BSE & Co in den Medien – Teil 29 khd
Stand:  11.1.2004   (30. Ed.)  –  File: M/edien29.html




Hier werden einige ausgewählte und besonders interessante Artikel und andere Texte zur durch den Rinderwahnsinn BSE und der Anwendung der Gentechnik ausgelösten Problematik sowie zur gefährlichen H5N1-Vogelgrippe (Geflügelpest) und H1N1-Schweinegrippe gespiegelt und damit auf Dauer dokumentiert. Manches ist auch mit [Ed: ...] kommentiert. Tipp- und Übertragungsfehler gehen zu meinen Lasten.

Die anderen Vergiftungen von Nahrungsmitteln haben ab Ende 2004 eine eigene Webseiten- Serie in der Abteilung "Food" erhalten.

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  • Neuere Presseberichte  (30. Teil).
  • 12.08.2002: Futtermittel-Hersteller sollen haften.
  • 09.08.2002: Erster Creutzfeldt-Jakob-Toter in Kanada.
  • 30.07.2002: Creutzfeldt-Jakob: Antibiotikum schwächt Prionen.
  • 30.07.2002: Regierung darf Verbraucher vor Risikoprodukten warnen.
  • 29.07.2002: Schlampiger Umgang mit Pestiziden.
  • 29.07.2002: Lebensmittelskandale bleiben ungesühnt.
  • 27.07.2002: Agrarwende rückwärts. (Kommentar)
  • 26.07.2002: Verstöße gegen das Lebensmittelrecht müssen härter bestraft werden.
  • 18.07.2002: Landwirtschaft: Die neue Dreifelderwirtschaft.
  • 17.07.2002: Hormon-Skandal: Die Täter sitzen in Irland.
  • 15.07.2002: Hormon-Skandal: Arzneiabfälle im Schnitzel.
  • 13.07.2002: Antibiotika in Kalbfleisch.
  • Ältere Presseberichte  (28. Teil).
    Made with Mac


    Antibiotika in Kalbfleisch

    Aus:
    Spiegel-Pressemeldung – 13. Juli 2002, ??.?? Uhr zum Artikel "Verseuchte Kalbshaxen" im SPIEGEL – 29/2002, 15. Juli 2002, Seite 18 (Panorama Deutschland).

    HAMBURG. Erneut sind hohe Dosen Tetracyclin- Antibiotika in Kalbfleisch nachgewiesen worden. Untersuchungen des nordrhein- westfälischen Umweltministeriums stellten "bedenkliche Konzentrationen" des Arzneimittels, das verbotenerweise als Mastbeschleuniger eingesetzt wird, in Haxen und Fleischstücken tiefgefrorener Kälber fest.

    In 51 von 53 Proben fanden sich Antibiotika im Knochen, teilweise weit über dem Grenzwert. Die Ergebnisse seien gravierend, weil Kalbsknochen als Grundlage für Fleischbrühe in die Nahrung gelangten. Nach jüngsten Untersuchungen der Universität Hannover entstehen beim Abbau der Medikamente Stoffwechselprodukte, die erheblich gesundheitsschädlicher sind als die Antibiotika selbst.

    In der vergangenen Woche hatte Greenpeace über Messungen bei italienischen Puten [Ed. des Produzenten AIA] berichtet, die in 80 % der untersuchten Fälle Tetracyclin- Rückstände aufgewiesen hatten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Tetracycline weiterhin als Aufbaumittel in der Tierzucht eingesetzt werden, obwohl dies seit 1974 EU-weit verboten ist.



    N E U E R   H O R M O N - S K A N D A L

    Arzneiabfälle im Schnitzel

    Der jüngste Futtermittelskandal hat weit größere Ausmaße als bisher angenommen. Über eineinhalb Jahre sollen rund 8.500 Tonnen hormonbelastetes Futtermittel in 1.300 Transporten in mindestens 6 Bundesländer geliefert worden sein. Hunderten Betrieben droht die Sperrung.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 15. Juli 2002, ??.?? Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    HAMBURG. Der früheste Nachweis des Wachstumshormons MPA (Medroxy- Progesteron- Acetat) in Produkten in Deutschland stammt nach Angaben des Bundesverbraucherministeriums aus Getränke- Rückstellproben von Anfang 2001. Der den MPA- Verseuchungen zu Grunde liegende Glukosesirup kam von der belgischen Firma Bioland, die nichts mit dem deutschen Verband gleichen Namens zu tun hat. Sie hatte irische Arzneimittel- Abfälle in dem Sirup verarbeitet.

    Die belasteten Produkte gelangten nach neuen Erkenntnissen mindestens über die Dauer von 18 Monaten in die Bundesrepublik. Noch bis vergangenen Mittwoch wurden MPA- belastete Futtermittel in mindestens 6 Bundesländer geliefert. Zwischen dem 3. Juni und dem 10. Juli kamen nach Angaben des Bundesverbraucherministeriums in Berlin in 1.300 Lieferungen rund 8.500 Tonnen MPA- belastete Futtermittel aus den Niederlanden in die Bundesrepublik.

    Der jüngste Skandal hat erneut enorme Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Nordrhein- Westfalens Verbraucherschutzministerin Bärbel Höhn (Grüne) sagte heute, Hunderte von Betrieben in verschiedenen Bundesländern müssten gesperrt werden. Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) betonte, die betroffenen Betriebe würden mit einem Vermarktungsverbot belegt. Ihr Fleisch dürfe nur verkauft werden, wenn Proben ergäben, dass es nicht mit MPA belastet ist. Verseuchte Futtermittel würden ausgetauscht. Eine Sprecherin des Ministeriums betonte, bisher seien alle MPA-Funde unterhalb der Grenze, ab der das Hormon Wirkung beim Menschen zeigen würde.

    Noch unter dem Eindruck des Nitrofen-Skandals forderte Künast, EU-weit müssten schärfere Kontrollen der Futtermittelindustrie eingerichtet werden. "Kontrolle muss her und andere rechtliche Regelungen", sagte sie in der ARD. Auch beim Treffen der Landwirtschaftsminister der Europäischen Union sollte der MPA-Skandal heute zur Sprache kommen.

    Nach Angaben des Ministeriums von Höhn gingen die meisten Lieferungen nach Nordrhein- Westfalen und Niedersachsen. Betroffen seien aber auch Schleswig- Holstein, Sachsen- Anhalt, Thüringen und Bayern. In diesen Bundesländern verfolgten die Behörden heute die Vertriebswege auf Hochtouren, hieß es. In mehreren Betrieben wurde das fragliche Futtermittel gefunden.

    Höhn sagte im Deutschlandfunk, es sei schwer vorauszusagen, wie sich die Hormone auf die Gesundheit des Menschen auswirken werden. Hormone am falschen Platz könnten auch in geringen Mengen wirken. Hier handele es sich um Hormone, "die in der Anti-Baby-Pille sind und dementsprechend auf die Zeugungsfähigkeit eine negative Wirkung haben".

