelöst, nachdem dort am Sonntag [19.2.2006] erste H5N1-Infektionen bei Wildvögeln bestätigt worden waren. Durch den Katastrophenalarm können in diesen Regionen Soldaten zur Unterstützung herbeigerufen werden.
Keulung gesunder Vögel angeordnet
Um ein Übertragung der bislang nur unter Wildvögeln verbreiteten Vogelgrippe auf Nutztiere zu verhindern, haben die Behörden in 1 großen und 4 kleinen Betrieben auf Rügen 2.463 Stück gesundes Hausgeflügel töten lassen. In 5 weiteren kleinen Betrieben wurde die Schlachtung angeordnet. Es handelt sich laut Backhaus vor allem um Geflügelhalter, deren Tiere etwa durch die Nähe zu Fundorten kranker Wildvögel einem erhöhten Risiko ausgesetzt waren.Insgesamt gibt es nach Angaben des Schweriner Landwirtschaftsministeriums 400.000 Stück Hausgeflügel auf Rügen. Im Januar waren allein im Nordosten der Insel 69.000 Wildvögel gezählt worden, darunter viele Schwäne, aber auch Möwen, Gänse, Kormorane, Enten und Bussarde.
Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer verteidigte das vorsorgliche Keulen von Geflügel. Dies sei beispielsweise zu empfehlen, wenn wie auf Rügen Geflügel in den vergangenen Wochen Kontakt zu Schwänen gehabt haben könnte. Es müsse "besonnen, aber konsequent" gegen die Tierseuche vorgegangen werden, sagte Seehofer.
Eine vorsorgliche Impfung von Nutzgeflügel lehnte Seehofer dagegen ab. Derartige Maßnahmen könnten dazu führen, dass sich das Virus verdeckt weiterverbreite. Geimpfte Tiere könnten den tödlichen Erreger H5N1 übertragen, ohne dass die Krankheit bei ihnen ausbreche. Außerdem sei es mit den gegenwärtig verfügbaren Impfstoffen schwierig, geimpfte Tiere von infizierten Tieren zu unterscheiden. Auch sei ungeklärt, ob geimpfte Tiere aus dem Handel genommen werden sollten oder nicht.
Vogelgrippe befeuert Föderalismus-Debatte
Die Kritik an der Reaktion der Behörden auf Rügen hat unterdessen eine Debatte über die Kompetenzen von Bund und Ländern beim Katastrophenschutz ausgelöst. "Der Fall zeigt, dass der Föderalismus bei der Krisenbekämpfung überfordert ist", sagte der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung und Verbraucherschutz, Manfred Zöllmer, dem Berliner Tagesspiegel.Es sei notwendig, in vergleichbaren Fällen mehr Kompetenzen auf den Bund zu verlagern, sagte der SPD-Politiker mit Blick auf die geplante Föderalismus-Reform. Auch der Mikrobiologe Alexander Kekulé forderte, die föderalen Strukturen zu überdenken [Ed: ‚überdenken‘ reicht nicht sie müssen schleunigst geändert werden, alles andere wäre schon angesichts der vielen Lebensmittel- Skandale seit 1971 Dämlichkeit hoch Drei]. "Wir brauchen dringend eine Bundeszuständigkeit für biologische Gefahren", sagte der Direktor des Instituts für medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg der Zeitung.
Seuche kommt in Nigerias Hauptstadt an
In anderen Teilen der Welt breitet sich die Vogelgrippe derweil ungebremst aus. In Nigeria wurden am heutigen Montag Vogelgrippe-Herde in 3 weiteren Bundesstaaten sowie in der Hauptstadt Abuja gemeldet. Damit sind insgesamt bereits 7 Regionen des westafrikanischen Landes von der Epidemie betroffen.In Malaysia ist zum ersten Mal seit gut einem Jahr wieder das Virus H5N1 aufgetreten. Im Zentrum des asiatischen Landes sei der auch für Menschen gefährliche Erreger bei mehreren toten Hühnern festgestellt worden, teilte das Landwirtschaftsministerium in Kuala Lumpur mit. Es handele sich um einen Einzelfall. Menschen seien nicht betroffen. [mehr]
Generalprobe Rügen
Auf eine menschliche Pandemie sind wir nicht vorbereitet.
Aus: Der Tagesspiegel, Berlin, 22. Februar 2006, Seite 8 (Meinung/Was WISSEN schafft) von ALEXANDER S. KEKULÉ. Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. [Original]Das sonst so idyllische Rügen ist im militärischen Belagerungszustand. Auf der zum Katastrophengebiet erklärten Ferieninsel ist ein ganzes ABC-Bataillon im Einsatz, in der Luft donnern Tornadojets. Die Bodentruppen der Bundeswehr sind für die Abwehr von Angriffen mit atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen ausgebildet. Durch die Vollschutzanzüge mit Gasmaske kämen nicht einmal Ebolaviren oder Milzbrandsporen. Dagegen wirkt der Auftrag der Kampfspezialisten ziemlich trivial: Autos desinfizieren und tote Vögel einsammeln, die von den Spezialkameras der Tornados aufgestöbert wurden. Zumindest erweckt das Aufgebot der Desinfektionskanonen gegen Spatzen, Schwäne und anderes Federvieh den Eindruck, die Lage sei endlich unter Kontrolle.
Der Feind hat sich jedoch längst zum Festland aufgemacht und breitet sich dort unbehelligt unter Wildvögeln aus. Wenn es nicht gerade ein Virus wäre, also quasi halb tote Materie, würde sich H5N1 vermutlich hämisch ins Fäustchen lachen. Die betroffenen Landkreise Ost- und Nordvorpommern haben ebenfalls Katastrophenalarm ausgelöst, damit die Bundeswehr zu Hilfe kommt. Offenbar sind die lokalen Behörden bereits mit einer Hand voll toter Vögel überfordert.
Das in Deutschland eingefallene Virus ist eine für Vögel besonders gefährliche Variante des H5N1, die erstmals im April 2005 am Qinghai-See in Zentralchina auftauchte. Damals verendeten in kurzer Zeit über 6.000 Wildvögel. Die neue Variante des H5N1 breitet sich besonders rasant aus, weil sie sehr umweltbeständig ist und von Zugvögeln über weite Strecken getragen wird welche Vogelarten als Überträger bedeutsam sind, ist noch nicht geklärt. Bisher ist es keinem der betroffenen Staaten gelungen, das Vogelgrippevirus unter Kontrolle zu bringen. Es muss deshalb realistischerweise angenommen werden, dass sich H5N1 auch in Deutschland unter Wildvögeln weiter ausbreiten wird. Die Maßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern können das zwar verzögern, aber wahrscheinlich nicht verhindern.
Für den Rest der Republik heißt das: Sofort die Schotten dicht machen bei Nutz- und Hausgeflügel also Kontakt zu Wildvögeln unterbinden und durch Desinfektionsbarrieren verhindern, dass das Virus durch das Personal in die Ställe eingeschleppt wird. Wenn andernorts schneller als auf Rügen gehandelt wird, kann das Virus mit großer Sicherheit aus der menschlichen Nahrungskette herausgehalten werden.
Zweitens sollten sich die Gemeinden schon einmal warmlaufen für das Einsammeln toter Vögel spätestens beim fünften Katastrophenalarm wird die Bundeswehr nicht mehr genug Personal und Gerät haben, um den Job zu übernehmen, der laut Verfassung Aufgabe der Gemeinden und Länder ist. Drittens müssen Pläne für den Frühling erstellt werden, falls Seeufer und Freibäder dann nicht mehr sicher sind.
Das Chaos bei der Bekämpfung der Vogelgrippe erinnert düster daran, dass Deutschland für eine menschliche Grippepandemie noch schlechter gerüstet wäre: Die Pandemiepläne der Länder sind noch nicht fertig, die Kliniken noch nicht vorbereitet, die Grippemittel noch nicht ausgeliefert. Auch hier wären aufgrund der föderalen Struktur die Länder und Gemeinden zuständig. Doch gibt es keine Bundeswehrbataillone für Grippebehandlung, die überforderten Landräten und Bürgermeistern zu Hilfe eilen könnten.
Bei der Bestellung der Grippemittel Tamiflu und Relenza träumen einige Bundesländer davon, von den anderen etwas abzubekommen, wenn die Katastrophe da ist. Andere träumen, der Impfstoff stünde im Pandemiefall so schnell zur Verfügung, dass Kleinstmengen der Grippemittel ausreichen. Vielleicht gelingt es der Vogelgrippe doch noch, die Politik bei der Abwehr der menschlichen Pandemie wachzurütteln jeder Krise wohnt ja bekanntlich auch eine Chance inne.
V O G E L G R I P P EVogelgrippe erreicht Brandenburg
Hubschrauber kreisen über Schilfgürteln, Sperrzonen werden eingerichtet: Inzwischen sind 4 Bundesländer von der Vogelgrippe betroffen. Tausende Puten in Frankreich sollen sich über Stroh angesteckt haben.
Aus: Spiegel Online 25. Februar 2006, 20.31 Uhr MEZ (nur elektronisch publiziert). [Original]BERLIN. Nach Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg wurden heute die ersten zwei Vogelgrippe- Fälle in Brandenburg gemeldet. Ob der Höckerschwan und die Ente allerdings mit der besonders gefährlichen Asia- Variante des Erregers H5N1 infiziert sind, steht noch nicht fest. Die Wildvögel wurden in der Nähe der Stadt Schwedt im Landkreis Uckermark an der polnischen Grenze gefunden.
Damit stieg die Zahl der in Deutschland identifizierten Fälle auf 119, davon 114 in Mecklenburg- Vorpommern. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck mahnte zur Besonnenheit und kündigte für Sonntag [26.2.2006] einen Besuch in der Uckermark an. Ein Krisenstab wurde eingerichtet. 3 Kilometer im Umkreis der Fundstellen wurden zum Sperrgebiet erklärt, zudem richteten die Behörden einen 10 Kilometer großen Beobachtungskreis ein, der auch polnisches Territorium erfasst. Zum Kreis Uckermark gehört auch der Nationalpark Unteres Odertal mit seinem reichen Vogelbestand.
Platzeck erklärte, angesichts der seit Wochen und Monaten zu beobachtenden Entwicklung sei das Auftreten der Seuche in Brandenburg nur eine Frage der Zeit gewesen. Die Ministerien und die örtlichen Behörden hätten die Zeit gut genutzt. "Die Tierseuche trifft uns nicht unvorbereitet", erklärte Platzeck.
In Mecklenburg-Vorpommern wurde bei 3 weiteren Vögeln die Seuche nachgewiesen. Auf Rügen, in Schleswig-Holstein und am Bodensee ging die Suche nach verendeten Vögeln weiter. Hubschrauber, Wasserschutzpolizei und Feuerwehrleute an Land sind im Einsatz.