    Zum Bericht des SPIEGEL über hohe Dosen von Antibiotika in Kalbfleisch aus Nordrhein- Westfalen sagte Höhn: "Es ist so, dass wir 2001 sehr viele Messungen gemacht haben. Wir finden das vorwiegend in den Knochen, das heißt, die Tiere sind mit diesem Mittel behandelt worden. Wir finden es weniger im Fleisch selber, aber in den Knochen können wir das länger nachweisen." Der Einsatz des Arzneimittels Tetracyclin sei zwar erlaubt, werde aber doch zu großzügig eingesetzt. Eine Beschränkung sei im gerade vom Bundesrat verabschiedeten Tierarznei- Neuordnungsgesetz vorgeschrieben.

    Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte die Bundesländer auf, Fleisch und Knochen routinemäßig auf Antibiotika- Rückstände zu kontrollieren. Zudem müsse wissenschaftlich untersucht werden, inwiefern die Antibiotika durch Kochen oder Braten vom Knochen ins Fleisch gelangen. "Auch ist bisher unklar, ob sich die Antibiotika aus den Knochen in daraus erzeugter Fleischbrühe oder Gelatine wiederfinden", teilte Greenpeace in Hamburg mit.

    Claudia Roth, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, nannte die Lebensmittelskandale als "in zunehmenden Maße ekelhaft". Es sei daher richtig, auf mehr Kontrolle, Information und Transparenz zu setzen: "Wir brauchen ein Mehr an Europa", sagte sie in Berlin. Besonders zynisch nannte sie es, dass die Union das Verbraucherinformationsgesetz im Bundesrat blockiert habe. Auch Bundesaußenminister Joschka Fischer warf der Union "eine klare Absage an den Verbraucherschutz und eine klare Unterstützung agroindustrieller Interessen vor". [mehr]



    H O R M O N - S K A N D A L

    Die Täter sitzen in Irland

    Der Verdacht, dass hormonverseuchte Futtermittel aus Irland stammen, hat sich bestätigt. Nach Angaben irischer Behörden wurden ungefährliche und gefährliche Abfälle gemischt und anschließend als unbedenklich ausgewiesen.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 17. Juli 2002, ??.?? Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    DUBLIN/BRÜSSEL/BERLIN. Falsch deklarierte Abfälle einer Pharmafirma und eines Abfallverwerters aus Irland sind für den Skandal um hormonverseuchte Futtermittel und Getränke mitverantwortlich. Wie die irische Umweltbehörde EPA mitteilte, wurden gefährliche Abfälle mit ungefährlichen gemischt und als unbedenklich deklariert.

    Riskante Abfälle von der Insel

    Die Zeitung The Irish Times berichtet in ihrer Internet- Ausgabe, im Juli 2000 habe die Entsorgungsfirma Cara Environmental erstmals eine mit dem Wachstumshormon Medroxy-Progesteron- Acetat (MPA) verseuchte Probe des Glukosesirups an die belgische Firma Bioland Liquid Sugars (nicht identisch mit dem deutschen Öko-Verband Bioland) verschickt. Von dieser Zeit an, so die Erkenntnisse der Umweltbehörde EPA, seien die riskanten Abfälle mit den unbedenklichen vermengt worden und als eine Lieferung nach Belgien gelangt. Die Pharmafirma Wyeth Medica im irischen Newbridge, aus deren Produktion die verseuchten Abfälle stammten, habe darüber weder eine Mitteilung gemacht, noch um Erlaubnis dafür nachgefragt.

    Das belgische Unternehmen Bioland Liquid Sugars wiederum hat seine Geschäfte mit der Lebensmittelindustrie ohne die nötigen Genehmigungen abgewickelt. Regierungskreise bestätigten, das Unternehmen habe keine Lizenz für derartige Lieferungen besessen.

    Belgische Landwirte wollen klagen

    Inzwischen sind nahezu alle EU-Staaten von dem Skandal um das Hormon MPA betroffen. Die Hälfte der Schweinezüchter in den Niederlanden mussten ihre Höfe sperren lassen. Sie kündigten an, die beiden irischen Firmen verklagen zu wollen.

    Auch in Deutschland hat der Hormon-Skandal weit reichende Folgen. Betriebe in 12 der 16 Bundesländer wurden mit möglicherweise belastetem Futter beliefert. Allein in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurden bisher 337 Mastbetriebe gesperrt. Nicht betroffen sind nach Erkenntnissen von heute bisher lediglich Hessen, Sachsen, Berlin und Bremen. Die Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen riet "vorerst zur Zurückhaltung beim Fleischverzehr".

    Künast fordert Positivliste

    In Brüssel bestätigte der EU-Lebensmittelausschuss das bereits eingeschlagene Verfahren: Demnach soll möglicherweise verunreinigtes Futter aufgespürt, zurückgezogen und beseitigt werden. Alle Betriebe, die unter Umständen verseuchtes Futter erhalten haben könnten, sollen auch weiterhin unter staatliche Aufsicht gestellt werden.

    Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) forderte erneut die Einführung einer Positivliste. Statt wie bisher all das als Futtermittelbestandteil zuzulassen, was nicht ausdrücklich verboten sei, müssten die Stoffe aufgelistet werden, die verwendet werden dürften. Unterstützung erhielt Künast in dieser Forderung von ihrer nordrhein-westfälischen Amtskollegin Bärbel Höhn (Grüne) sowie vom Bauernverband. [Nun wird's teurer]



    A G E N D A   D E U T S C H L A N D   (20)

    Die neue Dreifelderwirtschaft

    Sie sind angeblich unzeitgemäß, verschlingen Milliarden und vergiften die Nahrung. Also nicht so schlimm, dass es immer weniger Bauern gibt? Doch. Auf den Äckern könnten gesunde Lebensmittel, Energie-Pflanzen und Rohstoffe für die Chemie wachsen – wenn man die Bauern nur ließe. Und die Landschaft pflegen sie ganz nebenbei.

    Aus:
    DIE ZEIT – Nr. 30/2002, 18. Juli 2002, Seite ?? (Wirtschaft – Agenda Deutschland) von CHRISTIANE GREFE. [Original]

    Bauernlackl, Bauerntrampel, Bauernsocken: grobe Kerle. Tumb rennen sie der Subventionsmöhre hinterher. "Du Bauer", so beschimpft man einen, der total von gestern ist. Überholt.