Verteidigungsminister Franz-Josef Jung informierte sich auf Rügen über den Einsatz der Bundeswehr. Seit Anfang der Woche hätten die Soldaten über 2.800 Vögel eingesammelt, von denen mehr als 2.300 getestet worden seien, sagte der CDU-Politiker. Inzwischen hätten auch Hubschrauber von Polizei und Bundeswehr sämtliche Küstenabschnitte und Boddengewässer auf der Suche nach toten Tieren abgeflogen. An ihrer Bergung werde mit Hochdruck gearbeitet. Erschwert würden die Arbeiten immer wieder durch das Eis.
Die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn warf den deutschen Behörden eine Mitschuld bei der schnellen Ausbreitung der Vogelgrippe vor. Weil tagelang auf Testergebnisse gewartet worden sei, seien die notwendigen Vorkehrungen unterblieben, sagte sie der Welt am Sonntag"
In Frankreich bereits Zuchtgeflügel betroffen
Unterdessen wurde der Vogelgrippe-Erreger erstmals auf einer Geflügelfarm in der Europäischen Union nachgewiesen. Auf der betroffenen Putenfarm im Osten Frankreichs sollen bereits rund 80 Prozent der insgesamt 11.000 Tiere verendet sein. Die übrigen Tiere seien getötet worden, teilten die Behörden mit.Die Puten sind vermutlich über Stroh mit dem H5N1-Virus infiziert worden, das mit Kot von kranken Enten verdreckt war. Das Stroh des Putenzüchters in Versailleux im Departement Ain werde im Freien aufbewahrt und nur durch ein Dach vor Regen geschützt, sagte ein Sprecher der Gendarmerie. So sei es möglich, dass an Vogelgrippe erkrankte Enten in das Stroh gelangt sein könnten, fügte der Sprecher unter Verweis auf die Ermittlungen der Veterinäre hinzu.
H5N1-Ente am Bodensee
In Baden-Württemberg, wo gestern der H5N1-Erreger in einer toten Tafelente festgestellt wurde, erklärte Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), dass vor allem das Überspringen des Erregers vom Wild- auf das Hausgeflügel verhindert werden müsse. Die 19 Geflügelhalterbetriebe im Sperrbezirk dürfen 3 Wochen lang kein Geflügel, Fleisch und Eier sowie Vögel anderer Arten herausbringen oder erhalten. Die Trinkwasser- Versorgung der 2,5 Millionen Menschen, die ihr Wasser vom Grund des Bodensees erhalten, ist laut Hauk nicht gefährdet. Das Wasser werde wie üblich mit Chlor und Ozon gereinigt, Krankheitserreger blieben im Sandfilter hängen.Hauk rechnet nach eigenem Bekunden damit, dass in den kommenden Wochen vermehrt tote Wasservögel gefunden werden, wenn die Zugvögel an den Bodensee zurückkehren. "Es besteht ein gewisses Risiko, dass Zugvögel auf ihrer Route aus Afrika das Virus zu uns bringen könnten", sagte er.
Die EU-Kommission kündigte für betroffene Landwirte finanzielle Unterstützung an. Die Hälfte der Kosten für die Vernichtung getöteter Nutztiere sowie für Reinigung und Desinfizierung der Ställe könne von der EU-Kasse übernommen werden, sagte ein Behördensprecher. Auch den Ankauf gesunden Geflügels aus den Schutzzonen um einen betroffenen Betrieb, aus denen keine Tiere ausgeführt werden dürfen, würde die EU zur Hälfte übernehmen. Den Rest der Kosten müssten in solchen Fällen die jeweiligen Mitgliedstaaten übernehmen. [mehr]
G R I P P E M E D I K A M E N T EExistenzangst in Deutschlands Fleischtopf
Die Vogelgrippe löst Ängste vor horrenden wirtschaftlichen Verlusten aus. Niedersachsen, das mit Abstand geflügelreichste Bundesland, hat bereits eine enorme Tötungsmaschinerie in Stellung gebracht, sollte die Seuche auf Nutztierbestände übergreifen.
Aus: Spiegel Online 27. Februar 2006, 12.49 Uhr MEZ (nur elektronisch publiziert). [Original]NIEDERSACHSEN. Mit Massentierhaltung hat die Region Weser-Ems ihr Glück gemacht. Aus dem norddeutschen Armenhaus zwischen Osnabrück und Oldenburg wurde eine Vorzeigeregion mit rekordverdächtig niedriger Arbeitslosigkeit. Nun aber geht die Angst um in den Kreisen Emsland, Vechta, Cloppenburg und Osnabrück. Kommt die Vogelgrippe, droht eine beispiellose Massentötung von Puten und Hühnern.
Treffen würde es nicht nur die Bauern in einer Region, die häufig als der deutsche Fleischtopf bezeichnet wird: Auch für Schlachtbetriebe und Veredlungswirtschaft geht es dann ums nackte Überleben. Rund 72 Millionen Stück Federvieh werden in Niedersachsen gehalten, das sind fast 60 Prozent des gesamten deutschen Bestandes. Und wiederum über 60 Prozent davon entfallen allein auf die vier Landkreise im Nordwesten des Bundeslandes.
Wenn hier auch nur ein Fall in einem Nutztierbestand nachgewiesen wird, kann dies in der Sperrzone von nur drei Kilometern bereits den Tod von weit über einer Million Tiere bedeuten. Mit Pardon aber können die Bauern nicht rechnen. Der zuständige Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU) hat sich bereits klar positioniert: "Hier muss der Staat mit voller Wucht reagieren."
Vor 3 Jahren konnte der Ausbruch der Geflügelpest in den benachbarten Niederlanden nur eingedämmt werden, indem rund 30 Millionen Stück Geflügel getötet wurden. Geschätzter Schaden: mindestens 500 Millionen Euro.
Halbherzige Maßnahmen wie in Mecklenburg- Vorpommern werde es in Niedersachsen nicht geben, kündigte Ehlen an. Das Land hat bereits vorgesorgt und eine regelrechte Tötungsmaschinerie organisiert. Tankwagen mit Kohlendioxid stehen verteilt übers Land bereit; das gleiche gilt für Container zur Vergasung kleinerer Bestände. Veterinäre, Polizeidirektoren, Kreisbrandmeister und Hilfsorganisationen wurden auf einer Konferenz auf rasches Handeln eingeschworen.
Die Kapazität für die Vernichtung von Kadavern wurde in Niedersachsen auf 1,4 Millionen Tiere täglich mehr als verdoppelt; notfalls werden sie in Zementfabriken verbrannt oder an bereits festgelegten Plätzen vergraben. Das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Oldenburg soll dabei die Regie führen.
Für ihr gekeultes Geflügel werden die Bauern aus der Tierseuchenkasse entschädigt, die Mitgliedschaft ist Pflicht. Das dicke Ende aber kommt erst nach der Tötung der Tiere. Bestenfalls nach 1 bis 2 Monaten können neue Tiere aufgestallt werden. Dann aber werden sich viele Abnehmer längst andere Lieferanten aus Gegenden gesucht haben, in denen es keinen Ausbruch der Seuche gab.
Das absolute Transportverbot in Zonen mit jeweils 10 Kilometer Radius führt zudem dazu, dass Hähnchen und Puten nicht mehr zum vorgesehenen Zeitpunkt geschlachtet werden können. Auch schneidet ein solches Verbot die verarbeitenden Betriebe von ihrem Nachschub ab. Die Verbindung aus einer bis dahin in Deutschland unbekannten Intensität der Tierhaltung und der anschließenden Veredelung der Produkte vor Ort hat den Wohlstand in die Region gebracht, vom Bauern bis zum Hühnerbaron. Aber für sie alle gilt deshalb nun auch, was Landwirtschaftsminister Ehlen über die Folgen sagt, wenn das Virus grassiert: "Das wird für viele Betroffene sehr bedrückend sein."
Was auch in Deutschland geschehen könnte, ist derzeit in Indien zu besichtigen: Seit vergangener Woche hat die Vogelgrippe der dortigen Geflügelindustrie Einbußen von umgerechnet rund 930 Millionen Euro beschert, berichtete die Zeitung The Hindu Business Line. Ein Sprecher des Branchenverbands im nordindischen Unionsstaat Uttar Pradesh sagte, mehr als 60 Prozent der 2,5 Millionen Beschäftigten hätten dort ihre Arbeit verloren.
V O G E L G R I P P EDie überschätzten Retter
Die Angst vor einer Vogelgrippe-Seuche unter Menschen hat Tamiflu und Relenza den Ruf von Rettern in der Not eingebracht. Doch die antiviralen Medikamente könnten den Ausbruch einer Pandemie nicht verhindern. Es ist nicht einmal sicher, ob sie überhaupt wirken würden [Ed: aber man beachte die Kritik an der Kritik].
Aus: Spiegel Online 27. Februar 2006, 18.27 Uhr MEZ (nur elektronisch publiziert). [Original]Die rasante Ausbreitung der Vogelgrippe steigert die Furcht davor, dass das H5N1-Virus mutieren und eine Pandemie unter Menschen auslösen könnte. In diesem Zusammenhang verwenden insbesondere Gesundheitspolitiker gern eine verbale Beruhigungspille: Tamiflu.
Das Virenmittel mit dem Wirkstoff Oseltamivir hilft gegen die Influenza und ist seit 2002 auf dem Markt. Vergangene Woche haben die Bundesländer in der Sondersitzung der Gesundheitsminister- Konferenz beschlossen, für 20 Prozent der Bevölkerung antivirale Mittel einzulagern eine Empfehlung, die das Berliner Robert-Koch-Institut bereits seit Monaten ständig wiederholt. Nur wenige Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen oder Bayern hatten die geforderten Mengen bereits bei den Pharmafirmen bestellt. Berlin und Brandenburg etwa besitzen hingegen für nur rund 5 Prozent der Bevölkerung Medikamente.
Das hat bereits für Streit unter Vertretern der einzelnen Bundesländer gesorgt. Doch Tamiflu ist kein Wundermittel, ebensowenig wie Relenza, das einzige weitere Produkt auf dem Markt, das nachweislich gegen die Influenza- Grippe hilft. Sollte das H5N1- Virus mutieren und von Mensch zu Mensch übertragbar sein, könnten die Medikamente keinesfalls den Ausbruch einer Pandemie verhindern oder die Seuche auch nur stoppen, sondern lediglich die Symptome bei den Erkrankten dämpfen.
Impfstoff existiert nicht
Denn ein Impfstoff, der eine Erkrankung von vornherein verhindern würde, existiert nicht und es ist mehr als fraglich, ob es überhaupt möglich ist, einen Impfstoff gegen ein Virus zu entwickeln, das es noch gar nicht gibt und dessen Eigenschaften unbekannt sind [Ed: hm, und warum erzählt dann diese SPD-Fachfrau für Gesundheitsfragen, Ulla Schmidt, in Funk und Fernsehen, ein Impfstoff würde schnell verfügbar sein, da sich bereits die Bundesregierung verbindlich die Produktion von 2 x 80 Mio. Impfstoff- Dosen gesichert habe...]. Aus dem gleichen Grund ist auch nicht sicher, ob Tamiflu und Relenza gegen einen solchen Erreger wirken würden [Ed: hm, und wem verdanken dann die in Asien nicht an H5N1- Infektionen verstorbenen Infizierten ihr Überleben? Der Autor erzählt hier Quatsch].Schwerer als diese theoretischen Fragen wiegen die praktischen Probleme, sollte es zu einer globalen Seuche kommen. Üblicherweise haben Mediziner bei Grippewellen das Problem, dass die Infizierten sehr spät zur Behandlung kommen wenn sie bereits unter heftigen Beschwerden leiden und das Virus weiterverbreitet haben.