    Die Sprache enthüllt die unterschwellige Missachtung, die das Verhältnis der Esser zu den Produzenten ihrer Nahrung prägt. Je mehr die Industrie- und dann die Dienstleistungsgesellschaft voranschritt, desto rückständiger erschien dieser Teil der Primärwirtschaft, von dem nur noch 3 % der Bevölkerung leben. Noch weiter ist er von der vermeintlich dematerialisierten Informationsgesellschaft entfernt. Die aseptische Gutshof-Nostalgie, die auf Kartoffelchips- und Schmelzkäsepackungen kultiviert wird, ist nur die Kehrseite der gleichen Entfremdung.

    Gewiss aus wirtschaftlichen Zwängen, aber nicht zuletzt auf der Flucht vor ihrem Hinterwäldler- Image haben sich viele Landwirte in die spezialisierte Hochleistungsproduktion mit chemischer Nachhilfe treiben lassen, obwohl sie Grundwasser, Boden, Klima und die Gesundheit von Mensch und Tier gefährdet.

    Die größten Bauern ernten die dümmsten Kartoffeln

    Profitiert von dieser Industrialisierung haben – wachsen oder weichen – vor allem Großbetriebe. Doch alle Landwirte stehen jetzt in der Öffentlichkeit meist als "bauerndepperte" Opfer oder "bauernschlau" raffgierige Komplizen bei Lebensmittelskandalen da, die das Fleisch mit verseuchten Futtermitteln und Trinkwasser mit Pestiziden versauen. Jetzt heißt es: Die größten Bauern ernten die dümmsten Kartoffeln, alles muss sich ändern. Doch ihr Verband, mit dem Agrobusiness aufs Engste verklüngelt, verteidigt hartnäckig die Brüsseler Pfründen für die wenigen. Allein in den alten Bundesländern ist die Zahl der Hofbetreiber von 1970 bis 2000 um 60 % geschrumpft; laut einigen Studien könnte sie sich bis 2015 noch einmal halbieren.

    Die Folge all dessen: Existenzangst auf dem Land, Entmutigung, die Tendenz zu Nebenerwerb, Depression, Überalterung, weil die Kinder lieber einen Job bei VW oder Hewlett-Packard haben wollen. Um Arbeitsplätze, die nur auf den Subventionskrücken von europaweit 45 Milliarden Euro stehen, sei es auch kaum schade, heißt es zwar nicht nur im Kieler Weltwirtschaftsinstitut; Lebensmittel könne man schließlich importieren. Doch ist die Landwirtschaft, gebunden an die Unbeweglichkeit und die Grenzen des Bodens, des Klimas, der Landschaft, der Kultur, tatsächlich ein Wirtschaftszweig wie jeder andere, den man allmählich auslaufen lassen kann?

    Wenn jetzt mit der Halbzeitbilanz der Agenda 2000 auch die Agrarpolitik einer neuen Bundesregierung diskutiert wird, dann geht es im Kern um diese Frage: Welche wirtschaftliche und gesellschaftliche Rolle sollen Bauern spielen? Darauf mit einem konsistenten Entwurf zu antworten, haben Ökonomen, Politiker, Medien, selbst Ökologen allzu lange versäumt. Dabei sind – allem Lobbygeschrei zum Trotz – die Ansätze von Renate Künast und des EU-Landwirtschafts- Kommissars Franz Fischler Schritte auf dem richtigen Weg. Für die alte EU-Politik gilt die Bauernkriegs- Losung: "Geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten's besser aus."

    Denn so paradox das angesichts eines vermeintlich nicht umkehrbaren historischen Prozesses erscheint: Tatsächlich können und müssen die Bauern statt am Rande mitten im Zentrum jener Modernisierung wirken, deren Ziel sich - zumindest rhetorisch – alle Parteien auf die Fahnen geschrieben haben: Nachhaltigkeit der gesamten Wirtschaft, das heißt vor allem ein entschieden geringerer Ressourcenverbrauch. Unumstritten bleibt das "Kerngeschäft" der Landwirtschaft, gesunde Lebensmittel ökologisch verträglich zu produzieren. Doch ihre Aufgabe geht auch über die neue Rollenzuweisung als Natur- und Landschaftsschützer hinaus. Die Zukunft liegt in einer neuen Agrargesellschaft – und damit ist weder Nostalgie noch ein Blut-und-Boden- Autarkietraum gemeint.

    120 % der ökologischen Tragfähigkeit der Erde nutzt die Menschheit bereits heute beim Energieverbrauch, Tendenz steigend. Doch Strom, Heizung, Treibstoffe und Chemieindustrie hängen noch immer weitgehend vom Erdöl ab. Ob man die Kriegs- und Krisenträchtigkeit des schwarzen Goldes schwerer gewichtet oder sein weltweit fatales Umweltkonto, ob man seine Erschöpfbarkeit auf 40 oder 60 Jahre schätzt: es muss ersetzt werden – auch durch Produkte aus nachwachsender Biomasse. Das heißt: durch Holz, biogene Abfälle und Ackergewächse aller Art, die CO2-neutral verrotten oder vergast werden können. Die zukünftige Wirtschaft muss ihre Ressourcensicherheit immer fester auf eine pflanzliche Basis stellen, die sich dezentral am besten entfaltet. Sie muss sich aufs Land stützen und der "Multifunktionalität" des Erdöls ein "multifunktionales" Agrarsystem entgegenhalten.

    Der Agrikulturkampf wird also nicht, wie der Bauernverband aufwiegelnd zuspitzt, allein zwischen Ökolandbau und konventioneller Produktion ausgetragen. Vielmehr steht auf der einen Seite das Dogma, spezialisiert, konzentriert, daher riskant und transportintensiv Nahrungsmittel für den Weltmarkt zu produzieren. Doch gegen Billigware aus Großflächenländern wie Brasilien, China oder den USA werden nur wenige Großbetriebe ankommen; das gilt umso mehr, weil ausgerechnet die größten Prediger der Liberalisierung in den USA mit regierungsgestützten Dumpingpreisen einer ökonomisch bigotten Doppelmoral folgen, wohl auf Dauer.

    Auf der anderen Seite steht die Wiederbelebung und Erneuerung der Regionalkulturen und einer Ressourcenwirtschaft der kurzen Wege, welche hochwertige Lebensmittel und vielfältige Rohstoffe hervorbringt und die Synergien zwischen beiden Bereichen zu nutzen versteht. Erst die Sparsamkeit des gesamten Systems macht die Landwirtschaft wirklich ökologisch. Sie kann naturnah wie in den Jahrhunderten zuvor wirtschaften, jedoch viel effizienter mithilfe raffinierter Technologien. Diese grundlegende Neuorientierung bietet Bauern Chancen für Einkommensquellen, Arbeitsplätze und Selbstständigkeit.

    Die Agrarpolitik kann dann einen Teil der Subventionen abbauen. Aber zunächst muss sie den Übergang organisieren. Das heißt: ihre Zuschüsse in Investitions- und Ausbildungsbeihilfen umwandeln, für Start-ups in einer modernen, regional angepasst umgesetzten Dreifelderwirtschaft.

    Auf dem ERSTEN FELD für Lebensmittel wird mehr Vielfalt wachsen. Derzeit gehen 40 % der Brüsseler Agrarsubventionen an nur 3 % der Betriebe, die in den fruchtbarsten Regionen immer mehr vom immer Gleichen produzieren, weil die Zahlungen ans Produkt gebunden sind. Überschüsse werden dann mit weiteren Subventionen entsorgt – zum Beispiel mit Exportbeihilfen, die noch immer Dritte-Welt-Bauern aus dem Wettbewerb drängen. Eine Handvoll Handelsketten stachelt dieses absurde Verschwendungssystem weiter an; nur noch 5 Managementzentralen kontrollieren 62 % des Lebensmittelmarkts und drücken die Preise. Setzt sich der EU-Landwirtschaftskommissar mit seinen Plänen durch, die Zuschüsse schrittweise für die ganze Pflanzenpalette zu bezahlen und zum Teil für die Landschaftspflege umzuwidmen, dann befreit er die Landwirtschaft nicht allein aus dieser Brüsseler Schema-F- Produktion; dann können Bauern nicht nur wieder kultivieren, was das Land im Elsass oder in Essex County am besten hergibt. Franz Fischler subventioniert dann auch Schönheit – und die viel größere Anstrengung der Milch- und Grünlandwirtschaft. Vor allem aber organisiert er den Beginn einer Umverteilung der Subventionen von den Großbetrieben zu den bäuerlichen Höfen.

    In die gleiche Richtung zielt seine Absicht, je nach Zahl der Arbeitsplätze gemildert die Zuschüsse pro Hof auf maximal 300.000 Euro zu kappen. Verständlich, dass die ostdeutschen Großbetriebe aufschreien. Dabei könnten auch sie mit etwas unternehmerischer Fantasie profitieren. Denn die eingesparten Mittel sollen auch in die "ländliche Entwicklung" investiert werden; sie sollen Bauern helfen, sich neue Märkte zu erschließen, im Tourismus beispielsweise. Aber vor allem mit einer "neuen Biodiversität der Nahrungsmittel", so der italienische Slow-Food-Gründer Carlo Petrini.

    Derzeit haben die Urproduzenten am allerwenigsten vom Supermarktpreis. Wenn sich ein Zentner Frühkartoffeln zu 7 Euro industriell in Fertigbratkartoffeln zum zwanzigfachen Preis verwandelt, dann verdienen daran zig Mitesser. Diese Wertschöpfung soll zurück aufs verödete Land, wo Schlachter, Metzger, Käsereien von den großen Ketten ausgehungert wurden. Wenn die entsprechende ländliche Infrastruktur anschubfinanziert wird, dann können mehr Bauern als bisher jeden Tag frische Milch in die Schulen und Ökogemüse in Kantinen liefern, Rohmilchkäse und Salzwiesenlämmer auf Wochenmärkten anbieten, Limoncello und höhlengeräucherten Schinken per Versand vertreiben oder exportieren – also an einer grenzenlosen Palette traditioneller oder auch neu entwickelter regionaltypischer Produkte und an deren Frische direkt verdienen. Renate Künasts Wettbewerb "Region aktiv", der Bauern und Verbraucher vernetzen soll, ist ein Schritt in diese Richtung. Wie das Land revitalisiert werden kann, demonstrierte auch eine Bewegung von Bauerngemeinschaften, die von den schottischen Highlands bis nach Kastilien reicht, kürzlich auf einer European AgriCultural Convention dem Brüsseler Verfassungskonvent.

    "Landwerkstätten", wie der frühere Wurstfabrikant und heutige Biolebensmittelhersteller Karl Ludwig Schweisfurth eine regional verwurzelte Produktion nennt, können indes mit den Massenmarkt nur konkurrieren, wenn die Verbraucher Wertschätzung für Qualität zeigen und dafür auch mehr zahlen. Das wird noch viel Geschmackserziehung und Überzeugungsarbeit kosten. In Deutschland ist der Anteil der Lebensmittelkosten am Einkommen auf rund 12 % geschrumpft; vor 30 Jahren waren es noch 26 %. Etwa so viel wie heute in Schweden – was zeigt, dass mit höheren Kosten kein zivilisatorischer Absturz verbunden sein muss.

    Frühe Erntezeit ermöglicht zwei Kulturen im Jahr

    Wenn in Zukunft auf dem ZWEITEN FELD Energiepflanzen stehen, dann könnten sich die Preise für ökologisch und regional hergestellte Lebensmittel durch Synergien aber auch verringern. Bisher wird auf rund 550.000 Hektar vorwiegend Raps für Biodiesel angebaut. Doch längst gibt es Konzepte, die eine günstigere Ökobilanz aufweisen. Der Agrarwissenschaftler Konrad Scheffer von der Universität Kassel etwa nutzt nicht nur das Öl aus der Frucht, sondern die ganze, noch grüne Pflanze, wenn sie am meisten Masse bringt. Aus Presssaft und Trockenmasse gewinnt er größere Mengen Biogas für Strom und Wärme – und Vorprodukte für Treibstoff. Der frühe Erntezeitpunkt ermöglicht zwei Kulturen pro Jahr; das erhöht den Hektarertrag noch einmal. Rund 1,5 Tonnen Ölsaat stehen dann mehr als 20 Tonnen Grünmasse aus der ganzen Rapspflanze gegenüber; das ergibt, bezogen auf Treibstoff, etwa die vier- bis sechsfache Menge. In Kassel experimentiert man mit Winterhafer und Senf, Sonnenblumen, Hirse, Erbsen, Mais und Gräsern.

    So nimmt Scheffers Verfahren dem Einwand Wind aus den Segeln, nachwachsende Rohstoffe müssten neue Monokulturen nach sich ziehen. Alles eine Frage der Regelung, da es zudem nicht nur auf die möglichst ergiebige Frucht ankommt, lohnt es sich, auch vergessene Sorten wieder anzubauen, die eher ins Kraut als ins Korn schießen. Widerlegt wird auch die Befürchtung, gerade bei nicht essbaren Gewächsen würden Agrarchemikalien umso verschwenderischer eingesetzt: "Unkräuter" werden einfach mitverbrannt.

    Biomasse kann den Bauern helfen, ihre je nach Hof beachtlichen Energiekosten einzusparen. Was übrig ist, wird verkauft: Die pflanzlichen Rohstoffe können eher dezentral weiterverarbeitet werden, zumindest schon wegen des hohen Stoffvolumens beim Biotreibstoff. Gewitzte Landwirte könnten entsprechende Anlagen, auch Tankstellen, genossenschaftlich selbst betreiben.