Sollte aber ein mutiertes H5N1-Virus die lange beschworene Grippe- Pandemie auslösen, würden wahrscheinlich Tausende Patienten die Praxen und Krankenhäuser stürmen und über allerlei grippeähnliche Symptome wie Kopf- und Gliederschmerzen klagen. Das einzige messbare frühe Symptom einer Grippe ist jedoch hohes Fieber. Alles andere ist für einen Arzt nur schwer nachprüfbar.
Frühe Tamiflu-Verabreichung birgt Gefahren
Allerdings können die Mediziner nicht abwarten, bis sich stärkere Symptome zeigen. Denn Tamiflu muss früh, am besten innerhalb von 24 Stunden eingenommen werden, um wirken zu können. Studien zufolge verhindert es dann schwere Komplikationen, verkürzt die Krankheitsdauer um 1,5 Tage und verringert die Virenmenge im Körper.Wäre also eine frühe und flächendeckende Tamiflu- Medikation das Mittel gegen die drohende Pandemie? Wohl kaum. Die Gefahr, dass das Virus gegen das Medikament resistent wird, stiege in einem solchen Fall drastisch. Erste Warnzeichen haben Forscher schon gefunden: Im Dezember vergangenen Jahres sind 2 vietnamesische Mädchen an der Vogelgrippe gestorben. In ihrem Blut hatten Ärzte mutierte Viren entdeckt, die einem Angriff durch Oseltamivir alias Tamiflu entgehen konnten. Vor allem eine falsche Einnahme kann nach Ansicht von Medizinern dazu führen, dass die Erreger immun werden gegen die Medikamente.
"Es ist gefährlich, wenn Menschen Tamiflu zu Hause horten und es bei den ersten Anzeichen eines Hustens schlucken", meint Michael Kochen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. "Dadurch haben die wirklich gefährlichen Erreger erst die Möglichkeit, sich an die Medikamente anzupassen." Wichtig ist nach Kochens Ansicht deshalb, immer einen Arzt aufzusuchen, bevor man Tamiflu einnimmt.
"Husten, Schnupfen, Heiserkeit und ein bisschen Fieber sind noch lange kein Grund, antivirale Medikamente zu schlucken", so der Direktor der Allgemeinmedizin an der Universität Göttingen. "Wir brauchen Tamiflu dringend und müssen verantwortungsvoll damit umgehen, um keine Resistenzen zu züchten."
An eine Infektion mit H5N1 würde Kochen derzeit nur in ganz speziellen Fällen denken: "Vor allem muss der Patient engen Kontakt zu Vögeln gehabt haben. In den bekannten Fällen hatten die Betroffenen zusätzlich meist eine schwere Lungenentzündung. Das wäre für mich der Moment, in dem ich einen Patienten auf eine Isolierstation legen und ihm so schnell wie möglich Tamiflu geben würde."
Unklar ist noch, ob ein gegen Tamiflu resistentes Vogelgrippe- Virus auch gegen das Mittel Relenza und dessen Wirkstoff Zanamivir immun ist. Beide Mittel blockieren das für die Viren wichtige Enzym Neuraminidase. Ist das Eiweiß inaktiv, können sich die Erreger nicht weiter vermehren. Gegen Relenza haben Forscher bislang noch keine Resistenzen entdeckt. "Zanamivir hat eine andere Raumstruktur", meint Christiane Eckert-Lill, Geschäftsführerin Pharmazie der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände. "Dadurch kann Zanamivir möglicherweise auch dann die Viren blockieren, wenn Tamiflu schon nicht mehr wirkt."
Langer Weg zum Medikament
Doch selbst angenommen, die Arzneien bleiben durchgehend wirksam: So schnell wird es nicht für jeden eine Ration geben. Denn weder Tamiflu noch Relenza lassen sich von einem auf den anderen Tag herstellen. Die Pharmafirma Roche hat die Produktionszeit von Tamiflu zwar von 9 auf 6 Monate verkürzt, doch das ist noch immer zu lang, wenn eine Pandemie ausbricht. Auch Relenza- Hersteller GlaxoSmithKline ist nicht schneller.Das Stuttgarter Katharinenhospital hat sich kürzlich zu einem Schritt entschieden, den bislang nur die 16 Bundesländer sowie die Bundeswehr getan haben: Das Krankenhaus hat bei Roche den reinen Wirkstoff bestellt. Oseltamivir ohne Verpackung, ohne Kapseln nur weißes Pulver. Davon lagern jetzt 14 Kilogramm im Keller der Klinik. Für den Notfall.
V O G E L G R I P P EVogelgrippe-Virus verbreitet sich immer schneller
Das gefährliche Vogelgrippevirus H5N1 verbreitet sich so rasant wie nie zuvor. Binnen eines Monats hat das Virus 16 Länder erreicht, davon 10 in Europa. Experten warnen davor, daß sich die Seuche zu einer weltweiten Tierepidemie ausweiten kann.