    Den gesamten Treibstoff und bis zu 20 % des Energieverbrauchs in der Bundesrepublik solle Biomasse bringen, sagen deren Advokaten. Illusorisch, ja verantwortungslos im dicht besiedelten Europa, halten Kritiker – auch aus dem Umweltbundesamt – dagegen. Schon der ertragsärmere Ökoanbau beanspruche 10 % mehr Acker; Tier-, Landschafts- und Naturschutz konkurrierten um die gleiche Fläche. Gewiss: Es muss sensibel abgewogen werden zwischen den beiden Zielen, die Biodiversität zu erhalten und mit der Natur zu wirtschaften. Doch die meisten Berechnungen bei der Biomasse fußen noch auf den schlechteren Ertragsraten beim Rapsdiesel. Sie sind technikpessimistisch statisch: Effizienzsteigerungen bei Motoren und Energieanlagen klammern sie ebenso aus wie eine mögliche weitere Abkehr der Konsumenten von der "Fleischtopfkultur" (Carl Amery), die einen niedrigeren Flächenbedarf für Tierfutter zur Folge hätte. Und durch intelligente Nutzpflanzenforschung lassen sich auch ökologische Anbaumethoden noch optimieren.

    In Sträuchern, Gras und Abfällen steckt viel Energie

    Zudem dominiert noch immer das eindimensionale Denken der modernen Ökonomie: ein Problem – eine Lösung. Dabei soll weder die Biomasse alle Formen der Energienutzung befriedigen – es gibt schließlich auch noch Wind und Sonne –, noch bringen eigens angebaute Energiepflanzen die ganze Biomasse auf. Einen hohen Anteil liefern vielmehr Sträucher und Durchforstungsholz, Grasmahd und Abfälle aus der Nahrungsmittelproduktion. Der Landbau seinerseits profitiert von den Vergasungsrückständen, die einen guten Dünger bieten. Prozesse zusammendenken, wirklich alles nutzen: Das ist die neue Agrikultur.

    So wird sich mit dem Wachsen einer Biomasse-Infrastruktur auf dem DRITTEN FELD auch die Pflanzenchemie eher rechnen. Nicht nur deren Verarbeitungsreste können in Energie verwandelt werden, sondern auch Teile der Produkte selbst, wenn sie abgenutzt sind. Denn Autoteile oder Plastikgeschirr aus pflanzlichen Kunststoffen sind nicht mehr "selbst die wichtigsten Schadstoff- Emissionen der chemischen Industrie", wie der Ökologe Rainer Grießhammer schreibt; sie sind Natur auf Zwischenstation. Leinsamen beispielsweise gibt Öl her, Fasern, Wachse aus den Spelzen und Eiweißfutter aus dem Presskuchen. Einen solchen Kosmos der Nutzungsmöglichkeiten böten Tausende von Pflanzen, schwärmt der Chemiker Hermann Fischer. "Ganz ohne Gentechnik. Besser gilt es zu screenen, was die Natur ganz von selber bietet." Die andere, risikoarme Biotechnologie.

    Nicht nur wegen ihrer perfekten Einbindung in ökologische Kreisläufe liegt die Pflanzenchemie vorn. Während Erdöl erst nach vielen, mit hohem Energieverbrauch und durch aggressive Chemikalien ausgelösten komplizierten Umwandlungsschritten Grundstoffe liefert, seien Pflanzen leicht nutzbar für Lacke, Kleber, Farben, Werkstoffe. So punktgenau, meint Fischer, als serviere man Suppe kultiviert mit einer Schöpfkelle – während die Chemie auf fossiler Basis "einen Chinaböller in den Topf wirft, in der Hoffnung, dass bei der folgenden Explosion auch etwas Suppe auf dem Teller landet".

    Dies aber ist noch Zukunftsmusik: Solange Öl billig bleibt, kann die Pflanzenchemie nur selten konkurrieren. Als Anreiz sollten Steuervorteile der mineralölverarbeitenden Betriebe und die Ausnahmen bei der Ökosteuer fallen. Bei den Energiepflanzen hingegen könnte es schon bald boomen: Gerade hat der Bundestag die Steuerbefreiung für biogene Treibstoffe beschlossen. Das könnte einen ähnlichen Schub für den Bau neuer Anlagen und für neue Technologien auslösen wie das Energieeinspeisungsgesetz für die Wind- und Solarkraft.

    Alle drei Felder schreien nach Forschungsanstrengungen. Gefordert sind zudem Ausbildungsprogramme sowie die Förderung neuer Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften. Und damit die marginalisierte Landwirtschaft in der Diskussion bleibt, auch wenn gerade kein Skandal die Öffentlichkeit erregt, braucht sie mehr Demokratie: Agrarlobby und EU-Bürokratie konnten ihre Interessenpolitik nicht zuletzt deshalb so lange ausmauscheln, weil das Europaparlament in diesen Fragen bisher nicht mitreden darf.

    Auch für die Dritte Welt sind regionale Märkte und der Export lokaler und verarbeiteter Spezialitäten nachhaltige Modelle. Die Rohstoffausfuhr allein hat kaum ein Land vorangebracht. Viele der ärmsten Staaten arbeiten zudem praktisch nur noch, um die Ölrechnung zu bezahlen; sie brauchen erst recht eine eigene, dezentrale Energieversorgung, teils aus Biomasse. Wenn Europa es ernst meint mit der Solidarität, dann sollten nicht nur die verbliebenen Exportsubventionen abgeschafft werden, sondern vor allem die je nach Verarbeitungsgrad steigenden Importzölle.

    Nur dann gelingt es auch in den Ländern des Südens, Arbeit und Verdienstchancen aufs Land zu holen, also die Bauern an der Wertschöpfung der Metropolen zu beteiligen. Wo Armut und Unterernährung herrschen und bis zu drei Viertel der Bevölkerung von der Agrarkultur abhängen, ist das noch viel wichtiger als bei uns. Doch Entwicklungsländer sind wir, bezogen auf die Landwirtschaft, alle.

    [Das Tier und der Mensch – eine Müllkippe]



    Tatort Nahrung

    Verstöße gegen das Lebensmittelrecht müssen härter bestraft werden

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 26. Juli 2002, Seite 8 (Meinung) von HANS-LUDWIG ZACHERT. Der Autor war von 1987 bis 1996 Präsident des Bundeskriminalamtes. Dokumentiert ist hier die Print-Fassung des Artikels. [Original]

    Die Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen, Bärbel Höhn, ist eine mutige Frau, wenn sie beim Tierfutterskandal von mafiosen Strukturen spricht. Wer dies so qualifiziert, muss genau wissen, was damit gemeint ist: Es ist das kriminelle, arbeitsteilige und geplante professionelle Handeln im Wirtschaftsleben, um zur größtmöglichen, illegalen Gewinnmaximierung zu gelangen. Dies alles sind ganz kennzeichnende Indikatoren für das Organisierte Verbrechen.

    Verstöße gegen das Lebensmittelrecht wurden bisher als nicht so hoch kriminell eingestuft, so dass die „Nähe“ zur schweren Körperverletzung oder fahrlässigen Tötung nicht in den Sinn kamen. Wie sich aber zeigte, gibt es kaum ein Delikt, die sich solchermaßen sozial- schädlich und massenhaft gesundheitsschädigend auswirkt, wie kriminelle Machenschaften im Lebensmittelbereich zum Beispiel durch die Beimischung von Pharmamüll und dergleichen.

    Bekanntlich ist die Mehrzahl der wirtschaftsstrafrechtlichen Normen nicht im Strafgesetzbuch, sondern in strafrechtlichen Nebengesetzen enthalten. So ist fast verständlich, dass die irrige Meinung aufkommt, die Verstöße gegen das Lebensmittelrecht seien Unrecht der minderen Art, gleichsam „Ordnungswidrigkeiten“ ohne verbrecherische Wertigkeit.

    Diese Einschätzung ist vielleicht eine Erklärung dafür, dass trotz der verheerenden Folgen nach den BSE-Skandalen jetzt schon wieder ein unappetitlicher Hormon- Skandal auf uns zugerollt ist mit der Verseuchung von Tierfutter und Glukosesirup für die Limonadenherstellung. Zwar soll man die generalpräventive Abschreckungswirkung des Strafrechts nicht überschätzen, aber wir müssen dennoch alle Anstrengungen in Betracht ziehen, um den Verbraucher vor weiteren Lebensmittelverseuchungen zu schützen!

    Dazu zählt auch die Überlegung, das „Rechtsgut“ Lebensmittel dadurch zu schützen, dass ein neuer Tatbestand der vorsätzlichen Lebensmittelverseuchung geschaffen wird. Dieser sollte in die Reihe der Körperverletzungsdelikte aufgenommen werden, damit die strafrechtliche Verankerung dieser Deliktsform im Strafgesetzbuch mit entsprechend hoher Strafandrohung virulent zum Ausdruck kommt. Präsident Bush fordert schärfere Sanktionen bei Bilanzfälschungen oder Börsenmanipulationen. Von 10 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe bis zu 1 Million Dollar ist die Rede! Solch hohe Strafandrohungen werden ihre abschreckende Wirkung sicher nicht verfehlen.

    Bei diesen Straftaten ist das zu schützende Rechtsgut „nur“ ein Vermögenswert. Umso lauter muss doch beim Schutz von Leben und Gesundheit von Bürgern der Ruf nach schärferen Gesetzen zur generalpräventiven Abschreckung werden. Denn es handelt sich bei der Lebensmittelverseuchung um eine extreme Form des sozialschädlichen und gesundheitschädigenden Handelns gegenüber der Allgemeinheit.

    Vom kriminellen Unrechtsgehalt und der länderübergreifenden Schadensverursachung her gesehen, wäre eine zentrale Ermittlungsführung durch die Polizei des hauptbetroffenen Landes angeraten, und zwar mit einer unterstützenden Mitwirkung von Europol.

    Durch die Zuständigkeitszersplitterungen, die fehlende europäische Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften im EU-Rahmen bei dem BSE-Skandal sowie der unterlassenen zentralen Ermittlungsführung ist die internationale Dimension dieses Komplexes nie richtig aufgeklärt worden. Vieles ist im Dunklen geblieben. Wenn Ministerin Künast jetzt vehement fordert, dass im EU-Rahmen diese Lebensmittel- Kriminalität durch schärfere Kontrollen bekämpft werden müsse, so hat sie vollkommen Recht. Doch diese Einsicht kommt zu spät! Sie hätte dies schon so energisch zu Beginn ihrer Amtszeit, als die BSE- Krise ihren Höhepunkt hatte, einfordern müssen und zugleich höhere Strafandrohungen durch entsprechende Gesetzesnovellierungen vorschlagen sollen.

    Denn der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass der Staat unverzüglich alles unternimmt, dass Essen und Trinken nicht zu einem Lebensrisiko wird!



    S T O I B E R S   L A N D W I R T S C H A F T S E X P E R T E

    Agrarwende rückwärts

    Aus:
    Der Tagesspiegel, Berlin, 27. Juli 2002, Seite 8 (Meinung) von DAGMAR DEHMER. [Original]

    Peter Harry Carstensen liebt klare Worte. Deshalb hat er gleich bei seiner Vorstellung als Unions- Agrarexperte gesagt, wo die Reise hingehen soll, wenn er nach der Bundestagswahl Minister werden sollte. Für Verbraucherschutz will er gar nicht mehr zuständig sein. Den Öko-Landbau verstärkt zu fördern, hält er für Unsinn, das mache nur die Preise kaputt, und mit der Benachteiligung der konventionellen Bauern will Carstensen auch Schluss machen.

    Stoibers Agrarmann soll im Wahlkampf vor allem die Bauern beruhigen – seit Jahrzehnten eine sichere Bank der Union. Die Bauern haben noch nie SPD gewählt. So gesehen ist Carstensen genau der Richtige, um sie bei Laune zu halten, damit sie am Wahltag das Kreuz an der richtigen Stelle machen.

    Aus Verbrauchersicht ist Carstensen allerdings eine große Enttäuschung. Zwar sagt er, es sei wohl ein Fehler gewesen, jahrelang zu behaupten, in Deutschland gebe es keinen Rinderwahn [BSE]. Gelernt hat er daraus aber offenbar wenig. Die Verbraucher sind selbtsbewusster geworden. Sie glauben schon lange nicht mehr, dass alles, was für die Bauern gut ist, auch für sie gesund ist. Carstensen wird die Agrarwende am Ende nicht aufhalten können. Ohne die Verbraucher sind auch die Bauern nichts.



    L E B E N S M I T T E L S K A N D A L E

    XY ungesühnt

    Aus:
    Der Spiegel – 31/2002, 29. Juli 2002, Seite 20 (Panorama Deutschland). [Original]

    Ungeachtet der Aufregung um Lebensmittelskandale enden staatsanwaltliche Ermittlungen in diesem Bereich fast immer ergebnislos. Gerade 3 Panscher kamen im Jahr 2000 ins Gefängnis, 26 erhielten Bewährungsstrafen.

    Auch in der Nitrofen-Affäre kommen die Verantwortlichen der Firma GS Agri, von der das verseuchte Tierfutter stammen soll, wohl nie vor Gericht: Eine vorsätzliche Verunreinigung lasse sich kaum nachweisen, so der Oldenburger Oberstaatsanwalt Gerhard Kayser – den Ermittlern fehlen Experten, die duch die Laboranalysen hindurchfinden. Als Höchststrafe drohen so Bußgelder der Lebensmittelaufsicht [Ed: die aus der Porto- Kasse bezahlt werden].