Aus: Berliner Morgenpost, 27. Februar 2006, 20.54 Uhr MEZ (nur elektronisch publiziert). [Original]PARIS/SARAJEVO/MOSKAU (morgenpost.de). Seit Monatsbeginn meldeten weltweit 16 Länder den ersten Ausbruch der Tierseuche, davon 10 in Europa, wie aus Daten der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE [= Office International des Epizooties]) in Paris hervorgeht. Allein am Montag [27.2.2006] bestätigte sich der Vogelgrippeverdacht bei Tieren in Niger, Georgien und Bosnien-Herzegowina. Im gesamten Jahr 2004 waren nur 8 Länder in Asien sowie die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong von der Tierseuche betroffen. Im vergangenen Jahr waren 7 weitere Länder hinzugekommen. Im Januar 2006 war zudem eine junge Frau im Irak an dem Erreger gestorben.
20 Epidemien verschiedener Geflügelseuchen bei Nutztieren seit 1959
Seit dem ersten Nachweis des Vogelgrippevirus H5N1 im Jahre 1959 in Schottland hat es nach Angaben der OIE mindestens 20 Epidemien verschiedener Geflügelpest- Erreger bei Nutztieren gegeben. Dafür seien auch hochinfektiöse Virentypen wie H7N3, H5N2 oder H7N7 verantwortlich gewesen. Keine Seuche habe sich aber so schnell über so viele Länder ausgebreitet wie derzeit das H5N1-Virus, hatte OIE-Generldirektor Bernard Vallat bereits Ende vergangener Woche in Paris erklärt. Die aktuelle Seuche kann sich nach OIE-Einschätzung zu einer weltweiten Tierepidemie ausweiten.Die OIE hatte am Montag erstmals H5N1-Infektionen bei Geflügel in Niger registriert. Ein Labor in Padua habe den Befund bestätigt, sagte Vallat. Das Virus war Anfang Februar bereits im benachbarten Nigeria festgestellt worden und hatte damit erstmals den afrikanischen Kontinent erreicht. Mitte Februar meldete auch Ägypten H5N1 bei Tieren aus verschiedenen Provinzen. EU-Verbraucherschutzkommissar Markos Kyprianou will in dieser Woche nach Nigeria reisen, um mit der Regierung über die Abwehr der Vogelgrippe zu sprechen. Ende März will Kyprianou auch Ägypten besuchen, wie er in Brüssel ankündigte.
Vogelgrippeverdacht auch in Bosnien
Das EU-Referenzlabor im britischen Weybridge bestätigte den Vogelgrippeverdacht bei zwei in Zentral-Bosnien gefundenen toten Schwänen. Die Veterinärbehörde des Balkanlandes berichtete in Sarajevo, im Umkreis von 3 Kilometern um den Fundort seien 4.500 Stück Geflügel sowie eine Schar von Schwänen getötet worden. Nach Einschätzung der Veterinäre könnte der nächste Monat kritisch werden, wenn die Zugvögel aus dem Süden zurückkehren.Unterdessen breitet sich das Virus auch im Kaukasus weiter aus. Sowohl in Georgien als auch in der südrussischen Region Stawropol wurden H5N1- Infektionen bei Hausgeflügel offiziell bestätigt, meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf die jeweiligen Behörden. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili hatte bereits am Sonntag [26.2.2006] den Katastrophenzustand für den betroffenen Landkreis Chelwatschauri im Westen des Landes ausgerufen. Auch auf russischer Seite des Kaukasus-Gebirges ergriffen die Behörden Quarantänemaßnahmen.
Annan dringt auf Vorsorge
Angesichts der schnellen Ausbreitung der Tierseuche hat UN-Generalsekretär Kofi Annan unterdessen zu einer intensiven Vorsorge für den möglichen Fall einer Pandemie aufgerufen. Es ist wichtig, daß wir in allen Ländern darauf vorbereitet sind, sagte Annan in Genf. Wenn eine Pandemie ausbrechen sollte, haben wir vielleicht nur wenige Wochen Zeit, um sie einzudämmen. Er appellierte an die Regierungen, dieses Thema sehr ernst zu nehmen. Ärmere Länder müßten bei ihren Vorkehrungen unterstützt werden. [mehr]
H A U S A R R E S TH5N1 immer aggressiver
In Hühnern vermehrt sich das Virus am besten / Säugetiere tötet der Erreger aus Versehen / Unaufhaltsam erobert er den Globus.
Aus: Berliner Morgenpost, 2. März 2006, Seite ?? (Politik). [Original]BERLIN (BM). Fast schwingt ein wenig Bewunderung mit, wenn Professor Michael F.G. Schmidt vom Vogelgrippe-Virus spricht. Wenn er den "Zauber der optimalen Kooperation" beschreibt: Um sich zu vermehren, muß das Virus mit seinen 11 Proteinen Tausende Eiweiße und Moleküle einer Wirtszelle für sich arbeiten lassen. "Das funktioniert bei Vögeln nahezu perfekt", sagt Schmidt. Vor allem in den Zellen von Hühnern findet das Virus ideale Bedingungen und wird rasch zum Killer. In nur 48 Stunden rafft es ganze Bestände dahin. Ihm sei kein anderes Virus bekannt, daß so schnell durchschlägt, sagt Schmidt.