    Auch viele Verfahren nach der BSE- Krise endeten als Aktenzeichen XY ungesühnt: Die Staatsanwaltschaft Kempten stellte ein Verfahren gegen „unbekannte Futtermittel- Hersteller“ mangels Tatverdacht ein. Rewe- Mitarbeiter, die aufgetautes Fleisch als Frischware deklariert hatten, kamen jüngst mit je 5.000 Euro davon. 15 Hersteller, die trotz Verbots Tiermehl verarbeitet haben sollen, konnten aufatmen: Nach damaligem Recht hätte das Futter bereits im Handel sein müssen, bevor die Kontrolleure hätten zuschlagen können. [Härtere Strafen bei Lebensmittelrecht-Verstößen gefordert]



    L A N D W I R T S C H A F T

    Giftige Schlamperei

    Aus:
    Der Spiegel – 31/2002, 29. Juli 2002, Seite 20 (Panorama Deutschland). [Original]

    Der Deutsche Bauernverband (DBV) möchte die Ergebnisse einer Umfrage unter Verschluss halten, die zeigt, wie nachlässig seine Mitglieder noch immer mit Pestiziden umgehen. Rund 1000 Landwirte waren in den vergangenen Monaten im Auftrag des DBV und des Industrieverbandes Agrar (IVA) zu ihrem Umgang mit Pflanzenschutzmitteln befragt worden.

    Mehr als ein Drittel bekannte dabei freimütig, dass die Spritzbrühe beim Einfüllen in die Transportbehälter auf dem Hof regelmäßig überschwappe. Die Ackergifte gelangen so auf direktem Weg in die Umgebung. Das Berliner Umweltbundesamt hatte diese so genannten Hofabläufe schon vor Jahren als vermeidbar gegeißelt; sie tragen nicht unerheblich zur Belastung des Grundwassers bei.

    Die aktuelle Umfrage entzweit nun ihre Initiatoren: Die IVA, ein Zusammenschluss deutscher Pestizid- und Düngemittel- Hersteller, stört sich an den Negativschlagzeilen über Funde ihrer Giftprodukte in der Umwelt und möchte die Umfrage- Ergebnisse veröffentlichen. Dies, so hofft die IVA, würde den Druck auf die Landwirte erhöhen, umweltbewusster zu arbeiten. Der DBV dagegen fürchtet weiteren Imageschaden fürs Landvolk [Ed: die normale Landwirtschaft – hm, und was wird erst, wenn Carstensen kommt].



    Regierung darf Verbraucher vor Risikoprodukten warnen

    Aus:
    Yahoo-News, 30. Juli 2002, 14.58 Uhr (Schlagzeilen). [Original]

    KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht der Bundesregierung bestätigt, die Verbraucher bei besonders schweren Lebensmittel- Affären auch durch die Nennung einzelner Risikoprodukte zu warnen.

    Das Gericht wertete in einem heute veröffentlichten Beschluss das Vorgehen der Bundesregierung im Glykol- Skandal von 1985 als verfassungsgemäß, als diese zum Schutz der Verbraucher eine Liste Glykol haltiger Weine veröffentlicht hatte. In solchen Krisen sei die sachliche und rechtzeitige Information der Bevölkerung Aufgabe der Regierung, entschied das Gericht. Zur Begründung hieß es unter anderem, gerade die aktuellen Skandale im Lebensmittel- und Agrarbereich zeigten beispielhaft, wie wichtig öffentlich zugängliche Informationen für den Verbraucher seien. Das Verbraucherschutzministerium begrüßte die Entscheidung als Bestätigung seiner Auffassung. (Az: 1 BvR 558 und 1428/91)

    In seinem Grundsatzbeschluss sprach der erste Senat der Regierung ausdrücklich das Recht zu, die Verbraucher in Krisen wie dem BSE- oder Nitrofen- Skandal zu informieren. Diese müssten in der Lage sein, sich zu orientieren und selbstverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Die Richter stellten zugleich klar, dass das verbreitete Material sachlich richtig sein müsse. Dazu gehöre, dass die Regierung über etwa verbliebene Unsicherheiten informiere. Nur inhaltliche Richtigkeit fördere die Transparenz des Marktes und damit letztendlich seine Funktionsfähigkeit in Krisenzeiten. Das Grundrecht der Berufsfreiheit schütze die Firmen nicht vor der Verbreitung marktbezogener Information.

    Ministerium sieht geplantes Informationsgesetz bestätigt

    Verbraucherschutz-Staatssekretär Alexander Müller erklärte, das Gericht habe die Rechtsauffassung des Ressorts bestätigt, "wonach es Aufgabe des Staates ist, durch umfassende Information das Recht der Verbraucher auf Wahlfreiheit zu sichern sowie mit größtmöglicher Transparenz auf Krisen schnell und sachgerecht zu reagieren". Zugleich kritisierte er erneut, die unionsgeführten Länder hätten im Bundesrat aus wahltaktischen Gründen das Verbraucherinformationsgesetz der Koalition blockiert.

    Der vom Bundestag bereits verabschiedete Gesetzentwurf zielt auf stärkere Informations- und Melderechte von Behörden und Verbrauchern etwa bei Lebensmitteln. So sollen die Behörden das Recht erhalten, bei begründetem Verdacht auf gesundheitsgefährdende Funde in Lebensmitteln an die Öffentlichkeit zu gehen und auch die Namen betroffener Unternehmen und Produkte zu nennen. Die Union hatte das Gesetz im Juni im Bundesrat als wirkungslosen Etikettenschwindel abgelehnt, der die Verbraucher durch mehr Bürokratie und Gebühren sogar belaste.

    Verfassungsbeschwerde von Weinkellereien abgewiesen

    Das Gericht wies mit seiner Entscheidung die Verfassungsbeschwerde zweier Weinkellereien als unbegründet ab. Sie hatten sich gegen die damalige Veröffentlichung der Warnliste gewehrt, auf der die Bundesregierung Glykol haltige Weine unter Nennung der Produktnamen veröffentlicht hatte. Die Liste Glykol haltiger Weine von 1985 hält sich danach im Rahmen des Verfassungsmäßigen, urteilten die Richter im konkreten Fall. Sie sei sachlich richtig gewesen und habe das Vertrauen der Verbraucher in den überregionalen Weinmarkt herstellen sollen. Die Informationen über versetzte Weine habe die notwendige Markttransparenz geschaffen.

    Der so genannte Glykolskandal war 1985 der bis dahin größte Weinskandal in Österreich und Deutschland. Im Sommer 1985 war die Beimengung von Frostschutzmitteln zur Versüßung zuerst bei österreichischen und dann bei deutschen Weinen entdeckt worden. Der Skandal kostete die deutsche Weinwirtschaft nach eigenen Angaben mindestens 1 Milliarde Mark.

    Die Richter stellten weiter klar, dass die Regierung die Kompetenzen der Länder beachten müsse. Der Bund sei daher bei überregionalen Skandalen zur Reaktion berechtigt, wenn bundesweite Informationsarbeit die Bewältigung der Situation fördere, hieß es.



    Antibiotikum schwächt Prionen

    Herkömmliche Antibiotika könnten helfen, bösartige Prionen zu bekämpfen: Durch die Behandlung werden die Erreger von verheerenden Gehirnleiden wie der neuen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit angreifbar.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 30. Juli 2002, ??.?? Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    MAILAND. Forscher in Italien und Schottland sind auf eine mögliche Waffe gegen Prionenkrankheiten gestoßen: Wie das Team in den Proceedings of the National Academy of Sciences berichtet, kann ein Antibiotikum aus der Gruppe der Tetracycline die falsch gefalteten Eiweißfäden schwächen, die für Hirnleiden wie den Rinderwahn BSE oder die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJD) verantwortlich sind.

    Die Forscher um Fabrizio Tagliavini von der Università degli Studi in Mailand hatten ein Tetracyclin im Labor auf BSE- und nvCJD- infiziertes Gewebe einwirken lassen. Einige Prionen wurden dadurch so wehrlos, dass sie von Enzymen verdaut werden konnten, so die Forscher. Die Zahl der anfälligen Eiweißstoffe stieg abhängig von der Tetracyclin- Dosis.

    Normalerweise sind die bösartigen Moleküle, die im Gehirn immer mehr normale Prionen umwandeln und so zu einer langsamen Zerstörung des Organs führen, unempfindlich gegen Enzyme. Um herauszufinden, ob das Antibiotikum tatsächlich die Infektiosität der Eiweißfäden mindert, überprüften Tagliavini und seine Kollegen seine Wirkung auf lebende Hamster.

    Wie sich zeigte, blieben die Tiere gesünder und lebten länger, wenn ihnen statt unbehandelte Prionen solche gespritzt wurden, die zuvor mit Antibiotika behandelt worden waren. Die Forscher hoffen deshalb, dass Tetracycline eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung und Behandlung von Prionenkrankheiten spielen könnten – nicht zuletzt deshalb, weil das Medikament die so genannte Blut-Gehirn- Schranke durchdringen kann.

    Ein Team um Hans Kretzschmar von der Münchner Ludwig-Maximilians- Universität hatte erst vor wenigen Tagen im Fachblatt Lancet über erfolgreiche Tierversuche berichtet, bei denen künstliche Gen-Schnipsel gegen Prionenkrankheiten eingesetzt wurden. Die so genannten CpG Oligodeoxynucleotide stimulierten das Immunsystem von Mäusen und schützten bei einer wiederholten Gabe lange Zeit vor den Erregern. [mehr]



    Erster Creutzfeldt-Jakob-Toter in Kanada

    In Kanada ist erstmals ein Mann an der neuer Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben. Möglicherweise hat er sich in Großbritannien infiziert.

    Aus:
    Spiegel-Online, Hamburg, 9. August 2002, ??.?? Uhr (nur elektronisch publiziert). [Original]

    TORONTO. Nach Angaben der kanadischen Behörden erlag der Verstorbene, der nur als "ein Mann von unter 50 Jahren" bezeichnet wurde, in einer Klinik der Stadt Saskatoon der Krankheit. Als Auslöser der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit [nvCJD] gilt der Erreger des Rinderwahnsinns. Sie kann daher vermutlich durch BSE- verseuchtes Fleisch übertragen werden.

    Befürchtungen, wonach BSE Nordamerika erreicht haben könnte, traten die Behörden entgegen. "Wir haben keine Hinweise darauf, dass der Rinderwahnsinn irgendwie in die Nahrungskette Kanadas eingedrungen ist", sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Ottawa am Donnerstagabend [8.8.2002]. Der Verstorbene müsse den Krankheitserreger aufgenommen haben, als er in den achtziger und neunziger Jahren in Großbritannien gelebt habe.

    Das Hospital, in dem der Verstorbene behandelt worden war, informierte vorsorglich 70 Patienten, dass sie mit demselben Endoskopiegerät untersucht worden seien. Die Gefahr einer Übertragung werde aber als sehr gering eingeschätzt, hieß es.

    Bislang wurde in Amerika kein Fall von BSE nachgewiesen. Im Winter 2000 waren allerdings 14 Tiere der in Nordamerika verbreiteten Hirschart Cervus canadensis mit BSE- ähnlichen Symptomen aufgefallen. Es handelte sich um Hirsche, die für die Fleischerzeugung auf Farmen gehalten wurden. Auf Weisung der Regierung mussten damals mehr als 1700 Tiere getötet werden.

    In Europa sind an der neuen CJD-Variante seit 1995 mehr als 100 Menschen gestorben, fast alle in Großbritannien. In Deutschland ist nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Instituts von heute bislang kein nvCJD- Fall registriert worden.



    H O R M O N - S K A N D A L

    Futtermittel-Hersteller sollen haften

    Aus:
    Der Spiegel – 33/2002, 12. August 2002, Seite 78 (Trends). [Original]

    Karl Heinz Florenz, CDU-Abgeordneter in Straßburg, will das Europa- Parlament zum Schutz der Bauern mobilisieren. Florenz, von Beruf selbst Landwirt, aber mit Bedacht nicht agrarpolitisch engagiert, will die Kraftfutter- Hersteller europaweit zwingen, für die Qualität ihrer Produkte zu haften.

    Die meisten Nahrungsmittelskandale, so Florenz, finden in Wahrheit „vor dem Hof oder hinter dem Hof“ statt, also bei den Futter- Herstellern oder in der Weiterverarbeitung. Im gegenwärtigen Hormonskandal hätten die großen Futtermischer verseuchte flüssige Glucose verarbeitet – zum Schaden der Bauern. Die sollten deshalb von den Kraftfutter- Herstellern künftig aus einem Pool entschädigt werden, in den jeder Hersteller einzahlen müsse.

    Möglicher Grund, weshalb die Bauernlobby nicht selbst auf die Idee kam: Viele Verbandsfunktionäre sind gleichzeitig für die Futtermittel- Industrie tätig. So sitzt Bauernpräsident Gerd Sonnleitner beispielsweise im Präsidium des Deutschen Raiffeisenverbandes. Vize Wilhelm Niemeyer wirkt im Beirat der Raiffeisen- Hauptgenossenschaft Nord. Die Raiffeisengenossenschaften beherrschen einen großen Teil des deutschen Futterhandels.

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      Zum Teil 30

    © 2002-2007 – Universitätsrat a. D. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 26.06.2011 23.30 Uhr