Schmidt kennt sich aus mit Viren. Er arbeitet am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, leitet das Institut für Immunologie und Molekularbiologie und beschäftigt sich auch mit dem Vogelgrippe-Virus H5N1. Daß der Erreger jetzt erstmals auch in einer Katze nachgewiesen wurde überrascht ihn nicht. Gerade hat er mit dem Friedrich-Loeffler-Institut auf der Ostseeinsel Riems telefoniert. Noch immer sei nicht eindeutig geklärt, ob die Katze tatsächlich an der Vogelgrippe gestorben ist. "Das Virus geht ungern auf Säugetiere", erklärt Schmidt. Zwar sind schon Geparden, Tiger und auch mehr als 90 Menschen an einer Infektion mit H5N1 gestorben. Das Virus konnte sich aber nicht in ausreichend großer Menge vermehren, um die Infektion an Menschen weiterzugeben. Noch nicht. Doch die Sorge wächst.
Noch ist die Vogelgrippe eine Tierseuche. Und in Deutschland sind bislang ausschließlich Wildvögel infiziert. Vor gut 2 Wochen wurden auf der Insel Rügen die ersten beiden Fälle von Vogelgrippe bei Schwänen diagnostiziert. Inzwischen ist die Zahl der positiven Befunde auf mehr als 130 in fünf Bundesländern gestiegen. Mit jedem neuen Fall wächst das Risiko einer Mutation, und damit auch die potentielle Gefahr einer weltweiten Grippewelle, einer Pandemie.
Mindestens 20 Ausbrüche von Vogelgrippe sind in den vergangenen 4 Jahrzehnten weltweit registriert worden. 1999 zum Beispiel in Italien, 2003 in den Niederlanden. Auch die USA und Kanada blieben nicht verschont. Auslöser waren verschiedene Virustypen: H7N7 etwa in den Niederlanden, H7N3 in Kanada, H7N1 in Italien. Die Ereignisse waren aber immer räumlich und zeitlich begrenzt. 1959 wurde ein noch relativ harmloser H5N1-Stamm erstmals bei Haushühnern in Schottland nachgewiesen. 1991 folgte ein Ausbruch in England. Danach war für längere Zeit Ruhe. Eine trügerische Ruhe, wie sich herausstellen sollte. Das Virus veränderte sich, wurde aggressiver und schlug 1997 in Hongkong zu. Ende 2003 brach die Vogelgrippe in Südkorea erneut aus. H5N1 war noch aggressiver geworden und nicht mehr zu stoppen.
Als es vor einem Jahr am Qinghai-See in Zentralchina zu einem Massensterben unter Wildvögeln kam, wurde H5N1 als Auslöser identifiziert [H5N1-Variante Asia]. Es ist dieselbe hochpathogene Virus-Variante, die jetzt auch in Nigeria und im Niger, in der Türkei, in Österreich und in Deutschland nachgewiesen wurde. Nie zuvor hat sich ein Vogelgrippe-Virus so schnell und so flächendeckend verbreitet. Professor Günter Thalmann, Leiter des Veterinärinstituts Oldenburg, macht für die rasche Ausbreitung unter anderem die immer größer werdende Zahl von Geflügel in immer größeren Beständen verantwortlich. Das schaffe ideale Bedingungen für das Virus, sich zu vermehren. Sich regelrecht hochzuschaukeln, wie Thalmann es nennt. Die Wissenschaft versteht bislang allenfalls in Ansätzen, was aus der Perspektive des Virus seinen großen Erfolg ausmacht. H5N1 ist in seinen Eigenschaften relativ stabil, verliert bislang nichts von seiner krankmachenden Wirkung, sondern wird im Gegenteil immer aggressiver. Es befällt nicht nur Lungen und Atemwege, sondern kann sich im ganzen Körper ausbreiten. Bei der Vermehrung in der Zelle kommt es dann natürlicherweise auch zu Mutationen. Die meisten dieser mutierten Viren sind nicht überlebensfähig. Bei Vogelgrippe-Opfern in der Türkei war jedoch eine Mutation aufgetaucht, die zunächst zu der Befürchtung Anlaß gab, die Infektion von Menschen würde erleichtert. Ein Befürchtung, die sich zum Glück nicht bestätigt hat.
Infizierte Vögel scheiden das Virus mit dem Kot, aber auch über die Atemluft aus. Außerhalb einer Zelle kann das Virus kaum überleben. In kalter Umgebung hält sich H5N1 etwas länger. Bei 20 Grad Celsius verliert es schnell seine Infektionskraft. Das dürfte die weitere Ausbreitung der Vogelgrippe während warmer Sommermonate zumindest vorrübergehend stoppen. [mehr]
V O G E L G R I P P E E R R E I C H T G R O S S S T A D TVogelgrippe ängstigt Katzenfreunde
Die Vogelgrippe lässt Europas Hunde- und Katzenfreunde um das Wohlergehen ihrer Pelztiere fürchten: Die EU will die deutschen Auflagen zu Hauspflicht und Leinenzwang übernehmen. Zugleich wurde bekannt, dass die auf Rügen gefundene Katze die hochansteckende Asia-Variante des H5N1-Virus' trug.
Aus: Spiegel Online 2. März 2006, 12.57 Uhr MEZ (nur elektronisch publiziert). [Original]BRÜSSEL. Deutschlands Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Vogelgrippe machen Schule: Die Europäische Union will die in den Seuchengebieten angeordnete Hauspflicht für Katzen und der Leinenzwang für Hunde für alle H5N1-Sperrbezirke übernehmen. Das hat der EU-Ausschuss der nationalen Veterinäre in Brüssel empfohlen und zugleich das deutsche Beispiel ausdrücklich begrüßt, wie die EU-Kommission berichtete.
Auch die Experten der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) in Paris lobten das Verhalten der deutschen Behörden. Der Fall der infizierten Katze zeige "den hohen Grad der Aufmerksamkeit und das äußerst effektive Überwachungssystem in Europa".
Das Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems teilte am heutigen Donnerstag mit, dass die Katze mit dem hochansteckenden H5N1/Asia-Virus infiziert war. "Das Ergebnis kommt nicht überraschend", erklärte Timm Harder vom nationalen Referenzlabor. "Die Katze wurde in der Nähe der Wittower Fähre gefunden, dem Zentrum der Infektionen auf der Insel Rügen." An der Einschätzung der Situation ändere der Befund nichts.
Der EU-Ausschuss betonte, dass es bisher keine Hinweise darauf gebe, dass sich Menschen bei anderen Tieren als Vögeln mit dem H5N1-Virus infiziert hätten. Nach derzeitigem Wissensstand seien Fleischfresser wie Katzen eine Art "Sackgasse" für die Verbreitung des Erregers, glauben derzeit sowohl die Mitglieder des EU-Ausschusses als auch Seuchenexperten. Zur Übertragung von H5N1 auch auf Hunde lägen keine Informationen vor, die diese Möglichkeit bestätigten oder ausschlössen.
Französische Tierschützer sehen aufkeimende Panik
Derweil treibt die Vogelgrippe-Gefahr teils bizarre Blüten, insbesondere in der nicht gerade kleinen Gemeinde der Katzenbesitzer. In Frankreich berichten Medien bereits von einer veritablen Angstwelle unter den Freunden der Samtpfoten. Nach dem Fund der mit H5N1 infizierten Katze auf Rügen wurden französische Tierschutzvereine mit Anrufen geradezu bombardiert. "Katzenbesitzer wollen wissen, welche Risiken es gibt", sagte Serge Belais, Präsident der Société Protectrice des Animaux. Manche Menschen hätten ihre Katzen bereits ausgesetzt. "Es beginnt eine Panik", sagte Belais der Nachrichtenagentur AP.Die Tierschützer wollen die Bürgermeister der französischen Städte schriftlich auffordern, der Vogelgrippe-Angst nicht mit einer großangelegten Jagd auf streunende Katze zu begegnen. Belais empfahl Katzenbesitzern dringend, ihre Tiere im Haus zu halten damit die Vierbeiner weder dem H5N1-Virus noch einem städtischen Katzenfänger zum Opfer fallen.
Auch in Deutschland sind die Tierschützer höchst besorgt um das Wohlergehen der Katzen. Wer seiner Katze Stubenarrest verordne, müsse sich intensiv um sie kümmern. "Das ist für die Katze eine Einschränkung", sagt Elke Deininger von der Akademie für Tierschutz des Deutschen Tierschutzbundes in München. "Auch wenn sie anfangs unruhig ist oder zeigt, dass sie raus will, gilt es, konsequent zu bleiben."
Damit es dem Tierchen nicht zu langweilig wird, empfiehlt Deininger den Ausbau des häuslichen Bespaßungsprogramms: Für Abwechslung könnten etwa eine Hängematte oder zusätzlich aufgestellte Klettermöglichkeiten sorgen.
H5N1 in Mannheim und Wandlitz
Eine tote Wildente im Rheinhafen macht Mannheim zur ersten deutschen Großstadt mit Vogelgrippe-Sperrzone. Der Einzelfall trifft zwar gleich drei Bundesländer, sorgt aber für wenig Aufregung in Anbetracht der generellen Ausbreitung der Tierseuche.
Aus: Spiegel Online 3. März 2006, 20.37 Uhr MEZ (nur elektronisch publiziert). [Original]DEUTSCHLAND. "Im Prinzip ist dieser Sperrbezirk ein virtueller Akt es werden Schilder aufgestellt, und das war's im Wesentlichen", sagte ein Sprecher der Stadt Mannheim, "völlig undramatisch." Der virtuelle Zirkel um den Fundort des H5N1-infizierten Entenkadavers, umfasst ein Gebiet mit 3 Kilometern Radius und rund 100.000 Bewohnern.
Die Sperrzone umfasst nach Angaben der Deutsche-Presse-Agentur zwar den Mannheimer Straßenstrich, dafür aber nach Darstellung der Stadt keinen Nutzgeflügelbestand. Nur einige Kleintierzuchtvereine mit wenigen tausend Tieren lägen im Sperrgebiet. Einzig Schilder mit Warnhinweisen erinnern wie in den anderen Vogelgrippe-Landkreisen Deutschlands an die Tierseuche. Dafür kann Mannheims Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) eine Drohung aus den letzten Wochen wahr machen: Weil sich wegen des Streiks im öffentlichen Dienst Müll am Straßenrand sammelt, lässt er nun in Anbetracht der Tierseuchengefahr eine Privatfirma den Müll wegräumen. Sonst, kündigt die Stadt an, sollen Tierärzte die Betriebe mit Geflügelhaltung verstärkt beobachten.
Vor Ort erscheint der erste Fall von Vogelgrippe in einer deutschen Großstadt das Gegenteil von Aufregung zu erwecken. Auch der Landwirtschaftsminister in Stuttgart betont Gelassenheit: Der erste Vogelgrippe-Fall am Oberrhein habe sein Ministerium "nicht sonderlich überrascht". Peter Hauk (CDU) sagte: "Baden-Württemberg zählt zu dem Bundesland, das mit die größte Vogelpopulation überhaupt hat." Die Rhein-Neckar-Zeitung aus den nahen Heidelberg kommentiert: "Die epidemischen Verbreitungswege sind in ländlichen Regionen sogar viel zahlreicher."
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